- Priestermangel
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Als Priestermangel wird die Situation einer für die geistlichen und seelsorgerlichen Bedürfnissen eines bestimmten Bereichs nicht ausreichenden Anzahl von Priestern bezeichnet. Das Problem ist heutzutage insbesondere in der römisch-katholischen Kirche akut.[1] [2] In früheren Jahrhunderten war Priestermangel in der anglikanischen Kirche ein Grund für die Entstehung der bischöflichen Methodistenkirche, insbesondere in den nordamerikanischen Kolonien Großbritanniens.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung der Priesterzahl
Die Priesterzahl in der römisch-katholischen Kirche ist in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts absolut gesunken, sie steigt seit dem Jahr 2000 wieder leicht an. 1978 waren es noch 416.329 Priester, 2001 gab es nach Angaben der Kongregation für den Klerus weltweit 405.067 Priester und Ordensgeistliche in der katholischen Kirche, im Jahr 2006 waren es nach dem päpstlichen Jahrbuch 2008 wieder 407.262. Gleichzeitig stieg die Zahl der ständigen Diakone von 5.562 auf 29.204. Die Entwicklung ist auf den Kontinenten sehr unterschiedlich: Europa und Amerika stellten im Jahr 2000 81 Prozent der Priester, 2006 waren es 78 Prozent. In Europa ist die Tendenz sinkend, während Asien und Afrika große Zuwachsraten haben.[3] [4]
Deutschland
In Deutschland sank im Zeitraum 1978-2007 die Zahl der Priester von 24.659 auf 15.759.[5], in Österreich von 6.238 auf 4.478 und in der Schweiz von 4.492 auf 3.091.[6] Im Jahr 2008 fiel in Deutschland die Anzahl der neuen Priester, soweit sie in den Priesterseminaren der 27 deutschen Bistümer ausgebildet worden sind, auf 95 Personen und damit erstmals unter 100 Neupriester.[7] Nach Prognosen der Bistümer werden zwei Drittel der Gemeinden 2020 keinen eigenen Pfarrer mehr haben.[8]
Eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Pastoralversorgung ist die Anzahl der von einem Priester betreuten Gemeindemitglieder. Weltweit stieg die Zahl der Katholiken pro Priester im Zeitraum 1969 bis 2001 von 1.428 auf 2.619, in Deutschland von 992 auf 1.422, in Österreich von 980 (1961) auf 1.343 und in der Schweiz von 519 (1961) auf 1.017. Die Zahl der Gemeindemitglieder pro Priester schwankt stark zwischen den einzelnen Ländern, die Spanne reichte 2001 von 160.000 Katholiken pro Priester in Saudi-Arabien zu 886 im Vereinigten Königreich.[9]
Österreich
Der Rückgang der Priesterzahlen in Österreich führte 2011 zu dem Entschluss der österreichischen Bistümer Priesterseminare zusammenzulegen. [10] Die Priesterseminare werden in Österreich folgendermaßen zusammengelegt:
- St. Pölten, Eisenstadt (Burgenland) und Wien: Hauptstandort in Wien
- Linz, Innsbruck und Feldkirch: Hauptstandort in Innsbruck
- Salzburg (vorerst eigenständig für sich)
- Graz und Klagenfurt.
