Mockumentary

Mockumentary

Der Filmgenre-Begriff Mockumentary ist ein Kofferwort (englisch (to) mock: „vortäuschen, verspotten“ (sich mokieren) und documentary: „Dokumentarfilm“) und die Bezeichnung für einen fiktionalen Dokumentarfilm, der einen echten Dokumentarfilm oder das ganze Genre parodiert.

Eine Mockumentary tut so, als sei sie ein Dokumentarfilm, ohne tatsächlich einer zu sein. Dabei werden oft scheinbar reale Vorgänge inszeniert oder tatsächliche Dokumentarteile in einen fiktiven bzw. erfundenen Zusammenhang gestellt. Es ist ein geläufiges filmisches Genremittel für Parodie und Satire. Eine Mockumentary kann außerdem das Ziel haben, ein stärkeres Medienbewusstsein zu schaffen und Zuschauer dazu zu bringen, Medien zu hinterfragen und nicht alles zu glauben, was täglich im Fernsehen zu sehen ist.

Mockumentarys präsentieren sich z. B. oft als historische Dokumentarfilme aus bisher noch unveröffentlichtem Material mit talking heads, die vergangene Ereignisse erörtern oder als cinéma vérité Leute durch verschiedene Ereignisse zu begleiten scheinen.

Der Autor, Schauspieler und Regisseur Christopher Guest hat sich auf dieses Genre spezialisiert und bislang vier derartige Mockumentarys geschaffen. Die wohl bekannteste war This Is Spinal Tap.

Auch das relativ neue Genre der Doku-Soaps wird oft durch Mockumentary-Serien parodiert.

Nicht als Mockumentary anzusehen sind Pseudo-Dokus („Scripted Reality“), bei denen Dokumentationen nicht parodiert, sondern imitiert werden.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Merkmale

Die Darstellungen

  • nehmen Bezug auf wahre Gegebenheiten.
  • nehmen Bezug auf Gerüchte, mit denen manche Zuschauer bereits vertraut sind.
  • müssen in sich konsistent sein, es darf keine erkennbaren internen Widersprüche geben.
  • dürfen nur widerlegbare Gegenbeweise erwähnen, andere Gegenbeweise werden nicht erwähnt.
  • müssen aktuellen Klischees entsprechen.
  • müssen sich einfach und verständlich weitererzählen lassen.

Seltener angewandte Merkmale

  • Es werden Interviews mit echten und bekannten Persönlichkeiten gezeigt, aber auch Interviews mit Schauspielern, die erfundene Rollen spielen.
  • Die Interviews werden in sehr kurzen, raffiniert ausgewählten Schnipseln aneinandergefügt, sodass sie durch den anderen Kontext eine völlig neue, vom Interviewten nicht beabsichtigte Bedeutung bekommen.
  • Bei Interviews in Sprachen, die den Zuschauern fremd sind, stimmen die Untertitel oder die Synchronisation inhaltlich nicht mit den tatsächlichen Aussagen des Interviewten überein.
  • Die Präsentation vermischt authentische Ton- und Bildaufnahmen mit unwahren Aussagen, die von einer als autoritativ wahrgenommenen Erzählstimme gesprochen werden und mit abgestimmter Musik untermalt sind.

In Mockumentarys, die vorgeben eine Reportage zu sein oder reportagenartige Bestandteile enthalten, werden auch folgende Stilmittel eingesetzt

  • schlechte, wie improvisiert wirkende Ausleuchtung
  • unruhige Kamera, grobe Auflösung, um billiges Filmmaterial vorzutäuschen
  • bewusst laienhafte Darstellung seitens der Schauspieler, improvisierte Dialoge
  • schlechter Ton

