Asozialität

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15. September 2010|2=Der Artikel überschneidet sich stark mit dem Artikel Asoziale (Nationalsozialismus). Das irritiert vor allem, wenn man nach asozial gesucht hat und hier die Klärung des soziologischen Begriffs erwartet. Vorschlag: Redundanzen abbauen und hier tatsächlich den soziologischen Gebrauch sauberer explizieren. --Pere Ubu 23:23, 15. Sep. 2010 (CEST)


Asozialität ist eine zumeist als abwertend empfundene und gemeinte Zuschreibung für Verhaltensweisen von Individuen oder Gruppen, die von den gesellschaftlichen Normen abweichen. Im wissenschaftlichen Bereich wird neutraler von Devianz als Oberbegriff gesprochen und dabei von abweichendem, nicht unbedingt strafbarem Verhalten (Delinquenz) abgegrenzt.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff asozial ist als Gegenbegriff zu „sozial“ gebildet, wird jedoch oft im Sinne von „antisozial“ (= gemeinschaftsschädigend) verwendet. Beides sind Kunstworte, aus griech. „a-“ (deutsch „un-“) bzw. „anti-“ (deutsch „gegen-“) plus lat. „socialis“ (für „gemeinschaftlich“). „Asozial“ bezeichnet an sich ein von der geforderten oder anerkannten gesellschaftlichen Norm abweichendes Individualverhalten: Ein Individuum vollzieht seine persönlichen Handlungen ohne die geltenden gesellschaftlichen Normen und die Interessen anderer Menschen zu berücksichtigen. Der Begriff „asozial“ wird aber auch häufig auf Gruppen bezogen, die in ihren Verhaltensweisen von den geforderten gesellschaftlichen Normen (z. T. bewusst) abweichen. Im Nationalsozialismus und in der DDR haben die Machthaber den Begriff „asozial“ zum Rechtsbegriff gemacht und daraus die Verfolgung von unangepassten sozialen Gruppen juristisch abgeleitet. Zur Zeit des Nationalsozialismus konnten Menschen aufgrund ihnen vorgeworfener Asozialität in Konzentrationslagern interniert werden.

Geschichte

Der Ausdruck „Asoziale“ war hauptsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine politisch genutzte Sammelbezeichnung für als minderwertig eingeschätzte Menschen aus der sozialen Unterschicht. Als „Asoziale“ wurden und werden teilweise bis heute insbesondere Bettler, Landstreicher, Obdachlose, Prostituierte, Zuhälter, Fürsorgeempfänger, Suchtkranke (z. B. Alkoholiker), Homosexuelle, Zigeuner und andere Unangepasste bezeichnet.

Nationalsozialismus

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden „Asoziale“ Opfer verschärfter Verfolgung. Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ markiert den Höhepunkt der „Asozialenverfolgung“ im Nationalsozialismus. Seit 1938 drängten die Wohlfahrtsämter die Polizeibehörden geradezu zur Verhaftung von „Asozialen“. An die Stelle der Schikanen und der Vertreibung von Bedürftigen traten ihre Erfassung und Vernichtung. Die Sozialutopie von der endgültigen Beseitigung abweichenden Verhaltens wurde in die Tat umgesetzt. Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ war dabei das bedeutendste Einzelereignis der NS-Politik gegen „Asoziale“. Nach dem Erlass vom 26. Januar 1938 folgten eine Gestapo-Aktion am 21. April 1938 und eine Kriminalpolizei-Aktion am 13. Juni 1938. Zirka 20.000 „Asoziale“ wurden in Konzentrationslager eingeliefert. Als „asozial“ galten Straftäter, Trinker, Prostituierte und Heimzöglinge. Sie trugen den schwarzen Winkel auf ihrer Kleidung als Kennzeichnung und standen in der KZ-Hierarchie ganz unten.[1]

Seit den 1960er-Jahren

In den 1960ern wurde der Begriff häufig herabsetzend auf Hippies (Gammler, Langhaarige), in den 1980ern auf Punks angewendet. Den so Bezeichneten wurde vorgeworfen, sie stellten sich außerhalb der konventionellen Gesellschaft, lebten nicht wie der „Mainstream“, seien verwahrlost und damit in unvertretbarem Maße unkultiviert.

