Notverordnung

Notverordnung

Notverordnung ist eine gesetzesvertretende Anordnung der Exekutivgewalt im Krisenfall. Historisch wird im ähnlichen Sinne auch von Reichsexekution gesprochen.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung in der Weimarer Republik

Bucheinband der Weimarer Verfassung

Die Begriffe Notverordnung und Notverordnungsrecht beziehen sich vor allem auf die Weimarer Verfassung, die in ihrem Artikel 48 dem Reichspräsidenten weitreichende Möglichkeiten zur Regierung im Ausnahmezustand gab (sogenannte Präsidialdiktatur). Die Verfassung sah für die Ausnahmebefugnisse eine Konkretisierung durch ein Ausführungsgesetz vor (Art. 48 Abs. 5). Da dieses aber nie erlassen wurde, blieben die Befugnisse aus Art. 48 sehr weit und unbestimmt.

Die Befugnisse aus Artikel 48 wurden durch die inhaltliche Unbestimmtheit stark von einer konkreten Regierungspraxis, von Entscheidungen des Staatsgerichtshofs und der herrschenden Lehrmeinung der Staatsrechtler geprägt. Die herrschende staatsrechtliche Meinung (Gerhard Anschütz) billigte dem Reichspräsidenten die Befugnis zum Erlass gesetzesvertretender Notverordnungen zu. Die abweichende Minderheitsmeinung (vertreten vor allem von Carl Schmitt, Erwin Jacobi und Hermann Heller) konnte sich nicht durchsetzen und wurde ausdrücklich aufgegeben.

Ursprünglich war nur an wirkliche Ausnahmesituationen gedacht worden; mit der zunehmenden Handlungsunfähigkeit des Reichstags entstand die Neigung, dieses Recht des Präsidenten quasi als Ersatzgesetzgebung zu verwenden. Bereits unter Friedrich Ebert wurde dieses Instrument angewandt, so zum Beispiel am 9. November 1923 anlässlich des Hitler-Putschs.[1] Vor allem aber kam es zum Einsatz ab 1930, kurz nach dem Sturz der Regierung Müller. Reichspräsident war seit 1925 Paul von Hindenburg. Mit der Ernennung Heinrich Brünings am 27. März 1930 durch Hindenburg – wie auch später Franz von Papens und Kurt von Schleichers – zum Reichskanzler wurde ein Bruch mit dem Parlamentarismus in Kauf genommen. Man sprach von den Präsidialkabinetten. Der Anteil der Notverordnungen an der (faktischen) Gesetzgebung stieg erheblich an. 1931 standen 34 vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen 44 Notverordnungen gegenüber.

Dennoch konnte der Reichstag Regierungen stürzen und Notverordnungen aufheben. In Brünings Regierungszeit verhinderten dies nicht nur Regierungsparteien wie das Zentrum, sondern auch die oppositionelle SPD. Ab der Amtszeit Papens hingegen war auch die SPD für die Bekämpfung der Reichsregierung, sodass Hindenburg das Parlament zweimal auflösen ließ, um der Außerkraftsetzung von Notverordnungen zuvorzukommen. Schließlich gab er 1933 Papens Drängen nach, eine Koalitionsregierung unter Adolf Hitler einzusetzen. Die wahrscheinlich bekannteste Notverordnung ist die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933, das eigentliche Grundgesetz der nationalsozialistischen Diktatur.

Artikel 48 Weimarer Reichsverfassung

(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.

(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.

(3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstages außer Kraft zu setzen.

(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstages außer Kraft zu setzen.

(5) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweis

  1. Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S. 84.

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