Beispiele

„Schlagzeilen“

Filme

  • BBC-Bericht über die Spaghetti-Ernte (GB 1957).
  • A Hard Day’s Night (Yeah Yeah Yeah) (GB 1964), eine pseudo-dokumentarische Darstellung der Beatles zur Zeit der Beatlemania.
  • Woody, der Unglücksrabe (USA 1969), ein Film von Woody Allen, der den Lebenslauf eines unverbesserlichen Kriminellen zeigt.
  • Das Millionenspiel (BRD 1970), eine Fernsehshow, in der ein Kandidat eine Woche lang vor Auftragskillern flüchten muss.
  • Die Delegation (BRD 1970), Ausstrahlung einer als echt dargestellten UFO-Reportage eines verstorbenen Reporters.
  • F wie Fälschung (F for Fake) (USA 1975), ein Film von Orson Welles, in dem der Kunsthandel parodiert wird.
  • All You Need Is Cash (GB 1978), ein Fernsehfilm von Eric Idle, der die Geschichte der fiktiven britischen Popgruppe The Rutles angelehnt an den Werdegang der Beatles beschreibt (Fortsetzung 2002 Can't Buy Me Lunch).
  • Zelig (USA 1983), ein Film von Woody Allen, dessen Held chamäleonhaft Aussehen und Verhalten seines jeweiligen Gegenüber anzunehmen scheint.
  • This Is Spinal Tap (USA 1984), fiktive Geschichte der Hard-Rock-Band Spinal Tap.
  • Bob Roberts (USA 1992), Regie: Tim Robbins’ Beschreibung des amerikanischen Wahlkampfs 1990 des gleichnamigen Millionärs.
  • Das Fest des Huhnes (Österreich 1992), Expeditionsdokumentation über die österreichischen Ureinwohner aus der Sicht eines afrikanischen Ethnologen
  • Mann beißt Hund (Belgien 1992) Film über einen Serienmörder, angeblich von einem Reporterteam aufgenommen, das ihn bei den Morden begleitet.
  • Forgotten Silver (Neuseeland 1995), in diesem Film von Peter Jackson wird der Beginn der Filmgeschichte neu geschrieben.
  • Hard Core Logo (Kanada 1996), der Film von Bruce McDonald begleitet die fiktive kanadische Punkband Hard Core Logo auf ihrer Reunion-Tour.
  • Deckname Dennis (BRD 1996/97), Thomas Frickels Film über einen Geheimagenten, der getarnt als TV-Reporter in die lustigen, aber auch erschreckenden Abgründe der deutschen Gesellschaft blickt.
  • The Last Broadcast (USA 1998) handelt von der Legende des Teufels von New Jersey (Jersey Devil).
  • Blair Witch Project, The (USA 1999). Drei junge Filmemacher verschwinden in den Wäldern. Ein Jahr später findet man ihr Filmmaterial.
  • Citizen Cam (Island 1999), Über die Überwachungsgesellschaft, die sich mit dem fiktiven isländischen TV-Sender Humani TV befasst.
  • Gnadenlos schön, (USA 1999), Satire auf Schönheitswettbewerbe.
  • Sweet and Lowdown, (USA 1999), Film von Woody Allen über den fiktiven zweitbesten Jazz-Gitarristen der Welt Emmet Ray
  • Best in Show (USA 2000), Spielfilm von Christopher Guest, der die Hintergründe einer Hundeschau beleuchtet.
  • Can’t Buy Me Lunch (GB 2002). 25 Jahre nach All You Need Is Cash (1978) kam der zweite Teil, der die Frage stellt: Was wurde aus den Rutles?
  • Kubrick, Nixon und der Mann im Mond (Frankreich 2002), Fernsehfilm, der behauptet, die Mondlandung hätte zwar stattgefunden, die Bilder seien aber von Stanley Kubrick in London gefilmt worden.
  • www.betreuteLoecher.de (D 2002), Film über eine Lochforscherin von Helmut Schulzeck und Maria-Debora Wolf
  • The Naked Brothers Band: Der Film, (USA 2005), Film über eine sechsköpfige Kinderrockband um die Brüder Nat und Alex Wolff, geschrieben von Polly Draper
  • Borat – Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen (USA 2006), Film über einen kasachischen Fernsehreporter, der in die USA reist, um die dortigen Gebräuche und Gewohnheiten der Menschen zu studieren.
  • Electric Apricot: Quest for Festeroo (USA 2006), ist ein Film von Primus-Frontmann Les Claypool über die Jamband „Electric Apricot“ bzw. die heutige Musikkultur.
  • Behind the Mask (USA 2006), Film über die Horrorfilmproduktionen Amerikas
  • AFR – I sandhed en utrolig løgn (AFR – In Wahrheit eine unglaubliche Lüge) (Dänemark 2007), ist ein Film über die fiktive Ermordung des Ministerpräsidenten von Dänemark, Anders Fogh Rasmussen.
  • Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister (Österreich 2008), ist eine fiktive Dokumentation über den Sieg der Österreichischen Fußballnationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft 2008.
  • Die Eylandt Recherche (Deutschland/Spanien 2008), ist eine halbfiktive Kino-Dokumentation über eine Legende in Duisburg.
  • Cloverfield (USA 2008), beschreibt die durch eine Bedrohung New Yorks ausgelöste Paranoia aus Sicht einer Gruppe von Twens.
  • Die vierte Art (USA 2009), Science-Fiction-Thriller mit Elementen einer Mockumentary.
  • Der schwarze Kanal kehrt zurück (Deutschland 2009), ist ein fiktiver Historienfilm, der die Geschichte des Mauerfalls neu schreibt.
  • District 9 (USA 2009), schildert die Landung und Abreise von Aliens über Johannesburg und bedient sich über weite Strecken des Stilmittels einer fiktiven Dokumentation.
  • Thomas, Thomas (Deutschland 2010), Film über einen Stadtarchivar, der behauptet und zu beweisen versucht, dass der Betreiber eines Ayurvedazentrums ein wiedergeborener irischer Bergbaupionier sei.
  • I’m Still Here (USA 2010), Film über das Leben von Joaquin Phoenix und seine angeblich geplante Hip-Hop-Karriere.
  • Vampires (Vampire - Verstecken war gestern) (Belgien 2010). Fiktive Dokumentation des bürgerlichen Lebens einer Vampirfamilie und Sozialstudie der Vampir(parallel)gesellschaft in Belgien durch ein Filmteam. Mit Alexandra Kamp.
  • Trollhunter (Norwegen 2010), dokumentiert die Arbeit des einzigen Trolljägers von Norwegen und wie die Regierung die Existenz von Trollen zu vertuschen versucht.
  • Der letzte Exorzismus (USA 2010), begleitet einen evangelikalen Priester und Fake-Exorzisten bei seinem letzten Fall, der aber anders verläuft als erwartet.
  • Apollo 18 (USA 2011), erzählt von einer angeblich letzten, geheimen Mondlandung des Apollo-Programms.
  • Space Odyssey: Mission zu den Planeten (UK 2004), zeigt eine mögliche bemannte Mission zu den Planeten unseres Sonnensystems im Doku-Stil

