Justizsache Tierrechtsschützer

Justizsache Tierrechtsschützer

Operation SoKo Pelztier beschreibt die Ereignisse und Wechselwirkungen rund um die Ermittlungen der polizeilichen Sonderkommission Pelztier der Bundespolizeidirektion Wien. Sie wurde zur Aufklärung von Sachbeschädigungen an Filialen und Fahrzeugen der Firma Kleider Bauer gegründet. Im weiteren Verlauf beschuldigte die Staatsanwaltschaft österreichische Tierrechtsaktivisten, eine kriminelle Organisation gegründet zu haben, welche in einem Zeitraum von 12 Jahren rund 200 Straftaten begangen haben soll. Die Strafverfolgungsmaßnahmen haben in Österreich und anderen Ländern Proteste ausgelöst. In den Aufzeichnungen der Bundespolizei beziehungsweise des Innenministeriums finden sich für diese Sonderkommission auch die Namen SoKo Kleider[1] und SoKo Bekleidung.[2]

Inhaltsverzeichnis

Chronologie des Strafverfahrens

Vorwürfe

Den festgenommenen Tierrechtstivisten (und weiteren 16 Aktivisten) wurde von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vorgeworfen, eine Zelle der Animal Liberation Front, also eine kriminelle Organisation gebildet zu haben und mit gefährlichen Drohungen, Nötigungen, Brandstiftungen und schweren Sachbeschädigungen Schäden in Höhe von mindestens 600.000 Euro verursacht zu haben.[3][4] Die Tierschützer wurden verdächtigt, zwei Brandanschläge und schwere Sachbeschädigungen auf Lebensmittelkonzerne, Bekleidungshandelsketten, pharmazeutische Unternehmen, Produzenten landwirtschaftlicher Produkte und jagdliche Einrichtungen verübt zu haben. Die Festgenommenen wurden als Gruppe beschuldigt, Buttersäureanschläge auf Kleider Bauer Filialen verübt, die Kraftfahrzeuge der Pressesprecherin und der Eigentümer von Kleider Bauer schwer geschädigt sowie gefährlich bedroht zu haben.[5]

Untersuchungen und Verhaftungen

Die SoKo Pelztier wurde aus zumindest 32 Beamten verschiedener Abteilungen der Polizei gebildet und ermittelte seit 10. April 2007 gegen die Verdächtigten. Es kam im Laufe der Ermittlungen zu umfassenden Observationen in Form von Lauschangriffen, Peilsendern, Online-Überwachungen, Beschattungen und verdeckten Ermittlungen von einer großen Anzahl von Personen. Acht Monate nach Beginn der Ermittlungen der SoKo (am 18. Dezember 2007), berichtete die Soko dem Generaldirektor der Polizei bis auf eine DNA-Spur auf einem Pflasterstein keine Ermittlungsergebnisse vorweisen zu können.[6] Dennoch wurden die Maßnahmen fortgesetzt. Ende Oktober 2008 umfassten die Verfahrensakten bereits rund 10.000 Seiten.

Am 21. Mai 2008 wurden im Zuge einer österreichweiten Razzia durch die Polizei 9 Tierrechtsaktivisten und eine Tierrechtsaktivistin unterschiedlicher Tierrechtsorganisationen, darunter drei VGT-Aktivisten,[7] unter anderem VGT-Obmann Martin Balluch, festgenommen und 110 Tage in Untersuchungshaft genommen. Bei den 23 Hausdurchsuchungen wurden umfangreiche Beschlagnahmungen vorgenommen, darunter auch der Großteil der Infrastruktur des VGT inklusive Spenderdatenbanken, Buchhaltung und die Konto-Zugangsdaten.[8][9]

Die Beschuldigten erklärten am 16. Oktober 2008 in einer Presseerklärung des VGT unter Berufung auf die Verfahrensakten, dass keine an den angeführten Tatorten festgestellte DNA-Spur mit der DNA der Beschuldigten übereinstimme.[10]

Gerichtsbeschlüsse im Vorverfahren

Die Untersuchungsrichterin hat in der Haftprüfungsverhandlung über die zehn Tierrechtsaktivisten Untersuchungshaft verhängt. Den daraufhin erhobenen Rekurs durch die Inhaftierten gegen diese Beschlüsse lehnte das Oberlandesgericht Wiens ab. Am 13. August 2008 wurde einer der Inhaftierten vom Untersuchungsrichter im Zuge der dritten Haftprüfungsverhandlung durch die Aufhebung der Untersuchungshaft freigelassen, da keine Tatbegehungsgefahr mehr bestehe. Am 2. September 2008 wurden auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Wien an die Staatsanwaltschaft die übrigen neun Inhaftierten aus der Untersuchungshaft entlassen, weil die Oberstaatsanwaltschaft zu der Erkenntnis kam, dass die eventuell zu erwartende Strafe in keinem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Untersuchungshaft mehr stehe.[11]

