Lock-in-Effekt

Lock-in-Effekt

In den Wirtschaftswissenschaften werden als Lock-in-Effekt (von to lock in: einschließen, einsperren) Kosten bezeichnet, die eine Änderung der aktuellen Situation aufgrund hoher Wechselkosten unwirtschaftlich machen. Die Höhe der Wechselkosten bestimmen das Ausmaß des Lock-in-Effektes. Anbieter können mit diesem Effekt Kunden an sich binden, was auch als Instrument zur Kundenbindung verwandt wird. Volkswirtschaftlich werden Lock-in-Effekte in der Regel als wohlfahrtsschädigend eingestuft.

Inhaltsverzeichnis

Strategien

Strebt ein Kunde den Wechsel zu einem anderen Produkt an, entstehen dabei Wechselkosten für den Kunden und den Anbieter. Es gibt Unternehmen, welche gezielt eine Lock-in-Strategie verfolgen, um Kunden an sich zu binden: sie erschweren gezielt und gewollt Kunden den Wechsel zu einem anderen Produkt (= "sie nutzen den Lock-in-Effekt"). So verschaffen sie sich gegenüber anderen Wettbewerbern Vorteile. Für den Kunden ist ein Wechsel nur sinnvoll, wenn der aus dem Wechsel entstandene Nutzen größer bzw. gleich den Kosten des Wechsels ist.

Verbraucher werden durch finanzielle Investitionen in bestimmte Technologien (Betriebssystem bzw. Laufzeitumgebung) oder durch zeitliche Investitionen (Versicherungsmakler, der persönliche Situation durch langjährige Zusammenarbeit kennt) an einen Anbieter oder an eine Anbietergruppe gebunden. Dies bewirkt eine oft als Vendor Lock-in bezeichnete Herstellerabhängigkeit.

Generell gilt, dass die meisten Lock-ins durch den Kunden selbst verursacht sind. Seine eigenen Präferenzen führen dazu, dass produkt- oder anbieterspezifische Investitionen realisiert werden. Meistens wird diese Art der Bindung - obwohl selbst verursacht - als fremdbestimmt und negativ empfunden. Dieses Gefühl tritt spätestens dann auf, sobald der Kunde etwas anderes möchte (z. B. weil er mit dem Produkt unzufrieden ist) und sich in diesem Zusammenhang der Wechselkosten bewusst wird. Eine mögliche Strategie des Kunden könnte sein, weitere Investitionen in das vorhandene Produkt abzulehnen und mittelfristig Alternativen zu suchen.

Ziel des Anbieters ist es daher, dass der Kunde den Nutzen eines Produktes höherwertiger als die Lock-in-Kosten wahrnimmt. Deshalb versucht der Anbieter z.B. durch Personalisierungsmöglichkeiten und Rabattangebote den Kundennutzen in dem Maße zu steigern, dass er sich dennoch „freiwillig“ in die Lock-in-Situation begibt. Die Anbieter können einen künstlichen Lock-in-Effekt auch dort bewirken, wo normalerweise keiner existiert, indem sie Bonus- oder Loyalitäts-Punkte verschenken. Beispiele sind Rabattmarken, Bonus-Meilen für häufiges Fliegen, bestimmte Kreditkarten- und Telefonie-Angebote, die alle nur bei der ursprünglichen Firma verwendet werden können und beim Wechsel zu Konkurrenten Verluste verursachen. Gerade im Online-Umfeld ist auf Grund der großen Konkurrenz und der Markttransparenz der Aufbau von Wechselbarrieren schwieriger und meist ohne entsprechende nutzenstiftende Maßnahmen kaum zu implementieren. Der Kunde kann von dieser Konstellation ggf. sogar profitieren.[1]

