Wollhandkrabben

Wollhandkrabben
Chinesische Wollhandkrabbe
Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis); an Land

Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis); an Land

Systematik
Unterordnung: Pleocyemata
Teilordnung: Krabben (Brachyura)
Überfamilie: Grapsoidea
Familie: Varunidae
Gattung: Eriocheir
Art: Chinesische Wollhandkrabbe
Wissenschaftlicher Name
Eriocheir sinensis
Milne Edwards, 1853
Größeres Männchen, gefangen in der unteren Havel

Die Chinesische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) ist eine ursprünglich in China beheimatete Krabben-Art.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie nach Europa eingeschleppt. In der einheimischen Fauna mancher Flüsse hat sich das Tier mittlerweile trotz Bekämpfung durch den Menschen als Neubürger (Neozoon) fest etabliert und einheimische Arten verdrängt.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die Krabbe bekam ihren Namen, weil insbesondere die männlichen Tiere einen dichten „Haarpelz“ an den Scheren tragen, der die Art unverwechselbar macht. Ihr fast quadratischer Rückenpanzer (Carapax) kann bis zu 7,5 Zentimeter lang werden. Die Gesamtbreite einschließlich der langen Beine kann bis zu 30 Zentimeter betragen. Das Abdomen ist wie bei allen Krabben nach vorne auf die Bauchseite umgeschlagen. Dieser bei den Krebstieren Pleon genannte mehrgliedrige Körperteil ist bei den Männchen schmal zungenförmig, bei den Weibchen fast so breit wie der Carapax. Der Rückenpanzer ist olivgrün oder braun gefärbt mit dunklerer Fleckung und am Rand fein gesägt. An seinen Vorderecken befinden sich außerdem auf jeder Seite vier scharf zugespitzte Sägezähne. Das vorderste Extremitätenpaar ist zu Scherenhänden umgewandelt, die beim Männchen kräftiger ausgeprägt sind als beim Weibchen. Die vier Laufbeinpaare sind lang und abgeflacht und haben an den Kanten Haarsäume.

Lebensweise

Unterseite der leeren Panzerhülle einer halbwüchsigen Wollhandkrabbe (das breite Pleon und die kleinen Scheren weisen auf ein weibliches Tier hin)

Wollhandkrabben besiedeln größere Flussläufe. Sie leben dort überwiegend nachtaktiv am Grund und ernähren sich von Wasserpflanzen, Insektenlarven, Muscheln, Schnecken, kleineren Fischen und Aas. In Uferbereiche werden Wohnhöhlen gegraben; aber auch unter Steinen und in weichem Sediment sucht die Art Schutz. Zwischenzeitlich kann sie sich einige Zeit an Land aufhalten (vgl. Fotos!). Während des Wachstums häuten sich die Krabben regelmäßig, indem sie ihr altes Panzerkleid abstreifen. Das neue ist bereits angelegt und muss nur noch aushärten.

Mit Beginn der Paarungszeit im Spätsommer wandern die erwachsen werdenden Tiere Fluss abwärts zum Meer. Diese Migration kann sich bei Tagesleistungen zwischen acht und zwölf Kilometern über mehrere Monate hinziehen. Die zuerst in den tidebeeinflussten Mündungen eintreffenden Männchen passen dort die Weibchen ab. Nach der Paarung wandern die Weibchen weiter ins offene Meer hinaus und überwintern dort. Die Eier tragen sie bis kurz vor dem Schlupf der Larven unter ihrem Pleon. Im Frühjahr laufen die Weibchen zurück in die Brackwasserzone der Flussmündung und geben die schlupfreifen Eier ins Wasser ab. Danach sterben die Muttertiere; sie pflanzen sich also nur einmal fort. Auch die Männchen kehren nicht mehr zurück. Die jungen Krabben, die sich aus den Larven entwickeln, wandern allmählich wieder die Flussläufe hinauf, während sie immer größer werden. Mit vier bis fünf Jahren erreichen sie selbst die Geschlechtsreife und nehmen ihrerseits an der Reproduktionswanderung zum Meer teil.

Vorkommen

Die ursprüngliche Heimat der Wollhandkrabben ist Ostchina in den geografischen Breiten etwa zwischen Korea und der Provinz Fujian in Höhe von Taiwan – insbesondere auch der Ästuar des Jangtse-Stromes.

Nach Europa wurden sie Anfang des 20. Jahrhunderts vermutlich als Larven mit dem Ballastwasser von Handelsschiffen eingeschleppt. Im Jahr 1912 wurde die Art erstmals in der Aller nachgewiesen. Zwischenzeitlich verbreitete sie sich in mehreren Schüben invasionsartig insbesondere in den in die Nordsee mündenden Flüssen Elbe, Weser, Ems und Rhein samt Nebengewässern. Selbst weit stromaufwärts, etwa in Basel, Dresden oder Prag, wurden schon Wollhandkrabben gesichtet. Unterschiedliche Salzkonzentrationen, wie sie in den Gezeitenzonen der Flussunterläufe vorkommen, ertragen die Tiere sehr gut. Die Temperaturen in deutschen Flussmündungen unterscheiden sich zudem kaum von denen in nordostchinesischen Gewässern. Auch die dank Kläranlagen und gestiegenen Umweltbewusstseins in den letzten Jahren wieder deutlich verbesserte Wasserqualität in den großen Flüssen begünstigt die weitere Ausbreitung in Mitteleuropa.