Sieben der zehn Beschuldigten haben gegen ihre Verhängung der Untersuchungshaft eine Grundrechtsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof erhoben. Dieser wies im Oktober 2008 die Beschwerde jedoch ab und stellte fest, dass durch die Untersuchungshaft nicht das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf persönliche Freiheit der Beschwerdesteller verletzt wurde.[12]

Die beschuldigten Tierrechtsktivisten haben auch gegen ihre Festnahmen, Hausdurchsuchungen und deren Vollzug Beschwerden erhoben. Das Oberlandesgericht Wien hat Mitte Oktober diese Rechtsmittel abgewiesen. Das OLG Wien stellte mit Beschluss fest, dass die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden rechtmäßig und verhältnismäßig gewesen wäre.[13]

Abschlussberichte der Polizei

Am 16. April 2009 gab der VGT eine Pressekonferenz zu den Abschlussberichten der Polizei und diverse Medien berichteten (teilweise bereits in den Tagen davor) erneut zum Thema.[14][15][16][17][18][19] Der VGT veröffentlichte schließlich am 17. April 2009 zwei vollständige (kommentierte) Berichte auf seiner Homepage. [20] Darunter auch das 101 Seiten starke Schriftstück zur Anklage des als Kopf der Kriminellen Organisation Hauptbeschuldigten DDr. Martin Balluch.

Laut Aussage des VGT werden 30 Personen beschuldigt und rund 100 Personen verdächtigt Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Während im 31 Seiten langen kommentierten Abschlussbericht der einfachen Angestellten Tierschutzlehrerin des VGT noch nicht einmal kriminelle Aktivitäten unterstellt werden, beinhält der Abschlussbericht über DDr. Balluch hauptsächlich einige (in manchen Fällen mehrmals wiederholte) viele Jahre alte bruchstückhafte Zitate aus meist privaten Konversationen. Die Darstellung privater Meinungen im Abschlussbericht der Polizei kann nur durch die Absicht erklärt werden die Gesinnung als Beweis von Schuld an Straftaten zu werten. Darüber hinaus wird die Arbeit an ebenso gewöhnlichen wie legalen Tierschutz-Kampagnen als Beweis für die Organisationsstruktur der behaupteten kriminellen Organisation verwendet. Im Bericht werden zwar auch Straftaten erwähnt, aber ihre Verbindung mit Balluch ist überall dort, wo sie überhaupt versucht wird, immer nur behauptet und in keinem Fall nachgewiesen.

In einem im Bericht zitierten linguistischen Gutachten wird behauptet, dass Balluch einzelne Bekennerschreiben aus seinem tausende Texte umfassenden journalistischen Archiv verfasst haben soll. Die Aussagekraft dieses Gutachtens wird allerdings von mehreren anderen Linguisten stark kritisiert und angezweifelt. Im Gutachten wird Balluch auch die Autorenschaft eines Textes zugesprochen, der unmöglich von ihm stammen kann.

Im gesamten Text wird nicht erklärt auf welchen Grundlagen die Annahme der Polizei und Staatsanwaltschaft basiert, dass es überhaupt eine kriminelle Organisation für die Durchsetzung von Tierrechten in Österreich geben würde. Obwohl die fragwürdige Argumentation für eine Schuld der Betroffenen auf einen weitaus größeren Personenkreis teilweise sogar noch stärker zutreffen würde, wird im Abschlussbericht nirgendwo erklärt wieso gerade die beschuldigten Personen für die wenigen der vielen gelisteten Taten verantwortlich sein sollen, die tatsächlich strafbar sind. Im Abschlussbericht werden alle entlastenden Polizeiprotokolle aus Überwachungen und teilweise sogar vorhandene Gegenbeweise für darin vorgebrachte Anschuldigungen verschwiegen. Ordnungsgemäß angemeldete, friedlich verlaufdende Kundgebungen werden durchwegs als militant bezeichnet und anschließend als kriminelle Tatbestände zu nur behaupteten Täterschaften addiert. Verfassungsrechtlich geschütztes zivilgesellschaftliches Engagement wird so mit kriminellen Tatbeständen gleichgesetzt.[21]

