Waldthausen

Waldthausen

Waldthausen ist der Name einer angesehenen Patrizier- und Industriellenfamilie, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts – aus dem Braunschweiger Raum kommend – in Essen ansässig ist. Sie hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Wirtschaftslebens im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Beginnend in der Textilwirtschaft – in der Hauptsache Wollhandel – investierte man die Gewinne in Kohle und Stahl. Gleichermaßen wuchs das Engagement im Bankwesen.

Im Laufe der Jahre wuchs die Anzahl der Familienmitglieder und -zweige beträchtlich an. Obwohl man teilweise auf gleichen Gebieten tätig war, kooperierte man innerhalb der Familie stets miteinander. Welches Ansehen sich die Familie in Essen erarbeitete, kann man u. a. auch daran ablesen, dass 1828 von 104 Mitgliedern der Gesellschaft Verein – einer Vereinigung führender Essener Bürger – allein 9 Mitglieder aus der Familie Waldthausen stammten.

Inhaltsverzeichnis

Keimzelle Wollhandel

Anfangs versuchte sich die Familie Waldthausen – nachdem sie in Essen ansässig wurde – in diversen Handelsgeschäften. Es wurden Firmen gegründet, verschmolzen und wieder aufgelöst. Man versuchte es mit Kolonialwaren (Kaffee, Zucker, …), einer Färberei oder dem Handel mit Vitriolöl oder Hölzern. Mit der Zeit kristallisierte sich aber immer mehr der Schwerpunkt des Wollhandels heraus. Damit wurde das von Justus und Wilhelm gegründete Wollhandelshaus zu einem Ausgangspunkt des wirtschaftlichen Erfolges der Waldthausens. Im Jahre 1820 ging die Wollhandlung in die Essener „Wollhandlung Wilhelm & Conrad Waldthausen“ über. Die Söhne von Conrad Waldthausen – Ernst und Julius – übernahmen später das väterliche Geschäft. 1920 feierte man das 100-jährige Bestehen.

Über die geschäftlichen Abläufe der Gründungsunternehmen der rheinisch-westfälischen Industrie gibt es wenig direkte Überlieferungen. Anhand von Geschäftsunterlagen wie Kassen- und Kopierbüchern mit der geschäftlichen Korrespondenz lassen sich aber die Lebensumstände und geschäftlichen Entwicklungen nachvollziehen. Für die Familie Waldthausen haben Dr. Karl Mews und Otto-Ernst Krawehl entsprechende Recherchen durchgeführt. Ihre plastischen Schilderungen sind in den Essener Beiträgen zur Geschichte (Band 41 und Band 116) nachzulesen.

Um 1800 war das Tuchmacherhandwerk an der Ruhr bis hin ins Bergisches Land weit verbreitet. Den Bedarf an Wolle deckten die Wollhändler. Sie kauften die Wolle – so wie sie nach dem Scheren der Schafe anfiel – in den Hochburgen der Schafzucht. In der Zeit waren das Schlesien und Sachsen. Die Wollhändler reisten mit Postkutschen in wochenlangen Reisen zu den Wollmärkten. Spediteure transportierten anschließend die Ballen zu den Lägern der Wollhändler. Aufgrund der beschwerlichen Anreise fand eine solche Einkaufsreise in der Regel nur einmal im Jahr statt.

Nachdem die Läger gefüllt waren, gingen die Wollhändler wieder auf Reisen, diesmal aber zur Akquisition bei ihren Kunden – den Tuchmachern. Einer der Hauptkunden von Conrad Waldthausen war die Tuchfabrik Scheidt in Essen-Kettwig. Wenn es jedoch ins Bergische ging, kam man um Übernachtungen nicht umhin.

Die wirtschaftliche Lage war in der damaligen Zeit nicht einfach. Einen guten Teil ihrer Zeit mussten die Wollhändler mit dem Eintreiben ihrer Außenstände verbringen. Erschwerend kam hinzu, dass es keine einheitliche Währung gab. So erhielten die Wollhändler für ihre Ware Taler, Brabanter, französische Kronen, Dukaten und viele Währungsarten mehr. Aber auch mit Wechseln oder Naturalien wurde bezahlt. Letzteres führte dazu, dass die Wollhändler auch einen Tuchhandel betreiben mussten. Das Zahlungsziel lag häufig bei zwölf Monaten. Wer sofort bezahlte, erhielt sechs Prozent Skonto.

