Vogelherdhöhle

Vogelherdhöhle
Westlicher Eingang der Vogelherdhöhle
Innenraum der Vogelherdhöhle

Die Vogelherdhöhle (kurz: der Vogelherd) bei Niederstotzingen im Lonetal ist eine Karsthöhle und zugleich ein bedeutender Fundplatz des Jungpaläolithikums in Mitteleuropa. Die frei zugängliche Höhle liegt auf der östlichen Schwäbischen Alb, an der Landstraße L 1168 zwischen Niederstotzingen und Bissingen ob Lontal. Berühmt wurde die Höhle im Jahre 1931 nach der Auffindung der Vogelherdfiguren aus dem Aurignacien, die als Kleinkunstwerke bis heute zu den ältesten Kunstwerken der Menschheit gehören.

Inhaltsverzeichnis

Topographie

Die Höhle hat drei Eingänge (Mundlöcher). Die zwei großen, 2,5 bis 3,5 m hohen Mundlöcher sind durch einen ca. 40 m langen gebogenen Durchgang miteinander verbunden und werden Große Vogelherdhöhle genannt. Die Kleine Vogelherdhöhle ist am Eingang sehr eng und ca. 40 m lang. Der Durchgang zwischen kleiner und großer Höhle ist verschüttet. Die Fläche der Höhle beträgt etwa 170 m² und hatte eine ursprüngliche Höhe von 3-4 m.[1]

Der gute Erhaltungszustand der Höhle ist auf die Deckenversinterung zurückzuführen, die mit dem Beginn des Holozäns einsetzte. Da die Höhle sehr nah unter der Oberfläche liegt, wäre sie durch das warmzeitliche Klima schon längst zerstört worden.[1]

Grabungsgeschichte

1931 wurden beim Ausheben eines Dachsbaus steinzeitliche Werkzeuge entdeckt, wodurch die Höhle gefunden wurde. In der nur drei Monate dauernden Ausgrabung desselben Jahres durch den Tübinger Prähistoriker Gustav Riek wurde eine vorgeschichtliche Besiedelung der Höhle von der Eem-Warmzeit an der Basis bis in die Bronzezeit (oberste Schichten) nachgewiesen.

Der eher sporadischen Begehung im Mittelpaläolithikum folgt eine Besiedlung im frühen Jungpaläolithikum, der archäologischen Kultur des Aurignacien.

Wildpferd Vogelherd

Bekannt ist die Höhle aufgrund der in den Aurignacien-Schichten gefundenen elf Figuren aus Mammut-Elfenbein, die sogenannten "Vogelherd-Figuren". Die Schichten des Aurignacien beinhalten weiterhin ein umfangreiches Fundmaterial an Knochenartefakten und Steingerät. Insgesamt wurden in der Höhle 910 Werkzeuge und 1223 unretuschierte Artefakte gefunden.[2]. Anhand der Artefaktstreuung konnte festgestellt werden, welche Bereiche der Höhle im Jungpaläolithikum am häufigsten genutzt und bewohnt wurden. Hier wären vor allem die Plätze unter dem Südwest- und Süd-Eingang, sowie die Haupthalle zu nennen. Zu den häufigsten in der Höhle gefundenen Steingeräten gehören Kratzer und Stichel. Unter den Knochenartefakten fand man vor allem Geschossspitzen. Ein von Gustav Riek als "Schwirrblatt" bezeichneter Lochstab wurde zusammen mit einem durchlochten Anhänger aus Elfenbein in der Einmündung des Ostganges in die Haupthalle gefunden.[1]

Stratigraphie

Bei archäologischen Ausgrabungen in der Höhle wurde folgende Schichtenfolge (Stratigraphie) festgestellt:

Auf dem Hügel über der Höhle ist ein Grill- und Rastplatz angelegt.

Kulturhorizonte

Etwa 90% der Werkzeuge aus Stein, Knochen, Elfenbein und Geweih wurden in den Schichten V und IV des Aurignacien gefunden.[3] Die am häufigsten verwendeten Gesteinssorten waren Hornstein und Japsis, die aus der Umgebung stammten.[1]

  • Magdalénien II

Das Magdalénien der Vogelherdhöhle umfasst die Schichten II und III. In Schicht II befand sich ein reicher Fundschatz an Steinartefakten. Hierzu zählen elf Klingenmesser, zwei Klingen mit schartigen Seitenkanten, zwei Klingen mit Rindenrücken, zwei dreikantige Klingenabschläge, eine Schrägendklinge, vier Spitzklingen, eine Breiklinge, zwei Schaber und ein Nucleus mit grob herausgearbeiteter Stichelspitze. Zu den weiteren Funden gehören eine Rengeweihsprosse mit Schnittfläche und Schnitten an der Gabelung sowie eine Elfenbeinplatte mit feinen Ritzungen[4]

