Ottokar Czernin

Ottokar Czernin

Ottokar Czernin (* 26. September 1872 in Dimokur, Böhmen; † 4. April 1932 in Wien; geboren als Ottokar Theobald Otto Maria Graf Czernin von und zu Chudenitz[1]) war führender Diplomat Österreich-Ungarns und k.u.k. Minister des Äußeren in der Zeit des Ersten Weltkrieges.

Ottokar Graf Czernin

Inhaltsverzeichnis

Leben

Czernin war Mitglied der adeligen böhmischen Familie Czernin von Chudenitz. Nachdem er Rechtswissenschaften an der deutschen Universität Prag studiert hatte, verpflichtete er sich 1895 für den auswärtigen Dienst Österreich-Ungarns und wurde an die Botschaft in Paris entsandt. Zwei Jahre später heiratete er Gräfin Marie Kinsky von Wichnitz und Tettau (* 20. Mai 1875; † 19. Juli 1945). 1899 wurde er an die Botschaft in Den Haag versetzt. Im November 1902 musste er seine Karriere jedoch wegen einer Lungenerkrankung unterbrechen.[2]

Von 1903 bis 1913 vertrat er den Verfassungstreuen Großgrundbesitz, anschließend die Deutsche Volkspartei im böhmischen Landtag und war 1908 stellvertretender Obmann der Volkspartei. Er wurde zu einem engen Berater Erzherzog Franz Ferdinands, dem Thronfolger der k.u.k. Monarchie, auf dessen Wunsch er wieder in den diplomatischen Dienst zurückkehrte. Im Oktober 1913 schickte man Czernin, der gerade Mitglied des österreichischen Herrenhauses geworden war, als Botschafter nach Bukarest.[2] Auch sein jüngerer Bruder Otto Czernin diente als Geschäftsträger in Sankt Petersburg und Sofia im diplomatischen Dienst der Donaumonarchie.

Politik im Ersten Weltkrieg

Graf Czernin in Schloss Laxenburg, Oktober 1918

1916 bestieg Karl I., der Neffe Franz Ferdinands, den Thron und ernannte Czernin am 22. Dezember 1916 zum k.u.k. Minister des Äußeren.

In dieser Rolle nahm er auch an einer im März 1917 stattfindenden Konferenz Deutschlands und Österreich-Ungarns über deren Kriegsziele im Ersten Weltkrieg teil. Czernin befürwortete, in Absprache mit Karl I., unter anderem Gebietsabtretungen der Mittelmächte, um einen schnellen Frieden mit der Entente zu erreichen. Aus seiner Sicht machte der drohende Eintritt der Vereinigten Staaten in das aktive Kriegsgeschehen einen Sieg der Mittelmächte unwahrscheinlich. Er scheiterte in Verhandlungen mit den Kriegsgegnern, vor allem am Widerstand Italiens, das die im Geheimvertrag von London zugesagten Gebietserwerbungen auf Kosten Österreichs nicht aufgeben wollte. Czernin gab daraufhin dem Drängen der deutschen Obersten Heeresleitung nach, die einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg beginnen wollte. Anfang 1918 war er als Vertreter Österreichs an den Friedensverhandlungen mit Rumänien (Friede von Bukarest), Sowjetrussland (Friede von Brest-Litowsk) und der Ukraine (Brotfrieden) beteiligt.

Er trat am 14. April 1918 von seinem Amt als Außenminister zurück, da der französische Außenminister Georges Clemenceau Dokumente veröffentlichte, in denen die geheimen Friedensbemühungen Österreich-Ungarns mit den Regierungen der Entente belegt wurden (siehe: Sixtus-Affäre).

Republik Österreich

Nach dem Ende der Donaumonarchie kehrte Czernin von 1920 bis 1923 als Abgeordneter im Nationalrat der Republik Österreich für die Demokratische Partei noch einmal in die Politik zurück. Er lebte im Salzkammergut, da er durch die Bodenreform in der Tschechoslowakei seinen Besitz in Böhmen verloren hatte.[3] Am 4. April 1932 starb Ottokar Graf Czernin zurückgezogen in Wien. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Bad Aussee.

