Borealer Nadelwald

Borealer Nadelwald

Der boreale Nadelwald, auch borealer Wald oder (in Nordeurasien) Taiga genannt, ist der nördlichste Waldtypus der Erde. Er entsteht in der kaltgemäßigten Klimazone (daher ausnahmslos auf der Nordhalbkugel); dies ist die nördlichste Vegetationszone, in der das Wachstum von Wäldern möglich ist.[1]

Nördlich der borealen Nadelwaldzone befindet sich die Tundra, im Süden schließen sich kühlgemäßigte sommergrüne Laubwälder oder Waldsteppen an. Das Ökosystem der borealen Nadelwaldzone bildet die größten zusammenhängenden Wälder der Erde.

Inhaltsverzeichnis

Vorkommen

Boreale Nadelwälder liegen in Eurasien (Nordeuropa, Sibirien, Mongolei) und Nordamerika (Kanada, Alaska). Wie der tropische Regenwald bilden sie einen erdumspannenden Gürtel, der in etwa zwischen 50° nördlicher Breite und dem nördlichen Polarkreis liegt. Die boreale Zone beginnt im Süden dort, wo das Klima für Hartholz-Laubbäume zu ungünstig ist, wo also die Sommer zu kurz und die Winter zu lang werden. Hier sinkt die Anzahl der Tage mit Tagesmitteltemperaturen über 10 °C unter 120, und die kalte Jahreszeit dauert länger als sechs Monate. Die nördliche Grenze der borealen Zone liegt dort, wo die Anzahl der Tage mit Tagesmitteltemperaturen über 10 °C unter 30 sinkt. Der boreale Nadelwald ist mit etwa 1,4 Milliarden Hektar der größte zusammenhängende Waldkomplex der Erde und die wirtschaftlich wichtigste Waldregion. Von dieser Fläche sind jedoch etwa 150 Millionen Hektar bedingt durch Feuer, Sturm, großflächigen Insektenfraß oder menschliche Aktivitäten temporär nicht bestockt.

Lebensbedingungen

Übergangszone in Alaska

Die sommergrünen Laubwälder gehen allmählich in eine Nadelwaldzone über, in der im Jahreslauf eine ausgeprägte Thermoperiodik herrscht. Im Übergangsgebiet durchdringen sich beide mosaikartig oder bilden Mischbestände ihrer Baumarten sowie ihrer sonstigen Pflanzen- und Tierwelt. In der Taiga, die sich als breiter Gürtel von Fennoskandinavien durch Sibirien erstreckt und in Nordamerika fortsetzt, gibt es lange, schneereiche Winter und kurze, ziemlich kühle Sommer. Im Durchschnitt haben weniger als vier Monate über 10 °C. Die kalte Jahreszeit dauert sechs Monate. Die Vegetation erträgt eine Kälteperiode von acht Monaten. Das xeromorphe Laub der mit Ausnahme der Lärche (Larix spec.) immergrünen Nadelhölzer ist sowohl an Kälte als auch an Frosttrocknis angepasst. Die Photosyntheseaktivität hört bei –4 °C auf, wenn die Nadeln gefrieren, wird aber bei höheren Temperaturen gleich wieder fortgesetzt. Die Bedeutung der Temperaturen nimmt zu, je weiter die Wälder nach Norden oder von ozeanischen in kontinentale Regionen reichen. Beim Übergang zur Winterruhe tritt ein Abhärtungsprozess ein. Fichtennadeln, die ohne ihn schon bei –7 °C absterben, können nach der Abhärtung −40 °C ertragen. Im Frühjahr erfolgt eine „Enthärtung“. Dieser beruht auf einer Erhöhung der Zuckerkonzentration im Zellsaft. Es werden andere Schutzstoffe im Protoplasma angereichert, die Zellen werden wasserärmer und die Zentralvakuole zerklüftet sich in eine Vielzahl von Kleinvakuolen. Die Hitzeanpassung verläuft rasch, da der Anstieg der Temperatur innerhalb eines Tages, manchmal auch noch schneller erfolgen kann. An heißen Tagen ist die Hitzeresistenz nachmittags höher als morgens. Die Enthärtung bei kühler Witterung geschieht innerhalb weniger Tage. Die Abhärtungstemperaturen müssen so hoch sein, dass sie auf das Protoplasma als Stress wirken. Bei den meisten Landpflanzen ist dies in der Regel ab 35 °C der Fall. Im eurosibirischen Raum wird das Klima nach Norden und Osten hin extremer, was sich durch besonders tiefe Wintertemperaturen bemerkbar macht. In der ostsibirischen Taiga mit Permafrostboden dominieren Lärchen (Larix), die ihre Nadeln abwerfen und somit die größte Kälteresistenz besitzen.[2]

