Islam in Albanien

Islam in Albanien
Neues Bildungszentrum der Bektashi in Vlora
Moschee in Kavaja

Der Islam ist in Albanien die Religion mit den meisten Anhängern und ist in zwei Richtungen gespalten: den sunnitischen Islam und den Sufiorden der Bektaschi.

Die Angaben zur heutigen Zahl der Muslime sind widersprüchlich. Weder die islamischen Gemeinschaften noch die albanischen Behörden führen eine Konfessions-Statistik. Verschiedene Schätzungen und Untersuchungen gehen von 40 bis 45 Prozent[1], rund 60 Prozent [2] oder sogar 70[3]bis 79,9 Prozent[4] der Gesamtbevölkerung aus. Nach dem europäischen Teil der Türkei und dem Kosovo ist Albanien somit das europäische Land mit dem dritthöchsten muslimischen Bevölkerungsanteil: Unter den Albanern des benachbarten Kosovo und Mazedoniens liegt der Anteil der Muslime zwischen 95 und 98 Prozent. Die Mehrheit der albanischen Muslime sind Sunniten, eine bedeutende Minderheit Bektaschi. Erwähnt werden muss jedoch auch, dass viele Albaner, egal welcher Konfession, den Glauben auch nach Aufhebung des Religionsverbotes von 1968 nicht mehr praktizieren.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Muslime leben in allen Teilen Albaniens. Im Zentrum, im Süden und im Nordosten des Landes bilden sie fast überall die Mehrheit unter den Religionen. Die Bektaschi sind vor allem in der Landesmitte und im Süden vertreten und haben ihre Hochburgen in Bulqiza, Gramsh, Skrapar und Tepelena.

Bei den staatlichen Behörden waren 2002 17 verschiedene islamische Vereinigungen registriert, die Moscheen, Koranschulen usw. unterhalten. Einige von ihnen werden von ausländischen Missionaren aus arabischen Ländern, der Türkei und dem Iran geführt. Es gibt einige von Muslimen betriebene allgemeinbildende Schulen, deren Lehrpläne wie die der christlichen Schulen vom Bildungsministerium überprüft und zugelassen werden.

Die beiden Bajram genannten muslimischen Feste sind in Albanien ebenso wie das christliche Weihnachten staatliche Feiertage.

Vorsitzender des Rates der Muslime (Sunniten) ist seit 2004 Selim Muça; den Bektaschi steht Reshat Bardhi als Groß-Dede vor.

Geschichte

Zu Beginn der osmanischen Herrschaft in Albanien – im Süden zu Anfang, im Norden gegen Ende des 15. Jahrhunderts – waren fast ausschließlich die türkischen Einwanderer in den Städten (vor allem Kaufleute, Handwerker und Soldaten) Anhänger des Islam. Hinzu kamen die über das Land verteilten Timarioten, welche einen bedeutenden Anteil der neuen grundbesitzenden Oberschicht ausmachten. Für diese eingewanderten Muslime wurden schon in dieser Zeit ansehnliche Moscheen errichtet oder Kirchen zu solchen umgewidmet. Die islamische Sakralarchitektur prägte bereits Anfang des 16. Jahrhunderts das Bild fast aller albanischen Städte.

Die Islamisierung weiter Teile der Bevölkerung setzte zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein, wiederum im Süden eher und durchgreifender als im Norden. Es gab mehrere Gründe für den Erfolg der neuen Glaubensrichtung bei den Albanern: Die Begünstigung der Viehzucht durch das osmanische Celeb-System kam jenen Teilen der Bevölkerung entgegen, die als halbnomadische Wanderhirten lebten. Am besten konnte man als Muslim an diesem System partizipieren. Wie in Bosnien traten auch viele Adelige zum Islam über, um als Timarioten und Spahis weiter zur grundbesitzenden Oberschicht gehören zu können. Die unter osmanischer Herrschaft aufblühenden Städte (z. B. Elbasan, Berat, Delvina u.a.) waren Ziele der Binnenmigration. Die vom Land kommenden neuen Bewohner nahmen bald Glauben und Kultur der islamischen Oberschicht an. Ein wichtiger Grund für den Übertritt zum Islam war auch, dass man als Muslim keine Kopfsteuer zu zahlen hatte. Schließlich hängt die starke Islamisierung Albaniens auch damit zusammen, dass viele Männer aus dem armen Land ihr Glück beim osmanischen Militär suchten, wo sie alsbald den neuen Glauben annahmen. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründe, die oft Motivation zum Religionswechsel waren, führten dazu, dass manche Konvertierten Kryptochristen waren, die heimlich die alte Religion weiter zelebrierten. Oft konvertierte zunächst nur das Familienoberhaupt und seine Angehörigen blieben Christen. Es bildeten sich auch Formen eines islamisch-christlichen Synkretismus heraus. So ist es zum Beispiel im Norden üblich, dass auch muslimische Bauern um den katholischen Viehsegen für ihre Herden bitten und die Priester ihn spenden.

