- Wuchtgeschoss
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Ein Wuchtgeschoss ist eine Munition, die allein die kinetische Energie (KE) ihres Projektils nutzt, um die Zieloberfläche wie beispielsweise eine Panzerung zu durchdringen. Im Geschoss selbst wird deswegen auf Sprengstoff und Zünder verzichtet.
Weitere gebräuchliche Bezeichnungen für Wuchtgeschosse sind im militärischen Bereich Pfeilwuchtgeschoss (aufgrund der Geschossform) und KE-Geschoss. Auch der Begriff KE-Penetrator ist für das Projektil, aufgrund der Wirkungsweise und in Anlehnung an den gängigen englischen Begriff abgeleitet, ebenfalls gebräuchlich (vom lateinischen penetrare = eindringen, durchdringen).
Inhaltsverzeichnis
Begriffserklärung und Verwendung
Auch wenn der Begriff Wuchtgeschoss prinzipiell auf viele andere Geschosse wie Pistolen- oder Gewehrkugeln oder sogar Armbrustbolzen und Luftgewehrkugeln zutrifft, wird er praktisch ausschließlich für panzerbrechende Geschosse für militärische Anwendungen verwendet.
Militärische Wuchtgeschosse werden heute praktisch weltweit von allen Armeen zum Zerstören von mittel bis stark gepanzerten Zielen eingesetzt. Sie werden in erster Linie verwendet, um Kampfpanzer, Schützenpanzer oder Bunker zu bekämpfen. Aufgrund der Veränderung der Kriegsführung, weg vom direkten Feuerkampf zwischen Kampfpanzern, hin zur asymmetrischen Kriegsführung haben sie allerdings heute etwas von ihrer zentralen und herausragenden Rolle in der militärischen Ausrüstung verloren.
Aufbau und Wirkung
Material
Das eigentliche Geschoss ist dabei immer aus einem Metall oder einer Legierung von möglichst großer Dichte, die gegebenenfalls noch gehärtet wird. Durch die große Dichte und Härte wird der Großteil der kinetischen Energie (Wucht) zum Durchdringen der Panzerung aufgewendet. Für Wuchtgeschosse wird heute in der Regel gesintertes Wolframcarbid oder abgereichertes Uran (engl. DU = depleted uranium) verwendet, wodurch Letztere oft als Uranmunition bezeichnet wird.
Wirkprinzip
Das Projektil verdrängt durch seine hohe kinetische Energie und die meist relativ dünne und angespitze Pfeilform beim Auftreffen und Eindringen das Material, das aufgrund seiner Trägheit nicht mehr mit elastischer und plastischer Verformung reagieren kann, um so die Energie zu absorbieren. Das Wirk- und Eindringprinzip ist dabei vergleichbar mit einem Druckluftnagler, der große kinetische Energie auf der sehr kleinen Nagelspitze konzentriert.
Das Eindringverhalten ist damit prinzipiell ähnlich dem Stachel eines Hohlladungsgeschosses, nur dass hier die hydrodynamischen Gesetze nicht gelten, da die Drücke weit unter den erforderlichen 200 Gigapascal (GPa) liegen. Wäre das Geschoss weniger dicht, weicher oder hätte eine geringere Geschwindigkeit, würde die Energie nur zur Verformung von Geschoss und Panzerung führen, ohne wirklich in das Ziel einzudringen.
Beim Eindringen in die Panzerung wird die kinetische Energie zum Teil in Druck und damit auch große Temperatur umgesetzt. Beim Durchdringen der Panzerung entsteht durch die große Reibung des Penetrators mit den Panzerplatten ein „Splitterregen“ brennenden Materials, das mit dem Penetrator mit sehr hoher Geschwindigkeit nach innen schießt.
Die Wirkung im Ziel beruht dabei auf dem Zersplittern der Panzerung und des Projektils auf der Rückseite der durchdrungenen Zielfläche und auf dem Hineinschießen des geschmolzenen Materials und pyrophoren Partikeln von Panzerung und Penetrator, die annähernd eine explosive Wirkung besitzen. Dabei wird die Besatzung verwundet oder getötet, das Ziel durch die Splitterwirkung und Feuer innen stark beschädigt und häufig zusätzlich durch Sekundärschäden wie Entzündung des Kraftstoffes oder Explosion der im Ziel vorhandenen Munition zerstört.