Neozoa-Problematik, wirtschaftlicher Schaden und Nutzen

Nach Ansicht mancher Ökologen stellen Wollhandkrabben eine Bedrohung für die europäische Fließgewässerfauna dar, weil sie hier kaum natürliche Feinde haben und sich deshalb ungehemmt vermehren können. Man nimmt an, dass sie als Allesfresser (Omnivoren) in Nahrungskonkurrenz unter anderem zu diversen Fischarten treten. Uferbauten und Dämme werden durch das massenhafte Graben von Hohlgängen in Mitleidenschaft gezogen und können einstürzen sowie Drainagen verstopfen. Auch unter Anglern und Fischern sind Wollhandkrabben unbeliebt: Beim Angeln mit Köderfisch auf Grund knabbern die Tiere binnen kurzer Zeit den Köder vom Haken, ohne dass der Angler dies bemerkt. Außerdem trennen sie mit ihren scharfen Scheren die Schnur durch, um den Köder zu erhalten. Bei der Reusenfischerei greifen sie gefangene Fische an und fressen diese; außerdem sollen sie manches Netz zerschneiden. Auf ihren Wanderungen gelangen Wollhandkrabben angeblich auch in Fischteiche, wo sie eine Bedrohung für Zuchtfische darstellen.

Bekämpfung

Wollhandkrabbe in Abwehrhaltung an Land

Zu den wenigen natürlichen Fressfeinden der Wollhandkrabbe gehören Möwen, die jedoch der Vermehrung und Ausbreitung in Europa keinen wirklichen Einhalt gebieten können. Ebenso werden Wollhandkrabben – vor allem die weichen, sich in Häutung befindlichen Tiere – von Aalen, Barschen, Alanden und anderen Fischen gezielt gesucht und gefressen. Im Jahr 1935 wurden in der Elbe 500 Tonnen der Art eingefangen; 1936 sammelten Menschen in ganz Norddeutschland per Hand über 20 Millionen junger Krabben ein. Aber erst die rapide Gewässerverschmutzung in der Mitte des 20. Jahrhunderts führte etwa in der Elbe vorübergehend zu einem Zusammenbruch der Population. Gegen die inzwischen wieder anwachsende Zahl der Wollhandkrabben wurden spezielle Fanggeräte entwickelt, allerdings mit fraglicher Effizienz. Während der Wanderungen der Krabben werden an Stauwehren und Schleusen, die als Barrieren wirken – beispielsweise die Fischtreppen an der Elbe-Staustufe bei Geesthacht –, mit Hilfe automatischer Fanganlagen tonnenweise Tiere eingesammelt und einer Verwertung zugeführt. Auch Angelvereine führen entsprechende Fangaktionen durch.

Verwertung

Gekochte Wollhandkrabben

In der chinesischen Küche sind Wollhandkrabben eine begehrte Delikatesse. Auch in Deutschland finden sich Restaurants, die die Tiere insbesondere zu deren Wanderzeit anbieten. In den Niederlanden befindet sich eine Zucht. Zur Zubereitung werden die Krabben mit Schnüren zusammengebunden, um zu verhindern, dass der wohlschmeckende Saft beim Kochen austritt. Danach werden sie in Dampf gegart.

Weil die große Menge von Wollhandkrabben aber nicht ausschließlich in der Gastronomie verwertet werden kann, erfolgt eine Nutzung vor allem gewerblich-industriell, etwa zur Chitosan-Herstellung und zur Biogas-Produktion. Chitosan ist ein begehrter Rohstoff, der z. B. bei der Abwasserbehandlung, in der Medizin (Nahtmaterial), in der Landwirtschaft (Saatgutbehandlung) und in der Lebensmittelindustrie eingesetzt wird. Auch werden Wollhandkrabben von Anglern als Köder verwendet. Inzwischen soll die Art sogar von Europa in das Ursprungsland China zurückverfrachtet werden, um die dortigen Bestände zu stützen, die durch Umweltverschmutzung, Überfischung und Staudammprojekte teilweise stark zurückgegangen sind.

Im Aquarium

Die Chinesische Wollhandkrabbe gilt als interessanter Pflegling im Aquarium. Sie benötigt für eine artgerechte Pflege ein geräumiges Aquaterrarium mit einer Abdeckung, das ihr ausreichend Verstecke unter oder zwischen Steinaufbauten bietet. Bietet das Aquaterrarium nicht ausreichend Platz oder Versteckmöglichkeiten, sind die Tiere untereinander unverträglich. Die Temperatur im Aquaterrarium sollte zwischen 18 und 20 Grad Celsius liegen. Das Wasser sollte eine Härte von 10–20 °dGH aufweisen und einen pH-Wert von 7,5 bis 8. Zum Wohlbefinden der Tiere trägt es bei, wenn ein Teelöffel Meersalz auf 100 Liter Wasser beigegeben wird.

Gefüttert werden Chinesische Wollhandkrabben mit Fischfleisch sowie Insektenlarven und kleinen Krebstieren. Sie sind auch an hochwertiges Flockenfutter gewöhnbar.

Literatur (teilweise Quellen)

  • Heiko Bellmann mit Gerhard Maier: Spinnen, Krebse, Tausendfüßer – europäische Gliederfüßer (ohne Insekten). Steinbachs Naturführer. Mosaik-Verlag, München 1991, ISBN 3-570-06450-6
  • Ernst Paul Dörfler: Wunder der Elbe – Biografie eines Flusses. Stekovics, Halle an der Saale 2000, 2003. ISBN 3-932863-40-2
  • Hans Gonella: Krebse, Krabben und Garnelen im Süßwasseraquarium. bede-Verlag, Ruhmannsfelden 1999. ISBN 3-931792-87-0

Weblinks


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