Pariser Handschrift

Pariser Handschrift
Fol. 127r (Werke Walthers von der Vogelweide)
Autorbild Konrads von Altstetten

Der Codex Manesse (auch Manessische Liederhandschrift, Manessische Handschrift, Große Heidelberger Liederhandschrift oder Pariser Handschrift) ist die umfangreichste und berühmteste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters. Heute wird sie in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt (Signatur: UB Heidelberg, Cod. Pal. Germ. bzw. cpg 848). Sie besteht aus 426 Pergamentblättern im Format 35,5 x 25 cm, die von späterer Hand paginiert wurden. Insgesamt befinden sich in ihr 140 leere und zahlreiche nur zum Teil beschriebene Seiten. Die Germanistik nennt die Sammlung auch kurz C.

Die „Manessische Liederhandschrift“ enthält ausschließlich dichterische Werke in mittelhochdeutscher Sprache. Ihr Grundstock entstand um 1300 in Zürich, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Sammeltätigkeit der Zürcher Patrizierfamilie Manesse, nach der sie auch ihren heutigen Beinamen trägt. Mehrere Nachtragsschichten kamen bis ca. 1340 hinzu. Der Kodex gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes und bildet für den „nachklassischen“ Minnesang die Haupt- und weithin die einzige Quelle. Die insgesamt 138 Miniaturen, welche die Dichter der Werke in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten darstellen, gelten als bedeutendes Dokument oberrheinischer gotischer Buchmalerei. Eine weitere Miniatur ohne Text ist nur vorgezeichnet. Ohne Miniatur blieb lediglich Walter von Breisach. Die Miniaturen wurden insgesamt von vier Malerhänden gefertigt, davon hat der Grundstock-Maler 110 Miniaturen, der erste Nachtragsmaler 20, der Zweite 4 und der Dritte 3 (+ Vorzeichnungen) hinzugefügt.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt und Aufbau

Die Handschrift beginnt mit einem vom Grundstockschreiber in einer Kolumne bis Nr. CXIII geschriebenen Inhaltsverzeichnis, welches teilweise durch Nachtragschreiber mit zahlreichen seitlichen Ergänzungen versehen wurde.

Die in gotischer Buchschrift (von mehreren Händen) geschriebene Handschrift überliefert die mittelhochdeutsche Lyrik in ihrer gesamten Gattungs- und Formenvielfalt (Lieder, Leichs, Sangsprüche) von den Anfängen weltlicher Liedkunst (Der Kürenberger um 1150/60) bis zur Zeit der Entstehung der Handschrift (Hadloub um 1300). Melodienotationen zu den Texten fehlen. Der Kodex enthält 140 Dichtersammlungen, die jeweils durch ganzseitige Autorbilder (oft mit Wappen und Helmzier, vgl. Abb.) eingeleitet werden und, geordnet nach Tönen, insgesamt rund 6000 Strophen umfassen. Diese Strophen beinhalten sowohl Minne- als auch didaktische und religiöse Lyrik. Die Anordnung der Liedkorpora orientiert sich, wie in der Weingartner Liederhandschrift und in der (verlorenen) gemeinsamen Vorlage *BC, am Stand der Autoren: An der Spitze thronen, als vornehmste Sänger, die staufischen Herrscher Kaiser Heinrich VI. und König Konrad IV., es folgen Fürsten, herren (unter anderen Walther von der Vogelweide) und schließlich meister.

Schon vom Äußeren her stellt sich C als Resultat eines komplexen, nie abgeschlossenen Sammelvorgangs dar: Weder die Texte noch die 138 Bilder sind in einem Zuge eingetragen, und manches ist umgeordnet worden; innerhalb der Autorenkorpora sind Lücken geblieben, etwa ein Sechstel der Seiten ist für Nachträge freigelassen. Unterschieden werden der Grundstock von etwa 110 Autoren (Beginn des 14. Jahrhunderts) und mehrere Nachtragsschichten, die bis zur Mitte des Jahrhunderts weitere 30 Autoren hinzufügten. Unverkennbar ist die Intention, die Liedkunst, auch die zeitgenössische, möglichst vollständig zu sammeln, jedenfalls, soweit sie mit Namen verbunden war oder sich verbinden ließ. Dabei gab es zahlreiche Texteinbußen durch Blattverlust.

