Wolfgang Frommel

Wolfgang Frommel

Wolfgang Frommel (* 8. Juli 1902 in Karlsruhe; † 13. Dezember 1986) war ein deutscher Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Wolfgang Frommel – Sohn des Theologen Otto Frommel und älterer Bruder des Komponisten Gerhard Frommel – besuchte Schulen in Heidelberg, wo er Kurt Wildhagen und Wilhelm Fraenger kennenlernte, und in Wertheim. Er studierte seit 1921 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg die Fächer Germanistik, Theologie und Pädagogik. Gemeinsam mit Theodor Haubach, durch den er Zugang zum Spätwerk Stefan Georges bekam, gründete er eine sozialistische Studentengruppe.[1] Schon durch Haubach mit den Gedichten Stefan Georges vertraut, wurde für Frommel die Freundschaft mit Percy Gothein zu einer Lebenswende: Gothein gehörte dem George-Kreis an, und im Jahr 1923 kam es mit dem Dichter zu einer Begegnung, die Frommel lebensprägend beeinflusste.

Während er sein Studium in Berlin fortsetzte, beschäftigte er sich intensiv mit Georges Dichtung und Geisteswelt und sammelte eine Gruppe von Gleichgesinnten um sich. 1930 gründete er zusammen mit Edwin Maria Landau und Percy Gothein den Verlag Die Runde, in dem Frommels damals viel beachtete Schrift Der dritte Humanismus 1932 unter dem Pseudonym Lothar Helbing erschien. Sie erlebte bis 1935 noch zwei weitere Auflagen, wurde dann aber von den Nationalsozialisten verboten, weil der darin für ein "Drittes Reich" propagierte "dritte Humanismus" trotz zweideutiger Formulierungen letztlich nicht zur Ideologie der neuen Machthaber passte.

Im Juli 1933 holte ihn Walther Beumelburg, der neue Intendant des Südwestdeutschen Rundfunks, nach Frankfurt und übertrug ihm die Leitung der Abteilung Wort. Durch Frommels Vermittlung fand auch Wilhelm Fraenger eine Tätigkeit beim Rundfunk. Im Herbst 1933 konnte Frommel mit einer eigenen Mitternachtssendung beginnen, die er beim Reichssender Berlin fortsetzte. In der Reihe Vom Schicksal des deutschen Geistes lud er jeweils einen Gast ein („Die Besten der Nation“, darunter auch jüdische Autoren unter Pseudonym), dem sich so die Gelegenheit bot, durch systemkritische Bemerkungen die offizielle Zensur geschickt zu umgehen. Nach Vermittlung des gemeinsamen Freundes Woldemar Graf Uxkull-Gyllenband hielt etwa Carlo Schmid am Freitag, 16. November 1934, nach 24:00 Uhr in einer Mitternachtssendung seinen Vortrag über Friedrich und Rousseau oder die Kunst und Natürlichkeit als staatsbauende Wirkung.[2] Parallel zur Tätigkeit am Rundfunk nahm Frommel 1934–1935 einen Lehrauftrag für das von den Nationalsozialisten eingerichtete Fach Politische Pädagogik an der Universität Greifswald wahr.[3] Nachdem eine Kontrolle der Sendereihe durch das Regime begonnen hatte, sah er sich Ende 1935 nicht mehr in der Lage, das Konzept weiterzuführen.

Im Sommer 1935 traf sich der Kreis um Wolfgang Frommel in Saass (Graubünden) ein letztes Mal. In einem abgelegenen Landhaus las und diskutierte die Gruppe täglich Dantes Göttliche Komödie. Die um ihn versammelte Runde löste sich nun auf, und ein Teil der Mitglieder emigrierte bereits 1936. Frommel folgte 1937. Er ging zunächst nach Basel, wo er beim Verleger Benno Schwabe Aufnahme fand. Von dort gelangte er – nach Zwischenstationen in Zürich und Paris − 1939 in die Niederlande. Mit Hilfe niederländischer Freunde wie dem Schriftsteller Adriaan R. Holst erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung. In Bergen, dem Wohnort von Holst, lernten Wolfgang Frommel und Gisèle van Waterschoot van der Gracht im Jahr 1941 einander kennen. Im Juli 1942 zog er in die Amsterdamer Wohnung der Malerin an der Herengracht 401. Dort versteckte er eine Gruppe größtenteils jüdischer Jugendlicher aus Deutschland und den Niederlanden vor dem Zugriff der deutschen Besatzungsmacht, darunter Claus Victor Bock und Friedrich W. Buri.[4]. Frommel und seine Freunde wurden 1940-44 in Holland u. a. vermutlich durch seine Bekanntschaft mit dem höheren Besatzungsoffizier Bernhard Knauss geschützt, dessen Buch "Staat und Mensch in Hellas" 1940 (d.h., nach Frommels Emigration) als eine der letzten Veröffentlichungen im Berliner Verlag "Die Runde" erschienen war.[5] Frommel war in diesen Jahren einer der wichtigsten Gesprächspartner für den ebenfalls nach Amsterdam emigrierten Maler Max Beckmann.[6]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb Wolfgang Frommel in den Niederlanden und publizierte als Schriftsteller unter wechselnden Pseudonymen. Die Wohnung in Amsterdam behielt er bis zu seinem Tode bei. 1951 gründeten er und Gisèle van Waterschoot van der Gracht die literarische Zeitschrift Castrum Peregrini, benannt nach der als uneinnehmbar geltenden Festung gleichen Namens im israelischen Haifa. „Castrum Peregrini“ war auch der Deckname der Gruppe um Frommel gewesen, die dieser während der deutschen Besatzungszeit versteckt und somit gerettet hatte. 1973 wurde er für seine Rettung jüdischer Verfolgter in Yad Vashem vom Staat Israel als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet.