Bei der Ausführung als unterkalibrige Munition hat das eigentliche Projektil, der sogenannte „Penetrator“, die Form eines Pfeils und wird mit einem Treibkäfig (engl. „Sabot“) im Geschützrohr geführt. Der Treibkäfig, der heute normalerweise aus Kunststoff oder Kohlefaser hergestellt wird, dient der Kaliberanpassung und der Abdichtung der Kanone und fällt unmittelbar beim Verlassen der Rohrmündung durch den hohen Luftwiderstand ab. Eine derartige Munition wird meist Treibspiegel- oder Treibkäfig-Munition genannt oder trägt die Abkürzung DS (engl. Discarding Sabot) in der Kurzbezeichnung.
Auch moderne Verbundpanzerungen, beispielsweise die Chobham-Panzerung, Mexas, oder Reaktivpanzerung bieten gegenüber den neuesten Wuchtgeschossen aus großkalibrigen Panzerkanonen nur bedingten Schutz, insbesondere bei weniger als etwa einem Kilometer Schussentfernung.
Entstehung
Die ersten Wuchtgeschosse aus Wolfram wurden bereits bei der deutschen Wehrmacht seit Beginn des Zweiten Weltkriegs verwendet (Bezeichnung: „Panzergranate ROT“ oder „Panzergranate 40“). Frühe als Wuchtgeschosse ausgeführte Munitionssorten waren noch kalibergleich mit den Geschützrohren, aus denen sie verschossen wurden. Die Rohre verfügten über einen Drall mit Zügen und Feldern, was die Projektile zur Stabilisierung in Längsrotation versetzte. Heutige Wuchtgeschosse größerer Kaliber, die beim Kampfpanzer normalerweise aus Glattrohrkanonen verschossen werden, sind unterkalibrig und werden zur Stabilisierung mit Finnen oder Leitwerken versehen.
Typen panzerbrechender Wuchtgeschosse
Da es in der deutschen Sprache kaum eindeutige Bezeichnungen für die unterschiedlichen Arten von Wuchtgeschossen gibt, wird die nachfolgende Übersicht nach den gängigen englischen Abkürzungen strukturiert:
AP
Die Bezeichnung AP steht für Armor Piercing (panzerbrechend) und stellt die erste Generation panzerbrechender Geschosse dar. AP steht aber auch grundsätzlich für panzerbrechende Munition. Dabei bestanden die Geschosse aus einem Material mit sehr hoher Dichte wie Wolfram und durchschlugen die Panzerungen auf Grund der kinetischen Energie, die sie beim Aufprall abgaben. AP-Geschosse hatten allerdings Grenzen in ihrer Wirkung, da durch die schlechte aerodynamische Form der Luftwiderstand erhöht und so die Geschwindigkeit am Ziel herabgesetzt wurde. Das Problem der AP-Munition ist der Initialschock, der auf das harte und damit meist spröde Geschoss wirkt. Dies führte häufig zu einem Zersplittern des Projektils an der Außenseite der Panzerung. Um dieses Problem zu lösen, wurde die APC entwickelt.
API
Die Abkürzung API (auch AP-I geschrieben) steht für Armor Piercing, Incendiary. Hierbei wird dem AP-Geschoss ein entzündlicher Stoff (zum Beispiel Zirconium) zugesetzt, um einen zusätzlichen Brandeffekt nach dem Durchdringen der Panzerung zu erzeugen. Dies soll die Zerstörungswahrscheinlichkeit bei einem Treffer durch entzündeten Treibstoff, einem Cook off der gelagerten Munition oder durch anderweitige Brand- und Raucheinwirkung erhöhen. Dieser Typ wird besonders von klein- bis mittelkalibrigen Waffen gegen leicht gepanzerte Ziel verschossen.
APC
APC steht dabei für Armor Piercing, Capped (panzerbrechend, mit Kappe). Bei der APC wurde das harte Geschoss an seiner Spitze mit einer Kappe aus weicherem Material versehen, die den Aufprallschock dämpft und den eigentlichen Wirkkörper schützt. Er trifft dann erst nach der Verformung der Kappe auf die Panzerung, um sie zu durchdringen. Diese Kappe verbesserte zwar das Eindringverhalten des Projektils, hatte aber durch die Optimierung der Form auf die Dämpfung des Aufprallschocks aerodynamische Nachteile, wodurch das Geschoss während des Fluges instabil wurde. Dies führte zur Entwicklung der APCBC.
