Doku-Soap

Doku-Soap

Als Doku-Soap (deutsch Dokumentar-Seifenoper) bezeichnet man eine Form des Reality-TV (deutsch Wirklichkeits-Fernsehen), in der die gezeigten ("dokumentierten") Personen in dramatisch inszenierter, unterhaltender Weise dargestellt werden.[1]

Im strengen Sinne handelt es sich um eine Art Dokumentarfilm, die Familien in außergewöhnlichen Situationen begleitet wie einem Umzug ins Ausland, oder jede Folge unterschiedliche Personen zeigt bei einem gleichbleibenden Grundthema wie Erziehung, finanzielle Schieflage oder Renovierung. Die Fernsehsender bezeichnen allerdings auch so genannte „Scripted Reality“ (frei: „Realität nach Drehbuch“) als „Doku-Soap“, die große Ähnlichkeit zu klassischen Doku-Soaps aufweist, jedoch einem Drehbuch folgt und von Laiendarstellern inszeniert wird.

Doku-Soaps vermischen vorgeblich Unterhaltung mit Information und sollen daher Vertreter des Infotainment (deutsch: informierende Unterhaltung) oder Edutainment (deutsch: erziehende Unterhaltung) sein. Wie bei den namensgebenden Seifenopern oder täglichen Talkshows stehen aber in der Regel Emotionen im Vordergrund, Probleme und Konflikte, die oft künstlich herausgehoben werden. Bei den meisten Vertretern des Formats ist dadurch ein informativer, lehrender Effekt oft nicht vorhanden.

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Folgende Eigenschaften sind für Doku-Soaps typisch:

  • Konzentration auf wenige Personen (als Identifikationsfiguren für den Zuschauer)
  • Beobachtung von „alltäglichen“ Menschen in außergewöhnlichen Situationen
  • hohe Emotionalität, weniger oder gar kein dokumentarischer Anspruch, keine Rücksicht auf Tatsachenverfälschungen im Schnitt oder bei den Kommentaren
  • keine journalistische Wertung des Geschehenen
  • Erhöhung des Wiedererkennungsfaktors durch einprägsames Erscheinungsbild
  • Spannungsbögen über das Ende einer Folge oder eine Werbe-Unterbrechung hinaus („Cliffhanger“)

Bei Doku-Soaps werden häufig Techniken zur Emotionalisierung und Personalisierung im Sinne von Affektfernsehen eingesetzt. Die Stützung auf die angebliche Realität verleiht den präsentierten Geschichten mehr Glaubwürdigkeit und Plausibilität. Prinzipiell kann jedes Ereignis fiktionalisiert werden. Sehr beliebt sind vor allem Ereignisse, die an einen bestimmten Ort, eine bestimmte Notsituation oder eine bestimmte Personengruppe gebunden sind. [2]

Abgesehen davon, dass die Präsenz einer Kamera im privaten Bereich oder bei der Ausübung von Berufen mit Publikumsverkehr immer Einfluss auf die Agierenden hat, wird die Situation bei vielen Doku-Soaps zum Teil auch gezielt beeinflusst oder übertrieben dargestellt. Manchmal werden einzelne Situationen auch nachgestellt oder gefälscht, beispielsweise durch falsche Kommentare des Sprechers zu einer Szene.

Grundtypologie

Unterschieden werden Doku-Soaps nach vier Grundtypen, von denen es weitere Vermischungen und thematische sowie stilistische Durchdringungen gibt:[3]