Argumente für die Vorgehensweise der Behörden

Da über einen Zeitraum von vielen Jahren Sachbeschädigungen im Namen der Tierrechte oder des Tierschutzes begangen wurden und lange Zeit keine zweckdienlichen Ermittlungsergebnisse erzielt werden konnten, erschien ein Strategiewechsel nötig. Die bisherigen Methoden waren nicht ausreichend, um Täter ausfindig zu machen. Der Druck auf die Strafverfolgungsbehörden wuchs. Zudem gab es in manchen Fällen Bekennerschreiben von international bekannten Bewegungen wie der Animal Liberation Front, die für den Schutz von Tieren bereit sind, Straftaten zu begehen.[22]

In Österreich gibt es eine legal sehr aktive Tierrechtsbewegung. Weil gewarnte Betriebe bei Recherchen von Tierschützern den Zugang erschweren oder kurzfristig Bedingungen ändern würden, agieren manche dieser Tierschützer teilweise auch verdeckt über verschlüsselte Kommunikation. Für Strafverfolgungsbehörden ist es mit herkömmlichen Methoden kaum möglich festzustellen, was unter Geheimhaltung passiert. Die Vermutung liegt für die Ermittlungsbehörden nahe, dass jene Personen, die sich intensiv für Tierrechte engagieren und internationale Kontakte zu ähnlich Motivierten pflegen, zumindest die Täter kennen.

Florian Klenk, ein Journalist, der auch für den Falter schreibt, in seinem Blog über die Ergebnisse der Durchsuchungen: "Es fanden sich bei Hausdurchsuchungen radikale Flugblätter, sowie Sturmhauben, Spraydosen, Gummihandschuhe, Lagepläne und die Aufforderung, bei Verhören nicht zu reden und die öffentliche Meinung zu manipulieren."[23]

Kritik

Politische Bedeutung

Kritiker werfen den Ermittlungsbehörden vor, im Falle der Operation SoKo Pelztier ein Gesetz zur Verfolgung organisierter Kriminalität gegen systemkritschen zivilgesellschaftlichen Einsatz anzuwenden. Sie werfen den Ermittlungsbehörden vor, dass sie in dem Nachweis des legalen Engagements in Nichtregierungsorganisationen als Verdacht auf das Vorliegen einer kriminellen Organisation und auf Mitgliedschaft werten.

Das Strafdelikt der kriminellen Organisation § 278a StGB setzt keine begangene oder versuchte Straftat voraus, da es sich um ein Vorbereitungsdelikt handelt. Bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation ist strafbar. Wo Gerichte diesen Verdacht bestätigen, können sie massive Überwachungsmaßnahmen einer großen Zahl von Personen und Untersuchungshaft über die Beschuldigten verhängen, ohne einzelne Personen konkreter Taten zu verdächtigen.[24][25] Die Tierschützer sehen darin einen Widerspruch zur Unschuldsvermutung, da so Freiheitsentzug ohne konkreten Tatverdacht möglich wird.

Die beschuldigten Tierschützer und Kritiker der Ermittlungen werfen den Ermittlungsbehörden vor, schwerwiegende Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Bürger einzuleiten, sofern deren Haltungen lediglich zu vermuteten Tatmotiven passen. Weil dabei Strafverfolgungsmaßnahmen von Meinungen abhängig gemacht würden, untergräbe diese Praxis Freiheitsrechte der auch in der österreichischen Verfassung garantierten Menschenrechte.[26]

Das österreichische Nachrichtenmagazin NEWS zitierte eine interne E-Mail eines Spitzenbeamten des Innenministeriums, die kurz nach der Entscheidung zur Einrichtung der Sonderkommission im April 2007 abgeschickt wurde. Demnach hatte das Innenministerium zu dem Zeitpunkt keinerlei Hinweise darauf, dass die betreffenden Sachbeschädigungen in irgendeinem Zusammenhang mit den Aktivisten des Vereins gegen Tierfabriken stehen. Daher müsse „strukturiert“ und „zielgerichtet“ gearbeitet werden.[27] Für Kritiker stützt dies die These, dass die Verfolgung der Tierschützer nicht strafrechtlich, sondern politisch motiviert ist und die Behörden gezielt versuchen, Straftatbestände zu konstruieren, um der Tierschutzbewegung Schaden zuzufügen.

