- Muna Urlau
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Die Munitionsanstalt Urlau (kurz: Muna Urlau) in Urlau, einem Ortsteil von Leutkirch im Allgäu war ein Lager für Munition und chemische Waffen und zur Herstellung von Granaten im Zweiten Weltkrieg. Später wurde die Anlage von der Bundeswehr und den US-amerikanischen Streitkräften als Munitions- und Raketenlager genutzt. Die Muna Urlau wurde Ende September 2007 von der Bundeswehr offiziell außer Dienst gestellt und bis Ende des Jahres 2007 vollständig geräumt. Anschließend wird auf dem baden-württembergischen Teil der Anlage ein großes Sägewerk entstehen.[1]
47.78380310.065439Koordinaten: 47° 47′ 1,7″ N, 10° 3′ 55,6″ O
Land Baden-WürttembergInhaltsverzeichnis
Lage
Das Gelände der Munitionsanstalt liegt östlich des Leutkircher Ortsteils Urlau an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern im sogenannten Urlauer Tann, gut 700 Meter über Normalnull. Die Anlage erstreckt sich über etwa 186 Hektar, wovon 153,5 Hektar auf baden-württembergischem und 32,5 Hektar auf bayerischem Gebiet liegen. Das Gelände ist durch eine Vielzahl von Bunkern, die teilweise bereits eingestürzt sind, wobei auch viele noch sehr gut erhalten sind und einem Straßennetz von rund 17 Kilometern Länge erschlossen. In Urlau bestand bis in die 1990er Jahre ein Verladebahnhof (47° 46′ 60″ n. Br., 10° 02′ 36″ ö. L. ), über den ein Bahnanschluss nach Leutkirch möglich war. Nachbarort auf bayerischem Gebiet ist Frauenzell, auf baden-württembergischer Seite die Leutkircher Ortsteile Friesenhofen, Allmishofen und Urlau.[2].
Die Muna im Zweiten Weltkrieg
Nach der Enteignung von 83 Bauern aus umliegenden Gemeinden, denen Teile des Geländes damals gehört hatten, wurde ab 1939 die Munitionsanstalt betrieben. Zunächst wurden in unterirdischen Bunkern etwa 20.000 Tonnen konventionelle Munition gelagert. Außerdem wurden vom Kriegshilfsdienst, vom Reichsarbeitsdienst, von Zwangsarbeitern und russischen Kriegsgefangenen Granaten für die deutsche Wehrmacht hergestellt. Ab 1943 wurden dann aus ganz Deutschland Giftgasgranaten und chemische Kampfstoffe, die für die nationalsozialistische Alpenfestung bestimmt waren, nach Urlau gebracht und dort mangels Lagerraum teilweise sogar offen und oberirdisch gelagert. Gelagert wurden in Urlau unter anderem die Kampfstoffe Sarin, Tabun, Phosgen, Adamsit und Senfgas (Lost). Die Vielzahl und Menge der Kampfstoffe, die in Urlau kaum geschützt gelagert waren, hätten bei zwei Anlässen beinahe zu einer großen Katastrophe geführt. Bei vereinzelten französischen Luftangriffen, welche von den Franzosen später als „Disziplinlosigkeit Einzelner“ bezeichnet wurden, wäre es beinahe zu einer Explosion der gelagerten Stoffe gekommen, diese wäre in ihrer Heftigkeit wohl mit den Atomexplosionen in Hiroshima und Nagasaki vergleichbar gewesen. Die Muna Urlau verfügte über keine eigene Luftabwehr und war auf den Schutz durch Abfangjäger aus Memmingerberg, vom heutigen Allgäu Airport, damals noch ein militärischer Flughafen, angewiesen. Ein zweites Mal standen die Waffen- und Giftgasvorräte in Urlau kurz vor der Explosion: Am 19. März 1945 erließ Adolf Hitler den sogenannten Nerobefehl, im Zuge dessen alle militärische Infrastruktur in Deutschland vollständig vernichtet werden sollte, damit sie nicht dem Feind in die Hände fiele. Viele deutsche Militärs scheuten aber die Sprengung der Giftgasvorräte, um den Alliierten keinen Anlass für einen Gegenschlag mit Giftgas zu geben. Hin- und hergerissen zwischen seiner Überzeugung, die Kampfstoffe nicht sprengen zu dürfen und dem Befehl des Führers, dem er Folge zu leisten hatte, und dessen Ausführung von nationalsozialistischen Eiferern, darunter dem Gauleiter Wilhelm Murr gefordert wurde, entschied sich Anstaltskommandant Major Günther Zöller, die gefährlichen Stoffe nicht zur Explosion zu bringen. Zöller wurde von den nationalsozialistischen Machthabern im Falle der Befehlsverweigerung mit der Hinrichtung