Heinrich Hannover

Heinrich Hannover

Heinrich Hannover (* 31. Oktober 1925 in Anklam (Vorpommern)) ist ein deutscher Jurist und bekannter Strafverteidiger auch in politischen Prozessen. Hannover hat darüber hinaus sowohl Sachbücher als auch Kinderbücher geschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der in der norddeutschen Kleinstadt Anklam im heutigen Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsene Arztsohn Heinrich Hannover wurde als 17-jähriger 1943 zuerst zum Reichsarbeitsdienst, dann zur Wehrmacht eingezogen. Fronteinsätze 1944 in Italien (Nettunobrückenkopf) und 1945 in Schlesien und Sachsen. Granatsplitterverletzung dicht neben der Wirbelsäule überlebt. Das Kriegserleben machte ihn zum Pazifisten und Antimilitaristen. Für ihn blieb das damals von vielen geteilte Bekenntnis „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ sein Leben lang gültig.

Aus kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Kassel entlassen, versuchte er zunächst, seinen ursprünglichen Berufswunsch, die höhere Forstlaufbahn, zu verwirklichen. Der einst in Pommern zugelassene Forstanwärter wurde jedoch in Hessen nicht übernommen.

In einem Kursus für Kriegsteilnehmer holte er das Abitur nach und studierte dann an der Universität Göttingen Rechtswissenschaften. Nach dem ersten Staatsexamen, das er 1950 beim Oberlandesgericht Celle ablegte, ging er fürs Referendariat nach Bremen. Nach dem zweiten Staatsexamen wurde er dort im Oktober 1954 als Rechtsanwalt zugelassen.

Hannover ist Verfasser zahlreicher Sach- und Kinderbücher, die zum Teil auch als Hörbücher eingespielt wurden, gesprochen von Hannover selbst und Kindern. Als Anwalt zog er sich 1995 in den Ruhestand zurück, um fortan in erster Linie weiterhin schriftstellerisch tätig zu sein. Dabei entstanden unter anderem seine Lebenserinnerungen Die Republik vor Gericht 1954 – 1995. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift Demokratie und Recht (DuR), die bis 1989 im Kölner Pahl-Rugenstein Verlag und erschien.

Hannover ist Vater von fünf Kindern – ein sechstes Kind ist im Alter von sieben Jahren an Leukämie verstorben. Die Juristin, Fernsehmoderatorin und Autorin Irmela Hannover ist seine Tochter. Er lebt heute in Worpswede bei Bremen. Seine Kanzlei besteht unter dem Namen Dr. Hannover und Partner fort und betreut u.a. Guantanamo-Häftlinge.

Strafrechtsprozesse

Die ihm zu Beginn seiner Praxis zugewiesene Pflichtverteidigung eines Kommunisten im antikommunistischen Meinungsklima der frühen Bundesrepublik sollte prägend für sein gesamtes weiteres anwaltliches Wirken werden. Hannover hat zeitlebens die Rechte von Minderheiten vertreten, die sich auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit und andere Grundrechte (wie Recht auf Kriegsdienstverweigerung, Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit) beriefen und dabei in Konflikt mit der Staatsgewalt kamen. Er verteidigte Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren, Gegner der Notstandsgesetzgebung, der amerikanischen Kriegführung in Vietnam und der Kollaboration mit ausländischen Diktatoren (sogenannte Studentenbewegung oder Außerparlamentarische Opposition) in den 1960ern, zu Unrecht der Beteiligung an terroristischen Gewalttaten verdächtigte Angeklagte (er erzielte z.B. Freisprüche für Karl Heinz Roth und Astrid Proll) in den 1970ern und setzte sich für eine Änderung der Haftbedingungen für Ulrike Meinhof ein. In den 1990er Jahren verteidigte er Bundesvorstandsmitglieder der GRÜNEN, die zu Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht im Golfkrieg aufgerufen hatten. Nach der deutschen Wiedervereinigung verteidigte er auch Bürger der DDR, denen Landesverrat oder Mitwirkung an Wahlfälschung vorgeworfen wurde.

