Mil Mi-12

Mil Mi-12
Mil Mi-12 (W-12)
Die Mil Mi-12 in Groningen
Typ: Experimentalhubschrauber
Entwurfsland: SowjetunionUdSSR UdSSR
Hersteller: Mil
Erstflug: 10. Juli 1968
Indienststellung: Entwicklung 1974 eingestellt
Stückzahl: 2 oder 3

Der sowjetische Mil Mi-12 (Nato-Codename „Homer“) ist der größte jemals gebaute Hubschrauber der Welt. Die eigentliche Bezeichnung lautet W-12 (für Wertoljot, Hubschrauber), wird aber in Publikationen oft durch das Kürzel des Chefkonstrukteurs Mil ersetzt. Da dieses jedoch erst offiziell Verwendung fand, wenn ein Modell aus dessen Konstruktionsbüro in die Serienproduktion überführt wurde, der W-12 aber ein Prototyp blieb, ist die Bezeichnung Mi-12 nicht korrekt. Von Mils Mitarbeitern wurde der Typ auch als „Slon“ (Elefant) oder als Anspielung an den Vorgänger Mi-6 als „Doppelte Sechs“ bezeichnet.

Der Mi-12 ist ein Hubschrauber mit zwei seitlichen, gegenläufigen Rotoren, wodurch kein Heckrotor benötigt wird. An den seitlichen Auslegern befinden sich je zwei Wellenturbinen, die ebenso wie die Rotoren dem Mi-6 entliehen wurden, der bereits mit nur einem dieser Rotoren zu den größten Transporthubschraubern der Welt zählt. Der Erstflug der Mi-12 war am 10. Juli 1968.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Bereits 1959 entwarf man bei Mil Konzepte für einen „Ultra-Schwerlasthelikopter“ unter dem Projektnamen W-12 oder „Isdelije 65 (Изделие 65)“. 1961 bekam das OKB den offiziellen Auftrag, einen Helikopter zu konstruieren, der ein Gewicht von 20 bis 25 Tonnen heben konnte. Dies wurde später durch die Direktive des Ministerrats ergänzt. Dieser Helikopter soll ein Ladevolumen besitzen, das dem der Antonow An-22 gleichen sollte. Dieses Ladevolumen (4,4 m hoch, 4,4 m breit und 28,15 m lang) wurde auch deshalb benötigt, um Interkontinentalraketen mit nuklearen Sprengköpfen vom Typ 8K67 (Scarp) zu transportieren. Bis zu diesem Zeitpunkt (1961) waren die Raketen mit einem Gesamtgewicht von über 20 Tonnen (unbetankt) an Eisenbahntransporte gebunden. Das machte eine feindliche Luftaufklärung der Stationierungsorte von sowjetischen Interkontinentalraketen relativ einfach. Wie fast alle technischen Konstruktionen aus der Zeit der Sowjetunion musste die W-12 aber auch Anforderungen von Großbauprojekten abdecken und in der Geoexploration einsetzbar sein. Beim Nutzwert eines solchen Helikopters, der schwere Lasten ohne Landebahn, Straßen oder Schienen über bis zu 1000 Kilometer transportieren kann, sind vor dem Hintergrund der unerschlossenen Weiten Sibiriens andere Maßstäbe anzusetzen als etwa in Mitteleuropa oder Nordamerika.

Bis 1965 arbeitete man an den Entwürfen und Modellen. Ein 1:1-Modell war zum Test der Triebwerke, Steuerung und Rotordynamik erforderlich. Die Konstruktion, die einem Eisenbahnwaggon mit zwei Triebwerken und Helikopterrotoren ähnelte, wurde zusammen mit einem weiteren 1:1-Modell für das Rumpf- und Frachtraumdesign gebaut. Diese Modelle wurden den Auftraggebern im April 1965 vorgestellt. Hierbei wurden im Frachtraummodell das Be- und Entladen mit 36 Schwerlastkriegsgeräten getestet. Nach positiver Inspektion und Auswertung der Arbeitsergebnisse wurde 1966 der Auftrag erteilt, den ersten flugfähigen Prototypen zu konstruieren. Zeitgleich begann die Flugzeugfabrik No. 292 in Saratow mit der Vorbereitung zur Serienfertigung der ersten fünf Maschinen.

