Alois Lexa von Aehrenthal

Alois Lexa von Aehrenthal

Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal (Baron, ab 1909 Graf, * 27. September 1854 im Schloss Hrubá Skála, Groß Skal, Böhmen; † 17. Februar 1912 in Wien) war ein österreichisch-ungarischer Politiker, der 1906 bis 1912 k. u. k. Außenminister war.

Alois Lexa von Aehrenthal (1910)
Aehrenthal in Beamtenuniform (1907)

Inhaltsverzeichnis

Leben

Aehrenthal stammte aus einer 1790 geadelten und 1828 in den Freiherrenstand erhobenen böhmischen Familie. Der Vater Johann Friedrich Lexa von Aehrenthal (1817–1898) war langjähriger Sprecher des böhmischen Feudaladels. Sein Großgrundbesitz in Groß Skal umfasste 5500 Hektar. Als Sohn der Gräfin Maria Felicitas von Thun-Hohenstein (1830–1911) war Alois Spross einer Familie der österreichisch-böhmischen Hocharistokratie mit entsprechend guten Verbindungen. Er selbst heiratete 1902 Gräfin Pauline Széchenyi (1871–1945) aus einer bedeutenden ungarischen Hochadelsfamilie.[1]

Als zweiter Sohn nicht Erbe des väterlichen Grundbesitzes, studierte Aehrenthal in Bonn und Prag Rechtswissenschaft und Politik und trat 1877 in den diplomatischen Dienst Österreich-Ungarns ein. Der damalige Außenminister Graf Gustav Kálnoky förderte Aehrenthal und wurde für ihn Vorbild. Aehrenthals Beziehung zu dessen Nachfolger Graf Goluchowski gestaltete sich hingegen eher schwierig und war insbesondere von Dissens über die richtige Politik gegenüber Russland und dem Osmanischen Reich geprägt. Goluchowski hatte den Ausgleich mit Russland und die Erhaltung des schwachen Osmanenreiches praktiziert, Aehrenthal aber befürwortete eine aggressivere Gangart. Der italienische Diplomat Graf Carlo Sforza schilderte später, Aehrenthal habe sich nach eigenem Bekunden auf seinem ersten Auslandsposten als Attaché in Paris 1877 / 1878 nur gelangweilt, während seine folgenden Tätigkeiten in Sankt Petersburg - zunächst 1878–1883 als Attaché, 1888–1894 als Legationsrat und schließlich 1899–1906 als Botschafter – sowie 1895-1898 als Gesandter in Rumänien ihm eher geschadet als genützt hätten: Namentlich in St. Petersburg habe er gelernt, nur zu fürchten und zu verachten.[2] Ungeachtet dessen verfügte Aehrenthal durch seine langen Russlandaufenthalte über gute Kenntnisse des Zarenreiches und bis zur Krise von 1908 auch über gute gesellschaftliche Kontakte zur dortigen Führungselite.

1906 wurde Aehrenthal von Kaiser Franz Joseph I. als Nachfolger Goluchowskis zum österreichisch-ungarischen Außenminister ernannt und blieb dies bis zum Tage seines Todes. Wegen seiner ungarischen Ehefrau galt er als Kandidat der magyarischen Führungsschicht. Seine Außenpolitik war denn auch ganz nach deren Erwartungen von der Abkehr der ausgleichenden Politik gegenüber Russland geprägt, die Goluchowski in der Balkanpolitik betrieben hatte. Mehrmals lösten Aehrenthals Manöver in Südosteuropa Spannungen aus, so der Bau einer Bahnlinie, der sogenannten Sandschakbahn, von Bosnien ins damals noch zum Osmanischen Reich zählende Saloniki (ein von den Balkanslawen und ihrer Schutzmacht Russland als gegen ihre Interessen gerichtetes Projekt betrachtet), 1907 und vor allem 1908 die bosnische Annexionskrise.

Die Jungtürkische Revolution im Osmanischen Reich ließ in Österreich-Ungarn Befürchtungen aufkommen, nun könnte es zu Aktionen der Osmanen zur Rückgliederung der von der Donaumonarchie nur okkupierten Provinz Bosnien-Herzegowina kommen. Österreich-Ungarn hatte die Provinz nach den Großmächte-Beschlüssen auf dem Berliner Kongress von 1878 seit drei Jahrzehnten okkupiert und von seinem gemeinsamen k.u.k. Finanzministerium verwalten lassen. In der Folge hatte die Monarchie beträchtliche Mittel in die Infrastruktur des Landes investiert. Man schritt daher 1908 zur förmlichen Annexion Bosniens und der Herzegowina.

