- Braunbuch
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Unter der Bezeichnung Braunbuch sind mehrere Materialsammlungen erschienen, die nationalsozialistische Täter anprangern oder faschistische Tendenzen aufzeigen sollten.
Inhaltsverzeichnis
Braunbuch 1933
Das erste Braunbuch – eine Veröffentlichung der KPD im Exil in Paris – erschien 1933 unter dem Titel Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror in Paris.[1] Es wurde am 1. August 1933 auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Den Hintergrund bildete der für den 21. September angesetzte Reichstagsbrand-Prozess, bei dem neben dem Hauptangeklagten van der Lubbe der KPD-Fraktionsführer Torgler und die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew auf der Anklagebank saßen.
Herausgeber war Alexander Abusch unter der Mitwirkung von Albert Norden. Federführend war Willi Münzenberg,[2] der Leiter der Internationalen Arbeiterhilfe. Münzenberg war Propagandist der Komintern und Gründer der Editions du Carrefour,[3] welche das Braunbuch verlegte. Als anonymer Autor beteiligte sich sein Mitarbeiter Otto Katz alias André Simone. Weitere Mitarbeiter waren u. a. eine Gruppe kommunistischer Schriftsteller und Journalisten, wie Alfred Kantorowicz, Gustav Regler, Arthur Koestler und Bruno Frei. Die Gestaltung übernahm John Heartfield. Der Umschlag zeigt einen blutverschmierten Göring mit dem Henkerbeil vor dem brennenden Reichstag.
Das Braunbuch wurde in einer Auflage von mehreren Millionen Exemplaren in 17 Sprachen übersetzt und erzielte große propagandistische Wirkung.
Nach dem Ende des Prozesses 1934 kam unter dem Namen Dimitroff contra Göring: Braunbuch II eine Fortsetzung des Buches heraus.[4] Auch dieses Buch wurde in die wichtigsten Sprachen übersetzt und erregte großes Aufsehen.
Braunbuch über Naziverbrecher in hohen Positionen in der Bundesrepublik und in West-Berlin
Seit 1955 gab die DDR gezielt belastendes Material über einzelne Staatsanwälte, Richter und hohe Beamte im Konkurrenzstaat Bundesrepublik Deutschland heraus. Deren Tätigkeit im Dritten Reich und oft auch manche peinliche Ergebenheitsadresse wurden erst dadurch der Öffentlichkeit bekannt. Wie im Falle des Generalbundesanwalts Wolfgang Fränkel und des Ministers für Vertriebene Hans Krüger führten derartige Enthüllungen auch zum Rücktritt hoher Beamter und Bundesminister.
Am 2. Juli 1965 präsentierte der für die Aufarbeitung der Nazi- und Kriegsverbrechen und für Propaganda zuständige SED-Politiker Albert Norden der Weltpresse ein Braunbuch mit dem Titel Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft, das die SS-Dienstränge und NS-Parteiämter von 1800 Wirtschaftsführern, Politikern und führenden Beamten der Bundesrepublik Deutschland auflistete. Einige der Angaben waren zusätzlich durch Faksimiles belastender Dokumente belegt.[1]
Das Buch wurde von den Regierenden in Bundesrepublik weitgehend als „kommunistisches Propagandawerk“ abgelehnt, eine weitere Auflage 1967 auf der Frankfurter Buchmesse skandalträchtig beschlagnahmt. Die Bundesregierung erklärte, die erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Für die Beschuldigten hatte die Veröffentlichung vorerst kaum Folgen; vielmehr halfen sie „im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges den Beschuldigten eher, als dass sie ihnen schadeten.“[5]
Spätere unabhängige Nachforschungen ergaben dann, dass die meisten Angaben zutrafen. Allerdings erwiesen sich einige Angaben in diesem Braunbuch als Namensverwechslung oder als Teilfälschung von Dokumenten, um die Bundesrepublik und ihre Repräsentanten wie den Bundespräsidenten Heinrich Lübke international zu diskreditieren. Dies machte es den Angegriffenen im Kalten Krieg leicht, das gesamte Material als „propagandistische Munition des Ostens“ abzuwerten.