Geofaktoren

Klima

Fichtenwald bei Ånnaboda, Schweden.

Im kontinentalen Teil der borealen Klimazone liegen die Jahresniederschläge bei 150–250 mm pro Jahr. An 50–100 Tagen steigen die Tagesmitteltemperaturen auf über 10 °C an. In ozeanisch geprägten Gebieten, wie in Skandinavien, sind die Niederschläge etwa doppelt so hoch, während das Monatsmittel der Temperatur in den kältesten Monaten bei über –10 °C liegen kann.

Flora

Borealer Wald in Alaska

Die Flora wird durch Nadelwälder gekennzeichnet, die in südlicheren und ozeanisch beeinflussten Gebieten mit Birke und Espe durchsetzt sind.

Der boreale Nadelwald ist in seinen Kerngebieten oft durch nur eine oder zwei Baumarten bestimmt und zählt daher zu den weniger artenreichen Wäldern. Dies liegt in erster Linie an der kurzen Vegetationsperiode von nur 2 bis 4,5 Monaten (bzw. dem geringen Energieeintrag in das Ökosystem). Der Hauptgrund für die Dominanz der immergrünen Nadelbäume ist der Umstand, dass sie bereits am Beginn der Vegetationsperiode über einen voll ausgebauten Photosyntheseapparat (d.h. Nadeln) verfügen. Mit abnehmender Länge der Vegetationsperiode wird der Stoffwechsel laubabwerfender Baumarten also immer unökonomischer. Ein Schwellenwert ist die Anzahl von mindestens 120 Tagen im Jahr, an denen der Mittelwert der Tagestemperatur 10 °C übersteigt. Die meisten Nadelbäume halten zudem Temperaturen bis zu −40 °C aus. In den Extremgebieten ist es jedoch selbst für die meisten Koniferen zu kalt. In Jakutien sind Temperaturmittelwerte von −50 °C oder noch weniger möglich. Dann tritt die nadelabwerfende Lärche an die Stelle der Fichten und Kiefern.

Nach Norden schließen sich an den borealen Nadelwald die Tundren an, in denen nur noch kleinwüchsige Pflanzen vorkommen. Lichtet sich der Wald, so finden sich je nach Lage zum Beispiel Rentierflechten am Boden, Steppengräser oder daurische Rhododendronsträucher. Im Süden geht der boreale Nadelwald in gemäßigten Mischwald mit sommergrünen Laubbäumen über.

In borealen Nadelwäldern finden sich Pflanzengesellschaften der Klasse Vaccino-Piceetae ein. In der Baumschicht findet man die Sibirische Lärche (Larix sibirica) und die Dahurische Lärche (Larix gmelinii), die Sibirische Tanne (Abies sibirica), die Birke (Betula platyphylla), sowie die Gemeine Fichte (Picea abies) bzw. weiter im Osten die Picea obovata (teilweise als Unterart der Gemeinen Fichte angesehen) und die Waldkiefer (Pinus sylvestris).[3] In den weniger extremen Klimazonen wächst daneben die Sibirische Zirbelkiefer (Pinus sibirica).

In Nordamerika kommen die entsprechenden Baumarten Ostamerikanische Lärche (Larix laricina), Balsamtanne (Abies balsamea), Weißfichte (Picea glauca) und Schwarzfichte (Picea mariana) vor. Die Kiefernart Banks-Kiefer (Pinus banksiana) ist auch Teil des nordamerikanischen borealen Nadelwaldes, man findet sie aber nur in den südlicheren Teilen desselben.