Übriges Europa
Papst Benedikt XVI. hat den Zustand des Priestermangels in einer Rede am 11. September 2006 bedauert.[11] Von einigen Geistlichen werden die Zahlen in Mitteleuropa jedoch relativiert, da die Gesamtkirche in den betroffenen Gebieten ja schneller schrumpfe als die Priesterzahl. So antwortete Tarcisio Kardinal Bertone, Staatssekretär des Papstes, auf ein Schreiben österreichischer Geistlicher, dass der Rückgang der Priesterzahl in Österreich eng mit dem Rückgang der praktizierenden Katholiken verbunden sei, und dass heute wahrscheinlich sogar weniger praktizierende Katholiken auf einen Priester in Österreich kämen als in früheren Jahrzehnten.[12]. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte in einem Interview des Kölner Stadtanzeigers, es gebe gemessen an der Zahl junger Gottesdienstbesucher heute sogar mehr Priesteramtskandidaten als früher.[13]
Mögliche Ursachen
Die möglichen Ursachen für den Priestermangel in der römisch-katholischen Kirche variieren nach den Umständen der betroffenen Gebiete und über Lösungswege wird innerhalb der Kirche diskutiert.[14] [15]
Säkularisierung
Die zunehmende Säkularisierung in westlichen Industriestaaten führt zu einer geringeren Zahl an bekennenden Gläubigen. Sofern die Zahl derer, die sich für das Priestertum entscheiden, noch schneller abnimmt als die geistigen Bedürfnisse der Laien, entsteht somit ein Priestermangel.[16]
Der Jesuitenpater und Soziologe Jan Kerkhof sieht eine Ursache in einer zu geringen Kinderzahl in römisch-katholischen Familien, die Eltern davon abhalte, einen ihrer Söhne in einer Entscheidung für den Priesterberuf zu bestärken.[17]
Zölibat
Zum anderen führe das zölibatäre Leben zu einer geringeren Zahl der katholischen Priesterberufungen; dies ist vor allem in Afrika der Fall. Eine gesellschaftliche Ablehnung der Ehelosigkeit führt zwangsläufig zu einer geringeren Zahl, da die Akzeptanz des zölibatären Lebens abnimmt.[18] In den Jahren 2000 bis 2004 haben nach Angaben einer Jesuitenzeitschrift 5.380 Priester ihr Amt wegen einer Partnerschaft niedergelegt. Von 69.000 Priestern, die in den letzten 40 Jahren geheiratet haben, haben 11.200 den Schritt später bereut und sind nach einer Trennung oder nach dem Tod der Partnerin wieder Priester geworden.[19]
Homosexualität
Laut einer 2002 veröffentlichten amerikanischen Studie gaben 7 % der befragten Priester, die ihr Amt niederlegten, als Grund an, dass sie sich als Homosexuelle nicht hinreichend verstanden oder unterstützt fühlten, doch stellt der Autor der Studie zugleich fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass homosexuelle Priester ihr Amt niederlegten, deutlich geringer sei als bei Heterosexuellen.[20]
„Reformstau“
Liberale Katholiken wie Hans Küng sehen im Reformstau, den sie der römisch-katholischen Kirche diagnostizieren, eine Ursache, welche die Motivation zum Priesteramt bremse und dadurch zum Priestermangel führe. Die Frage des Zölibats, der Frauenordination und des gemeinsamen Abendmahls werden als Felder genannt, in denen Reformen nötig seien, aber von Rom blockiert würden.[21]
Auswirkungen
Der Priestermangel führt in westlichen Industriestaaten zu einer sakramentalen und seelsorglichen Unterversorgung der Gläubigen in einem bestimmten Gebiet. Die Strecken, welche zum Besuch einer Heiligen Messe oder Taufe zurückgelegt werden müssen, werden insbesondere in ländlichen Regionen immer länger, da die geringe Anzahl der Priester verständlicherweise auch die Anzahl der Gottesdienste verringert. Umgekehrt bedeutet dies für die Priester, dass die Wegstrecken für sie immer länger werden und sie damit auch weniger Zeit für die einzelnen Gläubigen haben, da sie sich nun um eine größere Anzahl von Gläubigen kümmern müssen.
In Deutschland und vielen anderen westeuropäischen Ländern hat die Anzahl der Priester in den vergangenen zwei Jahrzehnten abgenommen.[22] So entstehen mittlerweile aufgrund des Priestermangels in den deutschen Bistümern Pfarrverbände. Zudem werden verstärkt Priester aus anderen Staaten, besonders aus Polen, Indien und Drittweltstaaten in Deutschland eingesetzt.
