Serotonin-Syndrom

Serotonin-Syndrom

Das Serotonin-Syndrom (seltener auch serotonerges Syndrom) ist ein Komplex aus Krankheitszeichen (Symptome), die durch eine Anhäufung des Gewebshormons und Neurotransmitters Serotonin oder Serotonin-ähnlich wirkender Substanzen in Teilen des Körpers hervorgerufen wird. Charakteristisch für dieses Syndrom sind autonome, neuromotorische und kognitive Störungen sowie Verhaltensveränderungen. Es schließt Symptome wie Veränderungen der psychischen Verfassung, Ruhelosigkeit, rasche unwillkürliche Muskelzuckungen, gesteigerte Reflexbereitschaft, Schwitzen, Schüttelfrost und Tremor ein. Das Serotonin-Syndrom ist häufig eine Folge einer Arzneimittelwechselwirkung zwischen verschiedenen Arzneimitteln, die zu einer Erhöhung der Serotoninaktivität führen, und kann insbesondere bei einer kombinierten Anwendung von serotoninergen Arzneistoffen mit MAO-Hemmern beobachtet werden.

Inhaltsverzeichnis

Definition und Diagnose

Die Kriterien für die Definition des Serotoninsyndroms wurden erstmals von Sternbach beschrieben.[1] Danach erfordert die Diagnose eines Serotoninsyndroms das Auftreten von mindestens drei der vom Autor beschriebenen Symptome entweder in Folge der primären Gabe eines Medikamentes, das den Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen kann, dann als Folge einer weiteren Dosiserhöhung eines solchen Medikamentes oder aber schließlich als Folge der zusätzlichen Kombination mit einem weiteren Medikament (einer anderen Substanzklasse), von dem ebenfalls eine Erhöhung des Serotoninspiegels zu erwarten ist.

Symptome eines Serotoninsyndroms :
autonom vegetative Symptome
Pulsanstieg Blutdruckanstieg
Schwitzen „Grippegefühl“
Übelkeit (akutes) Erbrechen
Durchfall Kopfschmerzen
schnelle Atmung Pupillenerweiterung
Symptome einer zentralnervösen Erregung
Unruhe Akathisie
Halluzinationen Hypomanie
Störungen des Bewusstseins Koordinationsstörungen
neuromuskuläre Symptome
Tremor gesteigerte Reflexe
Myoklonie pathologische Reflexe
Krämpfe Anfälle

Die von Sternbach beschriebenen Symptome werden heute zu drei Gruppen von Symptomen zusammengefasst (siehe Tabelle rechts).

Durch das Serotoninsyndrom lassen sich z.B. paradoxe Unruhe- oder gar Angstzustände (Akathisie) erklären, die manchmal zu Beginn z.B. einer Therapie mit einem Antidepressivum aus der Gruppe der SSRI auftreten können, vor allem, wenn ein solches Medikament zu rasch aufdosiert wird. Auch das Auftreten von suizidalen Gedanken wird in Verbindung gebracht mit dem Serotoninsyndrom.

Aufgrund der häufigen Verordnung von Medikamenten aus der SSRI-Gruppe besteht eine große Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Serotoninsyndroms als Folge von problematischen Wechselwirkungen bei Kombination dieser Medikamente mit anderen Medikamenten, die ebenfalls den Serotoninspiegel beeinflussen können. Zu solchen Medikamenten gehören beispielsweise bestimmte Schmerzmittel wie Tramadol, aber auch Mittel gegen Migräne bzw. Kopfschmerzen wie die Triptane, also Mittel, die von Betroffenen mit depressiven Beschwerden relativ häufig zusätzlich in Kombination zu einem SSRI eingenommen werden.

Differenzialdiagnose

Diagnostisch kann sich die Abgrenzung zu dem sogenannten malignen neuroleptischen Syndrom als schwierig erweisen. Das Serotoninsyndrom kann wegen der grippeähnlichen Symptome unter Umständen auch als Virusinfekt und bei Auftreten der zentralnervösen Symptomatik insbesondere als Meningoencephalitis[2] verkannt werden.

Auch psychische Erkrankungen - insbesondere Depressionen mit einer Angstsymptomatik - gehen oft mit einer Unruhe (Agitiertheit) einher, die sich als vegetativ-körperliche Beschwerdesymptomatik äußern kann. Die Abgrenzung eines Serotoninsyndroms von solchen Syndromen ist deshalb auch für den Arzt nicht immer einfach.

Zielführend für die Diagnose eines Serotoninsyndroms sind - neben der sorgfältigen Medikamentenanamnese - vor allem die neuromuskulären Symptome wie der Tremor bis hin zu den pathologisch gesteigerten Reflexen. Die allgemeine Erhöhung der Erregung der Muskulatur kann schließlich über eine Einbeziehung auch der Atemmuskulatur zu lebensbedrohlichen Zuständen bis hin zum Tode führen.

