Werner Catel

Werner Catel

Werner Julius Eduard Catel (* 27. Juni 1894 in Mannheim; † 30. April 1981 in Kiel) war ein Kinderarzt, der an der Kinder-„Euthanasie“ in der Zeit des Nationalsozialismus beteiligt war.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach dem Abitur 1913 war Catel Soldat im Ersten Weltkrieg. Von 1916 bis 1920 studierte er in Freiburg und Halle Medizin. In Halle wurde er auch promoviert. Anschließend arbeitete er als Assistent am dortigen anatomischen und pharmakologischen Institut. 1922 wurde er unter Georg Bessau (1884–1944) Assistent an der Universitätskinderklinik Leipzig, wo er 1926 habilitierte. Bereits 1924 war er Alfred Hoche in Innsbruck persönlich begegnet, einem Psychiater, der gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding die Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form.“ verfasst hatte, die Catel wohl maßgeblich beeinflusst hat. Bessau ging 1932 an die Charité und nahm den von ihm geschätzten Catel, der inzwischen Oberarzt geworden war, mit nach Berlin.

Als der nach Bessaus Weggang kommissarisch eingesetzte und wegen seiner jüdischen Herkunft zunehmend angefeindete Direktor der Leipziger Kinderklinik, Siegfried Rosenbaum, im April 1933 aus dem Dienst gedrängt wurde, erhielt Catel die Berufung nach Leipzig. Nun war er Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Leipzig und bis 1946 Direktor der Universitätskinderklinik Leipzig.

Der NSDAP trat er am 1. Mai 1937 bei. Dieser „späte“ Eintritt wurde mitunter zu seiner Entschuldigung verwendet, er sei kein Nationalsozialist gewesen. Tatsächlich war dieser Zeitpunkt nach einer 1933 verhängten Aufnahmesperre für Catel die erste Möglichkeit, NSDAP-Mitglied zu werden. Zuvor war er Mitglied anderer nationalsozialistischer Organisationen wie dem NS-Dozentenbund und NS-Volkswohlfahrt geworden.

1939 bat ein Vater aus Pomßen, der in der Literatur als 'Kressler' oder 'Knauer' bezeichnet wird, Catel einem seiner Kinder den „Gnadentod“ zu gewähren. Das Kind war blind, ohne linken Unterarm und mit einem missgebildeten Bein geboren und in der Universitätsklinik vorgestellt worden. Catel diagnostizierte, dass das Kind „nie normal“ werde. Ein Bruder des Vaters riet, direkt an Hitler zu schreiben. Nach Darstellung eines Oberarztes von Catel, Erich Häßler, wurde dieser „Rat“ von Catel selbst erteilt.[1] Hitler entsandte Karl Brandt nach Leipzig. Catel wurde beauftragt, zu entscheiden, was zu tun sei; ihm wurde Straffreiheit zugesichert. Das Kind wurde am 25. Juli 1939 von Catel „eingeschläfert“, der Anfang der Kinder-„Euthanasie“ in Deutschland.

Wegen Bettenmangel an der Kinderklinik in der Leipziger Oststraße richtete er 1940 im Rahmen der von der „Kanzlei des Führers“ in Auftrag gegebenen und vom „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ gesteuerten Kindereuthanasie eine „Kinderfachabteilung“ in Leipzig-Dösen unter Leitung von Arthur Mittag, später auch an der Kinderklinik Leipzig ein. Dort tötete er Kinder, die er für hoffnungslos behindert hielt („lebensunwertes Leben“), nach dem „Luminal-Schema“ von Hermann Paul Nitsche oder mit Scopolamin. Er war einer der drei Gutachter, die anhand der „Aktenlage“ über Leben oder Tod der von den Gesundheitsämtern des Reiches gemeldeten behinderten Kinder entschied. Nach der Zerstörung der Kinderklinik Oststraße am 3. Dezember 1943 belegte Catel unter anderem ein Gebäude in Klinga bei Leipzig. „Sonderzuwendungen“ des „Reichsausschusses“, die für Tötung von Kindern ausgezahlt worden sind – auch an die Schwester Isolde Heinzel, seine spätere zweite Ehefrau, belegen für das Jahr 1944, dass die Kinderfachabteilung – und somit die „Euthanasie“ – in der Ausweichstelle Leipzig-Dösen weitergeführt wurde.

1945 erfolgte die Vernichtung aller Akten, daher sind Zahlen schwer rekonstruierbar. Catel war bewusst, dass seine „Arbeit“ Teil des rassistischen Konzeptes der Nationalsozialisten war: 1945 gab er Anweisung, die rassistischen und zum Teil direkt antisemitischen Kapitel aus allen Exemplaren, derer man habhaft werden konnte, des von ihm herausgegeben Standardwerkes für die Ausbildung zur Säuglingspflegerinnen und Kinderkrankenschwestern, „Die Pflege des gesunden und kranken Kindes“, herauszutrennen. Es kann nachgewiesen werden, dass er sogar die Absicht hatte, die im Bestand der Deutschen Bücherei Leipzig befindlichen Exemplare zu säubern.

