Nanni Moretti

Nanni Moretti
Nanni Moretti bei der Vorstellung seines Films Habemus Papam bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2011

Nanni Moretti (* 19. August 1953 in Bruneck, Südtirol, Italien) ist ein italienischer Filmregisseur, Filmproduzent und Schauspieler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nanni Moretti wurde in Bruneck (Brunico) in Südtirol geboren, wo seine Eltern im Urlaub waren. Seine Jugend verbrachte er in Rom, wo er auch seine großen Leidenschaften entwickelte: Politik, Wasserball und das Kino. Nanni Moretti ist mit Silvia Nono verheiratet, Enkelin von Arnold Schönberg und Tochter von Luigi Nono.

Nach dem Besuch des Gymnasiums schrieb er sich 1973 für den Studiengang "DAMS" (danza, arte, musica e spettacolo) an der Universität Bologna ein. In dem Jahr drehte er auch in Rom mit seiner ersten Super-8-Kamera, die er sich durch den Verkauf seiner Briefmarkensammlung leisten konnte, seine ersten Kurzfilme, in denen er zusammen mit Freunden auftrat. Für das Regisseursduo Paolo Taviani und Vittorio Taviani arbeitete er an einem Drehbuch mit und spielte eine kleine Rolle in dem Film Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr (1977). Sein erster (auf Super 8 gedrehter) Langfilm (Io sono un autarchico) entstand 1976 und war 1978 auf diversen Filmfestivals (u.a. Berlin als "Ich bin ein Autarkist") zu sehen, gefolgt von der ebenso selbstironischen auf 16 mm gedrehten Komödie Ecce Bombo (Die Nichtstuer; 1978), die bereits ein großer Überraschungserfolg wurde und auf dem Filmfestival von Cannes lief. Der Film handelte von einer Gruppe junger Intellektueller in Rom, denen ein rechtes Ziel im Leben fehlte. Auffällig in diesem und den folgenden Filmen waren die einfallsreichen, oft widersinnigen Dialoge, offene Gesellschaftskritik und die bewusste Abwendung von diversen italienischen und ausländischen Populärfilmkonventionen sowie von Klischees. Moretti spielte in seinen Filmen bis 2001 jeweils die Hauptrolle, auf die er gelegentlich ironisch überspitzt gewisse eigene Charakterzüge übertrug. Die Drehbücher schreibt er jeweils allein oder in Zusammenarbeit mit Kollegen. Ein Markenzeichen von Morettis Filmen war bis 2001 auch die einfühlsame, aber unsentimentale Musik von Nicola Piovani.

Mit Ecce Bombo in Italien bereits zu einem Star avanciert, ließ er sich mit seinem nächsten Film Zeit, für den nun auch Geld für Kulissen zur Verfügung stand, und drehte bewusst den schwierigeren Film Sogni d'oro (Goldene Träume; 1981), der nicht an den Vorgänger anknüpfte und dann auch wenig erfolgreich war, wohl aber den Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig erhielt. Der dritte Spielfilm Bianca (dto.; 1984) zeigte einen weiter gereiften Moretti in der Rolle eines jungen Lehrers, der sich in eine Kollegin verliebt und derweil unter Mordverdacht gerät. Auch dies war eine Komödie, jedoch unterlag der Handlung diesmal deutlicher als zuvor ein Plot inklusive einem Überraschungsende. Der Film La messa è finita (Die Messe ist aus; 1985) war Morettis erstes Drama, in dem er die Übertreibung seiner Komödien nun in den Dienst einer grundsätzlich ernsten Handlung stellte. Moretti trat hier als junger Priester auf, der schmerzhaft erfährt, dass seine Aufgabe in einer gewandelten Gesellschaft sehr herausfordernd ist. Im Zentrum standen Konflikte mit alten Freunden der 68er-Bewegung und Familienmitgliedern. Der Film erhielt bei der Berlinale 1986 den silbernen Bären.

