- Altorientalistik
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Als Altorientalistik (auch Assyriologie, Altorientalische Philologie) wird die wissenschaftliche Disziplin bezeichnet, die sich der Erforschung der Sprachen und Kulturen sowie der Geschichte des Vorderen Orients vom späten 4. bis zum Ende des 1. Jahrtausend v. Chr. widmet. Sie geht dabei von den schriftlichen Quellen aus, während die archäologische Untersuchung der Schwesterwissenschaft Vorderasiatische Archäologie obliegt. Geographischer Schwerpunkt ist dabei Mesopotamien, aber insbesondere im 2. Jahrtausend v. Chr. greift durch die weite Verbreitung der Keilschrift das der Altorientalistik zugängliche Gebiet weit darüber hinaus. Die Altorientalistik bildet eine Unterdisziplin der Orientalistik. Sie lässt sich in drei Hauptbereiche untergliedern:
- Sumerologie,
- Akkadistik und
- Hethitologie.
Da die ersten größeren Textfunde aus dem antiken Assyrien kamen, wird die Altorientalistik traditionell oftmals auch als Assyriologie bezeichnet. Dies erklärt sich auch aus der international üblichen Verwendung des Begriffs (vgl. engl. Assyriology, franz. Assyriologie, ital. Assiriologia, etc.). Wenig gebräuchlich ist die Bezeichnung Keilschriftwissenschaft, obwohl sie das Fach am besten eingrenzen würde. Nicht zum Gegenstand des Faches gehört das Alte Ägypten, obwohl es nach Ansicht der meisten Forscher durchaus zum Alten Orient zu zählen ist, da dies von der Ägyptologie behandelt wird. Ob auch die Geschichte Irans bzw. des Perserreiches in den Zuständigkeitsbereich der Altorientalistik fällt, ist umstritten (die meisten Iranisten arbeiten eher über die islamische Zeit); viele Altorientalisten zählen zwar das Achämenidenreich, nicht aber Parther und Sassaniden zum Gegenstand des Faches.
Verglichen mit anderen historischen und philologischen Disziplinen hat die Altorientalistik zwei Besonderheiten, die sie für eine Vielzahl von Studien interessant machen. Zum einen gehören zu ihrem Arbeitsgebiet die ältesten schriftlichen Zeugnisse der Menschheit, nur die Ägyptologie kennt Texte mit vergleichbarem Alter. Zum anderen kann die Altorientalistik für ihre Forschung auf einen Textbestand zurückgreifen, der an Umfang und Vielfalt kaum zu überbieten ist. Der Grund ist, dass von der Schrift im Alten Orient sehr vielfältiger Gebrauch gemacht wurde und das vorwiegend auf sehr haltbarem Material geschrieben wurde, zumeist Tontafeln. Es gibt keine genauen Zahlen darüber wie viele Keilschrifttexte heute zu gänglich sind. Die größten Sammlungen beherbergen das British Museum in London mit ca. 130 000 Texten und das Eski Şark Müzesi in Istanbul mit 74 000 Texten. Sehr umfangreiche Sammlungen besitzen auch das Irak Museum in Bagdad, der Louvre, das Vorderasiatische Museum in Berlin, Museen in den USA (Philadelphia, Chicago) um nur einige zu nennen. Der Bestand wächst ständig und die neuen Texte enthalten noch immer gelegentlich Überraschungen.
Neben der Erforschung von Sprache und Schrift der Texte und der Rekonstruktion literarischer Werke bietet dieses Material eine Vielzahl von Möglichkeiten für andere Studien. Z. B. politische Geschichte, Alltagsgeschichte, Religionsgeschichte, Rechtsgeschichte, Literaturgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Gender Studien etc.
Neben solchen speziellen Themen umfassen die wesentlichen Arbeitsfelder die Edition und Übersetzung der sumerischen, akkadischen (babylonisch-assyrischen) und hethitischen.