  • Magdalénien III

In Schicht III wurden einige Steinartefakte entdeckt. Unter den Funden befinden sich vier Klingenmesser, drei Klingenabschläge, ein Eckstichel, ein breiter Rindenabschlag und ein gebogener Rindenabschlag. Darüber hinaus wurde ein Fragment einer Rengeweihstange vorgefunden, welches Schnittflächen aufweist[5]

  • Aurignacien IV

Im „Oberaurignacien“, wie Riek den archäologischen Horizont IV bezeichnete.[6], lässt sich eine flächendeckende Besiedlung in mehrere Siedlungsphasen erfassen. Neben den 1729 Steinartefakten, wie Kratzer und Stichel, wurden laut Rieks Grabungsbericht 82 organische Artefakte entdeckt.[7] Darunter befanden sich einige Stücke, die durch Kerbreihen verziert wurden. Zu den weiteren organischen Funden zählen die unterschiedlichen Geschoßspitzen, die in diesem Horizont seltener vertreten sind.[8] Eine von diesen weist eine gespaltene Basis auf, vier weitere besitzen eine massive Basis und drei sind nur fragmentarisch erhalten. Eines dieser Fragmente wurde mit Randkerben und X-Zeichen versehen.
Die ergrabenen Artefakte sind in verschiedenen Museen in Baden-Württemberg untergebracht, wie in der Urgeschichtliche Sammlung der Universität Tübingen, dem Landesmuseum Stuttgart und den Heimatmuseen von Blaubeuren, Heidenheim und Stetten und können dort auch besichtigt werden[9].

  • Aurignacien V

In der Aurignacienschicht V wurden zwei deutlich getrennte Feuerstellen in der Haupthalle und im Südwesteingang gefunden. Sie ist etwa 0,65-0,70 m tief und besteht aus grauem und weniger kompaktem Kalkschutt. Man fand insgesamt 910 Steinwerkzeuge, deren Verteilung vor allem in der Haupthalle und im Südwesteingang liegt. Zu den häufigsten in der Höhle gefundenen Steingeräten gehören Kratzer und Stichel. Ebenfalls wurde eine große Anzahl an Kombinationswerkzeugen gefunden. Neben den Steinwerkzeugen, wurden in Schicht V zahlreiche Knochen- und Elfenbeinartefakte entdeckt. Zu den häufigsten Artefakten aus organischem Material gehören die Geschossspitzen.[1]

  • Moustérien VII

Zu den Steinartefakten aus der Moustérien-Schicht VII gehören ein faustkeilartig geformter, breiter Abschlag aus ockergelbem und weißem Silex, eine Spitze, die einseitig retuschiert wurde aus ockerbraunem und grauem Silex, eine Spitze mit Hohlkehle aus graugelbem Silex, insgesamt drei Bogenschaber und zwei Geradschaber. Weiterhin wurde ein Oberkieferfragment eines Wildpferdes vorgefunden. Davon haben sich fünf Schneidezähne erhalten[10]

Die Vogelherd-Figuren

Die Elfenbeinplastiken des Vogelherds gehören zu den berühmtesten Werken jungpaläolithischer Kleinkunst. Nach der Entdeckung von elf Figuren während der Ausgrabung von 1931 galten diese lange Zeit als die ältesten Kunstwerke der Welt. Darunter war das ca. 32.000 Jahre alte Wildpferd (Vogelherd-Pferdchen), das entlang der Längsachse gebrochen ist und daher heute nur noch als Halbrelief vorliegt. Das Objekt ist 4,8 cm lang und stellt einen Hengst in typischer Imponierhaltung dar.[11] Das Mammut, welches 1931 im Zuge der Grabungen von Gustav Riek gefunden wurde, ist durch die Einlagerung im Sediment sekundär farbverändert. Daher reicht das Farbspektrum von verwittertem Elfenbeinweiß bis zu Schwarzblau. Die Plastik wurde an einigen Stellen mit Markierungen versehen, dabei treten eingeritzte Kreuzreihen am Schädel, den Schultern, der Schwanzwurzel, den Lenden und der Bauchdecke hervor. Der Rüssel ist nicht mehr vorhanden.[1]

Weitere Figuren stellen ein Ren, ein Bison, einen Höhlenbär sowie mehrere Großkatzen (Panther oder Höhlenlöwe) dar. Im Jahre 2006 begann ein Projekt der Universität Tübingen (unter Leitung von Nicholas Conard), den Grabungsaushub von 1931 am Fundplatz abzutragen und systematisch durchzuschlämmen. Dabei wurden u. a. weitere Aurignacien-Kleinplastiken aus Mammutelfenbein gefunden, deren Alter aufgrund des bekannten Schichtzusammenhangs etwa 32.000 BP anzusetzen ist. Davon gilt eine 3,7 Zentimeter große und 7,5 Gramm wiegende Mammutfigur als das älteste vollständig erhaltene Kleinkunstwerk der Menschheit. Im Gegensatz zu den meisten der Figuren trägt sie verhältnismäßig wenige Verzierungen, nur die Sohlen sind mit einem feinen Kreuzmuster markiert und am Kopf gibt es sechs Einschnitte.[12]