Das Geld wiederum musste angelegt werden, damit der Wert der Einnahmen bis zur Einkaufreise gesteigert werden konnte. Daraus folgten viele Bankbeziehungen. Für Spareinlagen waren damals Zinssätze von drei bis vier Prozent üblich. Es lag in der Natur der Sache, dass die Waldthausens sich aufgrund des höheren Profits auch selbst mit der Investition der Gelder beschäftigten. Sie verliehen Gelder an die finanzbedürftigen Pioniere der wachsenden Industrie (Krupp, Stinnes, …). Auf diese Weise entstanden im Laufe der Zeit mehrere Bankhäuser der Waldthausens.

Diese Mischung aus verschiedenen Geschäften brachte in diesen ansonsten unruhigen Zeiten Stabilität in die Unternehmen. Sie war gleichzeitig einer der Gründe für den außerordentlichen wirtschaftlichen Erfolg der Familie Waldthausen.

Immobilien und Grundbesitz

Der Waldthausenpark

Das Ruhrlandmuseum ist mit einer über 100-jährigen Geschichte eines der ältesten Museen im Ruhrgebiet. Nachdem es für das Museum im ehemaligen Ledigenheim der Firma Krupp am Bahnhof Essen-West zu eng wurde, entschied man sich die ortsgeschichtlichen Sammlungen auszugliedern. Die Stadt Essen erwarb im Jahre 1936 vom Bankier Albert von Waldthausen die „Waldthausen Villa“. Die Nationalsozialisten gründeten 1937 in der Villa zwecks Ausstellung der Sammlung das „Haus Heimat“. Mit der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gingen die historischen Bestände zum größten Teil verloren. Auf dem Grundstück befindet sich der heutige Waldthausenpark.

Ehemaliger Firmensitz

Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte die Familie Waldthausen am Stadtgarten an der Brunnenstraße einen Firmensitz. Nach dem Krieg verkaufte sie das vor rund 100 Jahren errichtete Gebäude an die Stadt Essen. Zunächst richtete die Stadt dort eine kleine Druckerei ein. Auf Adressiermaschinen bedruckte man Lohnsteuerkarten und Wahlbenachrichtigungen. Ab 1982 nutzte die Folkwang-Musikschule das zentral gelegene Haus. Nachdem die Musikschule 2003 in größere Räumlichkeiten in die Weststadthallen umgezogen war, bezog nach einer Umbauphase im April 2007 die Verwaltungs-GmbH des Initiativkreis Ruhrgebiet im jetzt Alfred-Herrhausen-Haus benannten Gebäude ihr Quartier.

Fritz von Waldthausen Villa

In Essen-Bredeney ließ Fritz von Waldthausen 1922 am Markuspfad von dem Architekten Oskar Kunhenn eine großzügige Villa bauen. Umgeben von einer Einfriedungsmauer steht das nahezu quadratische Gebäude auf einem rund 3.000 m² großen Grundstück. Die wunderschöne zweigeschossige Villa ist als Baudenkmal geschützt.

Ehemalige Villa Waldthausen an der Hohenzollernstraße

Im Jahre 1950 fand die „Gesellschaft Verein“ in einer ehemaligen Waldthausen Villa an der Hohenzollernstraße 40 ihr neues Quartier. Zunächst zur Miete wurde das Gebäude 1959 von der „Aktiengesellschaft Bürgerheim“ gekauft. In dem Clubhaus treffen sich heute rund 170 Mitglieder – bestehend aus Bankern, Unternehmern und Medizinern. Für das leibliche Wohl sorgt eine hauseigene Gastronomie.

Soziales Engagement

Über die geschäftlichen Erfolge hat die Familie Waldthausen nie aus den Augen verloren, dass die Basis für ihren Handel in einem guten Umfeld begründet ist. So hat man sich stets in der Verantwortung für eine positive Entwicklung der Stadt Essen gesehen.