Zu den Charakterarten zählen nicht nur Bäume, sondern auch Sträucher und Kräuter. Dies sind Heidel- und Preiselbeere, Wald-Wachtelweizen, Siebenstern, Blaue Heckenkirsche, Moosglöckchen, Sprossender Bärlapp und Tannen-Bärlapp, außerdem zahlreiche Moose, die allesamt Säurezeiger sind. Sie stellen sich entweder aufgrund des Ausgangssubstrats des Bodens ein, oder die Koniferen schaffen durch ihre Einflussnahme auf die Bodeneigenschaften die für diese Pflanzen günstigen Bedingungen: Der Abbau der ohnehin schwer zersetzbaren Nadelstreu wird unter den klimatischen Bedingungen dieser Vegetationszone noch weiter verlangsamt. Die mächtige Humusschicht hat saure Eigenschaften.[3]

Fauna

Im borealen Nadelwald leben mehr als 300 Vogelarten. Außerdem ist dies der Lebensraum von vielen Säugetieren wie Elch, Wolf, Vielfraß, Bison, Rentier und Karibu, Bären, Hirsch, Luchs, Fuchs, Hase, Marder, Otter, Biber, Stinktier, Flughörnchen, Streifenhörnchen, Eichhörnchen, Lemming und Kojote. In Teilen von Ostsibirien gibt es Tiger und Schneeleopard, in Alaska und Kanada kommen als Raubtiere auch Pumas vor. Flüsse und Seen der borealen Nadelwälder sind Lebensraum für zahlreiche Fischarten, darunter viele Lachsarten. Trotz der Kälte gibt es relativ viele Arten von Amphibien und Reptilien.

Boden

Die Nadelbäume mit ihrer allgemein schwer zersetzbaren Streu (der Prozess dauert etwa 350 Jahre und läuft damit hundertmal langsamer ab als in mitteleuropäischen Laubwäldern) bedingen dabei, in Kombination mit dem sehr geringen Energieeintrag in das Ökosystem und der verringerten metabolischen Tätigkeit von Mikroorganismen, die Entstehung mächtiger Humusauflagen von bis zu 50 cm. So verbleibt auch ein großer Teil der für das Wachstum des Waldes wichtigen Nährelemente wie Kalium, Calcium und vor allem Stickstoff organisch gebunden in der Humusauflage, und steht den Pflanzen somit nicht zur Verfügung. Die mangelnde Rückführung von Basen bedingt die Entstehung eines sauren Podsol. Dies wird forciert durch starke Säuren, die von pilzlichen Organismen gebildet werden. So haben Podsole einen niedrigen pH-Wert.

Zwei Drittel der borealen Nadelwälder stehen auf Dauerfrostboden, auch bekannt als Permafrostboden. Permafrostfrei sind die niederschlagsintensiven Zonen am Westrand Eurasiens, wo mächtige Schneedecken eine Abkühlung des Bodens bis in große Tiefen verhindern. Der Permafrost taut erst im Frühsommer oberflächlich auf (bis in Tiefen von 0,5 bis 1 Meter) und neigt durch das anstehende Wasser zur Versumpfung. Die Wurzelmasse der Bäume ist daher kaum tiefer als 20–30 cm im Boden verankert. Die Versumpfung bedingt auch hier aufgrund des Sauerstoffmangels eine unvollständige Zersetzung der organischen Masse sowie eine ungenügende Mineralisierung der in ihr gebundenen Nährstoffe. So bilden sich vielerorts auch Moore. Die dicke Humusauflage schützt den Dauerfrost-Untergrund gegen sommerliche Sonneneinstrahlung. Wird diese Streuauflage durch Waldbrände zerstört, so bilden sich unter Umständen sumpfartige Seen von 10–50 ha Fläche, auf denen der Wald zunächst nicht mehr Fuß fassen kann. Deshalb finden sich hier zunächst andere Vegetationsformen ein (Sukzession). In den Mooren kommt es dank der großen Mengen organischen Materials zur Entstehung von Torf. Die weltgrößten Torfvorräte (etwa 2/3 des Vorkommens) befinden sich auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.[4]

