Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik

Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik

Die Nachfragepolitik (auch nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik) geht davon aus, dass das Gesamtwirtschaftliche Angebot und damit auch die Höhe der Produktion und der Grad der Beschäftigung von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bestimmt wird. Sie steht damit im direkten Gegensatz zum Sayschen Theorem und der Angebotspolitik.

Inhaltsverzeichnis

Theoretische Grundlagen

Die Nachfragepolitik greift auf die theoretischen Grundlagen von John Maynard Keynes zurück und wird daher auch Keynesianismus genannt. Unter dem Eindruck des Börsencrashs von 1929 entwickelte Keynes die These, dass es zwar auf den Märkten durchaus eine Tendenz zum Gleichgewicht gebe, sich dieses aber auch als Gleichgewicht von niedriger Produktion, fehlender Investition und hoher Unterbeschäftigung einstellen kann. Bei rückläufiger Konsumnachfrage der privaten Haushalte stellten die Unternehmen mangels positiver Renditeerwartungen die Investitionen ein, was einen weiteren gesamtgesellschaftlichen Nachfrageausfall bewirke. Um der Verunsicherung der Märkte entgegenzuwirken seien permanente und langfristige Investitionen des Staates nötig.

Nachfragepolitik ist nicht identisch mit antizyklischer Konjunkturpolitik. Die Stabilisierung des Konjunkturzyklus kann sowohl durch nachfrage- als auch durch angebotsorientierte Maßnahmen versucht werden. Überlegungen, die Nachfrage durch ein Deficit Spending des Staates anzukurbeln, wurden des Öfteren scharf kritisiert.

Maßnahmen

Die Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch Erhöhung der Konsumausgaben kann durch folgende Maßnahmen erfolgen:

  • Unterstützung privater Haushalte durch Lohnsteuerentlastungen oder Zuschüsse
  • Erhöhung der Investitionen des Staates
  • Erhöhung der Ausgaben des öffentlichen Sektors
  • verbrauchsfördernde Rahmenbedingungen

Situation in Deutschland

Nach der ordoliberalen Phase der Sozialen Marktwirtschaft begann in der Bundesrepublik Deutschland eine Phase der keynesianischen Globalsteuerung. [1] Diese Politik wurde im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahre 1967 gesetzlich verankert.

Ein typischer Vertreter der Nachfragepolitik in Deutschland war Helmut Schmidt, der in seiner Zeit als Bundeskanzler mehrere Konjunkturprogramme zur Ankurbelung der schwächelnden Wirtschaft beschloss. In den 70er Jahren folgten viele europäische Regierungen der Nachfragepolitik. In den 80er Jahren wurde in der BRD wieder stärker auf eine angebotsorienterte Wirtschaftspolitik gesetzt. [2]. Im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung ("Die 5 Wirtschaftsweisen") vertrat 2007 nur noch Peter Bofinger teilweise nachfrageorientierte Positionen. Im Herbstgutachen 2008 „Die Finanzkrise meistern - Wachstumskräfte stärken“ finden sich aber wieder zum Teil nachfragepolitische Empfehlungen:

  • Es sollen deutliche Impulse zur Stärkung der internen Wachstumskräfte und der Binnennachfrage gesetzt werden.
  • Die EZB soll Zinssenkungsspielräume nutzen.
  • Die Fiskalpolitik soll im Rahmen der „Goldenen Regel der Finanzpolitik“ Investitionen kreditfinanzieren.
  • Solange die Produktionslücke im negativen Bereich sei, könnten auch Bildungsausgaben über staatliche Kredite finanziert werden.

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise ab 2007 wird staatliche Nachfragepolitik in der gegenwärtigen Lage wieder zunehmend als dringlich eingestuft.[3]

Kritik an der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik

Kritiker weisen auf die inflationstreibenden Aspekte von Geldpolitik hin. Defizitfinanzierte Fiskalpolitik könne über steigende Zinssätze zur Schwächung der privaten Investitionstätigkeit führen (Crowding-out). Außerdem könne der Staat erst mit einer Zeitverzögerung auf einen konjunkturelle Rückgang reagieren, so dass die Wirtschaft möglicherweise schon wieder im Aufschwung sei, bevor die Maßnahmen wirksam würden. Statt antizyklisch zu wirken, würden die Zyklen noch verstärkt.

Ferner werden gegen die Nachfragetheorie Kreislaufüberlegungen angeführt: Eine Erhöhung der staatlichen Nachfrage geht zu Lasten privater Ersparnis, die ihrerseits über das Bankensystem Investitionen finanziert. Nachfragepolitik verändere daher eher die Struktur als die Gesamthöhe der aggregierten Nachfrage. Vielmehr sei die inländische Nachfrage stets durch die inländische (reale) Geldmenge gegeben - multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Modernere Formen der Nachfragetheorie knüpfen deshalb eher an die Möglichkeiten der Zentralbank an, die reale Geldmenge zu erhöhen. Da die Zentralbank jedoch allenfalls die nominale Geldmenge steuern kann, hängt die Wirksamkeit von Geldpolitik entscheidend davon ab, wie schnell das Preisniveau auf Änderungen der nominalen Geldmenge reagiert. In neukeynesianischer Sicht gibt es kurzfristig wirksame Preisstarrheiten, die eine Beeinflussung der Nachfrage mit geldpolitischen Mitteln möglich erscheinen lassen. Nach neoklassischer Auffassung passen sich Preise neuen Gegebenheiten hinreichend schnell an; zudem bestehe die Gefahr, dass inflationäre Erwartungen entstünden. Dadurch könnten die Preise stärker ansteigen als aufgrund der nominalen Geldmengenänderung eigentlich gerechtfertigt, so dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage falle statt steige.

Aus politökonomischer Sicht wird kritisiert, dass es schwieriger sei, bei konjunktureller Besserung eine Senkung der Staatsausgaben politisch durchzusetzen als sie in wirtschaftlich schlechteren Zeiten zu erhöhen. Da diese Erhöhung in der Regel durch eine erhöhte Nettokreditaufnahme finanziert werde, komme es langfristig zu einer immer höheren Staatsverschuldung. Dies habe mit dem "Kurzfristdenken" der Politiker zu tun, die ihr Handeln weniger an der allgemeinen Wohlfahrt als an ihren Wiederwahlchancen ausrichteten.

Außerdem ist es nach Meinung der Gegner der Nachfragepolitik für den Staat sehr kompliziert, überhaupt auf Strukturveränderungen in der Weltwirtschaft zu reagieren. Da die Folge einer solchen Strukturveränderung meist Absatzprobleme einzelner Industriezweige sind, sollten diese Branchen von alleine reagieren und sich anpassen (Produktvielfalt erhöhen, Stellenabbau). Würde der Staat hier aber eingreifen, komme es zu strukturverzerrenden Wirkungen und einer Verzögerung nötiger Anpassungsprozesse, was die Probleme nur vergrößere.

Literatur

  • Peter Bofinger: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Pearson, München 2007
  • Peter Bofinger: Wir sind besser, als wir glauben. Wohlstand für alle, Pearson, München 2005

Einzelnachweise

  1. Jürgen Pätzold: Soziale Marktwirtschaft
  2. Paetzold
  3. Z.B. „Gleichwohl erweist sich eine staatliche Nachfragepolitik in der gegenwärtigen Lage als dringlich. Die Tatsache, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten unangemessen angewendet wurde, ist kein ernsthaftes Gegenargument.“ Michael Hüther: „Drei Maßnahmen gegen den Absturz“ in: iwd, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Jg. 35, 1. Januar 2009.

Weblinks


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