Im Sommer 1967 war der erste Prototyp einsatzbereit und konnte für Flugtests verwendet werden. Jedoch kam es beim vorgesehenen Erstflug des Prototypen in Panki am 18. Juni 1967 in Gegenwart von Militärs zu einem Zwischenfall.[1] Kurz nach dem Abheben geriet der vom Cheftestpiloten Wassili Koloschenko gesteuerte Hubschrauber kurz über dem Boden in einen teilweise unkontrollierbaren Flugzustand und schlug nach 23 Sekunden hart mit dem linken Hauptfahrwerk auf dem Boden auf, wobei die beiden Reifen platzten und das Fahrgestell zusammengestaucht wurde. Der Vorfall wurde von der westlichen Presse teilweise zu einem Unfall hochstilisiert. Wie man später herausfand, waren Eigenschwingungen und Resonanzen im Cockpit und Rumpf die Ursache dafür, dass der Pilot unbeabsichtigte Steuerbewegungen nicht vermeiden konnte. Dieses Problem konnte jedoch durch Dämpfungsmaßnahmen relativ schnell behoben werden. Am 10. Juli 1968 konnte Koloschenko den ersten erfolgreichen Flug durchführen, der Tag gilt seitdem als offizielles Datum des Erstfluges. Der weitere Verlauf der Versuche gestaltete sich sehr erfolgreich, ein Zeichen für die gute theoretische Vorarbeit des Entwicklerteams. Im Dezember 1968 wurde der erste Prototyp mit der Registrierungsnummer CCCP-21142 dem Institut für Flugtests am Luftwaffenstützpunkt Schukowski zur Flugerprobung überstellt.

Nach offizieller Darstellung gab es nur zwei Prototypen. Berichten zufolge soll ein Prototyp 1969 abgestürzt sein, was die Vermutung nach der Existenz einer dritten Maschine aufkommen ließ. Ein Absturz wurde in den Medien der Sowjetunion jedoch nie offiziell bestätigt. Zwei Jahre später wurde der W-12 auf einer 3600 Kilometer umfassenden Rundreise durch mehrere europäische Staaten der Öffentlichkeit präsentiert. Zum Abschluss landete er am 26. Mai 1971 auf dem Pariser Flughafen Le Bourget, wo er auf dem 29. Aérosalon ausgestellt wurde. Der Konstrukteur Michail Mil erlebte die erfolgreiche Präsentation nicht mehr. Bereits nach dem fehlgeschlagenen Erstflug im Jahre 1967 konnte er, gesundheitlich bereits angeschlagen, die Überarbeitung des Projektes nur noch mit erheblichen Einschränkungen leiten. Mil starb schließlich am 31. Januar 1970.

Eine Serienproduktion der Mi-12 fand dann doch nicht mehr statt. Das Programm wurde 1974 eingestellt. Die Arbeiten an der Mi-12M als „Super-Ultra Schwerlasthubschrauber“ mit stärkeren Triebwerken und zwei mal sechs Rotorblättern wurden vor dem Bau des eigentlichen Prototypen beendet. Aus militärischer Sicht war der Haupteinsatzzweck des Helikopters obsolet geworden. Der Ausbau der Silogestützten Interkontinentalraketen wurde nicht weiter vorangetrieben. Die sowjetischen Streitkräfte verfügten seit 1969 über wesentlich leichtere Interkontinentalraketen vom Typen R-29 (SS-8, SS-18, SS-23) und mit dem Beginn des Jahres 1975 über Mittelstreckenraketen vom Typ RS-16 (SS-17), die von mobilen Abschussrampen (geländegängige Lastwagen), Schiffen oder U-Booten abgefeuert werden konnten. Viele der beim Bau der Mi-12 gewonnen Erkenntnisse konnten jedoch in die Entwicklung des schweren Transporthubschraubers Mil Mi-26 einfließen, die Anfang der 1970er Jahre bereits begonnen wurde. Der Mi-26 ist heute der größte Serienhubschrauber der Welt und wird noch immer gefertigt.

Technik

Die zwei Triebwerke je Rotor, die Getriebe und die Rotorblätter für die Mil Mi-12 wurden der Produktion der Mi-6 entnommen. So konnten erhebliche Kosten eingespart werden. Pro Triebwerk wurde ein eigenes Getriebe zum Antrieb des Rotorkopfes verwendet. Der größere Rotordurchmesser wurde durch die Verwendung längerer Rotorkopfschenkel (Shanks) erreicht. Es handelt sich um die einzige Doppelrotorkonfiguration, die Mil jemals gebaut hat.

Die Konstrukteure wollten die beiden Rotoren ursprünglich hintereinander anordnen, wie es damals und bis heute bei einer Reihe von US-Transporthubschraubern üblich ist (Tandem-Konfiguration). Bei dieser Anordnung sah man jedoch das Risiko, unter ungünstigen Bedingungen die heißen Abgase des vorderen Doppeltriebwerkes einzusaugen. Dies hätte zu einem plötzlichen Leistungsverlust am hinteren Doppeltriebwerk geführt und damit die Flugfähigkeit gefährdet. Daher wurde schließlich die seitliche Anordnung umgesetzt. Bei der Mi-12 handelt es sich um den bisher letzten Helikopter, der mit dieser Konfiguration gebaut wurde.

