Lübecker Brandanschlag

Lübecker Brandanschlag
Datei:HLBrandanschlaggedenksteinHafenstrasse.JPG
An der Stelle des abgerissenen Gebäudes in der Hafenstraße erinnert ein Gedenkstein an die Opfer

Als Lübecker Brandanschlag oder Brandanschlag von Lübeck wird eine Brandstiftung im Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße in der Nacht zum 18. Januar 1996 bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Tat

Zehn Asylbewerber aus Zaire, Ghana, Togo, Tunesien, Syrien und dem Libanon, darunter Kinder und Jugendliche, kamen ums Leben, 38 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Zahlreiche Menschen waren in Panik aus den Fenstern des brennenden Mehrfamilienhauses gesprungen, das aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammte.

Tatfolgen und Einordnung

Die Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt. Die Ruine des Gebäudes wurde später abgerissen. An seiner Stelle befindet sich heute ein Parkplatz, auf dem ein Gedenkstein an die Opfer erinnert.

Der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller ließ den überlebenden Bewohnern des Hauses nach dem Brand Personaldokumente ausstellen. Damit konnten sie ihre umgekommenen Angehörigen zur Beisetzung in die Heimatländer begleiten und anschließend nach Deutschland zurückkehren. Ekkehard Wienholtz, der damalige Innenminister Schleswig-Holsteins, forderte Bouteiller daraufhin zum Rücktritt als Bürgermeister auf, weil dieser damit seine Befugnisse überschritten habe. Bouteiller sollte eine Disziplinarstrafe zahlen, wogegen er sich wehrte. Für seine Tat wurde Bouteiller von der IPPNW ausgezeichnet.

Verdächtige

Direkt nach der Tat sprachen internationale Pressemeldungen von einem der folgenschwersten rassistisch motivierten Verbrechen der deutschen Nachkriegszeit, ohne dass Täterschaft oder sonstige Hintergründe bekannt gewesen wären. Als tatverdächtig galten zunächst vier junge Männer aus der Skinheadszene Grevesmühlens.

Der Verdacht gegen die aus dem rechten Milieu stammende Gruppe Jugendlicher aus Mecklenburg-Vorpommern, an deren Gesichtern ein Gerichtsmediziner in der Tatnacht frische Brandspuren feststellte,[1] konnte nicht weiter erhärtet werden.[2] Zudem wurde im Prozess gerichtlich festgestellt, dass der Brand im ersten Stock des Hauses ausgebrochen war.[3]Mit dieser Feststellung stützte sich das Gericht im Wesentlichen auf eine computergestützte Simulation des Bundeskriminalamts, während der vom Gericht als Gutachter beauftragte ehemalige Frankfurter Feuerwehrchef Ernst Achilles eine Brandentstehung im Erdgeschoss nicht ausschließen wollte.[4]

Die Ermittlungen konzentrierten sich dann auf einen 21-jährigen Heimbewohner aus dem Libanon, den das Kieler Landgericht später allerdings aus Mangel an Beweisen freisprach. Der zuvor erfolgte Freispruch des Lübecker Landgerichts war, nachdem die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hatte, vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden, da belastende Beweismittel gegen den Libanesen nicht entsprechend gewürdigt worden waren.[5]

Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft

Einzelne Journalisten unterstellten der Lübecker Staatsanwaltschaft, ein rassistisches Motiv von vornherein als Möglichkeit ausgeschlossen zu haben, ebenso weitere „Ungereimtheiten, Pannen, Schlampereien“[6], schrieben von einem „Justizskandal“ und „Vernebelung“[7].

Mediale Bearbeitungen

Dokumentarfilm

2003 stellten die von der Unrichtigkeit der offiziellen Version überzeugten[8] Filmemacherinnen Katharina Geinitz und Lottie Marsau ihren Dokumentarfilm Tot in Lübeck vor, in dem der Generalstaatsanwalt von Schleswig-Holstein, Erhard Rex, und die Anwältin Gabriele Heinecke befragt werden. Die Aussage des Generalstaatsanwalts, die Wahrheit wisse „nur Gott allein, wir nicht“, steht als Leitsatz am Anfang des Films. Kommentiert werden die Dokumentarteile durch den kommunistischen Kabarettisten Dietrich Kittner, der in dem Film als Moritatensänger auftritt und Vergleiche mit brennenden Synagogen 1938 und dem Tod des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen anstellt[9].

Fiktionales Drehbuch

Die Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Günter Senkel hatten die Ereignisse schon Jahre vor dem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm zu einem fiktionalen Drehbuch mit dem Titel Brandmal (1998) inspiriert. Dieses wurde nicht verfilmt, gehört aber zu den drei Arbeiten, die 1998 mit dem Drehbuchpreis der Medienstiftung Schleswig-Holstein, einem Vorläufer des Schleswig-Holstein Filmpreises und des Norddeutschen Filmpreises, ausgezeichnet wurden.

Sachbücher

Neben den beiden filmischen Verarbeitungen setzten sich Sachbücher mit dem Ereignis auseinander, z.B. die des taz-Journalisten Wolf-Dieter Vogel (Der Lübecker Brandanschlag. Fakten, Fragen, Parallelen zu einem Justizskandal) und von Andreas Juhnke (Brandherd – Der zehnfache Mord von Lübeck: Ein Kriminalfall wird zum Politikum).

Quellen

  1. Brandspuren im Gesicht. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1996, S. 84–91 (3. Juni 1996, online).
  2. http://stadtzeitung.luebeck.de/archiv/artikel/id/19390
  3. http://www.rosamarsfilm.de/til/til_08_05_d_kommentar.htm
  4. Artikel bei focus.de
  5. http://www.rosamarsfilm.de/til/til_08_04_d_stern.htm
  6. S. Stosch, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5. März 2005
  7. R. Bender: Tot in Lübeck; Kieler Nachrichten, 11. September 2003
  8. http://www.rosamarsfilm.de/presse.htm
  9. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 5. März 2005

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