Weiße Biotechnologie

Weiße Biotechnologie

Die Weiße Biotechnologie, auch Industrielle Biotechnologie genannt, ist nach einer Definition der europäischen Industrievereinigung EuropaBio die Verwendung der Werkzeuge der Natur in der industriellen Produktion. In der Weißen Biotechnologie werden Organismen oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle Produktion verwendet.

Die Fraunhofer-Gesellschaft definiert Weiße Biotechnologie als „die industrielle Produktion von organischen Grund- und Feinchemikalien sowie Wirkstoffen mithilfe optimierter Enzyme, Zellen oder Mikroorganismen“.

Die OECD unterscheidet hier 2 Schwerpunkte:

  • Ersatz endlicher fossiler Brennstoffe durch nachwachsende Ausgangsstoffe, also Biomasse
  • Ersatz konventioneller industrieller Prozesse durch biologische Prozesse, die den Energiebedarf und den Rohstoffeinsatz senken sowie die Anzahl der Prozessstufen reduzieren und damit Kosten senken sowie gleichzeitig ökologische Vorteile schaffen.


Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Begriff weiße Biotechnologie (im Gegensatz zur grünen (Landwirtschaft) und roten (Pharmazeutik)) ist noch sehr jung und nicht allgemein verbreitet, wird aber zumindest im deutschen und englischen Sprachraum von mehreren Organisationen benutzt.

Die weiße Biotechnologie ist eigentlich keine neue Disziplin, da sie seit Jahrtausenden von der Menschheit genutzt wird. In zahlreichen Kulturen wurde

lange vor der Entdeckung der Mikroorganismen oder gar dem Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse genutzt.

Louis Pasteur (1822-1895) entdeckte 1856 in verunreinigten Weinfässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Die entdeckten Milchsäurebakterien (Lactobazillen) produzierten aus Zucker durch Gärung Milchsäure, während in den Weinfässern Hefepilze den Zucker zu Alkohol vergären sollten. Pasteur legte mit diesen Entdeckungen die Grundlage für das Verständnis von Fermentation bzw. Gärung und begründete die moderne Mikrobiologie.

2005 arbeiteten von den 480 Biotech- Unternehmen in Deutschland rund 12 % auf dem Gebiet der Industriellen Biotechnologie. Dies entspricht einer Zahl von 57 Unternehmen.

Methode

Im Gegensatz zur natürlichen Evolution (zufällige Veränderung der Gene (Mutation) und anschließende Selektion der am besten an die Umgebung angepassten Varianten) werden in der Biotechnologie durch eine gelenkte Evolution (Molecular farming) aus den ca. 2 Milliarden verschiedenen Spezies von Mikroorganismen wertvolle Industriestämme von Mikroorganismen entwickelt, die hoch spezialisiert sind und hohe Erträge der gewünschten Produkte herstellen.

Konkret werden im Labor über chemische und enzymatische Methoden Mutanten der Mikroorganismen erzeugt, die Unterschiede im Genom aufweisen. Wurde durch ein Screening bei einer Spezies eine Enzymvariante gefunden, die eine höhere Umsatzrate hat, ist das zugehörige Gen Ausgangspunkt für die nächste gelenkte Evolutionsrunde. Dieser Vorgang wird in iterativen Zyklen wiederholt bis die angestrebten Verbesserungen erreicht sind.

Da ein großer Teil (mehr als 90 %) der Mikroorganismen nicht kultivierbar und damit nicht identifizierbar ist, sind Informationen zu deren genetischen oder physiologischen Eigenschaften leider nur schwer zu ermitteln. Ein Lösungsansatz hierfür ist die Untersuchung von Metagenomen, d. h. der Gesamtheit der Genome eines Lebensraums oder Biotops oder einer Lebensgemeinschaft (Biozönose). In Metagenomen können Biokatalysatoren aufgefunden werden, die bisher noch nicht bekannte biochemische Reaktionen katalysieren und neue, interessante Stoffwechselprodukte bilden.

Anwendungsgebiete

Die so gewonnenen Mikroorganismen (Stichwort Zellfabrik) oder Wirkstoffe werden zum Beispiel in folgenden Gebieten eingesetzt:

Substitution fossiler Energieträger

Bioethanol, Biodiesel, Biogas und Wasserstoff können aus Biomasse gewonnen werden. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Verfahren hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen.