Im niederländischen Spaarnwoude wurde Wolfgang Frommel auf einem kleinen Friedhof beigesetzt, auf dem am 12. Januar 2008 auch sein Freund Claus Victor Bock beigesetzt wurde.

Veröffentlichungen

Autor
  • (Mitautor) (anonym) Huldigung. Gedichte einer Runde. Die Runde, Berlin 1931.
  • Lothar Helbing (d. i. Wolfgang Frommel): Der dritte Humanismus. Die Runde, Berlin 1932.
  • Gedichte. Holten, Berlin 1937.
  • F. W. l'Ormeau (d. i. Wolfgang Frommel): Templer und Rosenkreuz. Ein Traktat zum Werk Stefan Georges. Der erste Teil. Pantheon, Amsterdam 1940. 2. Aufl. unter dem Titel Templer und Rosenkreuz. Ein Traktat zur Christologie Stefan Georges. Castrum Peregrini 198-200, Amsterdam 1991.
  • Lothar Helbing (d. i. Wolfgang Frommel): Gespräche mit Mutter Henschel. Castrum Peregrini, Amsterdam 1952.
  • Stelio. Ein Bericht. Castrum peregrini, Amsterdam 1988.
  • Meditationen zum Zweiten Buch des "Stern des Bundes" von Stefan George. Castrum Peregrini, Amsterdam 1994.
  • Poeta et amicus. Nachgelassene Gedichte. Castrum Peregrini 216, Amsterdam 1995.
  • Wolfgang Frommel in seinen Briefen an die Eltern 1920-1959, hg. v. Claus Viktor Bock. Castrum Peregrini 226-228, Amsterdam 1997.
  • Wilhelm Fraenger und Wolfgang Frommel im Briefwechsel: 1947-1963. Castrum Peregrini 191-192, Amsterdam 1990.
  • (mit Renata von Scheliha) Briefwechsel 1930-1967, hg. v. Claus Victor Bock. Castrum Peregrini 251-252, Amsterdam 2002.
Herausgeber
  • Vom Schicksal des deutschen Geistes. Erste Folge: Die Begegnung mit der Antike. Reden um Mitternacht. Die Runde, Berlin 1934. (Vorträge aus der Reihe der Mitternachtssendungen des Südwestdeutschen Rundfunks)
  • Alfred Schuler. Drei Annäherungen. Mitherausgeber: Marita Keilson Lauritz u. Karl Heinz Schuler. Castrum Peregrini, Amsterdam 1985 ISBN 90-6034-057-4

Literatur

  • Günter Baumann: Dichtung als Lebensform. Wolfgang Frommel zwischen George-Kreis und Castrum Peregrini. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995, ISBN 3-8260-1112-0.
  • Claus Victor Bock (Hrsg.): Wolfgang Frommel in seinen Briefen an die Eltern 1920-1959. Castrum Peregrini, Amsterdam 1997.
  • Claus Victor Bock: Untergetaucht unter Freunden. Ein Bericht. Amsterdam 1942-1945. Castrum Peregrini 166-167, Amsterdam 1985.
  • Friedrich W. Buri: Ich gab dir die fackel im sprunge. W.F. Ein Erinnerungsbericht, hg. v. Stephan C. Bischoff. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2009, ISBN 3-86650-068-8.
  • Manuel R. Goldschmidt und Michael Philipp (Hrsg.): Argonaut im 20. Jahrhundert. Wolfgang Frommel. Ein Leben in Dichtung und Freundschaft. Dokumentation zur Ausstellung im Rahmen der 12. Europäischen Kulturtage Karlsruhe 1994. Um eine Rede und die Bibliographie Wolfgang Frommels erweiterte Ausgabe. Castrum Peregrini, Amsterdam 1996.
  • Michael Philipp: Wolfgang Frommels oppositionelle Rundfunkarbeit in den Jahren 1933-1935. Castrum Peregrini CCIX/CCX, Amsterdam 1993, S. 124-140.
  • Michael Philipp: "Vom Schicksal des deutschen Geistes". Wolfgang Frommels Rundfunkarbeit an den Sendern Frankfurt und Berlin 1933-1935 und ihre oppositionelle Tendenz. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1995, ISBN 3-930850-06-0.
  • Thomas Karlauf: Meister mit eigenem Kreis. Wolfgang Frommels George-Nachfolge. In: Sinn und Form 2/2011, S. 211-219

Einzelnachweise

  1. Petra Weber: Carlo Schmid. 1896–1979. Eine Biographie. C. H. Beck, München 1996, S. 84-98, hier S. 84.
  2. Weber: Carlo Schmid, S. 84–87.
  3. Baumann: Dichtung als Lebensform, S. 209, Anm. 353, und 241; Philipp: "Vom Schicksal des deutschen Geistes", S. 57 f.
  4. Bock: Untergetaucht unter Freunden, zit.; Buri: Ich gab dir die fackel im sprunge, zit.
  5. [Baumann, "Dichtung als Lebensform" S. 232, 316]
  6. Schenkung der Familie Frommel an das Beckmann-Archiv (2008).

Weblinks


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