  • Sozial-normative Konditionierung: Personen mit norm-abweichenden Verhalten werden resozialisiert, indem sie in die Gesellschaft oder der Familie zurückgeführt werden. Beispiele sind Die Super Nanny, Das Erziehungcamp oder Teenager außer Kontrolle.
  • Isolation und Bewährung: Personen oder Personengruppen werden in einer fest begrenzten Umgebung über einen begrenzten Zeitraum von ihren Herkunftsbindungen und -orten isoliert, in der sie sich durch soziales Selbstmanagement unter Beobachtung des Publikums behaupten müssen, von dessen Gunst ihr Verbleib (und damit ein Gewinn) abhängen kann. Sie müssen sich hierbei sozialen und psychischen Extremsituationen stellen. Beispiele sind Big Brother, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! oder Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus.
  • Transformation: Die Protagonisten werden in einem bestimmten für sie prägenden Lebensabschnitt filmisch begleitet. Dies können Umzüge, Diäten, Renovierungen oder Auswanderungen sein. Bekannte Beispiele sind Einsatz in vier Wänden oder Jedes Kilo zählt – Eine Insel wird schlank.
  • Unbekanntes Alltägliches: meist bereits feste Gruppen von Personen werden filmisch beobachtet, um Einblick in den (vermeintlich) authentischen Alltag zu gewinnen. Ziel sind Familien oder Institutionen. Beispiele sind Die Fussbroichs oder Die Ludolfs – 4 Brüder auf’m Schrottplatz.

Als Beispiel für eine Vermischung dieser Aspekte kann man Rach, der Restauranttester nennen. Hier bot man vor allem in den ersten Staffeln Einblicke hinter die Kulissen der Gastronomie (unbekanntes Alltägliches). Teilweise stehen auch Renovierungsaktionen im Vordergrund (Transformation) oder es wird ein Konditionierungsproblem (Mentalität des Gastronomen) behandelt.

Rollen/Figuren

Bei Doku-Soaps werden gerne stereotype Vertreter von Berufsgruppen und Durchschnittsbürger in Problemsituationen thematisiert. Die Personen, die in einer solchen Serie mitspielen, sollen oftmals auch im echten Leben dem Typ der gespielten Rolle entsprechen.[4]

Der hohe Emotionalisierungsgrad bei Doku Soaps bedingt oftmals extreme, mitunter vollkommen unrealistische Stereotypen oder Handlungsweisen. Je nach Sendung wird auch gezielt versucht Personen zusammen zu bringen, die einem Ideal entsprechen, und dem Gegenteil dazu, Personen mit denen sich die Zuschauer identifizieren können oder ihnen sympathisch sind, und Personen, die durch ihre Darstellung Hass, Abscheu oder Schadenfreude der Zuschauer auf sich ziehen.

Abgrenzung von anderen Gattungen

Scripted Reality (Pseudo-Doku)

Obwohl sie sich auf den ersten Blick ähneln, sind Doku-Soaps von der Scripted Reality oder Pseudo-Dokus zu differenzieren. Dennoch bezeichnen die Fernsehsender viele dieser Serien irreführend als „Doku-Soaps“ (z. B.: „Unser Block“ rsp. „Laguna Beach“ auf VIVA bzw. „Die Autohändler“ oder „Familien im Brennpunkt“ auf RTL).[5] Auch in der Literatur wird diese Trennung nicht immer vorgenommen, sondern es werden häufig beide Begriffe synonym verwendet.

Wesentliche Unterschiede sind [6]:

  • Der dokumentarische Stil wird lediglich vorgetäuscht und durch einen kurzen Hinweis erklärt: „Alle handelnden Personen sind frei erfunden“,
  • Die handelnden Personen werden meist von gecasteten Laiendarstellern gespielt,
  • Alle Personen agieren nach einem Drehbuch,
  • Die Authentizität einer voyeuristischen Reportage wird inszeniert,
  • Die frei erfundenen Geschichten bilden häufig real existierende Vorurteile ab.

