- Orakel
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Das Orakel (lat. oraculum, „Götterspruch“) bezeichnet eine mit Hilfe eines Rituals oder eines Mediums gewonnene transzendente, häufig göttliche Offenbarung, die der Beantwortung von Zukunfts- oder Entscheidungsfragen dient. Die mittels des Orakels gewonnenen Hinweise und Zeichen können dem Fragenden als Rechtfertigungsgrund eigener Entscheidungen und Handlungen dienen.
Im Unterschied zum Hellsehen, das als individuelle Fähigkeit einer leibhaftigen Person angesehen wird, befragt das Orakel stets eine höhere Instanz. Durch die Erwartung der Beantwortung einer Frage unterscheidet sich das Orakel auch von der Prophetie, welche ungebeten zuteil wird.
Im erweiterten Sinn wird auch der Ort an dem das Orakel gegeben wurde, als solches bezeichnet. Orakelstätten können Heiligtümer wie beispielsweise Tempel sein. Bekanntestes Beispiel ist das Orakel von Delphi.
Inhaltsverzeichnis
Orakel in verschiedenen Kulturen
Antike
Bereits im antiken Griechenland gab es Orakel, von denen das Orakel von Delphi das bekannteste ist. Weitere bedeutende antike Orakelstätten waren Ephyra, Olympia, Dodona, Klaros, Didyma und das Ammonium in der Oase Siwa. Sie verloren seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. an Bedeutung. Im weiteren Sinne ist auch die Sibylle von Cumae zu den Orakeln zu rechnen. siehe auch: Astragalorakel.
Ebenso hat es im Alten Ägypten seit je her Orakel gegeben. Seit dem Neuen Reich wurden Orakel auch zu wichtigen juristischen Entscheidungen herangezogen.[1] Vgl. etwa Orakel von Siwa.
Stark beeinflusst von der Religion der Etrusker versuchten die Römer in einem Staatskult die Pontifices und Flamines die Zukunft aus himmlischen Zeichen (Blitz u. Donner) oder dem Vogelflug zu ergründen. Die Haruspices erstellten Orakel, indem sie in den Eingeweiden der Opfertiere lasen (sogenannte Leberschau). Letzteres ging auf etruskische Traditionen zurück.
Zum alten Israel, siehe Urim und Tummim.
China und Tibet
In China waren insbesondere Orakel mit im Feuer erhitzten Tierknochen sowie mit Schafgarbenstängeln gebräuchlich. Vgl. hierzu Chinesisches Orakel. Im Rahmen des tibetischen Kulturkreises findet man Orakel sowohl im Bön, der vorbuddhistischen Religion Tibets, als auch in einigen Schulen des tibetischen Buddhismus.
Das erste Mal, dass im tibetischen Buddhismus eine weltliche Gottheit mit dem Körper eines Menschen vereinigt wurde, der als physisches Medium funktionierte, war im 8. Jahrhundert. Eines Tages vereinigte Padmasambhava vor dem König und seinen Ministern einen der vier großen Könige (die Beschützer der vier Richtungen, die oft an den Türen von tibetischen Tempeln dargestellt sind) mit dem Körper eines jungen Mannes. Indem er den Körper des Jungen als Medium benutzte, konnte die hellsehende Gottheit die Geister identifizieren, die Schwierigkeiten machten. Die Gottheit erklärte, dass der Geist Thangla für den Blitzschlag auf dem Marpori (dem roten Hügel, der später Sitz des Potala-Palastes wurde) verantwortlich war, und dass der Geist Yarla Shempo die Flut ausgelöst hatte, die den Phangthang-Palast wegschwemmte. Durch das Medium gab die Gottheit Vorhersagen und Ratschläge ab. In der Folge wurden auch andere Schutzgottheiten als Orakel zu Dienste gezogen. [2]
In der buddhistischen Gelug-Schule ist insbesondere das Nechung-Orakel bekannt. Die buddhistische Schutzgottheit Pekar, der ehemalige Schutzgeist des Klosters Samye (errichtet um 775), bedient sich, nach der Überlieferung, seit mehr als vier Jahrhunderten regelmäßig eines Mönchs als Medium, um zukünftige Geschehnisse vorherzusagen und um die tibetische Regierung durch Ratschläge zu leiten. Der als Medium dienende Mönch hat daher größtes Ansehen im Gelug-Orden. Aufgrund seiner häufigen, sehr kräftezehrenden Orakel-Trancen, hat er aber in aller Regel nur eine geringe Lebenserwartung. Das Nechung-Orakel ist heutzutage noch immer wichtigstes Staatsorakel[3] der tibetischen Exilregierung und des Dalai Lama. Es gibt mindestens ein weiteres Orakel, das einen gewissen Bekanntheitsgrad genießt, das Orakel von Dorje Shugden. [4][5]
Abhängig von dem zu Rate gezogenen Orakel können die erhaltenen Prophezeiungen differieren. [6] Das tibetische Wort für Orakel ist Mo. [7]
Andere Formen
Daneben gibt es auch sogenannte Orakel- oder Wahrsagekarten, die zum selben Zweck eingesetzt werden. Zu den bekanntesten gehören die Tarot-Karten, die in einer Vielzahl verschiedener Ausführungen gebräuchlich sind. Aus der germanischen Kultur sind Runen bekannte Vertreter.
