Schütte-Lihotzky

Schütte-Lihotzky

Margarete Schütte-Lihotzky (* 23. Januar 1897 in Wien; † 18. Januar 2000 ebenda) war die erste Frau, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hat. Sie arbeitete auch einige Jahre in Deutschland und ist für den Entwurf der sogenannten Frankfurter Küche bekannt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Margarete Lihotzky entstammt einer bürgerlichen Wiener Familie. Sie war Tochter eines liberal gesinnten Staatsbeamten mit pazifistischen Tendenzen, der das Ende des Habsburger Reiches und die Gründung der Republik von 1918 befürwortete.

Lihotzky wurde die erste weibliche Kursteilnehmerin an der K.-K. Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst Wien), wo berühmte Künstler wie Josef Hoffmann, Anton Hanak, oder Oskar Kokoschka unterrichteten. Ihre Mutter beschwor einen nahen Freund, den berühmten Künstler Gustav Klimt, ein Empfehlungsschreiben anzufertigen. Als Margarete Schütte-Lihotzky 1997 ihren 100. Geburtstag feierte, erwähnte sie, dass 1916 niemand geglaubt habe, dass je eine Frau beauftragt würde, ein Haus zu errichten – nicht einmal sie selbst.

Trotz allem studierte sie Architektur unter Oskar Strnad, unter dessen Leitung sie schon vor ihrer Diplomierung Preise für ihre Entwürfe errang. Strnad war einer der Pioniere des sozialen Wohnbaus in Wien. Er plante erschwingliche und dennoch bequeme Wohnhäuser für die Arbeiter. Angespornt durch ihn, verstand Lihotzky, dass das Design der Funktionalität die neue Tendenz war und zukünftig nachgefragt sein würde. Nachdem sie graduiert hatte, arbeitete sie bei einem Projekt mit ihrem Mentor Adolf Loos zusammen und plante Wohnhäuser für Invaliden und Veteranen des Ersten Weltkrieges. Im innovativen Sozialwohnbau Wiens setzte auch Adolf Brenner ein in dieselbe Richtung weisendes Zeichen mit seiner "Wohnmaschine" in der Rauchfangkehrergasse.

Die Frankfurter Küche von 1926

Überzeugt von Ihrer Tätigkeit in Wien, berief sie Ernst May 1926 in das Hochbauamt der Stadt Frankfurt am Main. Dort spezialisierte sie sich auf die Gestaltung von Küchen, die unter dem Namen „Frankfurter Küche“ bekannt wurden. Sie gelten heute als Prototyp der modernen Einbauküche. Aufgrund der wissenschaftlichen Forschung durch Frederick Winslow Taylor aus den USA diente Lihotzky eine Speisewagenküche der Eisenbahn als Modell, um das „Labor einer Hausfrau“ zu entwerfen, das bei minimalem Raum ein Maximum an Komfort und Ausrüstung der Hausfrau anbietet. Es wurden in drei Variationen ca. 10.000 Küchen gefertigt. Im Stadtbauamt traf sie auch ihren Kollegen Wilhelm Schütte, den sie ein Jahr später heiratete.

Für die Wiener Werkbundsiedlung (1930–32), die 1932 im Rahmen einer europäischen Wohnbauausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, entwarf sie zwei Reihenhäuser mit je 35 m² Grundfläche (Woinovichgasse 2-4). Unter den 32 Architekten der Siedlung war Schütte-Lihotzky die einzige Frau.

Als die politische Situation in der Weimar Republik sich weiter verschlechterte, trat sie zusammen mit ihrem Ehemann einer Gruppe von Architekten bei, die 1930 nach Moskau ging. Dort wurde die Gruppe beauftragt zu helfen, den ersten von Stalins Fünfjahresplänen zu verwirklichen, z.B. indem man die Industriestadt von Magnitogorsk errichtet, mitten im Nirgendwo des südlichen Ural, Russland. Bei ihrer Ankunft bestand die Stadt aus Lehmhütten und -kasernen. Die Planzahl sah 200.000 Einwohner in den nächsten Jahren vor, von denen die Mehrheit in der Stahlindustrie arbeiten sollte. Mit Ausnahme von kurzen Geschäfts- und Vortragsreisen nach Japan und die Republik China blieb Schütte-Lihotzky in der Sowjetunion, bis 1937 Stalins Säuberungen das Leben dort unerträglich und gefährlich machten. Sie und ihr Ehemann zogen zuerst nach London und später nach Paris. 1933 hatte Schütte-Lihotzky ihre Arbeit bei der Weltausstellung in Chicago ausgestellt.

