Wiedenbrücker Kreuztracht

Wiedenbrücker Kreuztracht
Karfreitagsprozession in Wiedenbrück: An der Ecke Lange Str./Mönchstr.

Als Wiedenbrücker Kreuztracht wird die jährliche Prozession am Karfreitag in Wiedenbrück, einem Stadtteil von Rheda-Wiedenbrück, in Ostwestfalen bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Bei der Wiedenbrücker Kreuztracht zieht eine Prozession mit einem Jesus-Darsteller sowie einem Darsteller des Simon von Cyrene, in entsprechender Verkleidung und Maskierung durch die Altstadt von Wiedenbrück. Der Jesus-Darsteller trägt dabei ein schweres Holzkreuz auf seinen Schultern. Auf diese Weise gedenken die teilnehmenden Gläubigen der Passion Jesu Christi und seines Wegs durch Jerusalem, bevor er auf dem Berg Golgota gekreuzigt wurde. In Anlehnung daran, dass die römischen Soldaten der Bibel nach Jesus als König verhöhnten, trägt der Jesus-Darsteller einen Purpurmantel und eine Dornenkrone, wie die Soldaten sie Jesus aufsetzten.

Geschichte

Die Prozession wurde 1663 von den Franziskanern, die seit 1644 in Wiedenbrück ein Kloster unterhalten, nach Wiedenbrück gebracht.[1] Von ihnen wird sie seitdem mit nur wenigen Unterbrechungen (u.a. während des Zweiten Weltkriegs) durchgeführt.

Traditionell sind die kostümierten und maskierten Darsteller ebenso wie deren Beweggründe für die Teilnahme an der Prozession nur wenigen Personen im Kloster bekannt. Gemutmaßt wird, dass zumindest in früherer Zeit auch Personen das Kreuz auf sich luden, die damit eine persönliche Schuld abtragen wollten. In diesem Zusammenhang halten sich bis in die jüngste Zeit Gerüchte, unter den Kreuzträgern befänden sich gelegentlich ehemalige Strafgefangene, die Buße tun wollten.[1] Letztlich ist es aber in den vergangenen Jahrhunderten aufgrund der strengen Geheimhaltung der Franziskaner niemandem außerhalb des Klosters gelungen, die Beweggründe eines Kreuzträgers zu erfahren und publik zu machen.

In jüngster Zeit nehmen auch die Christen der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, die in Wiedenbrück seit mehr als einem Jahrzehnt eine Gemeinde bilden, an der Prozession teil. Mit traditionellen Gesängen aus ihrer Kirche gestalten dabei Mädchen und Jungen der Gemeinde eine Station der Prozession.

Kreuztracht als Teil der Liturgie der katholischen Kirche

Am Reckenberg

Die Prozession ist in die besonderen Gottesdienste der katholischen Kirche zum Karfreitag eingebunden. Am Karfreitag beginnt am frühen Nachmittag in der Klosterkirche der Franziskaner die nach der Liturgie der katholischen Kirche vorgesehene Feier, die so genannte „Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu“.[2] Teil dieser Feier ist insbesondere der Vortrag der Passion aus dem Evangelium nach Johannes. Dieser regelmäßig mit verteilten Rollen gelesene Bibeltext handelt von dem überlieferten Verhör von Jesus durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus.[3] Pilatus ließ Jesus durch die Soldaten geißeln, die ihn zum Spott als „König der Juden“ verhöhnten, mit einem Purpurgewand kleideten und ihn mit einer Dornenkrone „krönten“.[4] Das Verhör endet mit der Überantwortung Jesu an die jüdischen Geistlichen zur Kreuzigung.[5] Der Überlieferung nach schließt sich hieran der Gang mit dem Kreuz durch Jerusalem bis zur Schädelstätte (Golgota) vor den Toren Jerusalems an. Dieser Teil wird durch die Kreuztracht nachempfunden.

Die Rolle des Simon von Cyrene (nach anderer Schreibweise „Zyrene“) wird dabei im Evangelium nach Johannes gar nicht erwähnt. Entsprechende Hinweise beinhaltet aber etwa das Evangelium nach Matthäus:[6] „Auf dem Weg trafen sie einen Mann aus Zyrene namens Simon; ihn zwangen sie, Jesus das Kreuz zu tragen.“

Nach Beendigung der Prozession schließt sich sowohl in der Klosterkirche als auch in der nahen St.-Aegidius-Pfarrkirche die Feier zur Stunde des Todes von Jesus an. Nach der Bibel starb Jesus um die neunte Stunde.[7] Da nach damaliger Zählung die erste Stunde des Tages um etwa 6 Uhr heutiger Zeit begann,[8] entspricht die Todesstunde nach heutiger Zählung 15 Uhr.

Zeitplan und Route

Zeitplan

Karfreitags-Prozession in Wiedenbrück: Historische Route durch die Innenstadt
  • 13:00 Uhr: Beginn der „Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu“
  • ca. 13:30 Uhr: Auszug zur Kreuztracht aus der Marienkirche beginnend ab der Klosterkirche Kreuzung Mönch-/Wasserstr. und Rietberger Str.
  • ca. 14:30 Uhr Fortsetzung der „Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu“ in der Marienkirche

Abweichend vom obigen Plan beginnt für die Mitglieder des Chores, bei dem Neueinsteiger willkommen sind, um 12:45 Uhr im Gemeindesaal der Pfarrgemeinde St. Aegidius die Probe der Gesänge zur Prozession.