In den Vereinigten Staaten nannte der Erzbischof von Boston, Kardinal Sean Patrick O'Malley, den Priestermangel als Begründung für die Schließung von Dutzenden von Gemeinden 2004, darunter fünf Gemeinden, in denen Gläubige das Kirchengebäude besetzt halten, um gegen die Schließung zu protestieren.[23]
In Drittweltstaaten, insbesondere in Lateinamerika, hingegen wird die Missionierung aufgrund des Priestermangels geschwächt. Schon Mitte der 1980er Jahre hatten die protestantischen Seelsorger, insbesondere Pfingstler in Brasilien, die katholischen Priester zahlenmäßig überholt; gegenwärtig haben Protestanten doppelt so viele Seelsorger in Brasilien.[16]
Gegenläufige Entwicklungen
Teilweise gegenläufig zum allgemeinen Trend entwickelt sich der Nachwuchs in den traditionalistischen Priestergemeinschaften, wie zum Beispiel bei der Priesterbruderschaft St. Petrus, dem Institut Christus König und Hoherpriester und anderen. Im Jahr 2010 gehörten diesen Gemeinschaften, die der Kommission Ecclesia Dei zugeordnet sind, insgesamt etwa 370 Priester an, denen etwa 300 Seminaristen gegenüberstanden.[24]
Vorschläge zur Verringerung des Priestermangels
Die Pastoraltheologen Paul Zulehner und Bischof Fritz Lobinger beschreiben drei üblicherweise vorgeschlagene Lösungswege zur Verringerung des Priestermangels. Als „traditionellen“ Lösungsvorschlag bezeichnen sie die Aufforderung zu verstärktem Gebet um geistliche Berufungen, die Intensivierung von Berufungspastoral und Werbung für kirchliche Berufe und die Entsendung von Priestern aus gut versorgten Gebieten in Mangelgebiete. In „pragmatischen“ Lösungsmodellen übernehmen Laien und Diakone Aufgaben der Priester; unterstützend wird die Größe der Seelsorgeeinheiten an die Zahl der Priester angepasst. „Reformistische“ Ansätze schlagen die Vergrößerung der für den Priesterberuf verfügbaren Personengruppe durch veränderte Rahmenbedingungen vor; übliche Empfehlung dazu sind die Veränderung der Priesterausbildung, die Zulassung der Frauenordination und die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung für Kleriker. Zulehner und Lobinger ergänzen diese drei Lösungswege durch einen vierten Weg, indem sie neben den zölibatär lebenden, akademisch gebildeten „Pauluspriester“ mit missionarisch-seelsorgerlichem Auftrag den „Korinthpriester“ stellen, dessen Aufgaben vor allem in der Gemeindeleitung liegen und der verheiratet sein darf.[14]
Reformorientierte Zusammenschlüsse innerhalb der römisch-katholischen Kirche wie die Synode der Luzerner Kantonalkirche[25], kirchliche Laieninitiativen wie die Initiative Kirche von unten[26], kirchenkritische Journalisten[27], Politiker wie Doris Leuthard[28] und Theologen wie Eugen Drewermann[29] schlagen vor allem zwei Lösungswege zur Behebung des Priestermangels vor: die Aufhebung des Zölibats und die Weihe von Frauen zu Priestern.
Da es starke regionale Abweichungen in der Anzahl der Berufungen gibt, schlagen einige die Entsendung von Priestern aus Regionen, die vom Priestermangel weniger stark betroffen sind, in Regionen hin, die weniger Priester pro Gläubige haben.[30] Vor etwa hundert Jahren hatte Afrika noch keinen einzigen aus der indigenen Bevölkerung stammenden Priester. In manchen afrikanischen Ländern hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten jedoch vollkommen umgekehrt. In Nigeria zum Beispiel gibt es so viele Priester, dass die dortigen Bischöfe beschlossen haben, diesen Reichtum mit anderen afrikanischen Ländern zu teilen. Priester werden unter anderem nach Südafrika und in den Tschad entsandt, um die dortige Kirche zu unterstützen. Weiter ist sogar eine eigene Missionsgesellschaft gegründet worden, deren Mitglieder in den Vereinigten Staaten lebende schwarze Katholiken seelsorglich betreuen.[31]
Nahezu 1.400 der insgesamt 12.571 aktiven Priester in Deutschland kamen bereits im Jahre 2001 aus dem Ausland, die meisten aus Polen (rund 470) und Indien.[30]
Literatur
- Dean R. Hoge: The First Five Years of the Priesthood: A Study of Newly Ordained Catholic Priests. Liturgical Press, Collegeville, Minnesota 2002.
- Richard Sipe: Celibacy in Crisis: A Secret World Revisited. Brunner-Routledge, New York und Hove 2003.
Situation in nicht römisch-katholischen Kirchen
In den altkatholischen Kirchen ergibt sich das Problem weniger durch die zu kleine Anzahl von Priestern, die eine bestimmte Zahl von Gläubigen betreuen soll, sondern vielmehr durch die Diasporasituation. Beitritte ehemals römisch-katholischer Geistlicher konnten in den letzten Jahren garantieren, dass die Zahl der Priester auch bei weniger Priesteramtskandidaten aus der eigenen Kirche genügend geblieben ist. Bei den anglikanischen Kirchen spielt das Thema in den traditionellen Kernländern des Anglikanismus ebenfalls keine Rolle. Für das Thema Priestermangel in orthodoxen Kirchen gilt ähnliches. In diesen drei Kirchentraditionen ist der Zölibat keine Voraussetzung für die Priesterweihe.