Auslöser

  • vertragliche Bindung: Ein Teilnehmer wird durch eine Vertragsvereinbarung gebunden; bei Nichteinhaltung droht eine Vertragsstrafe.
  • Training und Lernen: Weiterhin baut der Kunde ein produkt- oder technologiespezifisches Wissen auf. Im Falle eines Wechsels wäre dieser Lernprozess zu wiederholen. Der zu betreibende Lernaufwand ist vergleichbar groß, sodass die Wechselbarrieren entsprechend hoch liegen.
  • Suchkosten: Beim Verlassen eines Systems entstehen Suchkosten, welche der Teilnehmer jedoch vermeiden will.
  • Loyality costs: Ein Spielteilnehmer kann Vergünstigungen aus einem Standard verlieren, wenn er diesen verlassen will.
  • Die Individualisierung von Produkten hinsichtlich der Wünsche des Kunden vertieft die Beziehung zwischen den Geschäftspartnern. Hier gilt: je mehr spezifische Investitionen ein Kunde leistet, desto höher steigen die Wechselkosten. Der Wechsel zu einem Konkurrenzprodukt wird immer unwahrscheinlicher.
  • Es kann eine unmittelbare Abhängigkeit zu komplementären Produkten gegeben sein. Z. B. verkauft der Hersteller eines medizinischen Gerätes den Computer zur Datenverarbeitung gleich mit, ein Standardgerät kann auf Grund von Modifikationen der Schnittstelle nicht eingesetzt werden. Weitere Beispiele folgen weiter unten im Artikel.
  • Ausgehend vom spezifischen Wissen entsteht ein Gewöhnungseffekt des Kunden gegenüber dem Produkt oder dem Anbieter. Die Bequemlichkeit hier Änderungen nicht in Kauf nehmen zu wollen, führt ebenfalls zum Lock-in.

Modellierung

Die Spieltheorie modelliert Lock-in-Effekte als das Gefangensein eines Spielers in einem System, obwohl ein überlegenes System existiert.[2] Gebunden bedeutet dabei, dass der Wechsel von einem unterlegenen Standard in eine überlegene Form nur mit einem außerordentlich hohen Aufwand möglich ist. Der Spielteilnehmer sollte vor der Bindung an ein System mögliche Alternativen recherchieren und die kritische Masse von möglichen Substituten in Betracht ziehen[3]

Beispiele

Rasierklingen

Der erste große Erfolg nach diesem Modell war der Gillette-Rasierer von King C. Gillette. Statt der damals üblichen Rasiermesser, die nachgeschärft werden mussten, verkaufte Gillette einen patentierten Klingenhalter, zu dem wegwerfbare Sicherheitsklingen passten, die billig herzustellen waren und mit hoher Marge immer wieder an die Besitzer der Klingenhalter verkauft werden.

Kameras

Die Kamera-Industrie bietet ein gutes Beispiel für Lock-in. Bei vielen Kameras können die Objektive ausgewechselt werden. Die Objektive sind ein wichtiger Zusatz zur Kamera und kosten oft mehr als das Kameragehäuse selbst. Seit mindestens den 1930er Jahren haben die Hersteller die Befestigungs-Systeme der Wechsel-Objektive patentiert. Dies stellte sicher, dass der Kamerahersteller während der Dauer des Patents ein Monopol auf Objektivverkäufe hatte. Zusätzlich haben auswechselbare Objektive seit 1989 häufig Elektronik eingebaut. Die Hersteller bemühen sich um Lock-in auch außerhalb des Patents, indem sie notwendige Informationen nicht freigeben und Konkurrenten entweder dafür Lizenzgebühren entrichten oder die Informationen selber herausfinden müssen. Dasselbe wird mit anderen Kamera-Zubehörteilen wie z. B. Akkus getan, so dass ein Wechsel der Marke häufig eine komplizierte und kostspielige Angelegenheit ist.

Eine ähnliche Vorgehensweise wurde kurzzeitig im Bereich der Digitalkameras durch Sony mit dem verwendeten Speichermedium versucht: Der Memory Stick war ein proprietärer Flash-Speicher, dessen Spezifikationen durch Sony nicht veröffentlicht wurden. Die Speichermedien waren bei vergleichbarer Kapazität zwei- bis dreimal so teuer wie Produkte anderer Standards. Beim Wechsel der Digitalkamera zu einem anderen Hersteller waren auch die Speichermedien nicht weiter verwendbar. Die Situation änderte sich erst, als kompatible Produkte auf dem Markt erschienen.

Computer

Vendor Lock-in ist bei den Computer- und Elektronikindustrien ausgeprägt. In der Computerindustrie wird sowohl bei Hardware als auch Software versucht, die Interoperabilität auf allen Stufen zu behindern: bei proprietären Betriebssystemen, Anwendungsprogrammen und Dateiformaten. Bei Betriebssystemen und Mikroprozessoren gibt es jeweils einen deutlich dominanten Hersteller, der Monopolstellung erreichen kann.[4] Die Behinderung ist selten absolut, sondern gerade so hoch, dass der Kunde einen Vorteil hat, wenn er die Produktpalette des Anbieters bevorzugt.