Ursachen

Das Serotonin-Syndrom ist zumeist eine Folge einer Wechselwirkung zwischen Arzneimitteln, die das Serotoninsystem beeinflussen. Zumeist noch relativ mild ausgeprägte Symptome eines Serotonin-Syndroms können jedoch im Einzelfall bereits unter der Monotherapie mit Triptanen[3], tri-[4] und tetrazyklischen Antidepressiva[5][6], selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern[7][8] oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern[9] beobachtet werden. Der kombinierte Einsatz verschiedener Arzneistoffe, die sich in ihrer Wirkung auf das Serotoninsystem synergistisch verstärken, kann zu einer lebensbedrohlichen Verstärkung dieser Symptome führen. Hierzu zählen beispielsweise Wechselwirkungen zwischen Arzneistoffen, welche die Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt blockieren, und solchen, die den Abbau von Serotonin über das Enzym Monoaminooxidase Typ A hemmen. Eine weitere mögliche Ursache für ein Serotonin-Syndrom ist die kombinierte Anwendung serotoninerger Arzneimittel mit Arzneimitteln, welche den Abbau serotoninerger Arzneimittel hemmen. Dazu zählen Wechselwirkungen zwischen einigen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Stoffen, die das für deren Verstoffwechslung verantwortliche Cytochrom-P450-Enzymsystem hemmen.[10] Auch Interaktionen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln können Ursachen für ein Serotonin-Syndrom sein.[10]

Auf molekularer Ebene wird das Serotonin-Syndrom auf eine unkalkuliert starke Aktivierung zentraler oder peripherer Serotonin-Rezeptoren, insbesondere 5-HT1 und 5-HT2, zurückgeführt.

Pharmakologische Mechanismen als mögliche Ursachen eines Serotoninsyndroms[11]
Mechanismus Wirkstoffe
Steigerung der Serotoninsynthese Tryptophan
Steigerung der Serotoninfreisetzung Amphetamine, Cocain, MDMA
Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin aus dem synaptischen Spalt Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Fluoxetin, Fluvoxamin, Sertralin, Citalopram, Escitalopram und Paroxetin), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Venlafaxin), trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Clomipramin), Trazodon, Nefazodon, Amphetamine, Cocain, Dextromethorphan, Tramadol, Pethidin und Johanniskraut
Hemmung des Serotoninabbaus MAO-A-Hemmer (z. B. Tranylcypromin und Moclobemid), MAO-B-Hemmer (z. B. Selegilin), Linezolid
Stimulierung von Serotoninrezeptoren Buspiron, Triptane (z. B. Sumatriptan)
Verstärkung der Serotonineffekte Lithium
Hemmung des Abbaus oben genannter Arzneistoffe CYP2D6-Inhibitoren (z. B. Ritonavir), CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Saquinavir, Efavirenz, Erythromycin, Grapefruitsaft)

Behandlung

Bei der Behandlung von Patienten, die ein Serotonin-Syndrom entwickeln, steht die Beseitigung dessen Ursachen im Vordergrund. Das oder die ursächlichen Arzneimittel werden dazu abgesetzt und die Patienten überwacht.[11]

In milden Fällen wird Lorazepam zur Beruhigung empfohlen. Bei moderaten bis schweren Fällen können unspezifisch Serotonineffekte hemmende Arzneistoffe, wie Cyproheptadin oder Propranolol, eingesetzt werden.[12]

Bei Auftreten von Anzeichen einer Hyperthermie, disseminierter intravasaler Koagulopathie, Rhabdomyolyse, Nierenversagen oder Einatmen von körpereigenen Sekreten (Aspiration) ist eine strenge Überwachung des Patienten mit zusätzlichen Notfallmaßnahmen nötig.[11]

Literatur

Referenzen

  1. Sternbach H: The serotonin syndrome. In: Am J Psychiatry. 148, Nr. 6, Juni 1991, S. 705–713. PMID 2035713.
  2. [1] Serotonin-Syndrom bei Mirtazapin - Monotherapie; Schweiz Med Forum 2005;5:859–861
  3. Soldin OP, Tonning JM: Serotonin syndrome associated with triptan monotherapy. In: N. Engl. J. Med.. 358, Nr. 20, Mai 2008, S. 2185–6. doi:10.1056/NEJMc0706410. PMID 18480219.
  4. Rosebush PI, Margetts P, Mazurek MF: Serotonin syndrome as a result of clomipramine monotherapy. In: J Clin Psychopharmacol. 19, Nr. 3, Juni 1999, S. 285–7. PMID 10350043.
  5. Hernández JL, Ramos FJ, Infante J, Rebollo M, González-Macías J: Severe serotonin syndrome induced by mirtazapine monotherapy. In: Ann Pharmacother. 36, Nr. 4, April 2002, S. 641–3. PMID 11918514.
  6. Ubogu EE, Katirji B: Mirtazapine-induced serotonin syndrome. In: Clin Neuropharmacol. 26, Nr. 2, 2003, S. 54–7. PMID 12671522.
  7. Chechani V: Serotonin syndrome presenting as hypotonic coma and apnea: potentially fatal complications of selective serotonin receptor inhibitor therapy. In: Crit. Care Med.. 30, Nr. 2, Februar 2002, S. 473–6. PMID 11889332.
  8. Ozdemir S, Yalug I, Aker AT: Serotonin syndrome associated with sertraline monotherapy at therapeutic doses. In: Prog. Neuropsychopharmacol. Biol. Psychiatry. 32, Nr. 3, April 2008, S. 897–8. doi:10.1016/j.pnpbp.2007.11.018.
  9. Pan JJ, Shen WW: Serotonin syndrome induced by low-dose venlafaxine. In: Ann Pharmacother. 37, Nr. 2, Februar 2003, S. 209–11. PMID 12549949.
  10. a b DeSilva KE, Le Flore DB, Marston BJ, Rimland D: Serotonin syndrome in HIV-infected individuals receiving antiretroviral therapy and fluoxetine. In: AIDS. 15, Nr. 10, Juli 2001, S. 1281–5. PMID 11426073.
  11. a b c Sternbach H: Serotonin syndrome:How to avoid, identify, & treat dangerous drug interactions. In: J Fam Practice. 2, Nr. 5, 2003.
  12. Brown TM, Skop BP, Mareth TR: Pathophysiology and management of the serotonin syndrome. In: Ann Pharmacother. 30, Nr. 5, Mai 1996, S. 527–33. PMID 8740336.
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