Pflanzenwachstum

Je weiter man nach Norden geht, desto lückenhafter wird die Bewaldung der borealen Zone, bis sie schließlich in die Tundra übergeht. Die Phytomasse – die gesamte pflanzliche Substanz (Bio- und Nekromasse) – wird dabei geringer. Im südlichen Bereich der borealen Zone sind es etwa 400 t/ha Trockenmasse, in der „Mittleren Taiga“ halbiert sich dies bereits auf 166 t/ha. Im gleichen Maß sinkt die Nettoprimärproduktion auf vier bis acht Tonnen pro Jahr und Hektar (im Mittel fünf Tonnen).[4] Insgesamt ist das Wachstum, auch jenes der Nadelbäume, aufgrund der kurzen Vegetationsperiode, aber auch wegen des durch sie selbst mitverursachten Podsols, vergleichsweise langsam. Die Bäume sind im Schnitt 15–20 cm niedriger als in den mitteleuropäischen Wäldern. Die Durchmesser sind in Korrelation zur Höhe ebenfalls kleiner. Davon profitiert jedoch die Schnitt- und Papierholz-Industrie, die die einheitlich großen Bäume besser verarbeiten kann. Allerdings steigt mit dem langsameren Wachstum die Qualität des Holzes. Lärchenholz ist beispielsweise sehr langlebig (300–500 Jahre) und daher als Bauholz sehr geschätzt. Die Bäume borealer Nadelwälder erzeugen nur ein Drittel der Trockenmasse des tropischen Regenwaldes.

Feuer

Feuer bzw. Waldbrände spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem und der Entwicklungsdynamik borealer Wälder.[5] Der Grund liegt in der mächtigen Humusauflage, die eine Verjüngung der Wälder behindert. Die Samen der Bäume finden keinen Kontakt zum Boden, wo sich pflanzenverfügbare Nährstoffe befinden und sie wurzeln könnten. Durch Feuer wird der Mineralboden wieder freigelegt. Gleichzeitig werden die in der organischen Masse gespeicherten Elemente freigesetzt (ein großer Teil davon geht durch Auswaschung auch wieder verloren). Feuer sind regelmäßige, natürliche Ereignisse in diesem Ökosystem. Der Zeitraum zwischen zwei Feuerereignissen auf einer Fläche wird durch den Begriff der Feuerrotation beschrieben. In sommertrockenen Gebieten Alaskas und Kanadas sind dies 50–100 Jahre, in feuchteren Gebieten 300–500 Jahre. Unter natürlichen Umständen werden die Brände durch Blitzschlag ausgelöst.[4]

Literatur

  • Alfred Dengler: Waldbau auf ökologischer Grundlage, Band 1. Der Wald als Vegetationstyp und seine Bedeutung für den Menschen. 5. vollständige neubearbeitete Auflage von Ernst Röhrig, Paul Parey, Hamburg und Berlin 1980, ISBN 3-490-01216-X
  • Anton Fischer: Forstliche Vegetationskunde. Blackwell, Berlin, Wien (u. a.) 1998, ISBN 3-8263-3061-7

Weblinks

 Commons: Taiga – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Anton Fischer: Forstliche Vegetationskunde. Blackwell, Berlin u. a. 1995, ISBN 3-8263-3061-7
  2. Wolfgang Tischler: Einführung in die Ökologie. Fischer, Stuttgart 1979, ISBN 3-437-20195-6, S. 185–192
  3. a b Anton Fischer: Forstliche Vegetationskunde. Blackwell, Berlin u. a. 1995, ISBN 3-8263-3061-7, S. 242
  4. a b c Anton Fischer: Forstliche Vegetationskunde. Blackwell, Berlin u. a. 1995, ISBN 3-8263-3061-7, S. 82
  5. Peter Burschel; Jürgen Huss: Grundriß des Waldbaus. Ein Leitfaden für Studium und Praxis. Parey, Berlin 1999, ISBN 3-8263-3045-5, S. 4

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