  • Bioethanol: Aus unter anderem Zuckerrüben, Mais, Getreide oder organischen Abfällen wird Zucker gewonnen. Dieser wird zu Ethylalkohol fermentiert.
  • Biodiesel: Wird zur Zeit überwiegend mittels chemischem Verfahren aus pflanzlichen Fetten und Ölen über eine katalytische Reaktion produziert. An der Ablösung durch biotechnologische Verfahren wird derzeitig weltweit intensiv geforscht. Erste Erfolge liegen im kleintechnischem Maßstab durch gentechnische Veränderung des Bakteriums E. Coli vor.[1]
  • Biogas: ist das Ergebnis der Methanfermentation von Biomasse
  • Wasserstoff: Wasserstoff als sehr interessanter Energieträger kann durch mikrobiologische Fermentationsprozesse aus organischem Material gewonnen werden.

Antibiotika

Sie dienen der Behandlung von Infektionskrankheiten und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten.

Ein bekanntes Breitband-Antibiotikum, das wie das Penicillin zu den β-Lactam-Antibiotika gehört, ist das Cephalosporin, dessen Hauptausgangsstoff die 7-Amino-Cephalosporansäure ist. In dem biotechnologischen Verfahren zur 7-Amino-Cephalosporansäure-Produktion kann bei Zimmertemperatur mit Wasser als Lösungsmittel und ohne toxische Stoffe oder Schwermetalle gearbeitet werden. Das Abwasser kann danach im Wesentlichen biologisch gereinigt werden. Dadurch muss weniger Klärschlamm in der Müllverbrennung entsorgt werden und die Abgasemissionen fallen geringer aus.

Wasch- und Reinigungsmittel

Enzyme verbessern die Waschwirkung durch die Spaltung verschiedener Schmutzpartikel (insbesondere eiweißhaltiger Verschmutzungen durch Ei, Blut, Kakao) in lösliche Verbindungen. Durch das Herabsetzen der Waschtemperaturen und Waschdauer konnte auch der Wasser-, Waschmittel- und Energieverbrauch deutlich reduziert werden.

Vitamine

Vitamine werden vom Körper für lebenswichtige Funktionen benötigt und müssen mit der Nahrung oder im Mangelfalle über Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen werden. Noch in den 90er Jahren wurde beispielsweise Vitamin B2 in einem achtstufigen Syntheseprozess hergestellt. Wichtigster Ausgangsstoff war dabei Zucker (Glukose), der zuerst in einem biotechnologischen Verfahrensschritt zu Ribose fermentiert wurde. Beim biotechnologischen Verfahren kann gegenüber dem chemischen Verfahren eine Verringerung der Umweltbelastung um 40 Prozent erreicht werden: So können die CO2-Emissionen um 30 Prozent, der Stoffverbrauch um 60 Prozent und die entstehenden Abfälle um 95 Prozent verringert werden.

Enzyme

Die Verwendung biotechnologisch hergestellter Enzyme in der Medizin ist vielfältig: Enzyme werden in Therapie und Diagnose eingesetzt. Erst mit den Fortschritten der biotechnologischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte hat sich das ökonomische Potenzial therapeutischer Enzyme entwickeln können. Durch die Verfahren der Weißen Biotechnologie können Enzyme preisgünstig sowie mit hoher Leistungsfähigkeit und Selektivität hergestellt werden.

Die so genannten therapeutischen Enzyme werden direkt als Medikamente verwendet (z.B: Lipasen, Lysozym,Thrombin und andere).

In der Lebensmittelindustrie werden mehr als 40 Enzyme in unzähligen Produktionsprozessen eingesetzt. Enzyme modifizieren Stärke, optimieren Fette und Eiweiße, sie stabilisieren aufgeschlagene Schäume und Cremes, „verkleben“ unterschiedliche Fleischteile zu Kochschinken oder Brühwurst; Enzyme sorgen für die Bissfestigkeit von Cornflakes, die Gefrier-Tau-Stabilität eines Fertigteiges, die gleichmäßige Qualität von Eiswaffeln oder verhindern das Kleben von Nudeln nach dem Kochen. Enzyme konservieren Mayonnaise und Eiprodukte, steuern die Reifung von fermentierten Lebensmitteln und Getränken, sie ermöglichen intensivere Aromen, spalten aus Butter-, Käse- oder Rahmaromen Fettsäuren ab oder bilden aus Eiweißen Würze oder Bratengeschmack.

