Sondergerichtshof für Sierra Leone

Sondergerichtshof für Sierra Leone

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Sondergerichtshof für Sierra Leone

Flagge der Vereinten Nationen
Englische Bezeichnung Special Court for Sierra Leone (SCSL)
Organisationsart Ad-hoc-Strafgerichtshof
Sitz der Organe

Freetown, Sierra Leone

Vorsitz Richterin Renate Winter (Österreich)
www.sc-sl.org

Der Sondergerichtshof für Sierra Leone, auch Sondertribunal für Sierra Leone, (englisch Special Court for Sierra Leone, SCSL) mit Sitz in Freetown ist ein durch einen bilateralen Vertrag zwischen Sierra Leone und den Vereinten Nationen vom 16. Januar 2002 geschaffener Ad-hoc-Strafgerichtshof. Zwei Tage später erklärte Sierra Leones Präsident Ahmad Tejan Kabbah in einer feierlichen Zeremonie den Bürgerkrieg für beendet (siehe auch: United Nations Mission in Sierra Leone).

Der SCSL ist ein internationales Gericht, das nach seinem Statut aber nicht nur Verstöße gegen internationales Recht, sondern auch bestimmte Verstöße gegen nationales Recht verfolgen kann, und ist damit das erste seiner Art.

Inhaltsverzeichnis

Mandat

Der SCSL ist zuständig für die strafrechtliche Verfolgung der Hauptverantwortlichen für schwere Verbrechen, die nach dem 30. November 1996 auf Sierra Leones Territorium begangen wurden – auch wenn der Bürgerkrieg in Sierra Leone der liberianisch unterstützten Revolutionary United Front gegen die wechselnden Regierungen Sierra Leones (beginnend während der Präsidentschaft Joseph Saidu Momohs) und Milizen bereits Anfang der 1990er begonnen hatte.

Im Einzelnen erstreckt sich die Zuständigkeit des Strafgerichtshofs auf die strafrechtliche Verfolgung von

nach internationalem Recht, sowie auf die Verfolgung

  • des Missbrauchs von Mädchen unter 15 Jahren,
  • der Verschleppung von Mädchen zur sexuellen Ausbeutung und
  • der Brandstiftung an Gebäuden

nach nationalem Recht. Er kann lediglich Einzelpersonen, nicht aber Organisationen oder Regierungen anklagen und aburteilen. Prozesse können nur gegen persönlich Anwesende eröffnet werden, Angeklagte haben als Höchststrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erwarten. Der Strafvollzug erfolgt in Sierra Leone, kann aber, wenn besondere Umstände vorliegen, auch in einem anderen Staat erfolgen. So wurde im Fall des aus Sicherheitsgründen nach Den Haag verlegten Prozesses gegen den als Kriegsherr geltenden Liberianer Charles Taylor bereits im Vorfeld der Verlegung vereinbart, dass dieser bei einer Verurteilung seine Strafe in Großbritannien verbüßen wird.

Im Gegensatz zu den beiden UN-Tribunalen, dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag und dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Arusha, die aus dem allgemeinen Budget der Vereinten Nationen finanziert werden, finanziert sich der SCSL aus freiwilligen Beiträgen von UN-Mitgliedstaaten.

Organisationsaufbau

Der Sondergerichtshof besteht aus der Gerichtsverwaltung, einer Anklagebehörde, dem Büro des Chefverteidigers sowie den Spruchkammern.

Der Anklagebehörde steht ein unabhängig arbeitender Chefankläger vor. Ernannt wird dieser vom UN-Generalsekretär. Derzeitiger Chefankläger ist der US-Amerikaner Stephen Rapp. Anklageschriften müssen von einem der Richter geprüft und bestätigt sein bevor sie wirksam werden.

Dem Sondergerichtshof gehören mindestens acht Richter an. Drei Richter – davon einer von der Regierung Sierra Leones, zwei vom UN-Generalsekretär ernannt – bilden die Kammer der ersten Instanz, fünf – davon zwei von der Regierung Sierra Leones, drei vom UN-Generalsekretär ernannt – die Berufungskammer. Sie wählen aus ihren Reihen jeweils einen Vorsitzenden Richter, wobei der Vorsitzende Richter der Berufungskammer zugleich auch Präsident des Sondergerichtshofes ist.

