Win-Win-Strategie

Win-Win-Strategie

Eine Win-win-Strategie (engl. win „Gewinn“), auch als Doppelsieg-Strategie bekannt, ist eine Konfliktlösung, bei der beide Beteiligten einen Nutzen erzielen. Ähnliche Interessen der Konfliktbeteiligten sind eine notwendige Voraussetzung für diese Form der Konfliktlösung. Man kann Win-win als einen Extremfall des Kooperationswettbewerbs auffassen.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Eines der grundlegendsten Konzepte der Win-win-Problemlösungen wurde in den 1970 und 1980er Jahren an der Harvard-Universität entwickelt, an der im Rahmen des „Harvard Negotiation Project“ die Entwicklung verbesserter Verhandlungsmethoden wissenschaftlich untersucht wurde. Die Methode des „sachgerechten Verhandelns“ wurde als „Harvard-Konzept“ bekannt und liegt vielen Ansätzen zur Konfliktlösung wie z.B. der Mediation zugrunde. Sie wurde in ökologischen und bürgerrechtlichen Bewegungen, in politischen Verhandlungen, bei wirtschaftlichen und rechtlichen Problemstellungen und Streitfällen usw. erprobt.

Konfliktlösung ohne Verlierer

Win-win lässt sich nur dann erzielen, wenn 1) kein Interessengegensatz vorliegt und 2) es gelingt, die Interessen zu artikulieren. Die in einem Konflikt eingebrachten Positionen spiegeln die persönlichen Forderungen und Meinungen wider und sind meist hart umkämpft, da sie mit Emotionen verknüpft sind und sich die Beteiligten mit ihren Positionen identifizieren. Im Extremfall steht Meinung gegen Meinung und Forderung gegen Forderung. Dahinter verbergen sich die eigentlichen Interessen, das, was mit den Positionen erreicht werden soll. Sobald es gelingt herauszufiltern, was hinter Forderungen und Äußerungen steckt, statt sich mit Vordergründigem zu beschäftigen, kann eine sachliche Diskussion darüber geführt werden, welche Lösungsvariante die Interessen aller Beteiligten abdeckt.

Konflikte werden üblicherweise in zwei Varianten „gelöst“: entweder setzt sich eine Partei mit ihren Vorstellungen durch oder die Beteiligten finden einen Kompromiss. Beide Fälle stellen Lösungen nach dem Gewinner-Verlierer-Modell dar. Im ersten Fall gibt es einen offensichtlichen Verlierer, im Kompromissfall verliert jeder die Hälfte seines als berechtigt empfundenen Anspruches. Demzufolge sind Kompromisse in der weiteren Entwicklung auch wenig verlässlich und führen meistens zu Folgekonflikten, verdeckten Gegenangriffen sowie Einbrüchen in der Motivation bei den Beteiligten. Daneben gibt es noch den Konfliktausgang, in dem beide Kontrahenten scheitern (Verlierer-Verlierer-Modell), welches nicht selten begrüßt wird „damit wenigstens auch der andere nichts davon hat“. Die Wiederaufnahme des Streites bei der nächsten kritischen Gelegenheit wird innerhalb der Soziologie im Rahmen der Tauschtheorie als „antagonistischer Tausch“ behandelt. In der Spieltheorie der Volkswirtschaftslehre ist diese Entwicklung als „Minimax-Prinzip“ bekannt und in der Psychologie als „fauler Kompromiss“ bzw. Objektwegnahme nach Sigmund Freud.

Bei der Win-win-Strategie geht es nicht darum, die eigene Position durchzusetzen oder gezwungenermaßen Abstriche zu machen, sondern eine dauerhafte Lösung zu finden, die von allen Beteiligten getragen und akzeptiert wird. Hier wird eine Situation geschaffen, in der jeder die Wahrnehmung und auch das Gefühl hat, durch diese Lösung etwas zu gewinnen und nicht zu verlieren. Soziologisch wird sie auch als „synagonistischer Tausch“ behandelt, in der Anthropologie lässt sich eine Brücke zu biosoziologisch dem Menschen vorgegebenen Dispositionen schlagen und psychologisch wird eine Win-win-Entscheidung als entlastender Schlusspunkt, als Befriedigung erlebt, die aus der Lösung des Entscheidungsproblems resultiert.

Vorgehensweise

Kernelement der Win-win-Verhandlung ist die Auseinandersetzung über Interessen und nicht über Positionen oder gar Personen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Konfliktbeteiligten eine Diskussion auf der Sachebene führen müssen und sich nicht in ihren Ängsten und Befürchtungen, den gegenseitigen Kränkungen und Schuldzuweisungen verwickeln sollten. Gleichzeitig sollen die Erwartungen, das Vertrauen und die Befürchtungen der Beteiligten gewürdigt werden. Die Konfliktbeteiligten müssen den Konflikt oder das zu lösende Problem gemeinsam angehen und sich nicht gegenseitig bekämpfen oder ihre Vorannahmen und etwaige vertrauensbildenden Maßnahmen ausklammern.