Auch Robert Misik spricht in einem Videocast am Webportal vom Standard davon, dass die Verfolgung der Tierschützer ein Skandal wäre, der einen Aufschrei in der Zivilgesellschaft auslösen müsste, da dabei bloße Meinungsäußerungen als Beweise für die Schuld an Verbrechen verwendet werden.[28]

Zuständigkeit des Gerichts Wiener Neustadt

Die Zuständigkeit des Landesgerichts Wiener Neustadt kam durch einen Verfahrensfehler zu Stande, den auch die damalige Justizministerin Berger zugegeben hat: Als erster Name im Akt wurde der im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts lebende Grünen-Gemeinderat Matthias Podgorski genannt, somit gegen "Podgorski und andere" ermittelt. Podgorski hat jedoch nach einer Stellungnahme seines Landesverbandes gar keine Berührungspunkte mit der österreichischen Tierschutzbewegung.[29] Während die anderen Beschuldigten schon in Untersuchungshaft saßen, sagte Podgorski im Mai 2008 gegenüber der Presse, noch nicht einmal von der Polizei befragt worden zu sein.[30] Podgorski wurde, im Gegensatz zu den anderen Beschuldigten, auch nicht über die Ermittlungen gegen ihn informiert. Sein Name wurde nach öffentlichem Bekanntwerden der Angelegenheit schließlich aus der Akte entfernt.[31]

Streitpunkt Schadenhöhe in der Kleider Bauer Filiale Graz

Im Jänner 2007 wurde in einer Kleider Bauer Filiale ein Buttersäureanschlag verübt. Kleider Bauer erstattete Schadensmeldung in Höhe von 479.000 Euro an die Allianz Elementar Versicherung. Diese bezeichnete die Schadenshöhe als überhöht und lehnte einen Versicherungsanspruch in dieser Höhe ab. Kleider Bauer klagte deshalb seine Versicherung. Ein Tierschützer, der von den Ermittlungsbehörden verdächtigt wird diese Sachbeschädigung begangen zu haben, trat auf der Seite der Versicherung dem Rechtsstreit als Nebenintervenient bei.[32] [33]

Die Tierschützer argumentieren, dass der Versicherung aufgeführte vergleichbare Schadensfälle eine Größenordnung der Schadenssumme von nicht über 20.000 Euro gehabt hätten.[34] Aus ihrer Sicht seien die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation nach § 278a StGB und in weiterer Folge das harte Vorgehen der Behörden erst durch das große Ausmaß der angegebenen Schadenssumme rechtlich möglich geworden.

Die hohe Schadenssumme sei unter anderem in der Begründung für die Beantragung der Überwachung der "zentralen Figuren" des Falles als Argument genannt worden.[35] Die Einrichtung der Sonderkommission erfolgte nach Meldung des Magazins NEWS zudem als Reaktion auf die Sachbeschädigung der Autos der Gebrüder Graf und infolge einer Gesprächsrunde, an der neben leitenden Beamten des Innenministeriums und verschiedener Sicherheitsbehörden auch die Gebrüder Graf persönlich anwesend waren.[27]

Die Sicht der Tierschützer

International auf Demonstrationen gegen Missbrauch des § 278a verwendete Illustration.[36][37]

Obwohl – wie die Staatsanwaltschaft betont – nicht die betroffenen NGOs strafbarer Handlungen beschuldigt werden und auch nicht in ihrer Arbeit behindert werden sollen, wurde die Infrastruktur, das meint Fördererdatenbanken, Buchhaltungsdaten und Kontozugang, beschlagnahmt.[38] Dadurch sei der Verein seit Mai 2008 handlungsunfähig.

Die Betroffenen bezeichneten das polizeiliche Vorgehen als unverhältnismäßig und überschießend. Darüber hinaus wird beklagt, dass den einzelnen Gefangenen weder konkrete individuelle Straftaten vorgeworfen werden, noch die Annahme einer Kriminellen Organisation nach § 278a StGB hinreichend begründet beziehungsweise die Mitgliedschaft oder Verstricktheit der einzelnen Betroffenen darin erklärt sei. Ebenso wird die Verweigerung der vollen Akteneinsicht als ungerechtfertigt kritisiert.