Einschätzung in der Forschung

Czernins innenpolitische Auffassungen waren geprägt durch aktive Gegnerschaft gegenüber den demokratischen und nationalen Kräften seiner Zeit. Er lehnte den Parlamentarismus ab und wünschte einen zäsarischen Absolutismus herbei. Die Demokratie war für ihn die bis zum Blödsinn gesteigerte Freiheit. Innenpolitisch verfolgte er auch in der Praxis oft einen harten Kurs, im Februar 1918 drängte er Karl sogar, die ineffektiven Regierungen Seidler und Wekerle durch eine Militärdiktatur zu ersetzen, was dieser jedoch ablehnte. Wenn Czernin in der Folge die demokratischen Kräfte gegen Autokratie und Militarismus ins Feld führte, stand das freilich nicht im Einklang mit seinen eigenen grundsätzlichen Überzeugungen, sondern hatte nur taktische Ursachen. In diesen innenpolitischen Differenzen zu Karl lag auch der Keim der Entfremdung zu Czernin. Diese Meinungsverschiedenheiten wären jedoch während des Krieges sicherlich nicht aufgebrochen, wenn die innenpolitischen Probleme nicht mit der österreichisch-ungarischen Friedens- und Bündnispolitik eng verflochten gewesen wären.[4]

Selbst beim Verständigungspolitiker Czernin herrschten zeitweise annexionistische Tendenzen vor. Czernin verfolgte eine doppelspurige Kriegszielpolitik mit der Forderung nach territorialer Integrität und annexionslosem Frieden im Vordergrund; - auf der anderen Seite einen Territorialgewinn, falls erreichbar, nicht ausschließend. Er verzichtete nie auf die Chance, falls der Krieg doch siegreich zu Ende gehe, zukünftige Vorteile zu erlangen, was die Glaubwürdigkeit seiner Betonung der verzweifelnden Notwendigkeit eines Friedens in Berlin unterminierte. Czernin gelang es nicht, seine virtuosen Entwürfe zu verwirklichen und Bündnis-, Kriegsziel- und Polenpolitik miteinander in Einklang zu bringen. Illusionen über die reale Macht der Monarchie im Vergleich zu Deutschland hatte er keine, daher versuchte er durch diplomatische Manipulationen der verschiedenen deutschen Machtgruppen mehr Balance zu halten.[5] Czernin überschätzte seine politischen Möglichkeiten auf Deutschland einzuwirken, er bildete sich sogar ein, die Friedensresolution des Reichstags sei ihm zu verdanken. Eine andere Methode, seine Position in Berlin zu stärken war, die Schwäche der Monarchie zu betonen: wenn Deutschland in der Friedensfrage nicht einsichtig sei, würde Österreich zerfallen oder einen Separatfrieden schließen müssen.[6]

Czernins Politik wurde von vielen als Produkt seines hochgradig nervösen Temperaments empfunden, was seine Glaubwürdigkeit unterhöhlte. Eine gängige Reaktion der deutschen Seite auf seine Lageeinschätzungen war: Graf Czernin hat die Nerven verloren. Seiner hochgradig nervösen Natur, seinem sprunghaften, immer von neuen Ideen gefangenen Wesen gelang es jedoch nicht, auf Dauer eine feste politische Linie einzuhalten. Er galt allgemein als unaufrichtig und auch als ein unzuverlässiger Bundesgenosse.[7] Josef Redlich beurteilte Czernins Politik noch negativer: Der Mann ist reines 17. Jahrhundert; er versteht die Zeit nicht, in der er lebt.[8] Czernin trat für den alten josefinischen Kaiserabsolutismus und die überkommenen feudalen Privilegien seines Standes ein. Er erscheint als Exponent eines zählebigen zentralistischen Staatsgefüges, in dem die Vergangenheit der aristokratischen Kabinettspolitik bereits an die Zukunft diktatorischer Regime angrenzte.[9]

Seine oft betonte Loyalität zu Deutschland hatte auch den Grund, dass er glaubte Deutschland sei dabei den Krieg zu gewinnen. Er kam auch deswegen zu der Überzeugung, dass das deutsch-österreichisch-ungarische Bündnis nicht gelöst werden konnte, weil es die Voraussetzung dafür war, das Habsburgerreich in seinen traditionellen sozialen und politischen Strukturen zu erhalten.[10] Die Heilige Allianz mit Deutschland war für ihn der Garant gegen alle revolutionären Strömungen. Die Verweigerung jeder inneren Reform der Monarchie, der Aufgabe des deutschen Kurses in der Monarchie, nötigte ihn schließlich, das Bündnis als zwingend anzusehen. Sein Versuch, Österreich-Ungarn aus dem Krieg herauszuführen, ihm außenpolitisch die Unabhängigkeit zurückzugewinnen, scheiterte an der mangelnden Bereitschaft, sich von den politischen Interessen seines Standes frei zu machen.[11]