Hannover setzte in den 1980er Jahren die Anklage gegen einen SS-Funktionär durch, dem Beihilfe zum an dem von Hitler befohlenen Mord an Ernst Thälmann vorgeworfen wurde, und vertrat in diesem Verfahren die Tochter des ermordeten KPD-Vorsitzenden als Nebenklägerin. Im Auftrag von Rosalinda von Ossietzky, der Tochter des Herausgebers der „Weltbühne“ Carl von Ossietzky, führte er in den Jahren 1988 – 1992 zusammen mit anderen Kollegen ein Wiederaufnahmeverfahren gegen das Landesverratsurteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1931 durch. Im Jahr 1987 verteidigte Hannover einen der Hamburger Richter, die gegen die Stationierung amerikanischer Atomraketen in Mutlangen durch Sitzblockade vor dem Depot protestiert hatten, was damals noch als Nötigung amerikanischer Soldaten bestraft wurde. Die Vertretung von Kriegsdienstverweigerern vor Prüfungskammern und Verwaltungsgerichten bildete einen Schwerpunkt seiner Praxis und lag ihm als erklärtem Kriegsgegner besonders am Herzen. Auch Zeugen Jehovas, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung nicht nur den Waffendienst, sondern auch den Zivildienst verweigerten, wurden von ihm in Strafverfahren verteidigt.

Zu Hannovers Mandanten gehörten auch Peter Brückner, Daniel Cohn-Bendit, Bolko Hoffmann, Lorenz Knorr, Dr. Helmut Kramer, Hans Modrow, Wolf Dieter Reinhard, Otto Schily, Günter Wallraff, Gert Postel, Isang Yun und Peter-Paul Zahl. Vor allem aber eine große Anzahl weniger prominenter Angeklagter. In seinen Memoiren („Die Republik vor Gericht 1954 – 1995“) schreibt Hannover: „So bin ich der Anwalt der kleinen Leute, der politisch oder religiös verfemten Minderheiten, der gegen das kapitalistische System und neue Einmischung in Krieg und Völkermord aufbegehrenden Generation geworden.“

Hannover war auch in Strafverfahren ohne politischen Bezug als Verteidiger tätig. Bundesweites Aufsehen erregte in den 1970er Jahren der in Bremen verhandelte Fall des Bauarbeiters Otto Becker, der zu Unrecht wegen Mordes an der 17-jährigen Carmen Kampa angeklagt wurde (Stern vom 7. November 1974: „Der Zeuge fuhr im Zug vorbei“). Das Verfahren, in dem Becker zunächst verurteilt wurde, endete nach erfolgreicher Revision in der zweiten Hauptverhandlung mit Freispruch, nachdem es dem Verteidiger gelungen war, eine bisher von der Kriminalpolizei zurückgehaltene Sonderakte zu finden und in das Verfahren einzuführen, aus dem sich ein starker Tatverdacht gegen einen anderen Mann ergab. Dieser Fall ist Gegenstand des Fernsehfilms „Mord am Bahndamm“, in dem allerdings die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden, die zu dem ursprünglichen Fehlurteil geführt hatten, nicht thematisiert werden.

Hannover wurde in den Jahren 1978 bis 1984 mit Ehrengerichtsverfahren überzogen, in denen ihm vorgeworfen wurde, vom Recht der anwaltlichen Redefreiheit in standeswidriger Weise Gebrauch gemacht zu haben. Gegen diese Vorwürfe, die in einem Verfahren zusammengezogen wurden, verteidigten ihn der Rechtsanwalt und spätere Bundesinnenminister Otto Schily und Ulrich K. Preuß.

