- Lotabweichung
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Die Lotabweichung ist der Winkel zwischen der Lotrichtung und der Ellipsoidnormalen in einem Vermessungspunkt. Sie kann in europäischen Hochgebirgen etwa 0,01° (30–50″) erreichen, im Flachland weniger, und entspricht der Neigung des Geoids zum Rotationsellipsoid der Landesvermessung.
Auch wenn die Lotabweichung Null ist, weist die Lotrichtung (realisiert z. B. durch ein frei hängendes Schnurlot) nicht zum Erdmittelpunkt, sondern wegen der Abplattung der Erde (Fliehkraft der Erdrotation!) bis zu 0,2° vorbei.
Manchmal spricht man auch im Bauwesen von Lotabweichung – wenn ein Bauwerk oder eine Fassade aus dem Lot gerät.
Inhaltsverzeichnis
Definition der Lotabweichung
Laut dem Fédération Internationale des Géomètres-Wörterbuch ist die Lotabweichung der Winkel zwischen der Lotrichtung in einem Punkt und der diesem Punkt durch eine Projektion zugeordneten Normalen auf einem Rotationsellipsoid.
Man spricht von einer astrogeodätischen Lotabweichung, wenn die Bestimmung der Lotrichtung mit den Methoden der geodätischen Astronomie erfolgte und tritt bei der Transformation zwischen lokalen Koordinatensystemen auf. Dagegen beruht die gravimetrische Lotabweichung auf der Bestimmung der Lotrichtung durch Schweremessungen und wird über die Lösung der geodätischen Randwertaufgabe erhalten.
Lotabweichungen hängen von den ellipsoidischen Koordinaten und damit von den Parametern des Bezugs- oder Referenzellipsoides und von dessen Lagerung gegenüber der Erde ab. Handelt es sich bei dem Bezugsellipsoid um ein geozentrisch (im Erdschwerpunkt) gelagertes und gleichzeitig mittleres Erdellipsoid, so spricht man von absoluten Lotabweichungen, andernfalls von relativen Lotabweichungen.
Größe der Lotabweichungen
Welche Beträge die Lotabweichung erreichen kann, hängt von mehreren Faktoren ab:
- Von der Topografie – der Höhe und Rauheit des Geländes. In den Alpen können einzelne Gebirgsketten lokale Ablenkungen der Lotrichtung bis fast 60 Bogensekunden (ca. 0,015°) verursachen
- von der Geologie – dem unterirdischen Verlauf der Gesteinsschichten. Wo die horizontale Lagerung stark gestört ist – wie z. B. in Molassebecken oder in der schweizer Ivreazone – sind sogar regionale Ablenkungen über 60 ″ möglich
- von der Lagerung des Referenzellipsoids der Landesvermessung – siehe auch Geodätisches Datum.
Während in den Hochgebirgen Europas die mittleren Lotabweichungen unter 0,5′ = 30″ bleiben (die Maximalwerte können etwa 60″ erreichen), sind in Anden und Himalaya fast die doppelten Beträge möglich.
Angesichts der Genauigkeit moderner Vermessungen wirkt sich die Lotabweichung in fast jedem Projekt bzw. Vermessungsnetz aus, sobald die Visuren (Sichtlinien) um mehr als einige Grade von der Horizontalen abweichen. Die Effekte müssen daher i. d. R. rechnerisch reduziert werden, was Gegenstand von Astrogeodäsie und Höhere Geodäsie ist.
Im Hügelland erreichen diese Effekte auf die Messungen einige Bogensekunden bzw. einige Zentimeter pro Kilometer, im Gebirge bis zum Zehnfachen davon. Dass z. B. die früheren Tunnelbauten trotzdem relativ genau zusammenpassten, liegt an der annähernden Symmetrie der meisten Gebirgsketten.Geschichte
Erste Messungen der Lotabweichung wurden um 1800 nach theoretischen Untersuchungen von Carl Friedrich Gauß im Zuge der Hannoveranischen Landesvermessung durchgeführt, und zwar im Gebiet des Harz, wo Gauß und seine Assistenten die größten Effekte erwarteten. Um 1970 etablierte hier die TU Hannover unter W.Torge ein modernes astro-geodätisches „Testnetz Westharz“.
Ähnliche Überlegungen und astrogeodätische Messungen gab es 1820 durch die Forscher Jean-Baptiste Biot und F.Carlini am Mont Cenis bei Bordeaux. Um 1930 wurden die Messungen zu einem Standardverfahren der Geodäsie und die wichtigste Grundlage für die geforderte Astro-geodätische Netzausgleichung, da die Genauigkeit der Vermessungsnetze den damaligen Bedürfnissen nicht mehr genügte. Zwischen 1970 und 2000 erreichte die Forschung zu den Themen Lotabweichung, Geoid und geodätische Gravimetrie einen Höhepunkt, und zwar aus gleichzeitig vier aktuellen Bedürfnissen:- dem unbedingten Bedarf nach Vermessungsnetzen mit Genauigkeiten besser als 1:1 Million (mm pro km)
- dem zunehmenden Bau von Straßentunneln durch die Alpen und andere Gebirge, wo die Lotabweichung bisweilen einige Dezimeter pro Kilometer ausmacht
- der Forderung nach dem sog. Zentimeter-Geoid (Begriff erstmals von Torge geprägt, s.unten), weil bereits 1980 das Aufkommen cm-genauer Satellitenortung (GPS, GLONASS, SLR) und kosmischer Interferometrie (VLBI) abzusehen war
- dem Bedarf nach potentialtheoretischen Untersuchungen der Erdkruste, wofür die Lotabweichung bessere geologische Schichtneigungen liefern kann als die herkömmliche Gravimetrie – siehe z. B. das heutige deutsche Großprojekt „Sedimentbecken“, die Untersuchungen von Gerstbach (TU Wien) und Papp im Wiener Becken, von Gurtner (Ivrea-Körper in der Südschweiz) und der umfangreichen TESLA-Projektplanung für den 30km-Linearbeschleuniger bei Hamburg.
Durch verschiedene Großprojekte in Mitteleuropa (vor allem Deutschland, Österreich, Schweiz, sowie Slowenien und Slowakei), in Südeuropa (Kroatien, Griechenland, Türkei) und in Südamerika (v. a. Argentinien) wurde das Geoid von 20–50 cm Genauigkeit im deutschen Sprachraum auf 2–5 cm, anderswo auf 5–10 cm verbessert. In Deutschland steht das aus Lotabweichungen bestimmte „Astrogeoid“ in Konkurrenz zum „gravimetrischen Geoid“, während Gebirgsländer wie Österreich, Schweiz, Slowakei und Griechenland das Astrogeoid bevorzugen. In diesen Ländern steht seit etwa 1990 ein dichtes Netz von tausenden Lotabweichungs- und hunderten Laplace-Punkten zur Verfügung (Punktabstände zwischen 7–10 und 50 km), auf der ganzen Welt sind es einige Zehntausend Vermessungspunkte, wo auf der Erdoberfläche die genaue Lotrichtung gemessen wurde.
Siehe auch
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