Proporzsystem

Proporzsystem

Proporz bezeichnet das Verhältnis der Angehörigen einer Gruppe und der Zahl ihrer Vertreter in einem Entscheidungsgremium.

Es ist eine Kurzbezeichnung für Proportionalität (Verhältnismäßigkeit) und bezeichnet damit die anteilsmäßige Beteiligung politischer Gruppierungen (Parteien) an Gremien, Regierungen und Ämtern.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird damit zumeist die Praxis von Regierungsparteien, besonders in Großen Koalitionen (Schweiz, Österreich, Deutschland) bezeichnet, entsprechend ihrem jeweiligen politischen Stärkeverhältnis Posten im öffentlichen Dienst und in der verstaatlichten Wirtschaft an Parteigänger zu vergeben.

Typischerweise werden Koalitionsregierungen (in etwa) proportional zur Fraktionsstärke (oder dem Stimmenanteil) der Regierungsparteien besetzt.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch versuchte 1967, die spezifischen Charakteristika des in Österreich und der Schweiz bestehenden politischen Systems auf theoretischer Ebene in einem Begriff zu bündeln: der Proporzdemokratie[1].

Österreich

Bund

Die Koalitionsverhandlungen seit 1945 sind die höchste Instanz der Absicherung des Proporzes. 1949 wurde der Proporz auf jene Führungsriegen ausgedehnt, die der verstaatlichten Industrie vorstanden und, bedingt durch den massiven Zuwachs des rechten Verbandes der Unabhängigen (VdU), der späteren FPÖ, in den Wahlen desselben Jahres, sahen sich die „großen Zwei“ (SPÖ und ÖVP) gezwungen, das System auf allen administrativen Niveaus anzuwenden. Angesichts des überwältigenden Ergebnisses von 16 VdU-Mandaten galt es, die Machthebel im Falle eines sich fortentwickelnden Zuwachses für sich vereinnahmt zu wissen.

Ursprünglich als Stabilitätsfaktor nach den Erfahrungen des Bürgerkriegs erdacht und zu diesem Zwecke einer konfliktträchtigen zentrifugalen Demokratie entgegenarbeitend, sah sich diese Konsenspolitik der Proporzdemokratie innerhalb der großen Koalition einer drohenden Depolitisierung gegenüber gestellt. Sie vegetierte lustlos vor sich hin und verlor jegliche Eigendynamik und Zündstoff. "Die Konversion von solidarischem in individuelles Handeln bringt einen Abzug von Energie vom Schlachtfeld und Marktplatz der Politik mit sich."[2] Kurz gesagt: die Politik verkrustete.[3]

Es stellte sich die berechtigte Frage, ob gezügelte Konflikte, entgegen der landläufigen Meinung, der Demokratie gegenüber als nicht unbedeutender Modernisierungsfaktor förderlich seien. Das System des Proporzes war eingefahren und die öffentliche Meinung darüber konnte die ÖVP, allen voran Josef Klaus und Hermann Withalm, für sich nutzen. Als Trägerin der Reform konnte sich die ÖVP profilieren und nach der Periode der Großen Koalition zwischen 1945 und 1966 nach den Wahlen als alleinregierende Partei mit absoluter Mehrheit etablieren. Das System des Proporzes ging in der Praxis seinem parteipolitischen Ende (auf Bundesebene) zu.

Länder

Der Proporz war und ist Bestandteil der Landesverfassungen der meisten Bundesländer. 1999 ersetzten Salzburg und Tirol den Proporz durch ein System freier Mehrheits- und Koalitionsbildungen, wodurch heute in vier von neun Bundesländern (Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Wien) die Landesregierung aufgrund freier Koalitionsbildung zwischen den Parteien zustande kommt. Weitere Bundesländer dürften folgen.

Zitat

„Das Gleichgewichtsprinzip ist ein so charakteristischer Bestandteil der österreichischen Innenpolitik und damit der Organisation der Verwaltung in Bund, Ländern, Gemeinden und in öffentlicher Hand befindlicher Unternehmen geworden, daß man mit gutem Grunde sagen könnte, daß die meisten Bestimmungen des formellen Verfassungsrechts, einschließlich der republikanischen Staatsform, ohne tiefgreifende Folgen geändert werden könnten, solange nur dieses Prinzip in Kraft bleibt, während die Rückkehr zur freien politischen Konkurrenz einer Revolution gleich käme, obwohl dazu nicht ein Komma im Verfassungstext geändert werden müßte.“

Gustav E. Kafka: 1958[4]

Schweiz

Der Begriff Proporz wird in der Schweiz auch synonym für die Verhältniswahl verwendet.

Südtirol

In Südtirol wird unter Proporz die Aufteilung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst und Sozialwohnungen nach dem Verhältnis der im Einzugsbereich wohnhaften Sprachgruppen verstanden, siehe Ethnischer Proporz (Südtirol).

Frauenproporz

DIE GRÜNEN in der Bundesrepublik Deutschland führten den so genannten Frauenproporz (Frauenquote) bei ihren Vorstandsgremien und ihren Kandidatenlisten für die Parlamente ein. Dieser sollte dafür sorgen, dass mindestens 50 % der Vorstandsposten und der Mandate an Frauen gehen.

An diesem Prinzip wird aus verschiedenen Gründen Kritik geübt. Seine Anwendung kann mitunter dazu führen, dass die Männer verbissener um die für sie gebliebenen Männerplätze kämpfen, oder dass Minderheiten, denen man vorher einen gewissen Proporz zugestanden hatte, nicht mehr in gleichem Maße zum Zuge kommen. Auch wird befürchtet, dass Frauen mitunter in ihrer Eigenschaft als Frauen und nicht ausschließlich auf Grund ihrer eigenen Fähigkeiten und Qualitäten gewählt werden.

Quellen

  1. Lehmbruch, Gerhard: Proporzdemokratie: Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und in Österreich ISBN 978-3-168-17671-8
  2. Dahrendorf Ralf: Konflikt und Freiheit: auf dem Weg zur Dienstklassengesellschaft Piper Verlag, München, 1972, ISBN 3-492-01782-7
  3. Hanisch, Ernst: Österreichs Geschichte 1890-1990 Wien, 1994
  4. Gustav E. Kafka, Graz: Die Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien im modernen Staat – 2. Mitbericht, in: Vereinigung der Deutschen Strafrechtslehrer: Veroeffentlichungen Staatsrechtslehrer 17 2ae – Tagung am 8. Oktober 1958 an der Universität Wien, S. 89

Weblinks

Siehe auch


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