- Stream of consciousness
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Der Begriff Bewusstseinsstrom (engl. stream of consciousness, oft fälschlich mit dem inneren Monolog gleichgesetzt) bezeichnet in der Literaturwissenschaft eine Erzähltechnik, die in ungeordneter Folge Bewusstseinsinhalte einer oder mehrerer Romanfiguren wiedergibt.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Der Begriff „stream of consciousness“ ist eigentlich eine Metapher auf ein literarisches Verfahren. Der Autor versucht, die Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Reflexionen einer Erzählfigur subjektiv so wiederzugeben, wie sie ins menschliche Bewusstsein fließen. Die Entwicklung dieses Verfahrens geschah in Anlehnung an die Erforschung psychologischer Tatsachen durch William James, der im Bereich der Psychologie die Idee eines kontinuierlich ablaufenden „Bewusstseinsstroms“ hatte.
Der Bewusstseinsstrom wurde auch schon als die „Radikalisierung personalen Erzählens“ bezeichnet, da auch dort die Innenwelt der Figur kommentarlos präsentiert wird, und der Erzähler aus dem Geschehen zurücktreten soll.
Technik
Die syntaktische Form des Bewusstseinsstroms ist schlicht und einfach die direkte Personenrede mit syntaktischer Unabhängigkeit, Verwendung des Präsens als Normaltempus, Verwendung des Indikativ als Normalmodus. Zur Bezeichnung der denkenden Figur dient die erste Person, es wird also aus der Ichperspektive erzählt.
Der allgemeine Begriff für die Mitteilung unausgesprochener Gedanken der Figuren in Form von direkter Rede ist dabei „innerer Monolog“. Der Begriff „Bewusstseinsstrom“ wird jedoch sehr uneinheitlich gebraucht, und teilweise als Synonym für den inneren Monolog verwendet.
Den entscheidenden Unterschied des Bewusstseinsstroms zur schlichten direkten Personenrede bilden Stil und Kontext: Es fehlen Verba credendi und Anführungszeichen, denn Prinzip ist es, das Figurenbewusstsein selbst „sprechen“ zu lassen: Wahrnehmungen, Empfindungen, Assoziationen aller Art, Erinnerungen, Überlegungen, auch bloße Lautfolgen ohne ausdrückliche Ankündigung oder Eingriff einer Erzählinstanz „aufzuzeichnen“. (Vogt 1998:182-183)
Völlig deplatziert sind in dieser Art von Romanen, die den Bewusstseinsstrom verwenden, auch Erläuterungen habitualisierter von der Figur selbst ausgeführter Handlungen, wie „ich gehe durch den Korridor“, „ich schaue in das Zimmer“ und so weiter. Sachverhalte, die der Figur selbstverständlich sind, werden nicht genannt und müssen vom Leser selbst rekonstruiert werden.
Der Erzählerbericht hat lediglich die Funktion, die Figur und ihren inneren Monolog in der Außenwelt zu situieren, und damit einen Erzählrahmen zu schaffen, den die Figur nicht erzeugen könnte. Aber äußeres Geschehen ist nur als Anreiz und Auslöser innerer Prozesse wichtig.
Ein weiteres Stilmerkmal ist die Aussparung von Information durch psychologisch-syntaktische Verkürzung: Oft fallen Nomen, Personalpronomen oder finite Verbform aus, oder Artikel, Präpositionen und Konjunktionen.
Des Weiteren greifen Bewusstseinsinhalte und -impulse assoziativ ineinander, so, wie sie gerade ins Bewusstsein fallen. Sie sind nicht notwendigerweise linear chronologisch geordnet.
Entwicklung
Der Begriff „stream of consciousness“ wurde erstmals von dem amerikanischen Psychologen William James in dessen 1890 erschienen Hauptwerk „The principles of psychology“ (New York: H. Holt and company) verwendet. Er beschrieb mit dem Begriff den Roman „Les lauriers sont coupés“ des französischen Schriftstellers Edouard Dujardin (1888 ersc). Dieser Begriff bezieht sich aber nicht nur auf den bloßen verbalen Vorgang, sondern beachtet auch sinnliche, beispielsweise visuelle, Wahrnehmungen.
Der Begriff „stream of consciousness“ fand auch in einer Rezension der Autorin May Sinclair (1863-1946) Verwendung, um das Werk „Pilgrimage“ von Dorothy Richardson (1873-1957) zu charakterisieren.
Die Technik des Bewusstseinsstroms fand besonderen Anklang im englischen und amerikanischen Modernismus, der sich im späten 19. Jahrhundert als Gegenbewegung zum literarischen Realismus und Naturalismus etablierte. Auch die Surrealisten taten etwas ganz Ähnliches, ausgehend von Europa.
Im deutschen Sprachraum wurde dieses Stilmittel erstmals von Arthur Schnitzler in dessen Novellen „Leutnant Gustl“ und „Fräulein Else“ konsequent eingesetzt.
Der Bewusstseinsstrom wurde auch im asiatischen Raum nachgebildet. Er trat nach 1979 mit politischen Öffnung und der Loslösung von der kommunistisch-sozialistischen Ideologie auch in China auf. Ein typisches Beispiel ist „Das Auge der Nacht“ von Wang Meng.
Der moderne Film und Experimentalfilm blieb davon nicht unberührt, meist außerhalb des Mainstreams.
Bekannte Romane im Stil des Bewusstseinsstroms
Berühmt für die Verwendung dieser Technik sind beispielsweise die Romane
- James Joyce : Ulysses (1921)
- Alfred Döblin : Berlin Alexanderplatz (1929)
- William Faulkner : Schall und Wahn (1929)
- Edlef Köppen : Heeresbericht (1930)
- Virginia Woolf : Mrs Dalloway (1925) und Die Wellen (The Waves) (1931)
- Wolfgang Koeppen : Tauben im Gras (1951) und Das Treibhaus (1953)
- Alfred Andersch : Sansibar oder der letzte Grund (1957)
- Luis Martín-Santos : Tiempo de Silencio (1962)
- Caroline Janice Cherryh : Pells Stern (1982)
- Sven Regener : Neue Vahr Süd (2006)
Der Bewusstseinsstrom kann bei jedem Autor andere charakteristische Merkmale tragen. Merkmale des Bewusstseinsstroms bei James Joyce sind zum Beispiel:
- verkürzte Syntax
- persönliches Idiom
- willkürliche Wortbildungen
- Lautmalerei
- Sprachspiele
Literatur
- Vogt, Jochen. 1998 [1972]. Aspekte erzählender Prosa. Eine Einführung in Erzähltechnik und Romantheorie. Opladen: Westdeutscher Verlag.
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