Nachweise über „Sonderzuwendungen“ des „Reichsausschusses“ sowie Zeitzeugen-Aussagen belegen jedoch seine Schuld. Gegenwärtig muss von mindestens 500 in Leipzig getöteten Kindern ausgegangen werden.

1946 verließ er Leipzig. Catel wurde 1947 in Wiesbaden als „unbelastet“ eingestuft und leitete dann die Kinderheilstätte Mammolshöhe in der Nähe von Kronberg, 1949 wurde er in Hamburg beim Entnazifizierungs-Tribunal freigesprochen und 1954 Professor für Kinderheilkunde an der Universität Kiel. Die Tötung unheilbarer behinderter Kinder hat er gerechtfertigt und jede Schuld geleugnet. Im Stasi-Archiv wurden inzwischen Briefe von Catel gefunden, die seine Tätigkeit bei der Euthanasie belegen.

Noch 1964 behauptete er, dass es jedes Jahr fast 2000 „vollidiotische“ Kinder gebe, die wegen ihrer Fehlbildungen oder Behinderungen getötet werden sollten. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurde er 1960 vorzeitig emeritiert.

Nach seinem Tod vermachte er sein Vermögen der Universität Kiel mit der Bedingung, eine „Werner-Catel-Stiftung“ für experimentelle und naturwissenschaftliche Forschung zu gründen. Erst nach massivem Protest seitens der Studierenden und öffentlichem Druck hat die Universität drei Jahre nach seinem Tod dieses Ansinnen abgelehnt. Noch bis 2006 kam es wiederholt zu Protesten wegen seines Porträts, das nach wie vor in der Kinderklinik in Kiel hängt. Seither ist dem Bild ein erklärender kritischer Text beigestellt.

Als Forscher hat Catel als erster das Lesch-Nyhan-Syndrom beschrieben.

Die Universität Kiel schrieb in ihrer Todesanzeige im Jahr 1981, Catel habe „in vielfältiger Weise zum Wohle kranker Kinder beigetragen“.[2] Noch heute gibt es Ansätze, die sein Handeln mit humanistischen Motiven entschuldigen wollen: Er habe sich von den politischen Morden der Nazis distanziert und nicht aus politischen Motiven gehandelt.

Literatur

  • Hans-Christian Petersen und Sönke Zankel. Werner Catel - ein Protagonist der NS-"Kindereuthanasie" und seine Nachkriegskarriere. In: Medizinhistorisches Journal. Medicine and the Life Sciences in History 38 (2003), S. 139-173.
  • Hans-Christian Petersen und Sönke Zankel: "Ein exzellenter Kinderarzt, wenn man von den Euthanasie-Dingen einmal absieht." - Werner Catel und die Vergangenheitspolitik der Universität Kiel. In: Hans-Werner Prahl u. a. (Hrsg.): Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel und der Nationalsozialismus. Kiel 2007, Bd. 2, S. 133-179.
  • Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich, S. Fischer Verlag Frankfurt/M., Oktober 2001 (Besprechung auf graswurzel.net)
  • Manfred Müller-Küppers: Die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter besonderer Berücksichtigung der Zeit des Nationalsozialismus kinderpsychiater.org
  • Ortrun Riha: Das schwerbehinderte Kind als ethische Verantwortung. Die Bürde der Vergangenheit als Verantwortung für die Zukunft. In: 110 Jahre Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig. Basel 2003, S. 17 ff.
  • Joachim Karl Dittrich: Rechtfertigungen? Betrachtungen zu drei Buchveröffentlichungen Werner Catels. In: 110 Jahre Universitätsklinik und Poliklinik für Kinder und Jugendliche in Leipzig. Basel 2003, S. 27 ff.
  • Berit Lahm, Thomas Seyde, Eberhard Ulm: Kindereuthanasieverbrechen in Leipzig. Verantwortung und Rezeption. Plöttner Verlag, Leipzig 2008, ISBN 978-3-938442-48-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. Christoph Buhl, Von der Eugenik zur Euthanasie. Eine Spurensuche in Leipzig, Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der HTWK,. Leipzig 2001, S. 41
  2. zitiert in Ernst Klee: Wer Täter ehrt, mordet ihre Opfer noch einmal. bei www.irren-offensive.de. Print: NS-Behindertenmord: Verhöhnung der Opfer und Ehrung der Täter. in Zs. Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Hg. Verein "Initiativ für behinderte Kinder und Jugendliche", Graz. Nr. 6, 1999. ISSN 1561-2791

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