Die Strophenanfänge sind mit lied- und tonweise wechselnden blauen und roten Initialen geschmückt und haben teilweise auch Randverzierungen.

Bei dem poetischen Dichterwettstreit, auch unter "Wartburgkrieg" bekannt, sind mehrere Strophen doppelt und zum Teil unter verschiedenen Namen innerhalb einer Dichtersammlung dokumentiert.

Entstehung

Einblick in die Vorstufen bzw. in die Entstehung der Handschrift gibt der Zürcher Dichter Johannes Hadloub (Hauskauf: 4. Januar 1302; † 16. März, vermutlich vor 1340). Er gehörte zu dem durch antiquarische Vorliebe für den staufischen Minnesang und durch Interesse an literarischer Artistik und Formalisierung geprägten Kreis um die Patrizierfamilie Manesse.

In seinem ebenfalls in der Handschrift enthaltenen „Lobpreis der Manessen“ (fol. 372r) besingt der Dichter die auf Vollständigkeit angelegte Sammlung von Liederbüchern durch Rüdiger Manesse d. Ä. (volljährig 1252, † 1304), eines der einflussreichsten Zürcher Ratsmitglieder, und durch dessen Sohn Johannes, den Kustos der Propstei († 1297). Wenn auch eine unmittelbare Beteiligung Rüdiger Manesses an der Herstellung der „Manessischen Handschrift“ nicht explizit bezeugt ist, so dürften doch die von Hadloub erwähnten liederbuochen der Manesse die Grundlage des berühmten Kodex darstellen.

Möglicherweise hat Hadloub selbst maßgeblich an der Vorbereitung und Ausführung des Grundstocks mitgewirkt. Hierauf deutet die exponierte Stellung seines Œuvre in C hin, die durch eine Prunkinitiale und Doppelminiatur markiert wird.

Hadloub erwähnt in anderen Liedern mehrere führende Zürcher Stadtbürger, so die Fürstäbtissin Elisabeth von Wetzikon, den Graf von Toggenburg, den Bischof von Konstanz und die Äbte von Einsiedeln und Petershausen. Man nahm früher an, dass ein Interesse an Literatur oder ihre Teilnahme am „literarischen Leben“ es erlauben würde, diese Gruppe als eine Art Förderzirkel im Umfeld der Manessefamilie anzusehen, der bei der Entstehung der Sammlung eine Rolle gespielt haben könnte. Inzwischen weiß man, dass dieser sog. „literarische Manessekreis“ eine Fiktion ist. Nach Max Schiendorfer fingiert Hadloub idealtypische Lyrik-Situationen und benutzt die prominenten politischen Namen, um seinen Liedern einen Anschein von Realität zu verleihen.

„Habent sua fata libelli“

Herzog Johann von Brabant (Codex Manesse)

Habent sua fata libelli“ (Bücher haben ihr eigenes Schicksal) – dieser lateinische Satz bestätigt sich auch beim Codex Manesse. Seine Bedeutung spiegelt sich in seiner späteren wechselvollen Geschichte.

In wessen Besitz die Handschrift bis zum Beginn der frühen Neuzeit war, ist nicht bekannt. Möglicherweise befand sie sich schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht mehr in Zürich, sonst hätte damals im Elsass oder in Württemberg kaum eine (Gesamt?-)Kopie angefertigt werden können.

Wenn Gottfried Keller 1877 in der Novelle Der Narr auf Manegg eine mögliche Gefahr für die Handschrift beim Brand der Burg Manegg von 1409 schildert, ist dies eine rein literarische Fiktion.

