Katholischer Traditionalismus

Katholischer Traditionalismus

Der katholische Traditionalismus ist eine Strömung innerhalb der römisch-katholischen Kirche, die die Wiederherstellung bestimmter liturgischer Formen und Traditionen, wie sie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) in der Kirche ausgeübt und gelehrt wurden, verfolgt.

Inhaltsverzeichnis

Liturgischer Traditionalismus

Der nur liturgische Traditionalismus, der die Weltanschauung des Integralismus nicht mitträgt und das Zweite Vatikanische Konzil nicht ablehnt, spricht nach vatikanischen Schätzungen etwa 0,2 % der Katholiken an (von 1,1 Mrd. weltweit); in den Vereinigten Staaten sind es mehr als 100.000. Um den Traditionalisten, soweit es ihnen um die Ablehnung der Liturgiereform des Zweiten Vatikanisches Konzils ging, entgegenzukommen, gestattete Papst Johannes Paul II. 1984 unter bestimmten Bedingungen die Feier der Heiligen Messe nach dem Römischen Messbuch von 1962 [1] (nachdem seit 1974 in Gemeindemessen ausschließlich die von Papst Paul VI. promulgierte Ausgabe des Römischen Messbuches verwendet wurde). Die Feier der „alten Messe“ ist 2007 großzügiger freigegeben worden (vgl. Motu proprio Summorum Pontificum). Die ordentliche Form ist in der katholischen Liturgie jedoch die des lateinischen Missale Romanums von 1969 (in der Fassung von 2002), das auch in die Volkssprachen übertragen wurde.

Integralismus

Als rigorose Erscheinungsform des Traditionalismus wird der Integralismus noch besonders unterschieden. Dieser unterscheidet sich vom liturgischen Traditionalismus grundsätzlich dadurch, dass er gewisse mit früheren Akten des kirchlichen Lehramtes unvereinbare Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnt.

Historisch geht der integralistische Traditionalismus auf den Abwehrkampf des Papsttums vor dem Ersten Weltkrieg zurück, den vor allem Papst Pius X. gegen den Modernismus führte. Traditionalisten sehen die damalige Abwehrhaltung gegen moderne Zeitirrtümer als einen wesentlichen Teil der Lehrdokumente des Katholizismus an. Die Identität der Kirche ist zwar nach katholischer Auffassung in allen Zeitaltern dieselbe; wandelbar ist allenfalls die historische Situation, in der die Kirche Jesu Christi ihren Auftrag erfüllen muss; wandelbar ist auch nicht das Depositum des Glaubens. Dennoch ist die Kirche aber zugleich wesensmäßig mit ihrer Erscheinungsform in der geschichtlichen Entwicklung identisch, gleichzeitig aber stets zur Reform in Bezug auf ihre Auffassungen zu einer bestimmten historischen Situation fähig.

Den größten Bekanntheitsgrad unter den Wortführern des katholischen Traditionalismus erreichte der 1991 verstorbene französische Erzbischof Marcel Lefebvre. Seine Bewegung hat eine Reichweite von angeblich über 600.000 Anhängern. An der Spitze der Bewegung steht die Priesterbruderschaft St. Pius X. mit etwa 490 Priestern. Seit sie sich 1988 von der römisch-katholischen Kirche getrennt hat, wird sie von ihren Kritikern mit den antirepublikanischen französischen Bewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Zusammenhang gebracht. Ihr wird vorgeworfen, in ihr vermenge sich die Betonung einer katholischen „Tradition“ mit einer insgesamt antidemokratischen und auch antisemitischen Geisteshaltung. Insbesondere die Rebellion gegen Papst Johannes Paul II. durch die Leitfigur des Traditionalismus, Erzbischof Lefebvre, erinnere angeblich an die Revolte, die führende Vertreter der Action Francaise gegen das Verbot ihrer Lehrmeinungen durch Papst Pius XI. 1926 vorbrachten. Allerdings spricht die heutige Internationalität der Priesterbruderschaft Pius’ X., in der bezüglich des intellektuellen Hintergrunds die Franzosen keine dominante Rolle mehr spielen, gegen eine zu kurzschlüssige Kausalkette. Sympathien für die Piusbruderschaft werden sicherlich auch aus älteren Gründen gespeist, etwa die Ablehnung der Ergebnisse der Julirevolution 1830 durch Teile der französische Aristokratie oder durch jüngere Konflikte, etwa eine Reaktion auf die Folgen der 68er-Bewegung, die in der Gründungsphase der Bruderschaft aktuell waren.

