Lorenz Knorr

Lorenz Knorr

Lorenz Knorr (* 18. Juli 1921 in Eger) ist ein deutscher sozialistischer Politiker (SPD, später DFU, DKP), Journalist und Antifaschist.

Lorenz Knorr bei einer wissenschaftlichen Konferenz

Inhaltsverzeichnis

Leben

Antifaschistische Tätigkeit vor 1945

Lorenz Knorr 1978

Einer Arbeiterfunktionärsfamilie entstammend, war Knorr vor dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Tschechoslowakei und widmete sich während der Zeit des Nationalsozialismus antifaschistischen Tätigkeiten wie der Verbreitung von Informationen und Publikationen, Sabotageakten an Rüstungs- und Kriegstransporten und Sprengungen von Munitionslagern. Im Mai 1942 und im Herbst 1944 wurde er deshalb wegen „Wehrkraftzersetzung“ vor einem Kriegsgericht angeklagt und verurteilt.

1945 bis 1989

Nach britischer Kriegsgefangenschaft, in der er Aufklärung über die NS-Verbrechen leistete, stieg er vom Landessekretär der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken (SJD) in Bayern 1947 zu deren Bundessekretär (1950 bis 1960) auf. In dieser Funktion amtierte er bis 1960 als Mitglied des jugend- und kulturpolitischen Ausschusses des Parteivorstands der SPD, als Chefredakteur der Jungen Gemeinschaft und als Redakteur der Monatszeitschrift Erziehung und Gesellschaft. Die SJD vertrat er zeitweilig in der UNESCO. 1960 protestierte er öffentlich gegen das Einschwenken der SPD auf den NATO-Kurs Adenauers und trat aus der Partei aus. Knorr gründete mit Karl Graf von Westphalen, Renate Riemeck und anderen die Deutsche Friedensunion (DFU), für die er auch bei der Bundestagswahl von 1961 kandidierte. Bis 1985 gehörte er dem Direktorium der DFU an. Als die DFU 1984 ihren Parteistatus aufgab, war Knorr laut Verfassungsschutzbericht 1984 zugleich Mitglied der DKP. Als Autor war er unter anderem für den neuen Vorwärts, die Gewerkschaftlichen Monatshefte, die Deutsche Volkszeitung, die Marxistischen Blätter und die Blätter für deutsche und internationale Politik tätig. 1978 bis 1980 war er Leiter des Projekts Frieden & Abrüstung an der Universität Oldenburg. Von 1987 bis 1989 gehörte er dem Wissenschaftlichen Kuratorium des Zentrums für Marxistische Friedensforschung (ZMF) an, einer Nebenabteilung des DKP-eigenen Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF). Zehn Jahre wirkte Lorenz Knorr als Vizepräsident des Internationalen Verbindungsforums der Friedenskräfte, Sitz Wien. Auf vielen Weltfriedenskongressen trug er die Positionen der deutschen Friedensbewegung vor.

Prozess wegen Beleidigung ehemaliger Wehrmacht- und Bundeswehrgenerale

1961 griff er auf einer öffentlichen Jugendveranstaltung die personelle Kontinuität von der Wehrmacht zur Bundeswehr an und bezeichnete diese als „Massenmörder“. Wegen „Beleidigung“ von ehemaligen Generälen der Wehrmacht (unter anderen Adolf Heusinger, Friedrich Foertsch, Hans Speidel), die nun in führender Position in der Bundeswehr tätig waren, sowie „Staatsgefährdung“ musste er sich mehreren Gerichtsverfahren stellen. Verteidigt wurde er dabei unter anderem von Heinrich Hannover und konnte sich auf internationale Unterstützung beispielsweise von Bertrand Russell, Linus Pauling, Arnold Zweig, Martin Niemöller oder Wolfgang Abendroth stützen. Nachdem es auf das, von Lorenz Knorr vorgelegte Beweismaterial einging, urteilte das Amtsgericht in Solingen, es handele sich bei dem Begriff „Massenmörder“ um ein beleidigendes Werturteil, demgegenüber ein Wahrheitsbeweis nicht zulässig sei, blieb aber mit einer Geldstrafe von 300 DM deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung forderte.[1] 1974 wurde der Prozess „wegen geringer Schuld“ eingestellt.[2] Ein parallel laufendes Verfahren wegen „Staatsgefährdung“ vor einer Sonderstrafkammer durchlief alle Instanzen und endete mit der Aufhebung des Urteils wegen „Staatsgefährdung“.

Seit 1989

Nach dem Niedergang der DFU und der Wiedervereinigung engagiert sich Knorr weiter in der Friedensbewegung und war von 1992 bis 1994 Bundessprecher der VVN-BdA. 2001 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milošević (das vom 2006 verstorbenen Alexander Sinowjew geleitet wurde), für dessen Freilassung er sich einsetzte. Er wirkt aktiv im Europäischen Friedens-Forum mit. Auch publizistisch ist er noch aktiv, unter anderem für das DKP-Organ Unsere Zeit, die sozialwissenschaftliche Zeitung ICARUS, Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung sowie die Deutsch-Tschechischen Nachrichten. Er ist ein entschiedener Gegner des Geschichtsrevisionismus. Seit 2008 reist er durch Schulen – vor allem Gymnasien – und hält dort Vorträge über seine Erlebnisse.

Neuere Publikationen (Auswahl)

  • Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Deutsches Militär von Massenmördern geprägt? VAS-Verlag, Frankfurt 1998, ISBN 3-88864-265-5
  • Kontinuitäten des Rechtsextremismus. Ein Streifzug durch die deutsche Geschichte. VAS-Verlag, Frankfurt 2002, ISBN 3-88864-355-4
  • Partner und Rivalen. USA und EU in der Krise. VAS-Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-88864-399-6
  • Geistige Erneuerung der SPD? Ein Versuch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Ein Zeitzeugenbericht. Koch, Rostock 2005, ISBN 3-938686-20-0
  • Antifaschistischer Widerstand in West-Böhmen. Faschismus in Deutschland – Münchner Abkommen – Benes-Dekrete. Selbstverlag, Frankfurt am Main 2006.
  • Aufklärung, Frieden, Antifaschismus. Ausgewählte Reden und Schriften. Hrsg. v. Lorenz Gösta Beutin, PapyRossa-Verlag, Köln 2006, ISBN 3-89438-356-9
  • Ursachen und Folgen der sozialen Misere in Deutschland. Selbstverlag Lorenz Knorr, Frankfurt am Main 2007
  • Gegen Hitler und Henlein. Antifaschistischer Widerstand unter den Sudeten und in der Wehrmacht. PapyRossa-Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-89438-390-9
  • Generäle vor Gericht - Oder: Darf man Nazi-Militärs als Massenmörder bezeichnen?PapyRossa-Verlag, Köln, 2011, ISBN 9783894384609

Literatur

  • Heidi Beutin, Wolfgang Beutin & Bodo Brücher: Nach Rückschlägen vorwärts. Im Streit für eine humane Welt. Lorenz Knorr zum 70. Geburtstag. vsa-Verlag, Hamburg 1991, ISBN 3-87975-566-3 (hierin auch ausführliches Publikationsverzeichnis)
  • Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht 1954–1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Aufbau, Berlin 1998, ISBN 3-351-02480-0, S. 129–141.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Im Gewand des Märtyrers. In: Die Zeit, Nr. 23/1963
  2. Stattzeitung für Südbaden: Lorenz Knorr – früh auf den Spuren der Wehrmacht und Bundeswehr. Ausgabe 41, November 1999

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