Die Formierung des alten Österreich hinter der energischen und ehrgeizigen Gestalt Czernins verhinderte einen verlustreichen Separatfrieden und eine rechtzeitige Föderalisierung der Donaumonarchie, das heißt, die erforderliche Nachgiebigkeit nach Außen und Innen, die das Habsburgerreich, freilich mit Einbußen, vermutlich hätte retten können.[12] Er hätte als österreichisch-ungarischer Staatsmann keine Mühe und gewisse territoriale Opfer nicht scheuen, eine mögliche Unpopularität und den Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht fürchten dürfen, wenn er die Monarchie von ihren äußeren Feinden beschützen und vor dem inneren Zerfall bewahren wollte. Nur die Bereitschaft, selbst Opfer zu bringen, hätte in den Augen der Welt gezählt. Das Problem war aber, dass die Monarchie nach Czernins Überzeugung kein friedensentscheidendes Angebot zu machen imstande war.[13] Aber die wechselhafte Haltung der Monarchie hinsichtlich der Kriegsziele, die Gier nach Landgewinn, bei gleichzeitiger Betonung des drohenden Zusammenbruchs, hat Deutschland kein Vertrauen in die wahre Friedensbereitschaft der Monarchie fassen lassen.

Werke

  • Im Weltkriege. Berlin/Wien 1919.

Literatur

Weblinks

 Commons: Ottokar Czernin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Siehe Adelsaufhebungsgesetz 1919
  2. a b Ernst Rutkowski: Briefe und Dokumente zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Band 2: Der verfassungstreue Großgrundbesitz 1900-1904. Verlag Oldenbourg, München 1991, ISBN 3-486-52611-1, S. 33; und Czernin Ottokar Graf. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1957, S. 162.
  3. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950. Band 1, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Graz/Köln 1993, ISBN 3-7001-1327-7, S. 162.
  4. Ingeborg Meckling: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969, S. 68ff., 86 und 131.
  5. Fritz T. Epstein: Neue Literatur zur Geschichte der Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. NF 19 (1971), S. 265-286, hier: S. 276.
  6. Gary W. Shanafelt: The Secret Enemy: Austria-Hungary and the German Alliance 1914-1918. New York 1985, S. 126.
  7. Gary W. Shanafelt: Activism and Inertia: Ottokar Czernin's Mission to Romania, 1913-1916. In: Austrian History Yearbook 19/20, Part 1 (1983/1984), S. 189-214, hier: S. 190; und Rudolf Neck: Das „Wiener Dokument“ vom 27. März 1917. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7 (1954), S. 294-309, hier: S. 300.
  8. Fritz Fellner (Hrsg.): Schicksalsjahre Österreichs 1908-1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs. Graz/Köln 1953/1954, Band 2: S. 212.
  9. Ingeborg Meckling: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969, S. 68 und 358.
  10. Leo Valiani: The End of Austria-Hungary. London 1973, S. 202; und Wolfdieter Bihl: Der Weg zum Zusammenbruch. Österreich-Ungarn unter Karl I.(IV.). In: Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hrsg.): Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik. Graz/Wien/Köln 1983, Band 1. S. 27-54, hier: S. 29.
  11. Ingeborg Meckling: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969, S. 67; und Helmut Rumpler: Die Sixtusaktion und das Völkermanifest Kaiser Karls. Zur Strukturkrise des Habsburgerreiches 1917/18. In: Karl Bosl (Hrsg.):Versailles - St.Germain - Trianon. Umbruch in Europa vor fünfzig Jahren. Oldenburg/München/Wien 1971, S. 111-125, hier: S. 119.
  12. Ingeborg Meckling: Die Außenpolitik des Grafen Czernin. Wien 1969, S. 358.
  13. Hartmut Lehmann: Czernins Friedenspolitik 1916-18. In: Die Welt als Geschichte. 23 (1963), S. 47-59, hier: S. 58; und Helmut Rumpler: Die Sixtusaktion und das Völkermanifest Kaiser Karls. Zur Strukturkrise des Habsburgerreiches 1917/18. In: Karl Bosl (Hrsg.):Versailles - St.Germain - Trianon. Umbruch in Europa vor fünfzig Jahren. Oldenburg/München/Wien 1971, S. 111-125, hier: S. 115.

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