Hans Magnus Enzensberger bezeichnete 1965 das Institut für Demoskopie Allensbach kritisch als Orakel vom Bodensee, da er eine „strukturelle Ähnlichkeit mit den mantischen Praktiken der Alten Welt“ sah. „Demoskopische Befragungen werden im allgemeinen in Auftrag gegeben: Der Unwissende bringt den Priestern von Allensbach seine Opfergaben dar und stellt seine Fragen. Die Pythia antwortet nicht auf eigene Faust, sie gibt die Fragen an eine höhere Instanz weiter, an die Stimme Gottes, die im Jargon der Demoskopen „repräsentativer Querschnitt“ heißt.“ [8]
Im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 erlangte der Krake Paul aus dem Oberhausener Sea Life Centre internationale Berühmtheit, in dem er alle Sieger bei Beteiligung der Deutschen Fußballnationalmannschaft und den Sieger des Endspiels der WM 2010 korrekt „vorhersagte“.[9]
Siehe auch
Literatur
- Hans Bonnet: Orakel, in: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Nikol Verlag Hamburg 2000 ISBN 3-937872-08-6 S. 560-564.
- Edward E. Evans-Pritchard: Witchcraft, oracles, and magic mong the Azande. Clarendon Press, Oxford 1977 (Repr.), ISBN 0-19-823103-2
- Joseph Eddy Fontenrose: The Delphic Oracle. Its responses and operations with a catalogue of responses. University of California Press, Berkeley 1981, ISBN 0-520-04359-6
- Wolfgang Helck /Eberhard Otto: Orakel, in: Kleines Lexikon der Ägyptologie, Harrassowitz Verlag Wiesbaden, 1999 ISBN 3-447-04027-0 S. 212f.
- Veit Rosenberger: Griechische Orakel. Eine Kulturgeschichte. Theiss, Stuttgart 2001, ISBN 3-806-21562-6
- René Nebesky-Wojkowitz: Oracles and Demons of Tibet. Ed. Mouton, s'Gravenhage 1954, Gordon Press, New York 1977 (Reprint), ISBN 3-201-00953-9
- Mark Tatz, Jody Kent: "Karma". Durch Wiedergeburt zur Befreiung. Das tibetische Orakelspiel. Eugen Diederichs, Düsseldorf 1978, ISBN 3-424-00636-X
- Birgit Zotz: Zur europäischen Wahrnehmung von Besessenheitsphänomenen und Orakelwesen in Tibet. Diplomarbeit, Universität Wien. Fakultät für Sozialwissenschaften 2010
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang Helck/Eberhard Otto: Orakel, in: Kleines Lexikon der Ägyptologie, S. 212f.
- ↑ s. Abschnitt "Gottheiten und spirituelle Kräfte im tibetischen Buddhismus"
- ↑ Erich Follath: Die Macht der Ohnmacht. In: Der Spiegel. Nr. 29, 2007, S. 80ff. (online).
- ↑ Tibetan Studies Press Office
- ↑ Biography of Kuten Lama a Dorje Shugden Oracle
- ↑ The War Of The Oracle Gods And The Shudgen Affair by Victor and Victoria Trimondi
- ↑ "Orakel (tibetisch Mo)" Allione in Anmerkung 43 von Die Lebensgeschichte der Nangsa Obum, S. 335 des Buches Tibets weise Frauen
- ↑ Orakel vom Bodensee Hans Magnus Enzensberger über das „Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958-1964“ DER SPIEGEL 37/1965
- ↑ Paul tippt auf Spanien und Deutschland. Reuters Deutschland, 9. Juli 2010.
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