- Kreiselinstrument
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Ein Kreiselinstrument oder Gyroskop (gr. γύρος gyros „Drehung“ und σκοπεῖν skopein „sehen“; dies soll auf das Sichtbarmachen der Erddrehung hinweisen) ist ein rasch rotierender, symmetrischer Kreisel, der sich in einem beweglichen Lager dreht. Das Lager kann eine kardanische Aufhängung sein oder ein Rahmen in Form eines Käfigs (siehe Abbildung). Aufgrund der Drehimpulserhaltung behält der Kreisel seine Orientierung im Raum bei. Wird die Drehgeschwindigkeit zwischen Kreisel und Käfig gemessen, spricht man von einem Gyrometer. Gyroskope werden als Navigationsinstrumente sowie zur aktiven Lageregelung eingesetzt, insbesondere für Luft- und Raumfahrt. Bei der Lageregelung von Raumflugkörpern wird ausgenutzt, dass das Gesamtsystem aus Raumflugkörper und Gyroskop seinen Drehimpuls beibehält und somit durch Drehimpulsübertragung zwischen beiden die Lage gesteuert werden kann. Das Gyroskop – heute werden die Begriffe Gyroskop und Kreiselkompass synonym verwendet – wurde 1817 von dem Professor für Astronomie, Mathematik und Physik Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger an der Universität Tübingen erfunden und 1852 von Jean Bernard Léon Foucault bis zur Erfindung, Konstruktion und Fertigung des Kreiselkompasses weiterentwickelt, wobei das erste Gyroskop von 1817 als Idee nicht unterscheidbar ist und wesentliche Grundlage zur Erfindung des Kreiselkompasses im Jahr 1852 war.
Inhaltsverzeichnis
Physikalische Prinzipien
Kreiselsysteme lassen sich als geschlossenes System ansehen, dessen Drehimpuls konstant bleibt. Versucht eine äußere Kraft, die Drehachse des Kreisels zu kippen, resultiert daher ein Drehmoment. Um den Gesamtimpuls zu bewahren, kippt sich die Kreiselachse senkrecht zur angreifenden Kraft. Der Effekt ist unter anderem vom Spielzeugkreisel bekannt, dessen Achse durch die ihn kippende Schwerkraft entlang eines Kegelmantels präzediert.
Messprinzipien
Daher sind am Kreisel folgende Messprinzipien möglich:[1]
- Die Stabilität der Kreiselachse: Ein frei laufender, symmetrischer Kreisel hat das Bestreben, die Richtung seiner Drehachse im Inertialraum beizubehalten. – Ein Bezug der Lage ist gegeben
- Die Präzession: Versucht eine äußere Kraft, die Achsenrichtung eines laufenden Kreisels zu ändern, so folgt die Kreiselachse nicht der Angriffsrichtung dieser Kraft, sondern weicht rechtwinklig zu ihr im Sinne der Kreiseldrehung aus. – Äußere Kraft und Präzession stehen in direktem Zusammenhang, eine Lageänderung wird messbar
Die zwei Gesetzmäßigkeiten sind die Grundlage aller Kreiselinstrumente: Der 1. Satz ist eine Folge der Massenträgheit, der 2. Satz eine Folge des Drallsatzes (Satz vom Drehimpuls).
In einem abgeschlossenen System bleibt neben dem Gesamtimpuls auch der Drehimpuls erhalten. Stabilität und Präzession nehmen mit dem Drehimpuls des Kreisels zu.
Die Wirkung des Stabilitätssatzes wird auch als richtungshaltender Kreisel bezeichnet; wichtige technische Anwendungen sind der künstliche Horizont und der Kurskreisel der Luftfahrt. In der Praxis bewirkt jede kleinste Unwucht ein langsames Auswandern der Kreiselachse (Kreiseldrift), die z. B. beim Gyrosyn durch Magnetstützung unter 0,5° gehalten wird.