Eine dritte Auflage erschien im Sommer 1968. Sie wurde im Jahre 2002 neu aufgelegt und im Internet als Volltext veröffentlicht. In einer Rezension von 2002 bezeichnete der Historiker Götz Aly das Buch zwar als „Propaganda“, betonte aber, dass die Irrtumsquote bei den Angaben deutlich unter einem Prozent gelegen habe. Nach Ansicht des Historikers Richard Evans [6], der ein Spezialist für die Geschichte des Dritten Reiches ist, und der Unabhängigen Historikerkommission- Auswärtiges Amt treffen die Angaben des Braunbuchs zur „NS-Belastung führender westdeutscher Diplomaten“ in den 1950er Jahren „zum allergrößten Teil zu“.[7]
Braunbuch über Nazis in hohen Positionen in der DDR
Im Gegenzug erschienen auch in West-Berlin und der Bundesrepublik ähnliche Veröffentlichungen, die die nationalsozialistische Vergangenheit von Staats- und Parteifunktionären der DDR thematisierten. Der Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen veröffentlichte erstmals 1958 unter dem Titel Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten eine Liste von 75 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Bis 1965 erschienen fünf jeweils erweiterte Auflagen. Die Rechercheure hatten offenbar Zugang zum US-amerikanisch verwalteten Berlin Document Center sowie Informanten in der DDR. Im Jahre 1981 legte der heutige Soziologe Olaf Kappelt das Braunbuch DDR. Nazis in der DDR vor. Es enthielt 876 Namen.[8]. Kappelt brachte 2009 eine bearbeitete Neuauflage seines Werkes heraus. Es enthielt Angaben zu über eintausend mehr oder weniger belasteten NS-Personen, die in gesellschaftlich einflussreichen Positionen der DDR Fuß fassen konnten. Das Vorwort zu dieser zweiten Auflage des 1981 erschienenen Buches schrieb 2009 das langjährige SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, der in der Veröffentlichung des von Kappelt verfassten Braunbuches DDR - Nazis in der DDR. einen wichtigen Beitrag zur Diktatur-Aufarbeitung sah.
Siehe auch
- Farbbuch (Oberbegriff der „farbigen“ Bücher)
- Weißbuch
- Schwarzbuch
- Grünbuch
Literatur
- Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror. Zurerst erschienen unter dem Titel Livre Brun sur l`incendie du Reichstag et le terreur hitlerìenne. Mit einem Vorwort vonLord Marley. Edition Carrefour Paris 1933. Gleichzeitig erschienen Ausgaben in Deutsch bei der Universum-Bücherei in Basel und Übersetzungen in die wichtigsten Sprachen der Welt. (Lord Marley war ein einflussreicher Labourpolitiker)
- Dimitroff contra Göring: Braunbuch II. Editions du carrefour, Paris 1934, Reprint Köln, Frankfurt/Main 1981, ISBN 3-7609-0552-8
- Norbert Podewin (Hrsg.): „Braunbuch“. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft. Edition Ost, Berlin 2002. ISBN 3-360-01033-7 (Reprint der 3. Auflage von 1968)
- Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland. Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR: „Braunbuch“. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin. Staat, Wirtschaft, Verwaltung, Armee, Justiz, Wissenschaft. Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1968
- Hubertus Knabe: Die unterwanderte Republik. Berlin 1999. S. 140-143 (Lübke-Affäre)
- Olaf Kappelt: Braunbuch DDR. Nazis in der DDR. Reichmann Verlag, Berlin (West) 1981. ISBN 3-923137-00-1
- Olaf Kappelt: Braunbuch DDR. Nazis in der DDR. Berlin Historika Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-939929-12-3
- Olaf Kappelt: Die Entnazifizierung in der SBZ sowie die Rolle und der Einfluß ehemaliger Nationalsozialisten in der DDR als ein soziologisches Phänomen. Studien zur Zeitgeschichte, Bd.13, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 1997. ISBN 3-86064-614-1 (Diss 1997)
- Jürgen Elsässer: Braunbuch DVU. Eine deutsche Arbeiterpartei und ihre Freunde. Konkret Verlag, Hamburg 1998. ISBN 3-930786-18-4
Weblinks
- Norbert Frei: Die Achtundsechziger und der Nationalsozialismus (über den Einfluss des Braunbuchs und ähnlicher Publikationen aus der DDR auf die entstehende 68er-Bewegung)
- http://www.ila-web.de/buchbesprechungen/special2003_nazis.htm
- http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc/p/fundus/4/tornau.pdf (PDF-Datei; 50 kB)
Quellen
- ↑ a b s. Rubrik Literatur
- ↑ http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MuenzenbergWilli
- ↑ Arthur Koestler: Als Zeuge der Zeit, 1982
- ↑ S. Rubrik Literatur
- ↑ Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 18.
- ↑ Richard J. Evans: The German Foreign Office and the Nazi Past. Rezension zu: Das Amt. Neue Politische Literatur 56 (2011), S. 171.
- ↑ Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010, S. 18.
- ↑ s. Literaturliste
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