- Automatisierungstechnik
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Die Automatisierungstechnik ist eine Einzelwissenschaft des Ingenieurwesens, die zum Ziel hat, Maschinen oder Anlagen automatisiert, also selbstständig und ohne Mitwirkung von Menschen, zu betreiben.
Je besser dieses Ziel erreicht wird, umso höher ist der Automatisierungsgrad. Häufig übernehmen Menschen die Überwachung, den Nachschub, den Fertigteilabtransport, die Wartung und ähnliche Arbeiten. Durch die Fortschritte in der Elektronik (Mikroprozessoren) kann dieses Ziel immer besser erreicht werden. Neben der Entlastung des Menschen von gefährlichen und/oder anstrengenden Tätigkeiten sind Qualitätsverbesserungen, eine höhere Leistungsfähigkeit des jeweiligen Systems sowie die Senkung von Personalkosten die Motivation, Automatisierungstechniken einzusetzen.
Im Englischen wird der Begriff Automation verwendet.
Inhaltsverzeichnis
Die Bedeutung der Automatisierungstechnik
Die Automatisierungstechnik ist eine Hilfsdisziplin für alle Bereiche der Technik. Die zugehörigen Methoden und Lösungen sind das Ergebnis einer verallgemeinerten (abstrahierenden) Modellbetrachtung realer physikalischer Systeme.
- Für jede physikalische Größe sind Messverfahren entwickelt worden. Das hat zur Entwicklung einer großen Vielfalt von Sensoren geführt. Beispiel: Durchflussmessung unter Nutzung der Corioliskraft. Der Messwert selbst wird in der Regel als Standardsignal zur Verfügung gestellt.
- Auch diese Tätigkeit wurde abstrahiert. So konnte statt einer verbindungsorientierten Verriegelung eine (flexible) speicherprogrammierte Steuerung entwickelt werden.
- Alle Wirkzusammenhänge in einem Regelkreis sind unabhängig vom Anwendungsfall untersucht worden. Eine Fülle von Lösungen steht für den konkreten Einsatzfall zur Verfügung.
- Je höher der Automatisierungsgrad, desto mehr dezentrale Sensoren und Aktoren werden eingesetzt. Das führt zu immer größeren Datenmengen, die verarbeitet und kommuniziert werden müssen. Für die Vernetzung werden Feldbussysteme, wie z.B PROFIBUS, Interbus oder ASI-Bus, Echtzeit-Ethernet und drahtlose Übertragungssysteme und viele mehr, eingesetzt. Die maschinennahe Vernetzung ist in den meisten Fällen Teil einer geschlossenen Wirkungskette und muss daher zur Sicherstellung der Dynamik-Anforderungen entsprechende Echtzeit-Bedingungen erfüllen. Normierte Protokolle legen einen geregelten Ablauf fest.
- Die Rolle des Bedieners einer Maschine oder Anlage wird analysiert. Der Bediener muss ausreichend über die Betriebsverhältnisse informiert werden, damit er die richtigen Entscheidungen treffen kann. Die Befehlsgeber müssen gut erreichbar sein. Fehlertoleranz und intuitives Verständnis sind hier gefordert. Man bezeichnet diesen Bereich auch als Mensch-Maschine-Schnittstelle.
- Die Einhaltung einer Fülle von Vorschriften ist Voraussetzung für die Erstellung von Maschinen und Anlagen. Die Disziplin Automatisierungstechnik ist maßgeblich an der Formulierung dieser Vorschriften beteiligt. Beispiel: Explosionsschutz.
- Die Automatisierungsfachleute arbeiten hier mit den Maschinenkonstrukteuren oder den Verfahrenstechnikern zusammen. Hierfür gibt es bewährte Methoden. Beispiel: Rohrleitungs- und Instrumentenschema als Basisdokument.
- Ein herausragendes Ergebnisbeispiel ist das Fly-by-Wire-Konzept bei Flugzeugen.
Grenzen der Automatisierungstechnik
Am Anfang beschränkte sich die Anwendbarkeit der Automatisierungstechnik auf die Großserienproduktion. Durch den Einsatz flexiblerer Anlagen ist es heutzutage jedoch möglich, auch die Produktion von Kleinserien bis hinunter zu Einzelstücken zumindest teilweise zu automatisieren.
Die Grenze für den Einsatz der Automatisierung ergibt sich heutzutage meistens aus der Wirtschaftlichkeit:
Komplexe Bewegungsabläufe zu automatisieren ist in den meisten Fällen prinzipiell möglich, kann aber eine kostspielige Angelegenheit sein, wenn dazu der Einsatz aufwändiger Roboter (und deren Programmierung) erforderlich wird. In vielen Fällen ist es - auch beim Lohnniveau westlicher Industriestaaten - billiger, menschliche Arbeitskräfte einzusetzen.