Drucker

Proprietärer Druckkopf

Vendor Lock-in ist bei Computerdruckern ebenfalls ausgeprägt. Verbrauchsmaterial (Tintenpatronen, Toner und teilweise darin integrierten Druckköpfen) werden oft nur von den Geräteherstellern angeboten. Andere Anbieter werden mit Hilfe von Patenten vom Markt ferngehalten und juristisch verfolgt. Durch ständige Änderung der Patronen bzw. Kartuschen und der Elektronik wird die Entwicklung behindert. Anwender verlieren Garantieansprüche bei Verwendung von Verbrauchsmaterial anderer Anbieter. Die Gerätepreise werden durch die zu erwartenden Gewinne durch den Verbrauchsmaterialverkauf subventioniert, ähnlich dem sprichwörtlichen "Lampen verschenken, um mehr Lampenöl verkaufen zu können".

Landwirtschaft

Komplett-Pakete für den landwirtschaftlichen Ackerbau mit aufeinander abgestimmten und voneinander abhängigen transgenetisch modifizierten und somit patentierbaren[5] Pflanzen, Schädlingsbekämpfungsmitteln, Unkrautvertilgern und Düngemitteln binden Landwirte an Hersteller agrarischer Vorprodukte. Mit der Terminator-Technologie (eine genetische Technologie zur Anwendungsbeschränkung) wird versucht, Bauern die Möglichkeit zur Produktion eigenen Saatgutes zu nehmen.

Krankenversicherungen

Private Krankenversicherungen versuchen, einen Teil der für den Versicherten angesparten Rücklagen für sich zu behalten, wenn er zu einer anderen Versicherung wechseln will. Es wird versucht, die Kosten des Versicherungsnehmers bei einem Wechsel der Versicherung für ihn prohibitiv hoch werden zu lassen. Der Wettbewerb der Versicherungen kann sich damit auf junge Menschen konzentrieren.

Kaffeemaschinen

Seit der Einführung von Kaffeepads/Kapseln haben Anbieter solcher Systeme die Möglichkeit einer „Community-Bildung“ durch den Lock-in eines Maschinen-Käufers in einen speziellen Pad-/Kapsel-Standard.[6] Die Bindung der Maschine an einen Pad-/Kapsel-Standard zwingt den Kunden dazu, die zugehörigen Pads/Kapseln beim selben Hersteller zu erwerben.[7] Er ist somit von der Preissetzung des Pad-/Kapsel-Anbieters abhängig.

Schreibmaschinen

Früher hatten mechanische Schreibmaschinen das Problem, dass sich beim Schreiben die am häufigsten benutzten Buchstaben ineinander verhakten. 1873 wurde von Christopher Latham Sholes eine Anordnung der Buchstaben auf der Schreibmaschine entwickelt, bei welcher das Verhaken selten auftrat. Es entstand die sogenannte QWERTY-Tastatur. Dieses damals bewährte Anordnungssystem wurde mittels der Massenproduktion von Schreibmaschinen im Jahre 1904 durch das Unternehmen Remington Sewing Machine Company weit verbreitet und wurde so zum Industriestandard. Mit der Entwicklung von elektrischen Schreibmaschinen war die QWERTY-Belegung nicht mehr notwendig. Ingenieure entwickelten Tastenanordnungen, welche für die Schreibkraft eine Zeitersparnis von 5 bis 10 Prozent ergeben hätten. Der Standard der QWERTY-Anordnung war jedoch bereits soweit verbreitet, dass sich der neue Standard nicht durchsetzte, da das Umlernen der Schreibkräfte mit einigem Aufwand verbunden gewesen wäre. Das verbesserte System hat sich demnach nicht durchgesetzt.[8]

Arbeitsverhältnis

Lock-in-Effekte treten auch im Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf, sofern mindestens ein Vertragspartner im Vorfeld Kosten aufbringen musste, um den anderen Vertragspartner an sich zu binden (z. B. Kosten für das Erlernen betriebsspezifischer Fertigkeiten oder Einstellungs- und Screeningkosten).