Moretti ordnet sich selbst politisch klar links ein und ist aus dieser Warte heraus gesellschaftskritisch, war aber auch mit der Politik der Linksparteien nicht zufrieden. In Palombella rossa (Wasserball und Kommunismus; 1989) spielte Moretti einen unter Amnesie und Verwirrung leidenden Politiker sozialistischer Gesinnung, den in Form diverser Gastfiguren die Vergangenheit einholt, während er an einem Wasserballturnier teilnimmt. Im Gegensatz zu den früheren Filmen hatte Moretti diesmal größtenteils in Sizilien gedreht, wo die Freibad-Kulissen aufgebaut worden waren. Für La cosa von 1990 filmte Moretti über Monate politische Debatten der Kommunistischen Partei Italiens mit, die nach dem Mauerfall eine neue Richtung suchte. Das Wirrwarr der Stimmen und Köpfe blieb unkommentiert. 1991 eröffnete er ein Programmkino in Rom, das sich bislang halten konnte. Mittlerweile produzierte Moretti auch Filme junger Regisseure und nahm gelegentlich Rollen in deren Filmen an. Sein nächster eigener Film mit dem Titel Caro diario (Liebes Tagebuch...; 1993) erschien 1994 und wurde ein internationaler Erfolg. Er setzte sich aus drei Episoden zusammen, die alle autobiographisch angehaucht waren, von denen aber der dritte, so exakt wie möglich nachgestellt, Morettis Erlebnisse mit Doktoren dokumentierte, von denen er aufgrund eines Leidens diverse aufgesucht hatte. Dafür gewann er die Auszeichnung für die beste Regie bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1994.

In dem an den Vorgänger erinnernden Film Aprile (dto.; 1998) dokumentierte Moretti Vaterfreuden und berichtete halbfiktiv von seinen Bemühungen, einen Dokumentarfilm über die politische Situation und die Medien in Italien zu machen. Etwas in der Art war unter dem Titel L'unico paese al mondo 1994 erschienen, ein von Moretti mitorganisierter Episodenfilm mehrerer Regisseure, der Morettis erste filmische Notiznahme von Silvio Berlusconi enthielt. Aprile ging noch einmal auf Berlusconis 1996 verlorene Wahl ein und feierte den vorläufigen Sieg der Linken. Mit dem in Ancona entstandenen Familiendrama Das Zimmer meines Sohnes (La stanza del figlio; 2001) gewann Moretti bei den Internationalen Filmfestspiele von Cannes 2001 die Goldene Palme. In diesem bereits länger geplanten Projekt, das Moretti wegen der Geburt seines Kindes zurückgestellt hatte, ging es - sehr ehrlich und mutig erzählt - um den Umgang einer heilen kleinbürgerlichen Familie mit dem unerklärlichen Unfalltod des Sohnes. Moretti spielte hier den als Psychoanalytiker tätigen Vater. Anders als die früheren Filme, war dieser frei von Übertreibungen, Scherzen und dem Spiel mit der Autobiografie.

Im Jahr 2001 gehörte Moretti zu den Organisatoren der "Girotondo"-Bürgerversammlungen gegen Berlusconi. Seit 2003 hat sich Moretti zunehmend politisch engagiert, wobei er sich wie erwartet gegen die Vorgehensweisen Berlusconis aussprach und von den linken Parteien forderte, ein brauchbares Alternativprogramm zu erarbeiten sowie die Bevölkerung hinter sich zu bringen. Moretti war in dieser Zeit aus den italienischen Fernsehnachrichten kaum wegzudenken. In New York City entstand während einer Pressereise der Kurzfilm The Last Customer.

Moretti im Dezember 2007

Ende März 2006, zwei Wochen vor den Parlamentswahlen, kam der Film Il Caimano (Der Italiener) in die italienischen Kinos, in dem er in Zusammenarbeit mit anderen Autoren kritisch die durch Berlusconi geprägte italienische Gegenwart behandelte. Die Hauptrolle spielte Silvio Orlando, einer seiner Stammschauspieler. Der Film, der auch wieder in Cannes im Programm war, erhielt in Italien mehrere David di Donatellos, u.a. als bester Film und für die beste Regie. 2007 fungierte Moretti nach einigem Hin und Her als Kurator der Filmfestspiele von Turin und schickte wie viele Regisseure einen Kurzfilm nach Cannes, anlässlich des 60. Jubiläums des Festivals. Im Februar 2008 wurde Caos calmo (Stilles Chaos) auf der Berlinale vorgestellt. Moretti spielte die Hauptrolle in dieser von Antonello Grimaldi inszenierten Romanadaption, an dessen Drehbuch Moretti mitarbeitete.