  • Kultur war allen Industriepionieren schon immer ein großes Anliegen. 1852 wurde ein Verein gegründet, mit dem Ziel in Essen ein Theater zu bauen. Zu den Gründungsmitgliedern der ältesten Essener Kulturinitiative gehörten Alfred Krupp und Friedrich Waldthausen.
  • Kurz vor der Jahrhundertwende – 10 Jahre nach dem Tod des Kaisers Wilhelm – kam der allgemeine Wunsch auf, dem Kaiser ein Denkmal zu errichten. Es erfolgte ein Aufruf an die Bevölkerung für die Schaffung des Denkmals zu spenden. Fast 13.000 Bürger folgten 1888 dem Aufruf und trugen 77.296 Reichsmark zusammen. Die größten Einzelspender hießen Krupp und Waldthausen, die je 20.000 Reichsmark beisteuerten. Nachdem der Rat der Stadt Essen weitere 100.000 Reichsmark bewilligte, konnte die beeindruckende Bronzeskulptur – ein zu Pferde sitzender Kaiser Wilhelm – im Jahre 1898 enthüllt werden.
  • Im Jahre 1890 wurde der Historische Verein für Stadt und Stift Essen e.V. gegründet. Einer der Mitbegründer war Albert von Waldthausen. 1906 stiftete er einen Betrag von 30.000 DM, um den nebenamtlich tätigen Stadtarchivar, Herrn Dr. Konrad Ribbeck, für drei Jahre vom Schuldienst freistellen zu lassen. Auf einer wissenschaftlichen Grundlage sollte er die „Geschichte der Stadt Essen“ aufarbeiten.
  • Vor über hundert Jahren – genauer gesagt im Jahre 1902 – ermöglichte eine großzügige Spende der Waldthausens die Gründung der zentralen Stadtbibliothek. In einem Geschäftshaus an der Kettwiger Straße 8 wurde die „Städtische Bücherhalle“ mit einem Bestand von 4.000 Büchern eröffnet. Der große Erfolg ließ die Büchersammlung schnell wachsen, so dass alsbald ein Umzug in ein größeres Domizil an der Hindenburgstraße notwendig wurde. Auch dort wurde der Raum bald knapp. Julius von Waldthausen stellte daraufhin an der Chausseestraße ein Gebäude zur Verfügung und übernahm sogar die Kosten für den Umbau.
  • Im Oktober 2004 konnte das 150-jährige Jubiläum des Krankenhauses Huyssens-Stiftung gefeiert werden. Neben Krupp und Baedeker engagierte sich auch die Familie von Waldthausen finanziell für das Krankenhaus.

Heute gibt es in Essen zwei Stiftungen unter Beteiligung der Familie Waldthausen:

  • Eugen-und-Agnes-von-Waldthausen-Platzhoff-Museums-Stiftung (Stiftungsziel: Förderung des Kunstsinns)
  • Julius-von-Waldthausen-Stiftung (Stiftungsziel: Förderung von medizinischen Hilfsberufen)

Letzte Ruhestätten

Grabmal der Waldthausens

Ursprünglich fanden die meisten Mitglieder der Familie Waldthausen ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof am Kettwiger Tor in der Nähe des Hauptbahnhofs. Dieser Friedhof musste 1955 anlässlich des Ausbaus des Ruhrschnellweges weichen. Der überwiegende Anteil der Gräber der Familie Waldthausen wurde auf den Friedhof Bredeney an der Westerwaldstraße und einige wenige Gräber auf den Ostfriedhof an der Saarbrücker Straße verlegt.

Auf dem Ostfriedhof sind die Gräber der Waldthausens im Feld 5 und 6 zu finden – neben weiteren bekannten Pionierfamilien des beginnenden Industriezeitalters. Dazu gehören die Familien Huyssen, Knaudt, Baedeker und nicht zuletzt die Familie Grillo.

Im Feld 22 am Südrand des Bredeneyer Friedhofs – in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ruhestätte der Familie Krupp – liegen in einer langen Reihe zahlreiche Gräber der Waldthausens. Ihre Grabmale sind beeindruckende Zeugnisse der Vergangenheit.

Literatur

  • Essener Beiträge – Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen Band 116. – Essen : Klartext-Verlagsges., 2004. – ISBN 3-89861-398-4
  • Essener Beiträge – Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen Band 41. – Essen : Fredebeul & Koenen, 1923.
  • Essener Köpfe – wer war was. – Essen : Verlag Richard Bacht GmbH, 1985. – ISBN 3-87034-037-1

Weblinks


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