Die Präzession wird in noch breiterem Ausmaß angewandt: u. a. als Stellgröße bei Aufgaben der mechanischen Stabilisierung, beim Kreiselkompass der Nautik bzw. beim Vermessungskreisel (richtungssuchender bzw. nordsuchender Kreisel), oder für den Instrumentenflug beim Wendezeiger.
Technische Anwendungen
Häufig wird der Begriff Kreiselinstrument synonym für Drehratensensor verwandt und die Baugruppen enthalten gar keine Kreisel.
Weitverbreitet sind Kreiselinstrumente in der Verkehrstechnik, insbesondere zur Orientierung und zur Navigation. Auch Alarm- und selbststeuernde Geräte sind in Entwicklung.
- In PKW können Gyrometer Richtungsänderungen genauer messen, als es über die Räder (Kurvenradien) möglich ist. Zusammen mit der Messung der zurückgelegten Strecke ist eine recht genaue Positionsbestimmung möglich (Koppelnavigation), die schon heute in manchen GPS-Navigationsanlagen die Anzeige fortführt, wenn die Satellitensignale (etwa im Tunnel) ausfallen. Diese enthalten meist einen Vibrationskreisel.
Bei jedem Kreiselsystem würde aber über längere Zeiträume jede kleine Unwucht zu einer anwachsenden Kreiseldrift führen, die insbesondere im Flugwesen sehr störend wäre. Daher entwickelt man magnetgestützte Gyrosyn-Geräte, welche die Richtungsmessung auch über längere Zeit stabilisieren.
- In jedem Flugzeug-Cockpit befinden sich in aller Regel mehrere Kreiselinstrumente:
- Der künstliche Horizont zeigt dem Piloten eine Linie, die vor dem Start horizontal ausgerichtet wird. Während des Fluges hält der Horizontkreisel infolge seiner Achsenstabilität diese Linie in der Horizontalen, auch wenn sich das Flugzeug nach vorn, hinten oder zur Seite neigt. Damit kann man im Cockpit die räumliche Lage des Flugzeugs bestimmen, auch wenn Dunkelheit, Wolken oder flugbahnbedingte Fliehkräfte eine unmittelbare visuelle Orientierung erschweren (siehe Instrumentenflug)
- Der Wendezeiger ermöglicht einen genau kontrollierten Kurvenflug.
- Der Kurskreisel ermöglicht die Einhaltung der Flugrichtung.
- Weitere Kreiselsysteme befinden sich im Flugzeugrumpf und sind dort meist zu einem INS zusammengefasst. Diese dienen der Steuerung des Autopiloten und der Anzeige von Lage- und Richtungsabweichungen auf den Computermonitoren im Cockpit.
- Kreiselinstrumente in Schlachtschiffen oder Panzern ermöglichen die präzise Ausrichtung der Geschütze auf die angepeilten Ziele trotz Wellengang oder Unebenheiten des Geländes.
Lageregelung ist auch in anderen Bereichen von Bedeutung:
- Bei Modellflugzeugen und -hubschraubern werden Gyroskope eingesetzt, um eine oder mehrere Achsen gegen Wind oder gegen Nebeneffekte der Steuerung zu stabilisieren, weil diese andernfalls nur schwer steuerbar sind. So ist es möglich, den Drehmomentausgleich (via Heckrotor) – eigentlich die größte fliegerische Herausforderung beim Hubschrauberflug – komplett dem Autopiloten anzuvertrauen. Dabei kommen mechanische Kreisel ebenso wie Piezo-Sensoren zur Anwendung; in beiden Fällen werden die Steuerkorrekturen über integrierte Mikrocontroller direkt im Flugmodell errechnet.
- Bei Flugzeugträgern wird zur Stabilisation des Anflugleitstrahls ebenfalls eine gyroskopisch gelagerte Konstruktion verwendet, um die Wellenbewegungen des Schiffes nicht auf den Strahl zu übertragen.