Durch die seitliche Montage der Rotoren und der Turbinen in freihängenden Gondeln, an den Enden der Tragflächen, wurde zudem eine gute Erreichbarkeit der Triebwerkskomponenten bei Wartungsarbeiten gewährleistet. Hierzu gibt es auf der Oberseite der Mi-12 eine „Dachluke“, durch die das Wartungspersonal auf die Oberseite der Maschine und auf die Tragflächen gelangen kann. Zur Ausrüstung an Bord des Hubschraubers gehören auch ein einsteckbares Geländer und die notwendigen Hängeplattformen für Wartungsarbeiten an den Triebwerksgondeln. Deren Verkleidungen lassen sich durch einen Klappmechanismus schnell öffnen.

Die Verbindungsflächen zu den Motorgondeln waren als Tragflügel mit Querruder ausgeführt, sodass sie im schnelleren Vorwärtsflug zum Auftrieb beitrugen und die Wendigkeit der Mi-12 um die Rollachse verbesserten.

Trotz der großen Dimensionen hatten die Rotorkreise in der Mitte einen überlappenden Bereich von etwa drei Metern. Um Berührungen der gegenläufigen Rotoren zu verhindern und die Getriebe zu synchronisieren und auch zur ausgleichenden Kraftübertragung, wurden beide Rotoren mit einer zentralen Welle verbunden. Durch den „Knick“ in der Tragflächenkonstruktion bedingt wurde dazu ein Wellengelenk in Form eines weiteren Getriebes im Innern des Rumpfes benötigt. Durch die zentrale Welle und die Verwendung der Doppeltriebwerke blieb die Mi-12 auch bei Ausfall von beiden Triebwerken auf einer Seite flugfähig.

Die Steuerung der Ruder und der Rotorblattanstellung übernahmen drei unabhängige hydraulische Systeme, die wiederum je aus einer Haupt- und Ersatzkomponente bestanden. Die Mi-12 war auch mit den neuesten elektronischen Entwicklungen der damaligen Zeit ausgestattet, darunter ein Wetterradar und – für einen Hubschrauber ungewöhnlich – auch einen Autopiloten.

Rekorde und Verbleib

Flugvorführung in Ost-Berlin, 1971

Mit dem Mi-12 wurden diverse Rekorde aufgestellt. Unter anderem hob die Mi-12 bereits am 22. Februar 1969 eine Rekordlast vom 31.030 kg auf 2951 m und am 6. August 1969 eine Nutzlast von 44.205 kg auf eine Höhe von 2.255 m. Theoretisch und auch praktisch konnten mit der Mi-12 in niedrigerer Höhe (größere Luftdichte) noch schwerere Lasten befördert werden. Durch „Anrollen“ des Helikopters auf der Startbahn wurde hierzu sogar der Auftrieb unter den Tragflächen genutzt. Über die bei diesen „Schwerlastexperimenten“ bewegten Nutzlasten ist jedoch nichts bekannt geworden.

Die öffentlichen Vorführungen des Mi-12, wie auch 1971 in Kopenhagen, Groningen und Le Bourget flog eine Maschine mit der Registrierungsnummer CCCP-21142/H-833. Hierbei handelte es sich um den ersten der beiden Prototypen, der sich heute auf dem Gelände der Michail-Leontjewitsch-Mil-Hubschrauberfabrik in Ljuberzy-Panki in der Nähe von Moskau befindet (55° 40′ N, 37° 56′ O55.66733333333337.932027777778).

Ein weiterer noch erhaltener Mi-12 kann im Zentralen Museum der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation in Monino (circa 50 km östlich von Moskau) besichtigt werden. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um den zweiten Prototypen. Die meisten Bilder in diesem Artikel stammen von dieser Maschine, die keine Registrierungsnummer mehr trägt; eine Schautafel gibt als Herstellungsjahr ebenfalls 1967 an.

Technische Daten

Ein Mil Mi-12 in Monino
Kenngröße Daten
Gesamtlänge: 37 m
Besatzung: 6 Personen
Passagiere: 196
Höhe: 12,50 m
Spannweite: 67 m
Rotordurchmesser: 35 m
Leergewicht: 69.100 kg
Startgewicht: 97.000 kg
Maximales Startgewicht: 105.000 kg
Nutzlast: 20.000 kg
Maximale Nutzlast: 40.000 kg
Antrieb: Vier Solowjow D-25WF Wellenturbinen
Startleistung: 4× 4048 kW (4× 5500 WPS)
Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h
Reisegeschwindigkeit: 240 km/h
Dienstgipfelhöhe: 3500 m
Flugreichweite: 1000 km

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Mil Mi-12 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweis

  1. Karl-Heinz Eyermann: Der Elefant - die doppelte Sechs in Flieger Revue 11/82, S. 506–511

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