- Steiner Wienand Affäre
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Die Steiner-Wienand-Affäre bezieht sich auf ein Misstrauensvotum vom 27. April 1972, bei dem der damalige Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) die absolute Mehrheit um nur zwei Stimmen verfehlte. In Folge dessen blieb Willy Brandt (SPD) deutscher Bundeskanzler. Namensgeber waren der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Julius Steiner und der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Karl Wienand.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Seit seiner Wahl zum Bundeskanzler 1969 war Willy Brandt Regierungschef einer sozialliberalen Koalition. Die knappe Mehrheit dieser Koalition zeigte sich schon bei der Kanzlerwahl: Er wurde mit gerade einmal zwei Stimmen mehr als notwendig gewählt. Im Laufe der nächsten drei Jahre schrumpfte der Vorsprung der regierenden Koalition, der während der ersten Amtszeit Brandts noch zwölf Stimmen betragen hatte, auf zwei Stimmen im März 1972. Um eine stabile Mehrheit im Parlament zu erhalten, strebte Brandt baldige Neuwahlen an, da er wusste, dass er in der Bevölkerung weitaus populärer als der Oppositionsführer Rainer Barzel war. Demzufolge fürchteten einige liberale Mitglieder der Regierung, nicht wieder aufgestellt zu werden. Nach dem Parteiaustritt des FDP-Abgeordneten Wilhelm Helms am 23. April 1972 sowie den Erklärungen der FDP-Politiker Gerhard Kienbaum und Knut von Kühlmann-Stumm, im Falle eines Misstrauensvotums der Opposition nicht für Brandt zu stimmen, war die Grundlage für einen solchen Antrag mit einer Mehrheit von zwei Stimmen für die Opposition geschaffen.
Misstrauensvotum
Somit fand am 27. April 1972 im Bundestag ein Misstrauensvotum gegen den damaligen Kanzler Willy Brandt auf Antrag der Unionsfraktion statt. Der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner hatte, um eventuelle Abweichler sofort zu erkennen, vorgeschrieben, dass die gesamte SPD-Bundestagsfraktion auf ihren Plätzen sitzenbleiben und sich nicht an der Abstimmung beteiligen würde. Dieses Vorgehen stellt im Grunde genommen einen Verfassungsverstoß dar, da der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterliegt und nicht durch eine Partei diszipliniert werden darf.
Als der Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel um 13:22 Uhr die Ergebnisse des Votums verkündete, erlangte die Opposition jedoch – trotz der oben beschriebenen Verhältnisse – nicht die von allen erwartete Mehrheit, sondern verfehlte sie um zwei Stimmen. Das Fehlen der beiden Stimmen erschien, nachdem sie der Regierung am nächsten Tag bei einer Haushaltsabstimmung wieder fehlten, umso erstaunlicher. Somit konnte der damalige Kanzler Willy Brandt weiterregieren, weil der Kanzlerkandidat der CDU/CSU-Fraktion, Rainer Barzel, zwei Stimmen zu wenig erhielt.
Beteiligte Personen
Welche Abgeordneten nicht für ihn gestimmt haben, blieb zunächst ungeklärt. Im Juni 1973 gab dann Julius Steiner auf einer Pressekonferenz zu, bei der Abstimmung mit Enthaltung gestimmt zu haben. Er habe dafür vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD Karl Wienand 50.000 DM bekommen. Damit löste er die Steiner-Wienand-Affäre aus, da Karl Wienand diese Vorwürfe von sich wies. In den 1990ern wurde aus MfS-Akten bekannt, dass Julius Steiner die 50.000 DM Bestechungsgeld direkt durch die Stasi erhalten hatte. Dies wurde 1997 vom ehemaligen DDR-Geheimdienstchef Markus Wolf in seinem Buch bestätigt.[1] Ob Steiner doppelt abkassierte oder mit der Angabe, er habe das Geld von Karl Wienand erhalten, gelogen hat, bleibt bis heute ungeklärt.
Damals richtete der Bundestag am 15. Juni 1973 den Steiner/Wienand-Untersuchungsausschuß ein. Weil dieser auch nach 40 öffentlichen Sitzungen weder die eine noch die andere Behauptung bestätigen konnte, wurde er am 27. März 1974 ergebnislos aufgelöst.
Der zweite Abweichler war nach der neuesten Auswertung der Rosenholz-Dateien der CSU-Abgeordnete Leo Wagner, gegenüber dem die Bundesanwaltschaft schon 2000 diesen Vorwurf erhob, da bekannt wurde, dass damals auf seinem Konto 50.000 DM aufgetaucht waren. Ein mit Wagner befreundeter CSU-Politiker behauptete jedoch, er habe Wagner diese Summe geliehen. Wagner selbst wies die Vorwürfe als „unzutreffend und frei erfunden“ zurück. Da Spionage zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt war, fand trotz der Äußerungen eines Stasi-Offiziers, man habe dem verschuldeten Wagner 1972 ein solches Bestechungsangebot gemacht, und der Aussage des letzten Spionagechefs der DDR, Werner Großmann, es habe Kontakte zu Wagner gegeben, keine gerichtliche Prüfung statt.
Ein ehemaliger KGB-Mann enthüllte 1995, er habe dem SPD-Unterhändler Egon Bahr eine Million Mark geben wollen; mit dem Geld sollte dieser Abgeordnete der Opposition bestechen. Bahr lehnte jedoch ab. Nach Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft soll Markus Wolf auch versucht haben, den abtrünnigen FDP-Abgeordneten Erich Mende zur Stimmabgabe gegen Rainer Barzel zu veranlassen.
Politischer Hintergrund
Den Hintergrund für den enormen Aufwand, den die Stasi betrieb, um Willy Brandt an der Macht zu halten, liefern die Ostverträge, in denen durch Egon Bahr erstmals eine deutsche Regierung die von den Siegermächten des Weltkriegs herbeigeführte Abtrennung der deutschen Ostgebiete anerkannte. Da vor allem die Union gegen diese Verträge opponierte, und sie im Bundestag noch ratifiziert werden mussten, um Gültigkeit zu erlangen, ließ die DDR-Spitze nichts unversucht, einen Machtwechsel zu verhindern. So wurde u. a. von Stasi-Minister Erich Mielke 1970 auf einer Geheimkonferenz in Moskau verlangt, dass die Ratifizierung der Ostverträge mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln zu unterstützen sei. Außerdem habe, so berichtet der damalige Spionagechef Markus Wolf, der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew persönlich die DDR-Führung davon überzeugt, Brandt beim Misstrauensvotum unter die Arme zu greifen.
Obwohl die Stasi mit ihrem Unterfangen, Brandt im Amt zu halten, erfolgreich war und die Ostverträge ratifiziert wurden, erklärte Brandt dennoch im Mai 1974 seinen Rücktritt. Er stürzte über die Guillaume-Affäre.
Einzelnachweise
- ↑ Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg: Erinnerungen. Mai 1997, ISBN 3-471-79158-2.
Weblinks
- „Die sind ja alle so mißtrauisch“ (Der Spiegel 23/1973 vom 4. Juni 1973, S. 24–29)
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