APCBC
Dem Umstand der ungünstigen Aerodynamik begegnete man durch Verwendung einer weiteren Ummantelung, der ballistischen Haube. Sie wurde aus weichem Metall gefertigt und diente rein der Optimierung der Ballistik. Diese Haube verformte oder zerlegte sich beim Aufprall auf ein Ziel und das Geschoss folgte dann dem Wirkprinzip der APC. APCBC bedeutet Armour Piercing Capped Ballistic Cap (panzerbrechend, mit Kappe und ballistischer Haube). Mit einer solchen Haubenkonstruktion wurde die Durchschlagsleistung auf kurze Entfernungen zwar erhöht, erzielte aber auf größere Entfernungen eine niedrigere Durchschlagsleistung als bei den bisherigen AP-Munitionsarten.
Die Panzergranate 39 war ein Beispiel für eine Mischform, da ein Wuchtgeschoss mit einer geringen Ladung Sprengstoff versehen wurde, die das Geschoss nach dem Durchschlagen der Oberfläche zur Explosion bringen sollte. Die Klassifizierung wäre demnach APCBC-HE-T (Armour Piercing Capped Ballistic Cap-High Explosive-Tracer).[1]
APCR
APCR (Armour Piercing, Composite Rigid), auch HVAP (High Velocity Armour Piercing), Hartkernmunition oder Hartkerngeschoss, wurden gegen Mitte des Zweiten Weltkriegs für die amerikanische Armee entwickelt, um den neuen deutschen Panzertypen wie Panzer V Panther und Panzer VI Tiger zu begegnen, deren starke Panzerungen sich mit herkömmlichen, bisher verwendeten AP- oder APC-Geschossen nicht mehr durchschlagen ließen. APCR-Geschosse verfügten im Inneren des Geschosses über einen weiteren, noch härteren Kern, der kleiner als das verwendete Kaliber war und auch die Panzerungen der neuen deutschen Panzer durchschlagen sollte.
Dieser Munitionstyp wird auch in Langwaffen verwendet, etwa militärischen Sturmgewehren und Scharfschützengewehren, wenn materialschädigende Wirkung benötigt wird, etwa um Motoren von Fahrzeugen außer Betrieb zu setzen, oder wenn Gegner mit Körperpanzerungen zu bekämpfen sind.
Siehe auch: Hartkerngeschoss
APCNR
APCNR (Armour Piercing, Composite Non-Rigid) sind im Aufbau mit den APCR sehr ähnlich, nur werden sie aus konifizierten Geschützrohren verschossen. Die beiden Möglichkeiten für die Konifizierung waren zum einen, das Rohr selbst zu konifizieren, zum anderen nur an der Mündung durch eine Art Aufsatz eine Verjüngung zu erreichen. Das Vollkalibergeschoss verlässt dann die Mündung in einem kleineren Durchmesser als ursprünglich, ist also unterkalibrig und erreicht durch das Einschnüren des Geschosses eine sehr stabile Flugbahn und Geschossgeschwindigkeit. Die APCNR konnte sich aber aufgrund der Komplexität und des Verschleisses nicht durchsetzen. Der Nachfolger der APCNR wurde die APDS-Munition.
APDS
APDS-Munition (Armor Piercing, Discarding Sabot) ist drallstabilisiert und wird oft bei Waffen mittleren Kalibers wie schweren Maschinengewehren und Maschinenkanonen verwendet. Es handelt sich um ein AP-Geschoss mit Treibkäfig. Durch das unterkalibrige Geschoss ist die Flugbahn stabiler und die Geschwindigkeit nimmt zu. Ein Beispiel ist die „20 mm APDS-DU“ (APDS - Depleted Uranium).
FAPDS
Die zerbrechliche panzerbrechende Treibkäfigmunition (Frangible Armour Piercing Discarding Sabot, FAPDS) ist eine Weiterentwicklung der APDS. Sie zerfällt während der Penetration der Panzerungsschichten in immer mehr Teile. Dies hat einen ähnlichen Effekt wie eine in der Panzerung abgefeuerte Schrotladung und verhindert durch seine kaskadierende Zerstörungswirkung außerdem das bloße Durchschießen des Ziels ohne es stark zu beschädigen.
APFSDS
Da drallstabilisierten Geschossen hinsichtlich der Mündungsgeschwindigkeit und damit auch in der Durchschlagskraft Grenzen gesetzt sind, wurden die panzerbrechenden, flügelstabilisierten Treibkäfiggeschosse entwickelt (APFSDS für Armor Piercing Fin-Stabilized Discarding Sabot). Sie stellen heute den letzten Entwicklungsstand der großkalibrigen Wuchtgeschosse, das heißt hauptsächlich zur Verwendung in Kampfpanzern, dar. Die heute üblichen Geschosse werden normalerweise aus glatten Geschützrohren verschossen und bestehen aus einem leichten Mantel, dem Treibkäfig, und einem dünnen, spitzen, schweren Metallpfeil, dem Penetrator, der mit Flossen oder Finnen stabilisiert wird. Der Durchmesser des Penetrators ist dabei deutlich kleiner als das Kaliber der Kanone, das heißt es handelt sich dabei um ein Unterkalibergeschoss. Die Energie des Geschosses wird so in dem dünnen Metallpfeil konzentriert und die Durchschlagskraft erhöht.