Dies trifft vor allem auf den Zusammenbau von Produkten zu (Endfertigung). Zwar lässt sich durch entsprechendes Design die Eignung eines Produkts für die automatisierte Fertigung verbessern, dies ist aber nicht immer gewünscht oder wirtschaftlich sinnvoll.
Eine weitere Grenze der Automatisierungstechnik liegt dort, wo kreative Entscheidungen oder auch nur flexibles Problemlösen gefragt sind - diese Aufgaben kann ein Automatisierungssystem nur in den seltensten Fällen zufriedenstellend lösen.
Eine ganz andere Grenze der Automatisierung ist die nachlassende Aufmerksamkeit des Überwachers durch ein übermäßiges Vertrauen in das automatische System.
Methoden der Automatisierungstechnik
Entwurf, Implementierung und Inbetriebnahme von Automatisierungsfunktionen ist stark methodenorientiert. Diese Methoden der Automatisierungstechnik sind zum Teil auf bestimmte Prozesse zugeschnitten.
Die meisten der entwickelten allgemeinen Methoden der modernen Prozessautomatisierung verwenden theoretisch oder experimentell ermittelte Modelle der Prozesse in analytischer Form. Auf der Grundlage dieser Modelle können dann wissensbasierte Methoden zum Entwurf und zur Inbetriebnahme der verschiedenen Automatisierungsfunktionen entwickelt werden. Hierzu gehören Methoden wie
- Identifikation und Parameterschätzung
- adaptive Regelung
- Überwachung und Fehlerdiagnose
- Fuzzy-Logik
- evolutionäre Algorithmen
- neuronale Netze
Mit wissensbasierten Ansätzen entstehen dann zum Beispiel Automatisierungssysteme, die modellgestützte Regelungen und Steuerungen (selbsteinstellend oder kontinuierlich adaptiv) und eine Überwachung mit Fehlerdiagnose enthalten. In Abhängigkeit von der jeweiligen Information können sie Entscheidungen treffen.
Die prozessorientierten Methoden dienen der Entwicklung von Prozessen und mechatronischen Systemen. Hierzu zählen zum Beispiel die rechnergestützte Modellbildung, Simulation und digitale Regelung von Robotern, Werkzeugmaschinen, Verbrennungsmotoren, Kraftfahrzeugen, hydraulischen und pneumatischen Antrieben und Aktoren, für die auch Methoden zur Fehlerdiagnose entwickelt und praktisch erprobt werden. Die Automatisierungslösung sollte dabei an die vorhandene Infrastruktur und die etablierten Prozesse angepasst sein[1]. Von besonderer Bedeutung sind dabei auch die Entwicklung und praktische Erprobung von Methoden der Computational Intelligence, also ein Zusammenwirken von Fuzzy-Logik, neuronalen Netzen und evolutionären Optimierungsalgorithmen.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung
Automatisierung und Rationalisierung gehen Hand in Hand. Arbeitsplätze in der Produktion entfallen. Die Produktivität wird laufend gesteigert.
Die Automatisierung schafft aber auch Arbeitsplätze. Zum einen müssen laufend neue Maschinen und Anlagen mit höherem Automatisierungsgrad hergestellt werden. Diese haben dann in der Regel einen größeren Markt.
Es gibt laufend neue Produkte. Die bestehenden Anlagen und Maschinen haben nur kurze Produktionslaufzeiten, weil sich ständig Verbesserungen ergeben.
Die Erfolge und die Bedeutung der sogenannten Schlüsselindustrien sind ohne die ständigen Verbesserungen in der Automatisierung nicht denkbar.
Automaten verringern den Anteil an monotonen Arbeiten für den Menschen.
Die Automatisierung ist nicht nur auf industrielle Bereiche beschränkt. Sie erfasst zunehmend auch den Dienstleistungsbereich. Beispiele: Der automatische Zahlungsverkehr bei Banken oder die automatisch erstellte Stromrechnung. Ebenso werden inzwischen viele Tätigkeiten im Haushalt (z. B. Waschen von Kleidung mit Hilfe einer Waschmaschine) oder im Alltag (gezielte Regelung des Bremsdrucks eines Autos mit Hilfe eines Antiblockiersystems (ABS) bzw. ESP) durch Automatisierung erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht.
Geschichte
Die Automatisierungstechnik hat viele Wurzeln, die in Zeiten zurückreichen, als der Begriff selbst noch nicht etabliert war.