Ehrungen und Auszeichnungen

  • 1986 wurden Hannover von der Humboldt-Universität Berlin und 1996 von der Universität Bremen Ehrendoktortitel verliehen.
  • Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union (1973)
  • Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon, Bremen (1987)
  • Max-Alsberg-Preis des Deutschen Strafverteidiger e.V. (1997)
  • Preis der Stiftung Kreatives Alter, Zürich (2002)
  • Arnold-Freymuth-Preis der Arnold-Freymuth-Gesellschaft (2004)
  • Hans-Litten-Preis der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (2008)

Werke (Auswahl)

Sachliteratur
  • Politische Diffamierung der Opposition im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Verlag Pläne, Dortmund-Barop 1962.
  • Schubladentexte. Eingeleitet von Heinrich Hannover. Verlag Neue Kritik/Voltaire Verlag, Frankfurt am Main 1966.
  • Die unheimliche Republik: Politische Verfolgung in der Bundesrepublik mit Günter Wallraff. VSA-Verlag, Hamburg 1982.
  • Politische Justiz 1918-1933. Lamuv-Verlag, Göttingen 1987, ISBN 3889771254 (gemeinsam mit Elisabeth Hannover-Drück)
  • Terroristenprozesse. Erfahrungen und Erkenntnisse eines Strafverteidigers, 1991.
  • Die Republik vor Gericht 1954-1975. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Aufbau Verlag, Berlin 1998, ISBN 3351024800.
  • Die Republik vor Gericht 1975-1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Aufbau Verlag, Berlin 1999. ISBN 3351024819.
  • Die Republik vor Gericht 1954 – 1995. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts. Aufbau Taschenbuch Verlag, 2005.
  • Reden vor Gericht. Plädoyers in Text und Ton. PapyRossa Verlag: Köln 2010, ISBN 978-3-89438-438-8; Rezension
Kinderliteratur
  • Die Birnendiebe vom Bodensee. Spaß- und Spielgeschichten. Rowohlt, Reinbek 1973.
  • Der vergeßliche Cowboy. Rowohlt, Reinbek 1980.
  • Schreivogels türkisches Abenteuer. VSA-Verlag, Hamburg 1981.
  • Der Mond im Zirkuszelt und andere Vorlesegeschichten. Rowohlt, Reinbek 1985.
  • Die Schnupfenmühle. Diesterweg, Frankfurt am Main, Berlin, München; Sauerländer, Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg; 1985.
  • Der fliegende Zirkus. Rowohlt, Reinbek 1986.
  • Der Untergang der Vineta oder Die Geige vom Meeresgrund. Rowohlt, Reinbek 1987.
  • Als der Clown die Grippe hatte. Neue Geschichten und Gedichte, 1995.
  • Der müde Polizist. Vorlesegeschichten ab 4. Rowohlt TB-V., Reinbek 1997 (orig.: März-Verlag, Frankfurt am Main 1972).
  • Die untreue Maulwürfin, mit Manfred Bofinger (Illustrationen). Aufbau Verlag, Berlin 2000, ISBN 3351040083.
  • Das Pferd Huppdiwupp und andere lustige Geschichten. Rowohlt TB-V., Reinbek 2002, ISBN 3499212005.
  • Was der Zauberwald erzählt. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2004, ISBN 3806750688.
  • Weihnachten im Zauberwald. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2006, ISBN 978-3-8067-5113-0.
  • Ein toller Zoo. ABC-Gedichte Gebundene Ausgabe, F. W. Bernstein (Illustrator). Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008.
Hörbücher
  • Die Birnendiebe vom Bodensee. Spaß- und Spielgeschichten, MC, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 1993, ISBN 978-3-89592-286-2.
  • Der fliegende Zirkus. Phantastische Geschichten aus der Manege mit Musik, MC 1–4, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 1993/1994.
  • Als der Clown die Grippe hatte. Neue Geschichten und Gedichte, MC, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 1993, ISBN 978-3-89592-280-0.
  • Hasentanz. Vergnügliche Geschichten und Gedichte, MC, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 1995, ISBN 978-3-89592-047-9.
  • Dat Pierd Huppdiwupp. Geschichten auf Plattdeutsch, CD, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-8337-2743-6.
  • Der fliegende Zirkus und andere Geschichten, CD, Jumbo Neue Medien & Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-8337-2746-7.

Literatur

  • Jürgen Hinrichs: Seine Waffe ist das Wort. In: Weser-Kurier vom 26. September 2010, S. 3.

Weblinks


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