Schütte-Lihotzky reiste 1938 zusammen mit ihrem Ehemann nach Istanbul, und unterrichtete an der Akademie der feinen Künste. Sie entwarf auch einen Kindergartenpavillon, der auf den Ideen von Maria Montessori basierte. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges war Istanbul ein sicherer Treffpunkt für viele verbannte Europäer, und die Schüttes trafen Künstler wie die Musiker Béla Bartók oder Paul Hindemith. In Istanbul traf Schütte-Lihotzky auch den österreichischen Gefährten Herbert Eichholzer, einen Architekten, der damals bemüht war, einen kommunistischen Widerstand zum Nazi-Regime zu organisieren. Schütte-Lihotzky trat 1939 der österreichischen kommunistischen Partei (KPÖ) bei und reiste im Dezember 1940 zusammen mit Eichholzer nach Wien, um mit der österreichischen kommunistischen Widerstandsbewegung in geheime Verbindung zu treten. Jedoch wurde sie durch die Gestapo an 22. Januar 1941, nur einige Wochen nach ihrer Ankunft, festgehalten. Eichholzer und andere "Verschwörer“ wurden festgenommen, des Hochverrats beschuldigt und vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Die meisten der Verurteilten wurden 1943 hingerichtet. Durch Entwendung offiziellen Briefpapiers der türkischen Regierung gelang es ihrem Mann, die Umwandlung des Todesurteils in eine Haftstrafe zu erreichen. Schütte-Lihotzky wurde zu „nur“ 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und in ein Gefängnis in Aichach, Bayern, gebracht, aus dem sie am 29. April 1945 von den US Truppen befreit wurde.

Nach dem Krieg arbeitete sie in Sofia, Bulgarien; 1947 ging sie zurück nach Wien, wo sie jedoch wegen ihrer politischen Ansichten – sie blieb Kommunistin – keine öffentlichen Aufträge erhielt, obwohl im Nachkriegsösterreich unzählige Gebäude im ganz Land zerstört waren und wieder aufgebaut werden mussten. Sie konnte in dieser Zeit nur einige private Häuser entwerfen und arbeitete infolgedessen dann als Beraterin in der Volksrepublik China, in Kuba und in der DDR. 1951 trennte sich sie von ihrem Ehemann Wilhelm Schütte.

Verspätet wurden ihre Werke in Österreich öffentlich anerkannt. Sie empfing 1980 den Architektur-Preis der Stadt Wien. 1985 veröffentlichte sie ihre Memoiren Erinnerungen aus dem Widerstand. Weitere Preise folgten; eine Ehrung durch den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim lehnte sie 1988 wegen dessen zweifelhafter Nazivergangenheit ab. 1995 gehörte sie zu jener Gruppe österreichischer Holocaustüberlebender, die Jörg Haider nach einer Debatte im österreichischen Parlament über einen Bombenangriff auf Sinti und Roma öffentlich anklagte.

Sie feierte ihren 100. Geburtstag 1997 mit einem kurzen Walzer mit dem Bürgermeister von Wien und äußerte bei diesem Anlass: „Ich würde es genossen haben, ein Haus für einen reichen Mann zu entwerfen“. Margarete Schütte-Lihotzky starb in Wien an 18. Januar 2000, fünf Tage vor ihrem 103. Geburtstag, an den Komplikationen einer Grippe. Sie wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 33 G, Nummer 28) begraben.

Bei der Aufarbeitung ihres Nachlasses wurde ein unveröffentlichtes Manuskript gefunden. Dieser Text ist 2004 als Buch erschienen unter dem Titel Warum ich Architektin wurde.

Werke

  • Margarete Schütte-Lihotzky: Warum ich Architektin wurde. Residenz Verlag, Salzburg 2004, ISBN 3-7017-1369-3. 
  • Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen aus dem Widerstand : das kämpferische Leben einer Architektin von 1938 - 1945. Promedia, Wien 1994, ISBN 3900478805. 

Literatur

  • Edith Friedl: Nie erlag ich seiner Persönlichkeit ... : Margarete Lihotzky und Adolf Loos - ein sozial- und kulturgeschichtlicher Vergleich. Milena-Verlag, Wien 2005, ISBN 3-85286-130-6. 
  • Edith Friedl: "Nicht immer folgen die Frauen dem Einfluss der Männer". Über Bau-Pionierinnen und ihre Nachhut, in: Christine Altenstraßer et al.(Hg.): gender housing. geschlechtergerechtes bauen, wohnen, leben; Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung, Band 5, Studienverlag Innsbruck, Wien-München-Bozen 2007

Siehe auch:

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