Bei den Wahlen in Italien im Frühjahr 2008 versuchte Moretti die Öffentlichkeit vergeblich daran zu erinnern, dass Berlusconi mehrere Fernsehkanäle kontrolliere und die staatlichen Institutionen nicht respektiere. Er forderte die vielen links eingestellten Wahlabstinenzler zum Urnengang auf. Den klaren Sieg Berlusconis hielt er für sehr italienisch und tragisch. Im selben Jahr gab Moretti seinen Direktorenposten bei den Turiner Filmfestspielen auf, um sich neuen Filmprojekten widmen zu können.[1]

Ab März 2010 dreht er den Film Habemus Papam in Rom, der 2011 fertiggestellt wurde. Dieser stellt die Beziehung eines neu gewählten Papstes (gespielt von Michel Piccoli) zu seinem Psychiater (Moretti) in den Mittelpunkt. Habemus Papam brachte Moretti seine sechste Einladung in den Wettbewerb der der Filmfestspiele von Cannes ein.

In Deutschland sind nur Das Zimmer meines Sohnes, Der Italiener und Stilles Chaos auf DVD erschienen.

Filmografie

Moretti bei den Filmfestspielen von Cannes (2001)

Regie, Drehbuch und Produktion

  • 1973: La sconfitta [Kurzfilm]
  • 1973: Pâté de bourgeois
  • 1974: Come parli frate? [Kurzfilm]
  • 1976: Ich bin ein Autarkist (Io sono un autarchico)
  • 1978: Die Nichtstuer (Ecce Bombo)
  • 1981: Goldene Träume (Sogni d’oro)
  • 1984: Bianca
  • 1985: Die Messe ist aus (La Messa è finita)
  • 1989: Wasserball und Kommunismus (Palombella rossa)
  • 1990: La Cosa [Dokumentarfilm]
  • 1993: Liebes Tagebuch… (Caro diario)
  • 1994: L’unico paese al mondo (Episode)
  • 1996: Am Tag der Premiere von Close Up (Il giorno della prima di Close-Up) [Kurzfilm]
  • 1998: Aprile
  • 2001: Das Zimmer meines Sohnes (La stanza del figlio)
  • 2002: The Last Customer [Kurzfilm]
  • 2003: Il grido d’angoscia dell’uccello predatore: Tagli d’Aprile [Kurzfilm]
  • 2006: Der Italiener (Il Caimano)
  • 2006: Il diario del Caimano [Dokumentarfilm]
  • 2007: Diario di uno spettatore [Kurzfilm]
  • 2011: Habemus Papam

Schauspieler

  • 1973: La sconfitta
  • 1973: Pâté de bourgeois
  • 1974: Come parli frate?
  • 1976: Ich bin ein Autarkist (Io sono un autarchico)
  • 1977: Padre Padrone: Mein Vater, mein Herr (Padre Padrone) (Regie: Paolo Taviani und Vittorio Taviani)
  • 1978: Die Nichtstuer (Ecce Bombo)
  • 1981: Goldene Träume (Sogni d’oro)
  • 1984: Bianca
  • 1985: Die Messe ist aus (La Messa è finita)
  • 1988: Von Räubern, Kavalieren und harmonischen Menschen (Domani accadrà) (Regie: Daniele Luchetti)
  • 1989: Wasserball und Kommunismus (Palombella rossa)
  • 1991: Der Taschenträger (Il Portaborse) (Regie: Daniele Luchetti)
  • 1996: Das zweite Mal (La seconda volta) (Regie: Mimmo Calopresti)
  • 1996: Am Tag der Premiere von Close Up (Il giorno della prima di Close-Up)
  • 1996: Tre vite e una sola morte(Regie: Raul Ruiz)
  • 1998: Aprile
  • 2001: Das Zimmer meines Sohnes (La stanza del figlio)
  • 2006: Der Italiener (Il Caimano)
  • 2008: Stilles Chaos (Caos calmo) (Regie: Antonello Grimaldi)
  • 2011: Habemus Papam

Drehbuch

Literatur

Charlotte Lorber: Die Filme von Nanni Moretti: Erfahrung und Inszenierung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit (Schüren Verlag, Okt. 2011) [1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. Turiner Filmfestival: Gianni Amelio wird neuer Direktor bei derstandard.at, 10. Dezember 2008 (aufgerufen am 11. Dezember 2008)

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