- Torpedos oder unbemannte Fluggeräte wie z. B. ballistische Raketen benötigen keinen künstlichen Horizont. Stattdessen wird ein Kreiselinstrument direkt an die Steuerung angeschlossen, was erstmals bei der A4 (V2-Rakete) im Zweiten Weltkrieg geschah. Die Kreiselsteuerung dient dazu, unerwünschte Einflüsse wie die Abdrift durch Wind oder Unregelmäßigkeiten im Antrieb zu kompensieren, um die programmierte Flugbahn einzuhalten. Sie ist heute meist Teil eines inertialen Navigationssystems (INS).
- In der Raumfahrt dienen Kreisel zur Lageregelung: Hierbei stabilisieren sich im fast kräftefreien Raum das Trägheitsrad und das Reaktionsrad selbst. Messtechnische Aspekte spielen dabei nur eine sekundäre Rolle. Das bisher präziseste und technisch anspruchsvollste Kreiselinstrument wurde für den im April 2004 gestarteten Gravity-Probe-Satelliten konstruiert, dessen erste Ergebnisse im April 2007 bekannt wurden.
- Ebenfalls zum Einsatz kommen Gyroskope in kreiselstabilisierten Ferngläsern, bei denen das Kreiselinstrument eine Beobachtung auch von Schnellbooten oder aus Helikoptern bzw. Kraftfahrzeugen heraus ermöglicht.
- Die BMW S 1000 RR nutzt ebenfalls zwei Gyroskope zum Einsetzten der Dynamic Traction Control (kurz DTC).
- In der Videospiel-Industrie wurden Gyroskope 2009 erstmals in Nintendos Wii Motion Plus eingesetzt.
- Gyroskope kommen seit dem iPhone 4 auch in Smartphones zum Einsatz.
- Auch der „Playstation 3 Move Controller“ verwendet einen gyroskopischen Sensor.
- Bereits in den 1970er Jahren hat der Kameramann Jost Vacano die sogenannte Joosticam entwickelt, eine Art Steadicam mit der er auch den Film Das Boot verfilmte
- Diese Technik findet seit neustem Anwendung in der On-board-Kamera in der FIM-Motorradweltmeisterschaft und wurde erstmals auf dem Sachsenring am Motorrad von Valentino Rossi eingesetzt.
- Moderne Laserkreisel nennt man in Erinnerung an den alten Kreiselkompass Gyroskop oder schlicht Gyro, obwohl sie gar keinen Kreisel mehr enthalten.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Harro Simon: Instrumentenflugkunde und Navigation. Teil 1. Grundlagen und Ausbildung im Motor- und Segelflug. In: Bücher der Luftfahrtpraxis. 8, Reich, 1961.
Literatur
- Nina Fjodorowna Babajewa: Kreiselgeräte (Originaltitel: Giroskopy, übersetzt von Volker Christoph), Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1975.
- Wolf von Fabeck: Kreiselgeräte. Die verschiedenen Gerätetypen und ihre technische Anwendungen, prinzipbedingte Fehler und gerätetechnische Lösungen, physikalische Grundlagen. Vogel, Würzburg 1980, ISBN 3-8023-0612-0 (Kap. 1, 3 und 8).
- Harro Simon: Instrumentenflugkunde und Navigation, Teil I. Bücher der Luftfahrtpraxis Band 8. Reich, München 1961.
Weblinks
- Kreiselgesetze (Physikalisches Grundpraktikum, Univ.Jena) (PDF, 287 KiB)
- Instrumente zur Demonstration der Kreiselgesetze (Physikshop)
- Gesetze und Phänomene der Kreiselbewegung (Praktikum Univ. Karlsruhe) (PDF, 128 KiB)
- Kreiselgesetze am stehenden und hängenden Kreisel (mit Abbildungen)
- Bericht der Stanford University über das Instrument für Gravity Probe
- Video über gyroskopisch stabilisierte CD-Player in der Schwerelosigkeit
- Ausführliche Seite über Gyroskope (Englisch)
Kategorien:- Technische Dynamik
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