Heute teilen die Vogelherd-Figuren ihren Ruf als älteste figürliche Kunstwerke gemeinsam mit weiteren, etwa gleich alten Kleinplastiken aus dem Hohlenstein-Stadel, dem Geißenklösterle sowie dem Hohlen Fels im Achtal. Die Vogelherd-Figuren von 1931 wie auch die Neufunde seit 2006 werden im Museum der Universität Tübingen ausgestellt. Neben der Mammutfigur wurden im Jahre 2007 auch Fragmente mehrerer Knochenflöten gefunden. Anhand ähnlicher Funde aus dem Geißenklösterle und dem Hohlen Fels können die drei gefundenen Stücke recht gut rekonstruiert werden.

Prähistorische Fauna

Die Fauna des Vogelherds lässt sich anhand der zahlreichen Faunenreste in den Schichten des Aurignacien recht genau rekonstruieren. Zur Jagdbeute der jungpaläolithischen Jäger gehörten vor allem Rentiere und Pferde. Weiterhin konnten Mammut, Wollnashorn, Rothirsch, Bison, Hase, Wolf, Fuchs, Hyäne und Höhlenbär nachgewiesen werden.[3] Die mittelpaläolithischen Horizonte zeigen wiederholte Besiedlungen durch den Neandertaler. Allerdings weisen die Faunenreste nur auf eine kurzfristige Besiedlung hin. Vermutlich wurde die Höhle saisonal, vor allem in der kälteren Jahreszeit, besiedelt. Zur Jagdbeute des Neandertalers gehörte das Rentier, das Pferd oder der Rothirsch. Das mäßige Vorkommen der Tierknochen lässt darauf schließen, dass es sich bei den Funden um Beute- bzw. Speisereste der Höhlenbewohner handeln muss. Die Verwüstungen der Knochen entstanden durch Hyänen, die auf der Suche nach etwas Essbarem in die Höhle eindrangen.[3]

In unmittelbarer Nähe der Vogelherdhöhle liegen im Lonetal weitere Höhlen mit Siedlungsspuren aus der Altsteinzeit. Hierzu gehören der etwa 2 km entfernte Hohlenstein sowie die etwa 3 km entfernte Bocksteinhöhle.

Literatur

  • Hansjürgen Müller-Beck (Hrsg.): Eiszeitkunst im süddeutsch-schweizerischen Jura. Anfänge der Kunst. Theiss, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1674-6.
  • Joachim Hahn; Hansjürgen Müller-Beck; Wolfgang Taute: Eiszeithöhlen Eiszeithöhlen im Lonetal. Archäologie einer Landschaft auf der Schwäbischen Alb. Theiss, Stuttgart 1985, ISBN 3-8062-0222-2.
  • Gustav Riek: Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal, Bd. I: Die Kulturen. Leipzig 1934.
  • Gustav Riek: Die Mammutjäger im Lonetal. Neuauflage. Gerhard Hess Verlag, Ulm 2000, ISBN 3-87336-248-1.
  • Christa Seewald: Urgeschichtliche Funde aus dem Lonetal, Ulmer Museum, Ulm 1962.
  • Jürgen Werner: Die Eiszeitjäger auf der Schwäbischen Alb. Hess, Bad Schussenried 2008, ISBN 978-3-87336-359-5

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Gustav Riek: Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal. Leipzig, 1934
  2. Joachim Hahn: Aurignacien. Das ältere Jungpaläolithikum in Mittel- und Osteuropa. Köln, 1977
  3. a b c Laura Niven: The palaeolithic occupation of Vogelherd Cave. Tübingen, 2006
  4. Christa Seewald: Urgeschichtliche Funde aus dem Lonetal, Ulm, 1962, S. 40-41.
  5. Christa Seewald: Urgeschichtliche Funde aus dem Lonetal, Ulm, 1962, S. 39-40.
  6. Gustav Riek: Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal. Leipzig, 1934. S. 54
  7. Gustav Riek: Die Eiszeitjägerstation am Vogelherd im Lonetal. Leipzig, 1934, S. 66.
  8. Joachim Hahn: Aurignacien, das ältere Jungpaläolithikum in Mittel- und Osteuropa Köln, 1977, S. 91
  9. Joachim Hahn: Aurignacien, das ältere Jungpaläolithikum in Mittel- und Osteuropa Köln, 1977, S. 91.
  10. Christa Seewald: Urgeschichtliche Funde aus dem Lonetal, Ulm, 1962, S. 30-31.
  11. Joachim Hahn: Kraft und Aggression. Die Botschaft der Eiszeitkunst im Aurignacien Süddeutschlands, Archaeologica Venatoria Bd. 7, 1986, Tübingen
  12. Spiegel-Online, 20. Juni 2007

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