Mit der aufkommenden Gesellschaftskritik in den 1970er- und 1980er-Jahren wurde deshalb in den Sozialwissenschaften versucht, den Begriff „dissozial“ einzuführen. Dieser wies darauf hin, dass Normen und das darauf bezogene Handeln relativ sind. Eine Sichtweise ist der anderen nicht überlegen. Damit war gemeint, dass bestimmte Normvorstellungen und Umgangsformen, die in einer sozialen Gruppe als normal oder der Norm entsprechend angesehen werden, es aus der Sicht einer anderen Gruppe durchaus nicht sein müssen. Sie werden auch nicht unbedingt als eine bewusste Verletzung der Normvorstellung anderer wahrgenommen. Der Begriff „dissozial“ hat sich im alltäglichen Sprachgebrauch jedoch nicht durchgesetzt.

DDR

In der DDR konnten Personen, die nach Ansicht der staatlichen Organe das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdeten, dass sie sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzogen oder der Prostitution nachgingen oder sich auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafften, nach § 249 StGB-DDR zu Bewährungsstrafen oder Arbeitserziehung oder Haft- oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt werden. Zusätzlich konnte auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.

Umgang mit asozialem Verhalten in Großbritannien

Polizeiliche Warnung vor asozialem Verhalten im Londoner Stadtteil Richmond

Unter Anti-Social Behaviour Order oder ASBO werden in Großbritannien und Irland zivilrechtliche Maßnahmen gegen jemanden verstanden, der sich nach behördlicher Maßgabe asozialen Verhaltens schuldig gemacht hat.[2]

Die vom damaligen Premierminister Tony Blair 1998 erlassenen Vorschriften[3] wurden erlassen, um Verhalten zu sanktionieren,welches nicht automatisch eine strafrechtliche Verfolgung nach sich gezogen hätte.[4] Zu den Sanktionen gehörten Platzverweise und Sanktionen des Spuckens, des Fluchens, von Breakdancevorführungen, Graffitisprühereien und öffentlichem Alkoholgenuss. Ein ASBO galt in der Jugendszene teilweise als Mutbeweis. Des Weiteren wurden Familien von Schulverweigerern angesprochen und teilweise mit Strafen bedroht. Im Juli 2010 wurde von Theresa May verkündet, die entsprechenden Vorgaben zugunsten von lokalen, gemeindeorientierten Maßnahmen reformieren zu wollen.[5]

Spätere Verwendung

Heute findet der Begriff im deutschen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs sowie in der gehobenen Umgangssprache kaum mehr Verwendung. Aufgrund seiner belasteten Geschichte gilt er vielen als problematisch, mit ungewollten Assoziationen bestückt und somit als politisch nicht korrekt. Menschen, die am unteren Rand als außerhalb der Gesellschaft stehend wahrgenommen werden, werden stattdessen oft z. B. als „Ausgegrenzte“ o. Ä. bezeichnet. Damit geht auch eine andere Bewertung einher: Die Ursache der Ausgegrenztheit wird nicht mehr nur beim betreffenden Individuum oder der betreffenden Gruppe gesehen, sondern auch oder vor allem in Prozessen der Gesellschaft.

Zunehmend findet der Begriff asozial zur Kennzeichnung von allgemein gesellschaftlich destruktivem Verhalten Verwendung, beispielsweise für Menschen an der Spitze der Gesellschaft, die sich gegenüber dem Allgemeinwohl, ihren Mitarbeitern, ihren Kunden, ihren Wählern etc. unsozial verhalten. Im Zuge der Liechtensteiner Steueraffäre bezeichnete der SPD-Generalsekretär Hubertus HeilSteuersünder“ wiederholt als „Neue Asoziale“.[6]

Im englischen Sprachraum ist der Begriff nach wie vor im Umlauf[7] und gilt auch als typisches Zeichen der Ära Blair unter dem Motto "Law and Order is an Labour issue" (Recht und Ordnung ist ein Thema für die britische Sozialdemokratie).

Erklärungsversuche

Eine soziologische Erklärungsmöglichkeit für antisoziales Verhalten basiert auf der Anomietheorie nach Émile Durkheim: Unter „Anomie“ wird in diesem Fall Normlosigkeit verstanden. Eine weitere Theorie zur Erklärung delinquenten Handelns wäre die Theorie nach Robert K. Merton. Er sieht die Ursache abweichendem Verhaltens in der Diskrepanz zwischen den kulturellen Zielen (z. B. Status, Prestige, Materielles, …), die Akteure erreichen möchten, und den ihnen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln.

Der Psychoanalytiker August Aichhorn versuchte das Verhalten sogenannter 'verwahrloster' Jugendlicher u. a. mit deren Überich-Entwicklung zu erklären.