Um 1575/80 muss der Codex im Besitz eines flämischen Sammlers gewesen sein, der sich vor allem für die Adelswappen interessierte, denn er ließ die Wappen und Helmzierden heraldisch fachkundig abzeichnen, möglicherweise aus Anlass des Verkaufs der Handschrift. Wenig später erscheint das Liederbuch in der Schweiz im Nachlass des Freiherrn Johann Philipp von Hohensax († 1596), der von 1576 bis 1588 Ämter in den Niederlanden innegehabt hatte und den Codex in dieser Zeit erworben haben könnte. Seine engen Verbindungen zum Pfalzgrafenhof in Heidelberg lassen es jedoch auch möglich erscheinen, dass Hohensax den Codex dort vor 1594 entliehen und in die Schweiz mitgenommen hätte. Sicher ist nur, dass der Pfalzgraf von Zweibrücken und der Heidelberger Gelehrte Marquard Freher nach dem Tod des Freiherrn jahrelang nichts unversucht ließen, um (wieder?) in den Besitz des Liederbuchs zu gelangen. 1607 kam die Handschrift – unter anderem auf Betreiben des Schweizer Humanisten Melchior Goldast – nach Heidelberg zurück. Goldast war auch sein erster „wissenschaftlicher“ Benutzer, er gab 1604 mehrere didaktische Stücke heraus. 15 Jahre lang gehörte die Handschrift nun zur berühmten Büchersammlung am kurfürstlichen Heidelberger Hof, der Bibliotheca Palatina. 1622 während des Dreißigjährigen Krieges konnte die Handschrift vor der Eroberung Heidelbergs durch die Truppen der Liga unter Tilly offensichtlich in Sicherheit gebracht werden, da sie nicht wie der Großteil der Bibliotheca Palatina als Kriegsbeute nach Rom verbracht wurde. Es ist zu vermuten, dass der „Winterkönig“ Friedrich V. sie zusammen mit den wertvollsten Familienschätzen in sein Exil mitnahm. Seine Witwe geriet nach 1632 jedoch mehr und mehr in wirtschaftliche Bedrängnis, so dass in dem möglichen Verkauf des Erbstücks ein nicht unwahrscheinlicher Weg läge, wie der Codex Manesse einige Jahrzehnte später in der Privatbibliothek des französischen Gelehrten Jacques Dupuy († 17. November 1656) wieder erscheinen konnte. Dieser vermachte seine Sammlung dem König von Frankreich. Somit befand die Liederhandschrift sich seit 1657 im Besitz der Königlichen Bibliothek in Paris (heutige Bibliothèque Nationale de France), wo sie 1815 Jacob Grimm entdeckte. Seither gab es vielfältige Bemühungen, die Handschrift wieder nach Deutschland zurückzuholen. Aufgrund eingetretener Verjährung des Eigentumsanspruchs der Bibliotheca Palatina war dies nur durch einen Kauf oder Tausch möglich. Letzteren bewerkstelligte 1888 der Straßburger Buchhändler Karl Ignaz Trübner, so dass die berühmteste deutsche Handschrift unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach Heidelberg zurückkehren konnte, wo sie bis heute verwahrt wird. Der Erwerb von der Pariser Bibliothek unter ihrem Direktor Léopold Delisle erfolgte im Tausch gegen eine größere Zahl französischer Handschriften, die in den 1840er Jahren aus französischen Bibliotheken entwendet worden waren und die Trübner von Lord Bertram Ashburnham (5. Earl) erwarb, der die teilweise unrechtmäßig erworbene Handschriftensammlung seines Vaters veräußern wollte. Den Codex Manesse erhielt zunächst die Reichsregierung, die die Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg wieder zuwies. Zur Abwicklung des Erwerbs hatte ein kaiserlicher Dispositionsfonds Trübner die erhebliche Summe von 400 000 Mark (ca. 7 Mio. Euro) zur Verfügung gestellt. [1]