Die undifferenzierte Anwendung der Bezeichnung militant in offiziellen Stellungnahmen der Behörden wie den Staatsschutzberichten[22] der Polizei auch für zum Beispiel friedliche Kundgebungen zeigt nach Ansicht der Tierschützer eine grundsätzliche Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung, da dabei verfassungsmäßig geschütztes Engagement mit kriminellen Methoden gleichgesetzt wird. Martin Balluch führt aus, dass bereits einzelne Personen verdächtig wären, weil sie sich für Tierrechte einsetzen. Eine kriminelle Organisation gelte als gegeben, weil die Verdächtigten in Vereinen organisiert arbeiten. Hier sieht Martin Balluch die Anwendung eines Gesinnungsstrafrechts als gegeben.[39]

Kritik von Politikern, Menschenrechtsorganisationen und Prominenten

Die Festnahme der Aktivisten führte zu zahlreichen Protest- bzw. Kritikäußerungen.[40] Der österreichische Tierschutz-Dachverband (VÖT) protestierte in einer eigenen Presseaussendung gegen die erfolgte Festnahme.[41][24]

Von politischer Seite erfolgte Kritik von den Grünen, SPÖ und der KPÖ. Die damals amtierende Tierschutzsprecherin der Grünen, Brigid Weinzinger forderte die sofortige Enthaftung aller Personen und eine öffentliche Erklärung der Innenministerin und der Justizministerin zur Begründung der Vorgangsweise der Behörden.[35] Nach Einschätzung des langjährigen Justizsprechers der SPÖ, Johannes Jarolim „wirke sowohl die Durchführung der Hausdurchsuchung als auch die Verhängung der U-Haft wie der Versuch, ein Exempel zu statuieren […] Dass Verdunkelungsgefahr vorliegt, kann [er sich] nicht vorstellen, da ja sämtliche Wohnungen durchsucht sowie nahezu alle möglichen Datenträger beschlagnahmt worden sind, und dass nach einer derart massiven Polizeiaktion strafrechtlich relevante Handlungen von den Betroffenen gesetzt werden könnten, ist wohl eher an den Haaren herbeigezogen.“[42] Der Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, zitierte in einer Pressemitteilung aus den Ermittlungsakten ausführlich die Begründungen der Ermittlungsbehörden für die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen und stellte sie den gesetzlichen Anforderungen für solche Maßnahmen gegenüber. Er kommt zu dem Schluss, dass nahezu alle Maßnahmen ohne ausreichende Rechtsgrundlage durchgeführt wurden und spricht von einer systematischen illegalen Überwachung. Dem nach wurde etwa von Seiten der Staatsanwaltschaft ein dringender Tatverdacht gegen die Beschuldigten, der für die meisten Maßnahmen zwingend nötig ist, nicht nur nicht nachgewiesen, sondern noch nicht einmal behauptet.[43] Politiker mehrerer Parteien bezeichnen die Vorgänge mittlerweile als Justizskandal.[44][45]

Amnesty International äußerte Kritik am Vorgehen der Behörden und wies darauf hin, dass sie schon 2002 aufgezeigt hatten, dass die gesetzliche Definition einer kriminellen Vereinigung unangemessen weitgehend und überschießend formuliert sei. Die Gefahr der Kriminalisierung bürgerrechtlichen Protests werde durch den Vorfall bestätigt.[46] Dem Wortlaut nach könnte der neue Deliktskatalog auch zur Verfolgung von Greenpeace als krimineller Organisation führen, wenn etwa Aktivisten ein Atomkraftwerk besetzten. In dem Falle würden sich dann sogar Spender der Terrorismusfinanzierung schuldig machen. [24]

Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat das Vorgehen der Polizei in einer Grußbotschaft an die inhaftierten Tierschützer verurteilt: „Solche martialischen bewaffneten Einsätze sind ein Schlag gegen alle Arten von Bürgerrechtsbewegungen und müssen scharf zurückgewiesen werden“.[47][48] Zudem protestierten auch Philosophen wie Peter Singer, einer der Vordenker der Tierrechtsbewegung, oder Peter Sloterdijk gegen das Vorgehen der Behörden.[49][50]