Kritisiert werden unter anderem Formate wie etwa Entscheidung am Nachmittag, Mitten im Leben oder Unterm Hammer in einer Ausgabe von Panorama mit dem Titel „Das Lügenfernsehen“.[7] Unter anderem sagte der medienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Börnsen: „Wir können es uns nicht leisten, nur durch ein Schlichtprogramm zu informieren.“ Der ehemalige Bundesminister Christian Schwarz-Schilling forderte eine „klare Kennzeichnung von Fiktion im Informationsprogramm“. Christian Körner, Sprecher des Fernsehsenders RTL, verwies dagegen darauf, dass diese Sendungen am Nachmittag klar als Unterhaltung ausgewiesen würden.[8]

Reality-Shows

Doku-Soaps unterscheiden sich von Reality-Shows (Realityshows) dadurch, dass bei Reality-Shows bewusst eine unnatürliche Situation erzeugt wird, z. B. viele verschiedene Menschen unter schwierigen Bedingungen auf engstem Raum. Häufig wird bei Reality-Shows eine formatbedingte Konkurrenzsituation unter den Teilnehmern geschaffen.

Vertreter

Deutschland

  • ZDF
    • Babystation (21 Folgen 2007, produziert durch Spiegel TV, über das Perinatalzentrum der Asklepios-Klinik Altona)
    • Kleine Familie sucht große Liebe
    • Tierische Kumpel
    • Dresdner Schnauzen

Doku-Soap-Elemente haben auch die ZDF-Kochsendungen Die Küchenschlacht und Lafer, Lichter, Lecker.

Österreich

  • ATV
    • Betrogen! Ich hab’s geahnt (Synchronisation einer amerikanischen Doku-Soap)
    • Das Geschäft mit der Liebe – Frauen aus dem Osten
    • Der Putztrupp
    • Die Lugners
    • Die Skilehrer
    • Die Super Nannys
    • Lugners go USA
    • Saturday Night Fever – Die Clique
    • Saturday Night Fever – So feiert Österreichs Jugend
    • Tausche Familie
    • Teenager werden Mütter
    • Bauer sucht Frau

Schweiz

  • Schweizer Fernsehen
    • Die Pfahlbauer von Pfyn
    • Leben wie zu Gotthelfs Zeiten
    • Airline (6 Folgen)
    • Everest (7 Folgen, 2003)
    • Match (7 Folgen, 2006)
    • Rekrutenschule (6 Folgen)
    • Tierspital (7 Folgen)
    • Zirkus (6 Folgen)
    • Zoo (6 Folgen, 2004)
    • Das Internat – Schule wie vor 50 Jahren (2004)

Dokumentationen

Literatur

  • Faulstich, Werner: „Grundkurs Fernsehanalyse“. Wilhelm Fink, Paderborn 2008
  • Godmilow, Jill/Shapiro, Ann-Loiuse 1997: How Real is the Reality in the Documentary Film? In: History and Theory Vol. 36, Nr. 4, 1997. S. 80–101.
  • Hißnauer, Christian: Living history – Die Gegenwart lebt. Zum Wirklichkeitsbezug des Geschichtsformates. In: Harro Segeberg (Hg.): Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien. Schüren-Verlag, Marburg 2009. S. 120–140
  • Rhodes, Gary D. (Hg.) 2006: Docufictions. Essays on the intersection of documentary and fictional filmmaking. Jefferson, NC: McFarland.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. docu-soap. The Free Dictionary, abgerufen am 28. Mai 2011 (englisch).
  2. Werner Faulstich: „Grundkurs Fernsehanalyse“. Wilhelm Fink, Paderborn 2008; S. 138
  3. Nils Borstnar, Eckhard Pabst, Hans Jürgen Wulff: Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, UTB, Stuttgart 2008, S. 45. hier online
  4. Werner Faulstich: „Grundkurs Fernsehanalyse“. Wilhelm Fink, Paderborn 2008; S. 139
  5. a b c d e Artikel über Scripted Reality Sendungen bei RTL, Vox und Pro7 auf frogged.de
  6. Der produzierte Prolet Zeit Online vom 9. August 2010
  7. Das Lügenfernsehen, Panorama vom 7. Juli 2011
  8. Die falsche Debatte über das "Lügenfernsehen", DWDL.de vom 7. Juli 2011

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