Die historische Forschung geht davon aus, dass die Kirchenbindung der Albaner zur Zeit der türkischen Eroberung geringer als bei anderen Balkanvölkern gewesen ist, weil das Land zwischen Ost- und Westkirche gespalten war und weil die Kirche in den miteinander rivalisierenden Fürstentümern wenige Institutionen, geringen Besitz und damit auch wenig Einfluss auf die Bevölkerung hatte. Dies soll die Islamisierung Albaniens begünstigt haben.

Ende des 16. Jahrhunderts war die große Mehrheit der Stadtbewohner muslimisch, während in den Dörfern noch 80 Prozent Christen waren. Im Laufe des 17. Jahrhunderts nahm der auf die Christen ausgeübte Druck zur Konversion zu. Dies hatte zum einen politische Ursachen - die Osmanen gerieten zunehmend in die Defensive gegenüber den christlichen Mächten, zum anderen gab es wirtschaftliche Gründe - der Verfall des Timarsystems führte zur verschärften Ausbeutung insbesondere der christlichen Bauern durch die die Großgrundbesitzer. Um wenigstens der Kopfsteuer zu entgehen, traten deshalb im 17. Jahrhundert häufig ganze Dorfschaften zum Islam über. Seit dieser Zeit ist Albanien ein mehrheitlich muslimisches Land.

Als Albanien 1912 unabhängig wurde, waren die Muslime als größte religiöse Gruppierung führend an der Staatsgründung beteiligt. Anders als in den christlich dominierten Balkanstaaten wanderte die muslimische Oberschicht nicht in die Türkei ab. Die muslimischen Institutionen blieben bestehen. Der albanische König Ahmet Zogu, der Albanien von 1925 bis 1939 regierte, war Muslim, praktizierte seinen Glauben aber zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Immer auf einen Ausgleich zwischen den Religionen abzielend und mitunter von der Gunst der katholischen Stämme und der Italiener abhängig, heiratete er eine katholische Gräfin aus Ungarn.

1925 wurden alle Derwisch-Orden (Tekke) in der Türkei unter Atatürk geschlossen und das Weltzentrum der im Osmanischen Reich einflussreichen Bektaschi wurde in Tirana angesiedelt, wo es auch nach der Aufhebung des Religionsverbots in Albanien (1990) wieder eingerichtet wurde. In der Zwischenkriegszeit entfaltete die Reformbewegung der Ahmadiyya aus Nordindien in Albanien ihre Missionstätigkeit. Das einzige europäische Land mit muslimischer Mehrheit sollte Ausgangspunkt für die Mission in Europa sein. Der Erfolg blieb bescheiden.[5]

Die Ebu-Bekr-Moschee von Shkodra
Kuppelinnere der Parruce-Moschee in Shkodra

Erst unter der kommunistischen Herrschaft wurden im August 1945 die islamischen Stiftungen (Vakuf), welche die Grundlage für den Unterhalt von Moscheen und Medresen bildeten, enteignet. Die muslimische Geistlichkeit war ebenso wie die christliche einem starken Verfolgungsdruck ausgesetzt. Mit dem Religionsverbot von 1967 wurden alle Moscheen geschlossen, die Minarette abgerissen, die Gebäude in Lagerhäuser umgewandelt oder ganz zerstört. Nur wenige historisch bedeutsame Moscheen entgingen als Museen diesem Schicksal. Die meisten muslimischen Geistlichen wurden zu Zwangsarbeit verurteilt. Dutzende starben im Gefängnis.

Bei einer geheim gehaltenen Umfrage musste das kommunistische Regime Ende der 1980er Jahre feststellen, dass auch die nach 1960 geborene junge Generation noch zu 95 Prozent wusste, welchem religiösen Bekenntnis die eigene Familie angehört hatte. Es war nicht gelungen, das religiös-kulturelle Gedächtnis der Albaner in dieser kurzen Zeitspanne auszulöschen.