Diese Munitionsart ist heute bei Kampfpanzern normalerweise als hülsenlose Munition konzipiert mit einer Treibladung hauptsächlich aus Nitrozellulose.
Die Mündungsgeschwindigkeit moderner APFSDS-Projektile beträgt zwischen 1400–1800 Meter pro Sekunde (m/s), das heißt teilweise mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit. Ein gutes Beispiel für ein derartiges Geschoss ist die DM 53, die heute im Leopard 2 beim deutschen Heer eingesetzt wird. Sie erreicht in Kombination mit der 120-mm-Glattrohrkanone L/55 von Rheinmetall eine Mündungsgeschwindigkeit von bis zu 1750 m/s. Laut Angaben der Bundeswehr kann damit eine Durchschlagsleistung von 810 mm Panzerstahl (nach RHA) auf eine Entfernung von 2000 m erreicht werden.[2] Die genauen Angaben über die Durchschlagsfähigkeit und Mündungsgeschwindigkeit sind allerdings beim Großteil dieser modernen Geschosse streng geheim.
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APFSDS, der Treibkäfig löst sich kurz nach dem Verlassen des Rohres ab, am Ende der gezündete Leuchtsatz
Veranschaulichung der kinetischen Energie
Eine Lokomotive mit 50 Tonnen und einer Geschwindigkeit von 100 km/h (27,8 m/s) besitzt eine kinetische Energie von rund 19 Megajoule (MJ). Eines der leistungsfähigsten Wuchtgeschosse, die DM63, die aus einer 120-mm-Glattrohrkanone L/55 abgefeuert wird, erreicht bei einer Mündungsgeschwindigkeit von 1750 m/s und einer gegenüber seinen Vorgängern erhöhten Penetratormasse ungefähr 13 MJ an der Mündung.[3]
Geeignete Beschleuniger
Im Einsatz werden Wuchtgeschosse durch konventionelle Treibladungen in Kanonen beschleunigt. Prinzipiell wären auch Railguns und zweistufige Leichtgaskanonen zum Abschuss von Wuchtgeschossen geeignet. Damit könnte eine noch höhere Geschwindigkeit und damit kinetische Energie erreicht werden. Derartige Beschleuniger werden allerdings bisher nur in der Forschung eingesetzt; es existieren noch keine einsatzfähigen Waffensysteme.
Schutzmaßnahmen
Die beste Schutzmaßnahme gegen moderne Hochleistungswuchtgeschosse ist auch heute die Vermeidung von Treffern, da selbst modernste Panzerungen bei Kampfentfernungen von mehreren Kilometern immer noch durchschlagen werden.
Wie weit in der Entwicklung befindliche abstandsaktive Schutzmaßnahmen, insbesondere die sogenannten „Hardkill-Systeme“, in der Lage sein werden, derartige Geschosse in ihrer Wirkung zu beeinträchtigen, den Treffer zu verhindern oder den anfliegenden Penetrator zu zerstören, hat die Praxis im Einsatz bisher noch nicht gezeigt.
Siehe auch
Literatur
- Beat Kneubuehl: Geschosse (Band 1) - Ballistik, Treffsicherheit, Wirkungsweise. Motorbuch Verlag, 1998 ISBN 978-3-7276-7119-7
- Beat Kneubuehl: Geschosse (Band 2) - Ballistik, Wirksamkeit, Messtechnik. Motorbuch Verlag, 2004, ISBN 978-3-7276-7145-6
Weblinks
- Rheinmetall Detec zur DM 53
- Army Technology zur KE-Munition
- Kanadisches Museum „Juno Beach Centre“ zu Munition aus dem Zweiten Weltkrieg
Einzelnachweise
- ↑ Bild der Panzergranate 39 auf Panther1944.de (abgerufen am 31. Oktober 2009)
- ↑ Typenblatt des Leopard 2 (pdf-Datei, 1,24 MB. Bundeswehr. Abgerufen am 15. Dezember 2009.
- ↑ Paul-Werner Krapke: Leopard 2 sein Werden und seine Leistung, Seite 9 der Ergänzung von Rolf Hilmes, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2004, ISBN 3-8334-1425-1
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