Literatur

  • Serge Debrebant: Der will nur spielen (PDF-Datei; 291 kB), in: fluter.de, Heft 57, 31. März 2007, S. 40–41.
  • Avinash K. Dixit, B. J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, Schäffer-Poeschel, Stuttgart 1997
  • C. Rieck: Spieltheorie - Eine Einführung, Christian Rieck Verlag, 2007
  • Ewerhart, Christian and Schmitz, Patrick W.: Der Lock in Effekt und das Hold up Problem (PDF-Datei), in: Munich Personal RePEc Archive (8 Seiten + Literatur) 1997 (VÖ 2008)

Einzelnachweise

  1. Vgl. Adolphs, Kai (2004): Wettbewerbsvorteile im Electronic Retailing, Wiesbaden, 2004, S. 25ff.
  2. B. J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, 1997, Seite 246
  3. C. Rieck: Spieltheorie - Eine Einführung, 2007, Seite 64
  4. Vendor Lock-in Definition by the Linux Information Project
  5. Patentinformationen, GENRES Informationssystem der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
  6. Urs Fueglistaller, Christoph Müller, Thierry Volery:Entrepreneurship: Modelle – Umsetzung – Perspektiven; mit Fallbeispielen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, S. 76
  7. Hans-Ulrich Hensche, Anke Schleyer, Christiane Wildraut: Möglichkeiten und Grenzen der nachhaltigen Kundenbindung bei der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte in NRW, S. 9
  8. A. K. Dixit, B. J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger – Strategisches Know-how für Gewinner, 1997, Seite 226

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Lock-in-Effekt (Physik) — Unter Lock in Effekt versteht man die gegenseitige Beeinflussung schwach gekoppelter Oszillatoren. Erste Beobachtung Der Lock in Effekt wurde wahrscheinlich als erstes von Christiaan Huygens beobachtet. Er berichtet in seinem 1673 erschienenen… …   Deutsch Wikipedia

  • Lock-in-Effekt — ⇡ Wertzuwachssteuer …   Lexikon der Economics

  • Lock in — Das Wort Lock in bezeichnet in den Wirtschaftswissenschaften Kosten, die eine Änderung der aktuellen Situation unwirtschaftlich machen, siehe Lock in Effekt in der Technologieentwicklung einen stagnierenden Entwicklungspfad, siehe Lock in… …   Deutsch Wikipedia

  • Lock-in — Das Wort Lock in bezeichnet in den Wirtschaftswissenschaften Kosten, die eine Änderung der aktuellen Situation unwirtschaftlich machen, siehe Lock in Effekt in der Technologieentwicklung einen stagnierenden Entwicklungspfad, siehe Lock in… …   Deutsch Wikipedia

  • Lock-In-Verstärker — Ein Lock in Verstärker (auch phasenempfindlicher Gleichrichter oder Trägerfrequenzverstärker (TFV) ) ist ein Verstärker zur Messung eines schwachen elektrischen Signals, das mit einem in Frequenz fref und Phase bekannten Referenzsignal moduliert… …   Deutsch Wikipedia

  • Lock-in Amplifier — Ein Lock in Verstärker (auch phasenempfindlicher Gleichrichter oder Trägerfrequenzverstärker (TFV) ) ist ein Verstärker zur Messung eines schwachen elektrischen Signals, das mit einem in Frequenz fref und Phase bekannten Referenzsignal moduliert… …   Deutsch Wikipedia

  • Vendor lock-in — In den Wirtschaftswissenschaften werden als Lock in Effekt (von to lock in: einschließen, einsperren) Kosten bezeichnet, die eine Änderung der aktuellen Situation unwirtschaftlich machen. Problematisch werden Lock in Effekte, wenn sie zu… …   Deutsch Wikipedia

  • Gimbal Lock — (engl.) bzw. kardanische Blockade bezeichnet ein geometrisches Problem, welches bei Transformationen in Verbindung mit Eulerwinkeln auftreten kann. Der Begriff stammt aus dem Englischen, Gimbal heißt hier Kardanische Aufhängung, Gimbal Lock ist… …   Deutsch Wikipedia

  • Gimbal lock — bezeichnet ein geometrisches Problem, welches bei Transformationen in Verbindung mit Eulerwinkeln auftreten kann. Der Begriff stammt aus dem Englischen, Gimbal heißt hier Kardanische Aufhängung, Gimbal Lock ist also deren Blockade. Eulerwinkel… …   Deutsch Wikipedia

  • Laser-Gyroskop — Laserkreisel Ein Laserkreisel ist ein dreidimensionales Messgerät, welches mit einem Laser arbeitet, dessen Resonator eine geschlossene Schleife bildet (Ringlaser). Laserkreisel messen hochempfindlich und verschleißfrei Drehbewegungen in einer… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”