Einzelnachweise

  1. BMI OTS-Meldung
  2. Bundeskriminalamt Resumeeprotokoll vom 10. April 2007 (SoKo-Bezeichnung auf: Seite 2, Absatz 2)
  3. Die Presse: Tierschützer-Verhaftungen: „Konspirative Zellstrukturen"
  4. Die Presse: Verhaftete Tierschützer: 600.000 Euro Schaden?
  5. Die Zeit: Online vom 28. Mai 2008.[1]
  6. Bundeskriminalamt Zwischenbereicht AG Kleider vom 18. Dezember 2007
  7. Der Standard: Alle Tiere sind gleich, 21. August 2008.
  8. Die Presse: Razzia gegen Tierschützer. VGT-Obmann in Hungerstreik.
  9. Die Presse: Tierschützer-Verhaftungen. „Konspirative Zellstrukturen“.
  10. VGT: Pressemeldung des VGT vom 16.Oktober 2008
  11. ORF: Tierschützer aus U-Haft entlassen, 2. September 2008
  12. Die Presse: OGH schmettert Grundrechts-Beschwerde der Tierschützer ab
  13. Die Presse: Tierschützer: Hausdurchsuchungen rechtens und verhältnismäßig
  14. Der Standard am 14. April 2009: "Weibertratsch" und Tierschutzmilitanz
  15. Die_Presse am 15. April 2009: Tierschützer: Polizeibericht "nicht einmal heiße Luft: Teil 1", Tierschützer: Polizeibericht "nicht einmal heiße Luft: Teil 2", VGT-Obmann wirft Polizei mangelnde Seriosität vor
  16. Wiener_Zeitung am 16. April 2009: "Heiße Luft" – oder doch "kriminelle Vereinigung"?
  17. Ökonews online Magazin am 16. April 2009: Tierschutz - eine kriminelle Organisation?
  18. Online Nachrichtenmagazin der Tageszeitung Österreich oe24.at am 16. April 2009: Skandal um Ermittlung gegen Tierschützer
  19. Wochenzeitung Falter am 15. April 2009: Ein Doppeldoktor als Doppelstratege?
  20. Verein gegen Tierfabriken: Tierschutzcausa: polizeiliche Abschlussberichte vollständig öffentlich
  21. Verein_gegen_Tierfabriken: Kommentierter Abschlussbericht DDr. Martin Balluch vollständig online
  22. a b BMI: Downloadseite für die Staatsschutzberichte der letzten Jahre
  23. Falter (Wochenzeitung): Wertekompass verloren?
  24. a b c Stellungnahme zur Festnahme von zehn Tierschützern am 21. Mai 2008 von Amnesty International
  25. Ö1: Tierschützer als Fall für Amnesty International
  26. Parlamentarische Anfrage von Johannes Jarolim und Dietmar Keck (beide SPÖ) und Genossen an die Bundesministerin für Justiz unter Berufung einer Stellungnahme von Amnesty International-Sektion Österreich
  27. a b NEWS-Magazin 36/2008.
  28. Standard Videocast am 19. April 2009 von Robert Misik (Folge 73): Käfighaltung für Tierschützer?
  29. http://niederoesterreich.gruene.at/allgemeines/artikel/lesen/30535/
  30. Der Standard vom 31.05.2008, "[2]"
  31. Die Presse online: Verhaftete Tierschützer: Berger gesteht Fehler ein
  32. OTS: Presseaussendung des VGT vom 17. Oktober 2008
  33. Der Standard: Tierschützer versus Kleiderbauer: Rechtsstreit geht weiter, 17. Oktober 2008
  34. Streitbeitrittserklärung: Kleider Bauer vs. Versicherung
  35. a b Pressekommunique von Brigid Weinzinger zum Thema „Repression gegen Tierschutz“ vom 26. Mai 2008
  36. Illustration als Banner in Tel Aviv
  37. Illustration auf Antirepressions-Flugblatt
  38. VGT-Zusammenfassung: Repressionsmethoden der Behörden
  39. Interview mit Martin Balluch 30. Oktober 2008
  40. Heute: "Tierschützer stoppt Auto: Schon 100 Tage in U-Haft"
  41. Verband Österreichischer Tierschutzorganisationen: Tierschützer wie Schwerverbrecher behandelt.
  42. SPÖ-Pressedienst: Tierschützer: Jarolim sorgt sich um Verhältnismäßigkeit.
  43. Pressemitteilung von Peter Pilz: TierschützerInnen: Grüne bereiten Anzeigen gegen Ermittler vor vom 14. Juli 2008
  44. Die Presse Online Bericht vom 27.08.2008
  45. Justizskandal um Tierschutz-Aktivisten geht weiter, Kurzbericht der KPÖ vom 27. Juli 2008
  46. Ö1: Tierschützer als Fall für Amnesty International, 6. Juni 2008
  47. Die Zeit: Operation Pelztier.
  48. ORF: Verhaftung von radikalen Tierschützern. Grüne kritisieren Verhaftungen von Tierschützern (Hörfunkbeitrag Ö1-Mittagsjournal).
  49. Der Standard vom 04.09.2008: "Menschenrechte für Affen - und Tierschützer"
  50. Der Standard vom 05.09.2008: "Schläft die österreichische Zivilgesellschaft?"

Weblinks


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