Der Original-Kodex kann aus konservatorischen Gründen nur sehr selten im Rahmen von Ausstellungen gezeigt werden. Nachdem bereits 1887 Franz Xaver Kraus anlässlich der 500-Jahrfeier der Heidelberger Universität (1886) in nur 84 Exemplaren eine rasch vergriffene Faksimileausgabe im Lichtdruck herausgegeben hatte, edierte 1925 bis 1927 der Leipziger Insel Verlag (Lichtdruck der Kunstanstalt Albert Fritsch, Berlin) in 6 Lieferungen ein Faksimile in 320 Exemplaren, wozu das Original mit einem Sonderzug nach Leipzig gebracht wurde; ein Faksimile wird ständig im Foyer des Obergeschosses der Universitätsbibliothek präsentiert. 1933 (bis heute) und 1945 erschienen dann je 24 Bilder der Handschrift in verkleinertem Format als Nr. 450 und 560 in der Leipziger Insel-Bücherei (Offsetdruck der Kunstanstalt H. F. Jütte, Leipzig) in größeren Auflagen auch für ein breiteres Publikum. Das Original ging 2006 erstmals seit über 15 Jahren wieder auf Reisen, um in der 29. Ausstellung des Europarates Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation im Kulturhistorischen Museum Magdeburg gezeigt zu werden. Anlässlich dieser öffentlichen Präsentation des Werkes veröffentlichte die Capella Antiqua Bambergensis 2006 ein Musik-Hörspiel, das die Entstehungsgeschichte des Codex Manesse in fiktionalisierter Form erzählt.

Einzelnachweise

  1. Anne-Katrin Ziesak, u.a.: Der Verlag Walter de Gruyter 1749-1999. Berlin und New York, Verlag Walter de Gruyter 1999, S. 176 ff. ISBN 3-11-016740-9

Digitales Faksimile

2006 veröffentlichten das Deutsche Historische Museum in Berlin und die Universitätsbibliothek Heidelberg eine DVD mit dem vollständigen digitalen Faksimile der kompletten Handschrift. Die DVD beinhaltet alle 852 Text- und Bildseiten des Codex, auch die unbeschriebenen Bögen. Der Benutzer kann das Faksimilie wie ein reales Buch durchblättern, Zusatzinformationen anzeigen lassen und einige Register aufrufen.

  • Heidemarie Anderlik (Hrsg.): Codex Manesse - die große Heidelberger Liederhandschrift, Heidelberg, Universitätsbibliothek (Cod. Pal. germ. 848). (Virtuelle Bibliothek). Heidelberg, Universitätsbibliothek, 2006.

Literatur

  • Vollständige Textausgabe: Die Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). In getreuem Textabdruck herausgegeben von Friedrich Pfaff. Titelausgabe der zweiten, verbesserten und ergänzten Auflage bearbeitet von Hellmut Salowsky. Universitätsverlag C. Winter, Heidelberg 1995, ISBN 3-8253-0369-1
  • Friedrich Heinrich von der Hagen (Hrsg.): Minnesinger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Theil 1. Manessische Sammlung aus der Pariser Urschrift. Barth, Leipzig 1838 (Digitalisat)
  • Gisela Kornrumpf: Die Heidelberger Liederhandschrift C. in: K. Ruh (Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Aufl., Bd. 3 (1981), Sp. 584-597
  • Elmar Mittler u. a. (Hrsg.): Codex Manesse. Katalog zur Ausstellung 1988 in der Universitätsbibliothek Heidelberg. Edition Braus, Heidelberg 1988, ISBN 3-925835-20-2
  • Ingo F. Walther: Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Insel, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-458-14385-8
  • Max Schiendorfer: Ein regionalpolitisches Zeugnis bei Johannes Hadlaub (SMS 2). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 112 (1993), S. 37-65 (zum „Manessekreis“)

Weitere Literaturhinweise: siehe Bibliographie der Universitätsbibliothek Heidelberg

Siehe auch

Weblinks


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