1785 erfand Edmond Cartwright den vollmechanisierten Webstuhl. Schon vorher wurden gelochte Holzbrettchen oder hölzerne Lochkarten für die Erzeugung gemusterter Stoffe eingesetzt. Die automatisierten Webstühle vernichteten viele Arbeitsplätze und führten zu den Weberaufständen.
James Watt hat die Dampfmaschine nicht erfunden, aber wesentlich weiterentwickelt. Herausragend war 1788 der Einsatz eines mechanischen Fliehkraftreglers, der Einfluss auf die Dampfzufuhr hatte und so die Drehzahl zufriedenstellend konstant halten konnte. Das war nach heutiger Terminilogie ein Proportionalregler ohne Hilfsenergie mit negativer Rückkopplung. Fliehkraftregler wurden zuvor schon bei Mühlen eingesetzt. Ferner fügte er dem Dampfkessel erstmals ein Sicherheitsventil zu. In Zusammenhang mit der Dampfmaschine wird vom Beginn der industriellen Revolution gesprochen.
Für 1796 wird Antonie Favre aus Genf die Erfindung der Walzenspieldose zugeschrieben. Das Spielwerk basierte auf Zungenkamm und Stachelrad. In der Folge gab es eine Vielzahl von "automatischen" Musikinstrumenten. Der Nockenschalter wurde häufig für Maschinensteuerungen eingesetzt.
1833 baute Samuel Morse den ersten brauchbaren elektromagnetischen Schreibtelegrafen. Die Zeichen waren codiert und wurden seriell übertragen. Dies führte zum Fernschreiber und zu genormten seriellen Schnittstellen. Diese waren dann Grundlage für die heutigen Bussysteme.
1941 stellt Konrad Zuse seinen Z3-Rechner vor. Dieser arbeitete mit binären Gleitkommazahlen. Nach heutigem Sprachgebrauch war das ein Computer. Es begann das Zeitalter der digitalen Revolution.
1947 prägt Norbert Wiener den Begriff der Kybernetik. Unter anderem wird hier der Rückkoppelungsmechanismus auf biologische und technische Systeme untersucht. Ein weiterer Begriff ist Kommunikationstheorie.
1948 prägt William B. Shockley den Begriff Transistor für die bereits entwickelten Halbleiterbauelemente. 1970/71 folgte dann der Mikroprozessor. Es begann eine stürmische Entwicklung der Computertechnik, die die Möglichkeiten der Automatisierungstechnik extrem beeinflusste.
John Warner Backus von IBM unterbreitet 1953 seinen Vorschlag für die höhere Programmiersprache Fortran (formula translator).
1969 stellt Richard Morley seinen "solid-state sequential logic solver" (Halbleiter-basierende sequentielle Verriegelungslösung) vor. Das war die Geburt der speicherprogrammierbaren Steuerung.
1970 Gründung des Universal Product Coding (UPC) in den USA. 1977 Einführung des EAN-Codes (europäischen Version des UPC-Code). Der Barcode wird mit optoelektronischen Leseköpfen (Scannern) gelesen. Diese Identifizierungsmethoden waren Grundlage für automatische Warensteuerungen (Logistik). Die Barcodetechnik wird derzeit zunehmend durch RFID-Techniken ersetzt.
1977: die Firma IC Eckhardt hat mit dem pneumatischen Kreuzbalgregler weltweiten Erfolg. Heute sind pneumatische Regler fast völlig vom Markt verschwunden, weil die Verwendung von eigensicheren Signalleitungen diese Technik verdrängt hat.
1995 ist das erste satellitengestützte Ortungssystem (GPS) in Betrieb. Neben der Entwicklung von Navigationssystemen führte dies unter anderem zur automatischen Lenkung von Landmaschinen.
1996 gewinnt der Großrechner Deep Blue erstmals gegen einen amtierenden Schachweltmeister.
Bedeutende Persönlichkeiten
- Henry Ford: Bildete mit der Entwicklung der Fließbandfertigung die Grundlage der Industrieautomatisierung
- Odo J. Struger: Maßgeblich an der Entwicklung der SPS beteiligt
Literatur
- Jan Lunze: Automatisierungstechnik. 2. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 3-486-58061-2.
- K.W. Früh, U. Maier: Handbuch der Prozeßautomatisierung. 4. Auflage. Oldenbourg Industrieverlag, 2009, ISBN 383563142X.
- Walter Jakoby: Automatisierungstechnik. Algorithmen und Programme. 1. Auflage. Springer-Verlag, Berlin März 1996, ISBN 3540603719.
- Prof. Dr.-Ing. Dietmar Schmid: Automatisierungstechnik. 8. Auflage. Verlag Europa-Lehrmittel, 2009, ISBN 9783808551585.
Einzelnachweise
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