Derzeitige Präsidentin des Sondergerichtshofs ist seit 2008 die Richterin Renate Winter (Österreich).

Die Ernennung der Richter erfolgt für jeweils drei Jahre und kann erneuert werden. Auf Anforderung des Präsidenten des Sondergerichtshofes können bis zu drei weitere Richter ernannt werden, die im vorprozessualen Stadium oder als Ersatzrichter zum Einsatz kommen.

Die Angeklagten

Es liegen bisher Anklageschriften gegen insgesamt 13 Verdächtigte vor, wobei diejenigen gegen RUF-Führer Foday Sankoh und seinen Stellvertreter Sam Bockarie wegen deren Tod 2003 noch im vorprozessualen Stadium fallengelassen wurden.

Neben Charles Taylor, Liberias vormaligem Präsidenten, der als Drahtzieher gilt und dessen Prozess derzeit in den Räumlichkeiten des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag stattfindet, müssen sich in drei weiteren Prozessen führende Vertreter aller drei Bürgerkriegsparteien vor dem SCSL verantworten: im am 3. Juni 2004 eröffneten Prozess Civil Defence Forces der ehemalige Innenminister Samuel Hinga Norman (am 22. Februar 2007 verstorben) sowie Moinina Fofana und Allieu Kondewa, im am 5. Juni 2004 eröffneten Prozess Revolutionary United Front Issa Sesay, Morris Kallon und Augustine Gbao und im am 7. März 2005 eröffneten Prozess Armed Forces Revolutionary Council Alex Tamba Brima, Brima Bazzy Kamara und Santigie Borbor Kanu. Lediglich Johnny Paul Koroma, Anführer des AFRC, konnte dem SCSL bisher nicht zugeführt werden – es gilt als unsicher, ob er als flüchtig oder als tot zu gelten hat.

Im Februar 2007 starb der Hauptangeklagte im Prozess Civil Defence Forces, Sam Hinga Norman. Er war im Januar für einen Routineeingriff ins Militärhospital Hôpital Aristide Le Dantec im senegalesischen Dakar verbracht worden, wo er, nachdem der Eingriff am 8. Februar erfolgreich verlaufen war, am 22. Februar an einem Herzinfarkt starb[1]. Das Verfahren gegen ihn, das vor der Urteilsverkündung gestanden hatte, wurde daraufhin eingestellt, alle in das bisherige gemeinsame Verfahren gegen Norman, Fofana und Kondewa eingebrachten Beweismittel werden aber zur Urteilsfindung gegen die beiden übriggebliebenen Angeklagten herangezogen[2].

Am 20. Juni 2007 hat der Sondergerichtshof seine ersten Urteile gefällt. Im Prozess Armed Forces Revolutionary Council wurden alle drei Angeklagten der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden.[3] Am 19. Juli 2007 wurde das Strafmaß verkündet: Alex Tamba Brima und Santigie Borbor Kanu wurden zu 50 Jahren Haft verurteilt, Brima Bazzy Kamara zu 45 Jahren Gefängnis. Erstmals in der Geschichte der internationalen Strafjustiz sind dabei Angeklagte auch wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten verurteilt worden.[4] Erste Kommentatoren hoben die historische Bedeutung des Prozesses hervor, so Corinne Dufka von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: „Das Urteil ist wegweisend – es verkündet auch über Afrika hinaus, dass es ein Verbrechen ist, Kindern ihre Kindheit und Menschlichkeit zu rauben“ ([5])

Einzelnachweise

  1. Autopsy Shows Sam Hinga Norman Died on Natural Causes (Pressemitteilung des SCSL vom 28. März 2007, PDF, 90 kB)
  2. Decision on Registrar’s Submission of Evidence of Death of Accused Samuel Hinga Norman and Consequential Issues (Entscheidung der zuständigen Kammer vom 21. Mai 2007, PDF, 372 kB)
  3. Erste Schuldsprüche wegen Kriegsverbrechen (nicht mehr online verfügbar), tagesschau.de vom 20. Juni 2007
  4. Erste Urteile gegen Kinder-Rekrutierer tagesschau.sf.tv vom 19. Juli 2007
  5. Kindersoldaten rekrutiert: Erstmals Haft für Rebellenführer n-tv.de vom 19. Juli 2007

Weblinks


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