Hormone

Auch bei der Hormonsynthese spielen biotechnologische Verfahren eine zunehmende Rolle. Hormone sind körpereigene Informationsübermittler. Viele Krankheiten beruhen auf Fehlleistungen verschiedener Hormonsysteme. Die Zuführung von Hormonen ist deshalb in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten erforderlich (zum Beispiel Wachstums- oder Wechseljahresbeschwerden, Krebstherapie und andere).

Die schmerz- und entzündungslindernde Wirkung des Steroidhormons machte beispielsweise Cortison als Medikament interessant. Die aufwändige chemische Synthese war zunächst nur in 37 Schritten unter extremen Reaktionsbedingungen möglich. Die Biotechnologie ermöglicht die Verkürzung der Synthese auf 11 Schritte, für die man industriell die Stoffwechselleistung des Pilzes Rhizopus arrhizus verwendet. Durch biotechnologische Verfahren konnten Druck und Temperatur der Syntheseschritte reduziert und damit die Herstellungskosten gesenkt werden. Mit Hilfe weiterer biotechnologischer Prozesse konnte darüber hinaus der Ausgangsstoff für die Cortison-Synthese, Diosgenin, der aus der mexikanischen Yams-Wurzel gewonnen wurde, ersetzt werden.

Textil-, Leder- und Papierindustrie

Zum Bleichen von Textilien wird in der Textilindustrie Wasserstoffperoxid (H2O2) genutzt. Wasserstoffperoxid ist ein starkes Oxidationsmittel, das nach dem jeweiligen Bleichprozess wieder vollständig aus dem Textilmaterial entfernt werden muss. Im konventionellen Verfahren wird Wasserstoffperoxid durch zweistündiges Spülen mit heißem Wasser (80-95°C) beseitigt. Trotz hohem Verbrauch an Wasser und Energie gelingt jedoch eine vollständige Entfernung des Bleichmittels erst durch Nachbehandlung mit verschiedenen Chemikalien.

In dem biotechnologischen Verfahren wurde zur Entfernung des Bleichmittels Wasserstoffperoxid ein enzymatischer Prozess entwickelt. In diesem biotechnologischen Verfahren wird zur Nachbehandlung der Textilien das Enzym Katalase eingesetzt. Dieses Enzym baut das Wasserstoffperoxid innerhalb von wenigen Minuten bei 30-40°C ab, dabei entstehen Wasser und Sauerstoff.

Statt zweier Spülzyklen muss zur Entfernung des Bleichmittels nur noch ein Spülschritt mit warmem Wasser durchgeführt werden.

Agrochemikalien

Der weltweite Markt für Biopestizide, also Mitteln für die Unkrautbekämpfung mit Mikroorganismen oder deren Produkten wächst stark.

Ein Beispiel für Biopestizide ist die Produktion des Toxins des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis. Das so genannte Bt-Toxin wirkt auf verschiedene Insekten toxisch, für andere Organismen ist es aber ungiftig.

Biopolymere

Die biotechnologische Herstellung von Bausteinen und Polymeren für die Kunststoff- und Polymerindustrie ist ein weiteres zukunftsträchtiges Feld biotechnologischer Verfahren. An der Entwicklung von biologisch abbaubaren Polymeren wird seit vielen Jahren intensiv geforscht. Erste Anwendungen sind auf dem Markt. Durch biotechnologische Verfahren können auch petrochemische Verfahren für die Produktion von Ausgangsverbindungen für die Kunststoffherstellung ersetzt werden.

Ausblick

Die weiße Biotechnologie gehört zu den sogenannten Schlüsseltechnologien unserer Zeit.

Es ist davon auszugehen, dass durch gezielte Nutzung der etwa zwei Milliarden Mikroorganismusspezies und deren biotechnologische Verbesserung sehr viele industrielle Prozesse kostengünstiger (weniger Prozessstufen, weniger Material- und Energieeinsatz) und ökologischer (weniger sowie umweltverträglichere Reststoffe und Emissionen) gestaltet werden können. Darüber hinaus verringern sich die Investitionen durch die Nutzung der kleinen Helfer und es werden nachwachsende Rohstoffe für die industrielle Nutzung erschlossen. Neben den Produktionskosten wird natürlich auch die Kundenakzeptanz die entscheidende Triebkraft für den Wechsel von konventionellen zu biotechnologischen Produktionsverfahren sein.

Literatur

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (2007): Weiße Biotechnologie - Chancen für neue Produkte und umweltschonende Prozesse. (PDF-Datei; 2.23 Mb)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. biotechnologie.de: Biodiesel

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