Nach dem Fall des kommunistischen Regimes begann die Renaissance des Islam in Albanien. Hafiz Sabri Koçi leitete im November 1990 in der Moschee von Shkodra das erste öffentliche Gebet seit 1967. Er wurde bald darauf zum Vorsitzenden des Rates der Muslime gewählt.

Wie bei den Christen wurde der religiöse Wiederaufbau ganz wesentlich mit ausländischer Hilfe (Spenden und Missionare) bewerkstelligt. Unter anderen haben sich dabei die Wahabiten aus Saudi-Arabien und die Mullahs aus dem Iran stark engagiert. Allerdings mussten sie erleben, dass ihre strenge Form des Islam bei den albanischen Muslimen auf wenig Gegenliebe stieß. Weder die einen noch die anderen konnten entscheidenden Einfluss auf die muslimische Gemeinschaft erlangen.

Interreligiöse Beziehungen

Nach wie vor zeichnen sich die beiden in Albanien dominierenden Richtungen des Islam (Sunniten und Bektaschi) durch große Toleranz gegenüber Andersgläubigen aus. Die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung unter Enver Hoxha bewirkt bis heute, dass sich Christen und Muslime mit viel gegenseitigem Respekt begegnen. Ausgelöst durch die Situation in kommunistischer Zeit sind interreligiöse Heiraten in Albanien heute keine Seltenheit, während dies in den anderen Balkanländern mit muslimischen Bevölkerungsanteil kaum der Fall ist.

Irritationen zwischen den Glaubensgemeinschaften sind selten. 2003 wurde Kastriot Myftari, Autor eines Buches mit dem Titel Islamizmi Kombëtar Shqiptar (Der nationale albanische Islamismus), wegen Stiftung religiösen Unfriedens von der Polizei festgenommen. Er hatte den Islam als unalbanisch bezeichnet und zum Übertritt zum Katholizismus aufgerufen.

Einzelnachweise

  1. Nathalie Clayer: Islam, state and society in post-Communist Albania, S. 116
  2. Forschungsresultate der Universität Tirana zusammen mit der Universität Potsdam, publiziert in Bevölkerungsgeographischer Atlas von Albanien [1]
  3. Arqile Bërxholi: Ethnische und konfessionelle Struktur der Bevölkerung Albaniens, in: Österreichische Osthefte, Jahrgang 45, Wien 2003 (ohne Berücksichtigung Konfessionsloser und protestantischer Gruppen); Länderinformationen des Auswärtigen Amtes zu Albanien; Länderlexikon des Spiegel, Landesdaten von Albanien; CIA World Factbook - Albania
  4. Mapping the Global Muslim Population: A Report on the Size and Distribution of the World’s Muslim Population (PDF), Pew Research Center October 2009 (Zugriff am 8. Oktober 2009)
  5. Nathalie Clayer: The Lahore Ahmadiyya Movement and the Reform of Albanian Islam in the Inter-War Period. Maisonneuve & Larose, Paris 2004

Literatur

  • Babuna, Aydın: The Bosnian Muslims and Albanians: Islam and nationalism. In: Nationalities papers. 32, 2004, S. 287–321
  • Basha, Ali Musa: Islami në Shqipëri gjatë shekujve. Tirana 2000
  • Clayer, Nathalie: Religion et nation chez les Albanais. XIXe - XXe siècles. (=Analecta Isisiana. 64). Istanbul 2002. ISBN 975-428-235-8
  • Clayer, Nathalie: Islam, state and society in post-Communist Albania. In: Hugh Poulton (Hrsg.): Muslim identity and the Balkan State. London 1997, S. 115–138
  • Lipsius, Stephan: Politik und Islam in Albanien. Instrumentalisierung und Abhängigkeiten. In: Südost-Europa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung 47, 1998, S. 128–134.
  • Stadtmüller, Georg: Die Islamisierung bei den Albanern. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. NF 3, 1955, S. 404–429.
  • Thëngjilli, Petrika: Aspekte të Islamizimit në Shqipërinë e veriut në SHEK. XVII. In: Studime Historike, Jg. 2002, S. 29–49.
  • Trix, Frances: The resurfacing of Islam in Albania. In: East European quarterly. 28, 1994, S. 533–549.
  • Nexhat Ibrahimi: Islami në trojet iliro-shqiptare gjatë shekujve. Prishtinë 2000.

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