Route

Die Route verläuft wie eingezeichnet durch die Wiedenbrücker Altstadt. Durch die Teilnahme der syrisch-orthodoxen Christen (s. Geschichte) hat die Route in den letzten Jahren gelegentlich eine Veränderung erfahren, um das etwas außerhalb der Innenstadt liegende Gemeindezentrum der Partnergemeinde einzubeziehen.

Reihenfolge der Teilnehmer

Trotz der langen Tradition der Prozession hat es auch in der Reihenfolge der teilnehmenden Gruppen immer wieder Veränderungen gegeben. Mit einiger Beständigkeit zieht die Prozession in den letzten Jahren aber in folgender Reihenfolge durch die Straßen Wiedenbrücks:

  • Messdiener
  • Chor der Gemeinde
  • Jesus und Simon von Cyrene, begleitet von Franziskanern, abgeschirmt durch sieben traditionell in Schwarz gekleidete Männer aus der Gemeinde, die einen Stab mit einem Trauerflor halten und im übrigen für den Fall, dass die Darsteller das Kreuz nicht mehr tragen könnten, dieses übernehmen würden
  • Gruppe von Kindern in einfachen farbigen Kostümen mit symbolisierten Kreuzigungswerkzeugen und Spruchschildern. Die Kinder stehen symbolisch für die beteiligten Soldaten. Auf den Schildern werden Verse aus der Bibel im Zusammenhang mit der Kreuzigung Jesu zitiert, etwa „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“[9] oder „Kreuzige ihn!“ [10]
  • (erneut) Messdiener

Die übrigen Gemeindemitglieder können sich der Prozession anschließen oder diese am Rande des Weges verfolgen.

Chormusik

Lange Straße

Ein Chor, bestehend unter anderem aus Sängern des Kirchenchors der Gemeinde St. Aegidius, Wiedenbrück, der Nachbargemeinden, des Männergesangvereins „Hoffnung“, begleitet die Prozession mit traditionellen Liedern, wie zum Beispiel den Improperien zur Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie („Popule meus …“) und dem Stabat mater. Aus dem Düsseldorfer Jesuitengesangbuch „Geistliche Übungen bey der Heiligen Mission“ von 1759 stammt die gesungene Litanei „Vater von dem Himmelsthron“:

V: Vater von dem Himmelsthron
A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
V: Jesu Christe Gottes Sohn
A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
V: Geist, du Quell’ der Heiligkeit
A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
V: Heiligste Dreifaltigkeit
A: Sieh’ auf uns erbarme dich.
1. V: Jesu,
A: Jesu,
V: der du kamst des Vaters Willen
für uns sterbend zu erfüllen.
A: Erbarme dich, erbarme dich
wir fleh’n durch deine Schmerzen
gib’ Reue unsern Herzen.


3. V: Jesu,
A: Jesu,
V: der du trägst zum Spott und Hohne
Purpur, Rohr und Dornenkrone.
A: Erbarme dich, erbarme dich
wir fleh’n durch deine Schmerzen
gib’ Reue unsern Herzen.
2. V: Jesu,
A: Jesu,
V: der du blutend voll der Wunden
an der Säule stehst gebunden.
A: Erbarme dich, erbarme dich
wir fleh’n durch deine Schmerzen
gib’ Reue unsern Herzen.


4. V: Jesu,
A: Jesu,
V: der du fälschlich, ungehöret
todesschuldig wirst erkläret.
A: Erbarme dich, erbarme dich
wir fleh’n durch deine Schmerzen
gib’ Reue unsern Herzen.

Des Weiteren wird noch gesungen:

Sei heil’ges Kreuz gegrüsset,
an dem mein Gott gebüßet,
an welchem mein Verlangen
mein Heiland hat gehangen.
Notenblatt des traditionellen Rufs von „O Crux“

Der Chor singt während der gesamten Route durch die Altstadt. Bei den sieben Stürzen Jesu, symbolisiert durch sieben Kniefälle des Jesus-Darstellers an verschiedenen Punkten der Stadt, stimmen die Männerstimmen den Ruf „O Crux, ave spes“ an. Dieser Ruf, Teil des um 600 n. Chr. entstandenen Passionsliedes Vexilla regis,[11] wird dreimal in steigender Tonhöhe wiederholt. Eine Notation des Rufs wurde im Teil des Gotteslobs für das Erzbistum Paderborn aufgenommen. Die hier gezeigte Notation versucht wiederzugeben, wie der Ruf während der Prozession in Wiedenbrück traditionell intoniert wird.

Ruf „O Crux“, wie er annähernd in Wiedenbrück bei der Kreuztracht gesungen wird?/i

Die übrigen Lieder sind größten Teils mehrstimmig. Bei einigen Stücken singen Frauen- und Männerstimmen im Wechsel.

Kreuztrachten an anderen Orten

Auch andere Orte in Westfalen kennen die Tradition der Kreuztracht:[1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Artikel über die Arbeit von Volkskundlern des LWL zur Karfreitagsprozession
  2. Erläuterungen zur Liturgie der katholischen Kirche am Karfreitag
  3. Johannes 18 f.
  4. Johannes 19, 2 f.
  5. Johannes 19, 16a
  6. Matthäus 27, 32
  7. Matthäus 27, 46 ff.
  8. Zur römischen Stundenzählung
  9. Matthäus 27, 25
  10. Johannes 19, 15
  11. s. dazu Venantius Fortunatus sowie Vexilla Regis
51.8350088.310889

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