Bei einem vom k.u.k. Botschafter in St. Petersburg, Graf Leopold Berchtold, vermittelten Treffen Aehrenthals mit dem russischen Außenminister Alexander Petrowitsch Iswolski im mährischen Schloss Buchlovice stimmte der Vertreter Russlands der Annexion unter der Bedingung zu, dass Wien seinerseits die Russen bei der international zustimmungspflichtigen Öffnung der osmanischen Dardanellen für die russische Flotte unterstützen würde. Aehrenthal ließ jedoch die Annexion ohne gleichzeitige Gegenleistung durchführen und brüskierte damit Russland - ebenso wie die übrigen Großmächte, die trotz ihres Garantenstatus von 1878 nicht um Zustimmung befragt worden waren. Das durch den einseitigen Akt der Monarchie formal einer Provinz beraubte Osmanische Reich wurde durch Kompensationszahlungen besänftigt. Das an Bosnien und der Herzegowina ebenfalls interessierte Serbien befand sich nun definitiv im Lager der Gegner der Donaumonarchie; Aehrenthal unternahm nichts, mit Serbien bessere Beziehungen herzustellen. Die Annexion löste eine internationale Krise aus, die zum Bruch des guten Einvernehmens mit Russland, aber letztlich nicht zum eine Zeit lang drohenden Krieg mit Russland und Serbien führte, da Russland nach der Niederlage gegen Japan und der Revolution von 1905 militärisch und innenpolitisch noch allzu geschwächt war und Anfang 1909 einlenkte. Doch wurde das Wiener Vorgehen in Sankt Petersburg ebenso wenig als erledigt betrachtet wie in Belgrad.

Wegen seiner Verdienste um die Annexion von Bosnien-Herzegowina, der ersten territorialen Erweiterung des Habsburgerreiches seit 1846 und der Umkehrung des Trends schwerer territorialer Verluste (1859 und 1866), erhob der Kaiser Aerenthal 1909 in den Grafenstand. Die Folgen der Annexion für die europäischen Macht- und Bündnisverhältnisse und für das fragile Österreich-Ungarn wurden von Aehrenthal ebenso wie von der serbenfeindlichen magyrischen Führungsschicht und den österreichischen Kriegsbefürwortern um Generalstabschef Conrad grob unterschätzt.

Als Folge der Krise lehnte sich Serbien enger an Russland an, was in den Jahren 1912 / 1913 die Balkankriege mit auslöste und den Ausbruch des Ersten Weltkrieges begünstigte. Durch die Annexionskrise und seine Haltung in anderen diplomatischen Fragen (Marokkokrise, Meerengenfrage) trug Aehrenthal zur Isolierung Österreich-Ungarns unter den europäischen Mächten bei, während die Abhängigkeit von Deutschland wuchs. Andererseits widersetzte sich Aehrenthal dem aggressiven Generalstabschef Conrad, der dem Kaiser gegenüber wiederholt einen Präventivkrieg gegen Italien forderte. Der Kaiser lehnte, von Aehrenthal gedrängt, im Herbst 1911 die Präventivkriegsidee grundsätzlich ab und entließ Conrad, der erst nach Aehrenthals Tod 1912 auf Betreiben von Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand erneut zum Generalstabschef berufen wurde.

Anfang 1912 reichte Aehrenthal aus gesundheitlichen Gründen seinen Abschied ein. Nachdem der Kaiser Berchtold zum Nachfolger bestimmt hatte, nahm er den Rücktritt mit Handschreiben vom 17. Februar 1912 mit „wärmstem Dank“ an und verlieh Aehrenthal die Brillanten zum Großkreuz des Sankt-Stephans-Ordens. Aehrenthal verstarb noch am gleichen Abend an Leukämie.

Der liberale Reichsratsabgeordnete und k.k. Minister Josef Redlich beschrieb Aehrenthal in seinem Tagebuch:

„Er war eine Persönlichkeit, und zwar eine kraftvolle Persönlichkeit in diesem Lande der ererbten Möglichkeiten und Halbheiten [...] Er ist der Mann gewesen, der mir das alte Österreichertum in seiner vollen Lebenskraft besser repräsentiert hat, als irgendeiner der anderen Männer der franzisko-josephinischen Zeit.[3]

Einzelnachweise

  1. Solomon Wank: In the Twilight of Empire. Count Alois Lexa von Aehrenthal (1854–1912). Imperial Habsburg Patriot and Statesman. Band 1: The making of an imperial Habsburg patriot and statesman. (=Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs. 102) Böhlau, Wien 2009, ISBN 978-3-205-78352-7, S. 27 und 35.
  2. Carlo Sforza: Aehrenthal, der letzte Diener. In: Derselbe: Gestalten und Gestalter des heutigen Europa. Fischer, Berlin 1931, S. 60–72.
  3. Fritz Fellner (Hrsg.): Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919. Das politische Tagebuch Josef Redlichs. Graz / Köln 1953 / 1954, Band 1: S. 125.

Literatur

Weblinks


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