Serien

  • The Office (GB 2001), in dieser britischen Fernsehserie wird vorgeblich das Leben in einem Großraumbüro der Papier-Großhandelsfirma Wernham Hogg in Slough dokumentiert
  • Stromberg (durch The Office inspiriert)
  • Reno 911!, eine Parodie auf die Polizeidokumentation COPS
  • Alles in Ordnung – Mit dem Wahnsinn auf Streife, eine Parodie auf die Polizeidokumentation Ärger im Revier
  • Die 4 daKärnten III, Mockumentary über die Wiederveinigung Österreichs mit Kärnten
  • The Naked Brothers Band - Junge Rockstars privat, (USA 2007), Mockumentary über eine Kinderrockband, die Kamera begleitet die jungen Stars überall und nimmt das Starleben mit Satire und Ironie aufs Korn.
  • Modern Family, US-amerikanische Mockumentary-Comedy mit Ed O’Neill als Familienvater Jay Pritchett
  • Pure Pwnage, eine ehemals Internet- jetzt TV-Serie, die das Leben eines Pro-Gamers parodisiert.
  • Come Fly with Me (GB 2010), Britische Comedy mit Matt Lucas und David Walliams über die Menschen auf einem fiktionalen Flughafen.
  • Schlawiner (Österreich 2011)

Literatur

  • Cassady, Charles L 2005.: Videohounds Reality Check: Documentaries, Mockumentaries and Related Films.
  • Hißnauer, Christian 2010: MöglichkeitsSPIELräume. Fiktion als dokumentarische Methode. Anmerkungen zur Semio-Pragmatik fiktiver Dokumentationen. In: MEDIENwissenschaft 1/10.
  • Sextro, Maren 2009: Mockumentaries und die Dekonstruktion des klassischen Dokumentarfilms. In: Berliner Schriften zur Medienwissenschaft, Nr. 10. Berlin. Online: http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2010/2600/pdf/2199_Final_Sextro.pdf
  • Roscoe, Jane/Hight, Craig 2001: Faking it. Mock-documentary and the subversion of factuality. Manchester/New York.
  • Rhodes, Gary D. (Hg.) 2006: Docufictions. Essays on the intersection of documentary and fictional filmmaking. Jefferson, NC: McFarland.

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