Zur Anwendung der Win-win-Strategie ist es daher erforderlich, eine Reihe von Kommunikationstechniken zu erlernen, um die typischen Missverständnisse und ein Zurückfallen auf das Streiten um Positionen zu verhindern. Ein wesentliches Element dabei ist z.B. das Vermeiden von verbalen Angriffen, Schuldzuweisungen und Verurteilen der Gegenseite. Eine faire Auseinandersetzung kann durchaus die Bewertung von Argumenten enthalten (siehe hierzu Argumentation, speziell Nutzwertanalyse). Es ist allerdings unbedingt erforderlich, sich dabei in den Standpunkt der Konfliktpartner hineinzuversetzen (siehe hierzu Empathie), um Abstand zur eigenen Position zu gewinnen, unnötige Konfrontationen zu vermeiden und die Diskussion immer wieder auf eine Auseinandersetzung um die Interessen zu lenken (siehe hierzu Zuhören) sowie gezielt nachzufragen und Ich-Botschaften zu geben.

Die eigenen Interessen darzustellen gehört ebenso zu diesen Techniken wie die Trennung von Problemanalyse und Problemlösung und die Gestaltung des Umfeldes der Konfliktgespräche im Ablauf der Gesamtsituation.

Die Autoren des sog. Harvard-Konzeptes entwickelten in einem Nachtrag zur Darstellung der Methode weitere Techniken für Härtefälle, Grenzfälle und scheiternde Verhandlungen. Diese Methode, die am Win-win angelehnt ist, trennt Person und Thema strikt ("Weich zum Menschen und hart in der Sache"). Auch ist es noch möglich einen Dritten, einen Mediator zur Konfliktentschärfung einzuschalten. Mitunter wird auf diesem Wege deutlicher, dass die besonderen Eigenschaften eines jeden Menschen es selten erforderlich machen, wirklich gegeneinander zu arbeiten, um sein Ziel zu erreichen bzw. glücklich zu sein. Wer mutig genug ist, das zu machen was er am besten kann, findet mehr Kooperationspartner als wer nur die Ressourcen des Nachbarn begehrt.

Beispiel

Wenn man sich über einen Kollegen ärgert, weil er nachlässig ist und Dinge versäumt, kann man klassisch reagieren und ihn deshalb angreifen. Als Win-win-Stratege versucht man dagegen, herauszufinden, warum ist er nachlässig? Hat er privaten Stress? Geht es ihm gesundheitlich nicht gut? Hat er Sorgen, die ihn ablenken? Man kann nachfragen, zuhören, die eigene Betroffenheit thematisieren und gemeinsam Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation finden. Wenn man es von dieser Seite versucht, findet kein Angriff statt, der Kollege hat die Möglichkeit, sich zu erklären und man kann womöglich eine Lösung finden, die allen Betroffenen hilft.

Win-win-Spiel in der Spieltheorie

Obwohl der Begriff Win-win ursprünglich nicht aus der Spieltheorie stammt, hat Christian Rieck 1992 das Prinzip als elementares Spiel formuliert, das die wesentlichen Elemente der Win-win-Situation wiedergibt: Kein originärer Interessengegensatz, aber dennoch die Möglichkeit des Scheiterns einer Kooperation.

Riecks Win-win-Spiel lässt sich als Zweipersonenspiel in der Normalform beispielhaft folgendermaßen darstellen (das Spiel ist so zu lesen, das die beiden Spieler jeweils die Strategie a oder b zur Verfügung haben; die Auszahlungen, die sie durch das Spiel erhalten, hängen von der Kombination ihrer beiden Strategien ab, also z.B. wenn beide ihre Strategie a wählen, dann erhalten beide 2; dies ist der Wert, der in den Matrixfeldern angegeben ist. Der erste Wert ist die Auszahlung an Spieler 1, der zweite an Spieler 2):

Spieler 1\Spieler 2 a b
a   (2,2)     (0,0)  
b   (0,0)     (1,1) 


Nur die Lösung, in der beide Spieler a spielen und damit jeweils die Auszahlung 2 erhalten, ist Pareto-effizient. Dennoch ist die klassische spieltheoretische Lösung dieses Spiels nicht eindeutig. Zwar ist die Pareto-effiziente Lösung ein Nashgleichgewicht, aber die ineffiziente Auszahlung von (1,1) ist es ebenfalls. Erst die Gleichgewichtsauswahltheorie von John Harsanyi und Reinhard Selten liefert über das Prinzip der Auszahlungsdominanz als eindeutige Lösung dieses Spiels das effiziente Gleichgewicht, in dem beide Spieler die Strategie a spielen.

Zwar werden menschliche Spieler in der Regel auch ohne Absprache zu der effizienten Lösung finden, aber es gibt andere Situationen, in denen das nicht der Fall ist. Wenn das Spiel zum Beispiel als Populationsspiel gespielt wird, dann kann es passieren, dass sich das ineffiziente Gleichgewicht durch historische Zufälligkeiten schneller verbreitet und durch diesen Vorsprung den "Primär-Vorteil" des effizienten Gleichgewichts überkompensiert. Durch den auf diese Weise entstandenen Lock-in (Technologieentwicklung) wird heutzutage erklärt, weshalb verbreitete Technologien auch dann nicht vom Markt verdrängt werden, wenn gleichzeitig technisch überlegene Lösungen existieren. Obwohl also eine Win-win-Situation möglich wäre, kommt sie unter gewissen Bedingungen nicht zustande.