Aus konstruktivistischer und diskursanalytischer Sicht ist die soziale Konstruktion der 'Asozialität' durch Behörden, Politiker, Sozialwissenschaftler, Journalisten und durch den Alltagsdiskurs nicht weniger erklärungsbedürftig als das vermeintlich 'asoziale' Verhalten selbst.

Umgangssprache

In der einfachen Umgangssprache findet der Begriff allerdings weiterhin als abwertende, diskriminierende Bezeichnung oder als Schimpfwort Verwendung. In leicht gemilderter Form fungiert hier stattdessen zum Teil auch der Begriff „Proll“: Im Gegensatz zu den Begriffen „asozial“ oder „asi“ (siehe unten), die Lebensformen und Verhaltensmuster assoziieren, die schon jenseits des in der Gesellschaft tolerierten stehen, assoziiert „Proll“ in einer seiner Bedeutungsfacetten Lebensformen und Verhaltensweisen am äußersten unteren Rand des gesellschaftlichen Spektrums. Umgangssprachlich wird die Attributierung asozial auch für Situationen und Dinge eingesetzt, die in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes schlicht „unsinnig“ sind. Der Sinnbezug auf gemeinschaftliches Zusammenleben wird dabei häufig zugunsten eines Bezuges auf eine ästhetisch sehr unangenehme Erscheinung aufgegeben, die vom Verwender des Begriffs meist als peinlich, manchmal sogar als ekelerregend empfunden wird.

Im umgangssprachlichen Gebrauch werden darüber hinaus oft die Kurzformen Asi oder Assi als Substantiv bzw. asi oder assi als Adjektiv benutzt. Die Substantive werden oft für Proleten, Unruhestifter, usw. verwendet. Entsprechend sind die Adjektive auf asoziale Verhaltensweisen oder Gegebenheiten, auch ohne Bezug auf ein menschliches Verhalten, bezogen. Beide Wörter können auch als allgemeine Schimpfwörter verwendet werden um Missfallen gegenüber etwas auszudrücken, wobei ähnlich wie bei Hurensohn oder beschissen die ursprüngliche Wortbedeutung, also asozial nicht zutreffen muss.

Kritik

Der Begriff der Asozialität kann als widersprüchlich verstanden werden, denn Gesellschaft ist nur als Ganzes denkbar. Was als asozial bezeichnet wird, kann asozial eben nur in Bezug auf die Gesellschaft sein. Dadurch stehe der Begriff, so die Kritik, für einen willkürlichen Ausschluss durch Gruppen, die sich als Mehrheit definieren.

Siehe auch

Literatur

  • Wolfgang Ayaß: 'Asoziale' im Nationalsozialismus, Stuttgart: Klett-Cotta , 1995, ISBN 3608917047
  • Sven Korzilius: "Asoziale" und "Parasiten" im Recht der SBZ/DDR. Randgruppen im Sozialismus zwischen Repression und Ausgrenzung, Köln: Böhlau Verlag, 2005; kritische Rezension für H-Soz-u-Kult
  • Christa Schikorra: Kontinuitäten der Ausgrenzung : "asoziale" Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Berlin : Metropol, 2001 Rezension
  • Joachim Windmüller: Ohne Zwang kann der Humanismus nicht existieren … - "Asoziale" in der DDR, Frankfurt am Main [u. a.] : Lang, 2006
  • Steffen Hirsch: Der Typus des "sozial desintegrierten" Straftäters in Kriminologie und Strafrecht der DDR. Ein Beitrag zur Geschichte täterstrafrechtlicher Begründungen, Göttingen: Sierke Verlag, 2008 zum Inhalt
  • Thomas Irmer, Barbara Reischel, Kaspar Nürnberg: Das Städtische Arbeits- und Bewahrungshaus Rummelsburg – Zur Geschichte eines vergessenen Ortes der Verfolgung von »Asozialen in der NS-Zeit«. In: Gedenkstättenrundbrief Nr. 144 8/2008, S. 22-31.

Einzelnachweise

  1. Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute!“
  2. Asbos come into force on MondayThe Irish Times news report, 29. Dezember 2006.
  3. ASBOs can't beat a neighborhood policeman Times Online 30 September 2009
  4. BBC Q&A Anti-social behavior orders
  5. BBC News 28. Juli 2010
  6. Peter Nowak: Die neuen Asozialen - Die Jagd nach Steuerflüchtigen ist mit populistischen Tönen unterfüttert, Telepolis, 18. Februar 2008
  7. http://www.economist.com/node/14558534 Anti-social behaviour, It's back, Another Blairite theme is resurrected, 1. Oktober 2009

Weblinks


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