Weiterhin beschäftigt sich die Altorientalistik auch mit anderen in Keilschrift geschriebenen Sprachen Vorderasiens: Hurritisch, Urartäisch, Elamisch, Hattisch. Eine Rolle spielen auch teilweise in anderen Schriften abgefasste Texte in den Sprachen Ugaritisch, Luwisch, Karisch, Lykisch, Pisidisch, Sidetisch, Phrygisch, Lydisch, kanaanäischen Sprachen (u.a Moabitisch, Hebräisch, Phönizisch-Punisch), Aramäisch und Altpersisch. Zur umfassenden Übersicht und Klassifikation siehe Altorientalische Sprachen.
Altorientalistik wird an den folgenden deutschen Universitäten unterrichtet: Freie Universität Berlin, Leipzig, Mainz, Jena mit der stattlichen Hilprecht-Sammlung vorderasiatischer Altertümer, Göttingen, Münster, Marburg, Würzburg, Erlangen-Nürnberg, Heidelberg, Tübingen, Universität Freiburg und München. Für die altorientalische bzw. vorderasiatische Archäologie ist darüber hinaus das Deutsche Archäologische Institut (DAI) sowie die Deutsche Orient-Gesellschaft (DOG) zu nennen. In Österreich wird Altorientalistik an den Universitäten Wien und Innsbruck gelehrt, in der Schweiz an den Universitäten Bern und Genf.
Literatur
- Elena Cassin, Jean Bottéro, Jean Vercoutter (Hgg.): Die Altorientalischen Reiche. Fischer, Frankfurt/M. 2003 (Fischer Weltgeschichte; Bände 2 bis 4)
- Vom Paläolithikum bis zur Mitte des 2. Jahrtausends.
- Das Ende des 2. Jahrtausends.
- Die erste Hälfte des 1. Jahrtausends.
- Begründet von Erich Ebeling und Bruno Meissner, fortgeführt von Ernst F. Weidner, Wolfram von Soden und Dietz Otto Edzard, herausgegeben von Michael P. Streck: Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1932ff. (Das große Referenzwerk der Disziplin, bisher 10 Bände erschienen)
- Iorweth E. Edwards u.a. (Hrsg.): The Cambridge Ancient History. 2. grundlegend überarbeitete Auflage, 14 Bände, teils in Teilbänden. Cambridge University Press, Cambridge 1970–2005.
- Dietz Otto Edzard: Geschichte Mesopotamiens. Von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51664-5.
- Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen. Artemis und Winkler, Düsseldorf 2004, ISBN 3-7608-2306-8.
- Marlies Heinz: Altsyrien und Libanon. Geschichte, Wirtschaft und Kultur vom Neolithikum bis Nebukadnezar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, ISBN 3-534-13280-7.
- Barthel Hrouda (Hrsg.): Der Alte Orient. Geschichte und Kultur aus dem alten Vorderasien. Bassermann, München 2003, ISBN 3-8094-1570-7.
- Hans J. Nissen: Geschichte Altvorderasiens. Oldenbourg, München 1999 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte Bd. 25) ISBN 3-486-56373-4.
- Astrid Nunn: Alltag im alten Orient. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2006 (Antike Welt, Sonderheft; Zaberns Bildbände zur Archäologie) ISBN 3-8053-3654-3.
- Mirjo Salvini: Geschichte und Kultur der Urartäer. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-01870-2.
- Jack M. Sasson (Hrsg.): Civilizations of the Ancient Near East. Scribner, New York 1995, ISBN 0-684-19279-9 (4 Bde.)
- Wolfram von Soden: Der Alte Orient. Eine Einführung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, erw. Sonderausg. der 2., unveränd. Aufl. 1992, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-18558-7.
- Michael P. Streck (Hrsg.): Sprachen des Alten Orients. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-17996-X.
- Klaas R. Veenhof: Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders des Großen (Grundrisse zum Alten Testament, ATD Ergänzungsreihe Bd. 11). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-51685-1.
- Josef Wiesehöfer: Das antike Persien. Von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr. Edition Albatross, Düsseldorf 2005, ISBN 3-491-96151-3.
Weblinks
- Universität Tübingen - Linkliste Altorientalistik
- Was ist Altorientalistik? - Porträtfilm zum Jahr der Geisteswissenschaften
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