Grenzen der Win-win-Strategie

Eine Konfliktlösung gemäß der Win-win-Strategie ist nicht möglich, wenn Interessengegensätze vorliegen. Auch wenn die Macht zwischen den Verhandlungspartnern sehr unproportional verteilt ist, ist die schwächere Seite eher in einer lose-Situation.

Gegner der Win-win-Strategie werden aufgrund der sozialen Ächtung der als Asymmetrische Information bekannten Verzerrung von Kommunikation in weiten Kreisen der gebildeten Gesellschaft allerdings nicht offen gegen das Konzept auftreten. In klassischen Mangel-Szenarien, unter Zeitdruck, im Verkauf, bei der politischen Einflussnahme für die eigenen gesellschaftlichen Kreise oder Wirtschaftszweige wird das Konzept oft hingegen von den dominierenden Parteien sehr bewusst nicht angewendet um sich ein Revier, Freizeit, Einfluss auf Ressourcen oder schlicht den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten.

Mitunter bewegen sich Firmenkulturen oder Familiensituationen gezielt in einer Atmosphäre der kultiviert verdeckten Feindseligkeit und mit großer Freude am Gewinner-Verlierer-Prinzip. So ist auch die entsprechende Kommunikation häufig deutlich von Konzepten geprägt, in dem z.B. die persönlichen Elemente einer Sachdiskussion in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken, um Einfluss und Verantwortung auf Kosten persönlicher Defizite eines Konkurrenten zu vergrößern (siehe auch Sozialdarwinismus und induktive Argumentation).

Gerade in stark leistungsorientierten Gesellschaftsschichten, an manchen Gymnasien und Hochschulen und nicht zuletzt bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oder der Verteidigung desselben , soll der Wettbewerber oder Kollege eben nicht ebenfalls gewinnen, noch interessiert seine Motivation für etwaiges Versagen. Beförderungen, die nach Leistung vergeben werden, reizen solche Kommunikationspartner in einer Teambesprechung zur Demontage der Person eines Gegenüber. Und das Bild des gewieften Verkäufers, der seinem Kunden zwar das Beste wünscht aber gleichzeitig seine Anwälte damit beschäftigt die AGB so zu formulieren, dass der Kunde aus dem Vertrag möglichst schwer oder nur unter erheblichen Verlusten herauskommt, stützen diese These. Verkürzt könnte man auch sagen: das Win-win-Prinzip erfordert das Mitdenken für den Gegner, so dass auch dieser ein Feld findet auf dem er gewinnen kann. Dazu sind die meisten Menschen nicht bereit oder in der Lage. Das Konzept wird gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten entsprechend wenig angewendet.

Konflikte können eskalieren, auch wenn man um diese Gefahren weiß und entsprechend vorsichtig agiert. Mitunter ist eine solche Eskalation auch geplant und soll den Gegenüber bewusst diskreditieren. Keine soziale Situation lässt sich derart kontrollieren, dass nicht Unvorhergesehenes passieren kann oder Einflüsse hineinwirken, die alles Bemühen zum Scheitern bringen.

Mitunter sind Abbruch der Kommunikation, Rückfall in das Gewinner-Verlierer-Modell, sowie mehr oder minder gewaltsame „Lösungen“ Möglichkeiten, durch welche die Verlierer erst zu ihren eigentlichen Stärken finden. Um in einem sozialen Zusammenhang, beispielsweise einem Betrieb, einer Familie, einem Projekt, einer Partei usw. zu einer dauerhaft verbesserten Konfliktlösungskultur zu kommen, bedarf es der Übung, Ausdauer und der Bereitschaft, sich immer wieder auf ein gemeinsames Ziel auszurichten und schlimmstenfalls von vorn zu beginnen oder die gesteckten Ziele zu überdenken. Selten in der Geschichte haben rein egoistische Motive zu dauerhaften oder überragenden Erfolgen geführt.

Quelle

  • Christian Rieck: Spieltheorie - Einführung für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Wiesbaden 1992. 7. Auflage 2007, ISBN 3-924043-91-4.

Siehe auch

Literatur

  • Fisher, Roger / Ury, William: Getting to Yes: Negotiating Agreement Without Giving In. 1981. 2nd ed. with Bruce Patton. Boston, Massachusetts: Houghton Mifflin & Co., 1991
  • Ury, William: Getting Past No: Negotiating Your Way From Confrontation To Cooperation. New York: Bantam Books, 1991
  • deutsch: Fisher, Roger / Ury, William / Patton, Bruce: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln - erfolgreich verhandeln. Frankfurt/New York, Campus. 19. Auflage 2000 ISBN 3-593-34804-7

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