Sedisvakantismus

Hauptartikel: Sedisvakantismus

Während der allgemeine Traditionalismus das Papsttum als solches zumindest begrifflich akzeptiert, ohne dem tatsächlichen Amtsinhaber aber, zumindest in der Liturgiefrage, zu gehorchen, haben sich überdies etliche kleinste Gruppierungen gebildet, die der Auffassung sind, es gäbe seit längerer Zeit (etwa ab 1958 oder später) keinen rechtmäßigen Papst der römisch-katholischen Kirche mehr.

Kritik

Da der extreme Traditionalismus es ablehnt, der historischen Entwicklung der Zivilisation überhaupt eine Bedeutung für das katholische Selbstverständnis zuzubilligen, zweifeln Kritiker des Traditionalismus daran, ob dieser überhaupt als Ausdruck echter christlicher Frömmigkeit gelten könne. Möglicherweise handle es sich im Kern um eine politische Weltanschauung, die sich der römisch-katholischen Ausdrucksformen bediene, um ihr Weltbild sakral zu überhöhen[2]. [3] Auffallend, aber demnach wenig überraschend, ist auch die Verknüpfung von Zitaten katholischer Tradition mit dem Vertreten eines allgemein reaktionären Weltbildes in den Predigten traditionalistischer Priester [4]. Die Themen der Kircheninnenpolitik, insbesondere Strafpredigten gegen das „moderne Rom“, nehmen einen so breiten Raum in der traditionalistischen Identität ein, dass ihre Kritiker schon darin ein Indiz für eine mangelhafte Offenheit für den gesamten Reichtum christlicher Erfahrung vieler Jahrhunderte sehen. Weitere Kritikpunkte am katholischen Traditionalismus betreffen deren Ablehnung der Revolution von 1789 und den von einigen herausragenden Vertretern verbreitete Antisemitismus und Anti-Islamismus.[5][6][7][8][9] [10]

Einzelnachweise

  1. Der Römische Ritus im Missale von 1962
  2. kathnet vom 9. Januar 2010 Traditionalisten kritisieren Synagogenbesuch des Papstes [1]
  3. Der Der Hass katholischer Gotteskämpfer im Internet", Die Welt vom 6. Mai 2009 [2]
  4. Aufgrund aller Arten von naturgegebenen Gründen sollte nahezu kein Mädchen zu irgendeiner Art Universität gehen. (...) Dass Mädchen die Universität nicht besuchen sollten, ergibt sich aus der Natur der Universität und der Natur der Mädchen. Echte Universitäten stehen für Ideen, Ideen sind nichts für richtige Mädchen, demzufolge sind echte Universitäten nichts für richtige Mädchen. Bishop Williamson's Letters, "Girls at University", 1. September 2001, online
  5. Schreiben an alle Bischöfe von Franz Schmidberger vom 9. Dezember 2008
  6. Papst rehabilitiert fundamentalistische Bischöfe. In: Neue Zürcher Zeitung. 24. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
  7. Stefan Eiselin: Papst begnadigt notorischen Holocaust-Leugner. In: Tages-Anzeiger. 22. Januar 2009, abgerufen am 25. Januar 2009.
  8. Webbextra: Längre intervju med Williamson. In: Sveriges Television. 21. Januar 2009, abgerufen am 9. September 2009.
  9. Floriano Abrahamowicz: „Ich weiß, dass die Gaskammern zum Desinfizieren verwendet wurden. Ob dort Menschen umgekommen sind, das weiß ich nicht. Ich habe mich mit dieser Frage nicht näher beschäftigt [3]
  10. Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2009: Der Vatikan sucht einen Schuldigen

Literatur

  • Ph. Levillain (Hrsg.): Dictionnaire historique de la papauté. Paris 1994.
  • G. Vallet, C. Pietri (Hrsg.): Paul VI et la modernité dans l'Èglise. (École francaise de Rome, Band 72.) Rom 1984.
  • Georg May: Der Glaube der nachkonziliaren Kirche. Wien 1983.

Weblinks


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