gedroht, weswegen er zum Schein falsche Sprengtermine verbreiten und immer wieder verlegen ließ. An die Bevölkerung wurden Gasmasken und Gasbettchen für Kleinkinder verteilt, Panik und Massenflucht aus den Weilern der Umgebung waren die Folgen. Zöller folgte, anstatt die Sprengung auszuführen, einer umstrittenen Ausführungsbestimmung zum Führerbefehl durch den Leiter des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, der empfohlen hatte, chemische Kampfstoffe nicht zu sprengen, sondern im Meer zu versenken. Trotz in weiten Teilen bereits zerstörter Infrastruktur konnte Zöller mehrere tausend Tonnen der Kampfstoffe per Bahn an die Ostsee transportieren lassen, wo sie im Kleinen Belt versenkt wurden und dort bis heute die Fischbestände schädigen. Das Allgäu jedoch wurde so vor einer Katastrophe bewahrt. Zöller schickte den einrückenden Franzosen den Toxikologen Dr. Friedrich Jung mit einer weißen Fahne entgegen und übergab ihnen die Muna mitsamt verbliebenen 10.000 Tonnen Kampfstoffen und den vorbereiteten Sprengladungen am 28. April 1945. Die Franzosen setzten Zöller daraufhin als Hilfsmajor bei der Entsorgung der verbliebenen Giftstoffe ein, die zum größten Teil in der Nord- und Ostsee versenkt wurden.[3][4][5][6]
Nachkriegszeit
Nach dem Abzug der Franzosen klagten einige der 1939 enteigneten Bauern auf Rückgabe ihres Landes, ihre Klage wurde jedoch vom Bundesgerichtshof abgewiesen. Die Muna war von 1945 bis 1960 als kampfmittelverseuchtes Sperrgebiet deklariert. Im Zuge der Wiederbewaffnung übernahm die Bundeswehr das Gelände 1959 und richtete in den vorhandenen Bunkern ein Munitionsdepot ein, das 1961 in Betrieb genommen wurde. In den 1960er Jahren wurde dieses zeitgleich auch von der US-Armee als Raketen- und Munitionslager und zu streng geheimen Zwecken genutzt. Bis in die 1990er Jahre rollten immer wieder Munitionszüge durch Leutkirch, insbesondere während des ersten Golfkrieges. Die sich hartnäckig haltenden Gerüchte, in Urlau seien US-amerikanische atomare Sprengkörper gelagert, wurden nie bestätigt.
2007 gab die Bundeswehr den Standort Urlau endgültig auf, auf den Gleisanschluss hatte man bereits Jahre zuvor verzichtet[4][6].
Heutige Nutzung
Auf dem baden-württembergischen Teil des Geländes der ehemaligen Munitionsanstalt soll in den kommenden Jahren ein Gewerbegebiet entstehen, das vor allem ein großes Sägewerk und ein Blockheizkraftwerk beherbergen soll. Dagegen protestieren einige Anwohner, weil sie unnötige Umwelt- und Lärmbelästigungen erwarten.[4][1][7] Um die Einrichtung eines Gewerbegebietes auf dem Muna-Gelände zu verhindern und insbesondere der zu erwartenden Belastungen durch stark steigendes Verkehrsaufkommen entgegenzuwirken, haben betroffene Bürger die Interessengemeinschaft Hart an der Grenze (auch: Interessengemeinschaft Muna Urlau) gegründet. Die Änderung des Bebauungsplans konnte diese jedoch nicht verhindern[8]. Bei einem Bürgerentscheid[9] am Sonntag, dem 13. Januar 2008 stimmten die Leutkircher Bürger mit 6.372 Stimmen (61,3 Prozent der abgebenenen Stimmen) für das Industriegebiet zur Ansiedlung des Großsägewerks.[10]
Literatur
- Gebhard Blank, Bettina Kahl, Mathias Hufschmid: Die Geschichte der Muna Urlau. Heimatpflege Leutkirch. ISBN 978-3000227486
Einzelnachweise
- ↑ a b Schwäbische Zeitung: Die "Muna" in Urlau ist jetzt Vergangenheit. 27.09.2007.Hier abrufbar
- ↑ IG Muna Urlau - allgemeine Informationen
- ↑ Gebhard Blank, Bettina Kahl, Mathias Hufschmid: Die Geschichte der Muna Urlau.
- ↑ a b c Bernd Guido Weber: Als Major Zöller das Allgäu vor Giftgas rettete. In: Schwäbische Zeitung, 31. Oktober 2007
- ↑ Arbeitskreis Muna Urlau
- ↑ a b Infoseiten der IG Muna Urlau
- ↑ Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Tübingen
- ↑ IG Muna Urlau
- ↑ Christian Klose: Geplantes Großsägewerk spaltet die Leutkircher. In: Schwäbische Zeitung, 11. Januar 2008
- ↑ Abstimmungsergebnis auf www.leutkirch.de
Weblinks
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