Weblinks
- Deutsche Bischofskonferenz: Zukunft der (Pfarr-)Seelsorge; Referat von Bischof Joachim Wanke beim Studienhalbtag der Deutschen Bischofskonferenz am 7. März 2001 in Augsburg
- Linksammlung zum Thema Priestermangel, Pfarrstrukturen, Pastoral (…)
Einzelnachweise
- ↑ WDR 5: Priestermangel und Klosterschließungen. Interview mit Dr. Joachim Wanke, 17. Februar 2005
- ↑ Deutschland: Einbruch bei Priesterzahlen. In: Die Tagespost, 3. April 2004
- ↑ Kongregation für den Klerus: Klerus – Gesamtzahl (frz.), aufgerufen am 13. April 2007
- ↑ Zahl der Katholiken weltweit steigt aufgerufen am 10. Oktober 2008
- ↑ Kirchliche Statistik, Welt- und Ordenspriester, aufgerufen am 10. Dezember 2008
- ↑ Kongregation für den Klerus: Priester – Zahlen für die einzelnen Kontinente und Nationen (frz.), aufgerufen am 13. April 2007
- ↑ Bistum Münster: Erstmals weniger als 100 Neupriester
- ↑ Priestermangel erzwingt Veränderungen
- ↑ Kongregation für den Klerus: Priester – Zahl der Gläubigen, die ihrer Hirtensorge anvertraut sind (frz.), aufgerufen am 13. April 2007
- ↑ Die Presse:Diözesen legen Priesterausbildung zusammen
- ↑ Benedikt XVI.: Predigt bei der Marianischen Vesper mit den Ordensleuten und Seminaristen Bayerns in Altötting, 11. September 2006
- ↑ Amtsblatt für die Diözese Regensburg No. 7, 28. Juli 2008 aufgerufen am 10. Oktober 2008
- ↑ Zollitsch: Zölibat ist nicht Schuld am Priestermangel aufgerufen am 10. Oktober 2008
- ↑ a b Christ in der Gegenwart: Priestermangel weitergedacht, Nr. 42/2002, aufgerufen am 13. April 2007
- ↑ Leo Auf der Maur: Seelsorgenotstand in der Schweiz – Viri probati und „Priestermangel“: ein zukunfsweisendes Denkmodel, 30. August 2005
- ↑ a b Philip Jenkins: Demographische Entwicklung der Christen weltweit: Auswirkungen auf die neue Evangelisierung (Vortrag beim Missionskongress 2006) (PDF), 2. Mai 2006
- ↑ Baby Johannessen: In Europa nimmt der Priestermangel zu, St. Olav, katholische Zeitschrift für Religion und Kultur, Nr. 1-2/1998. „Früher hatten die meisten katholischen Familien viele Kinder und immer jemanden, den sie für eine Berufung ‚entbehren‘ konnten. Der Priesterberuf wurde auch als ein Lebensweg für viele junge Männer angesehen. Katholische Eheleute … haben seit langem nur ein oder zwei Kinder. Da braucht es viel, um für eine Berufung Raum zu schaffen.“
- ↑ DPA: Vatikanspitze berät über Zölibat und „Fall Milingo“, 16. November 2006
- ↑ 69.000 katholische Priester haben geheiratet. In: NZZ, 20. April 2007
- ↑ Hoge, S. 3 und S. 32
- ↑ Kommentar zu einem Streitgespräch zwischen Karl Kardinal Lehmann und Hans Küng
- ↑ Katholische Kirche: Verheiratete Priester: Erzbischof vorsichtig – ORF
- ↑ Abby Goodnough, "In Quiet Rebellion, Parishioners Keep the Faith". In: New York Times, 5. Januar 2009
- ↑ 370 Priester, hunderttausende Gläubige. Auf: www.kath.net vom 13. Mai 2010; abgerufen am 11. Mai 2011.
- ↑ kirche heute: Für Frauenordination und Aufhebung des Zölibates, 11. Januar 2004
- ↑ IKVU: Weltfrauentag
- ↑ Bettina Gabbe: Eine lange Liste dringender Aufgaben. In: Wiesbadener Kurier, 5. April 2005
- ↑ 20min: Interview mit schweizerischen Bundesrätin Leuthard, 8. April 2007
- ↑ Netzzeitung: Drewermann nennt Vatikan-Erlass «infam»
- ↑ a b Geistliche Green Card. In: Der Spiegel. Nr. 47, 2001 (online).
- ↑ Kath.net: Afrika möchte Not an Priestern in Europa lindern 28. April 2007
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