Hermann Bickler

Hermann Bickler

Christian Hermann Bickler (auch Armand Bickler, * 28. Dezember 1904 in Hottviller damals Reichsland Elsaß-Lothringen, heute Département Moselle; † 8. März 1984 am Lago Maggiore) war ein elsässischer Rechtsanwalt und autonomistischer Politiker, der nach der Besetzung Frankreichs als Nationalsozialist Karriere machte.

Inhaltsverzeichnis

Jugend in Lothringen

Auf dem Welschhof geboren, einem abgelegenen Bauernhof bei Hottviller (Gemeinde Volmunster), war Bickler der einzige Sohn einer mennonitischen Familie.

Bis 1939: Der elsässische Autonomist

Bickler studierte zwischen 1923 und 1927 in Straßburg Jura und wurde schließlich Rechtsanwalt. Während seines Studiums gründete er 1924 die Vereinigung Studentischer Heimatbund, die sich für den Erhalt deutscher Sprache und Kultur im Elsass einsetzte. Nach eigenen Angaben kam Bickler am 27. September 1925 bei einem Aufenthalt in Fürth anlässlich einer Großkundgebung erstmals mit dem Nationalsozialismus in Kontakt. In der Studienzeit kam er auch in Verbindung mit Friedrich Spieser, in dessen autobiographischer Erzählung Tausend Brücken (1952) er unter dem Namen Faust erscheint.[1]

Als einer der tonangebenden autonomistischen Politiker des Elsaß und Führer der Jungmannschaft nahm Bickler im September 1927 zusammen mit Paul Schall am Gründungskongress der Parti autonomiste breton (PAB) in Rosporden teil. An diesem Kongress beteiligten sich neben Bickler und Schall auch korsische und flämische Autonomisten. Am 12. September 1927 war Bickler in Quimper einer der Mitunterzeichner des Gründungsdokuments des «Comité des minorités nationales de France» (Komitee der Minderheitenvölker Frankreichs), das elsässische, katalanische, bretonische, flämische und korsische Autonomisten in Frankreich dazu aufrief, „Separatisten“ zu werden und sich von Frankreich zu lösen. In der Folgezeit wurde er einer der wichtigsten Korrespondenten der bretonisch-autonomistischen Zeitschriften Breiz Atao (1919-1939) und Peuples et Frontières (1937-1939).[2]

1927 schloss Bickler sich der der von Karl Roos geleiteten Unabhängigen Landespartei an. 1934 eröffnete er zusammen mit seinem Studienkollegen Pierre Bieber in Straßburg eine Rechtsanwaltskanzlei. Am 18. Juni 1936 gründete er aus taktischen Gründen die Elsass-Lothringische Partei (ELP), die personell und organisatorisch eng mit der Jungmannschaft verbunden war, jedoch nie zu Wahlen antrat[3]. Mit Unterstützung von Robert Ernst und Funktionären des Vereins für das Deutschtum im Ausland gelang es Bickler gleichzeitig, in der Unabhängigen Landespartei den Einfluss von Karl Roos zurückzudrängen. Kontakte hatte Bickler in dieser Zeit durch Vermittlung von Friedrich Spieser auch zu den Brüdern Ernst und Alfred Toepfer. Er betätigte sich außerdem als Informant für den deutschen Sicherheitsdienst. Bicklers politisches Ziel zu diesem Zeitpunkt war eine autonomistische Einheitsfront mit der Jungmannschaft als Führungsgruppe und ihm selbst als oberstem Führer. Wenige Tage nach einer Versammlung in Straßburg, auf der Bickler zum wiederholten Male separatische und antifranzösische Positionen vertreten hatte, kam es am 3. Oktober 1938 zu einer polizeilichen Durchsuchung des Hauptquartiers der Jungmannschaft. Am 21. April 1939 wurde diese Organisation dann samt ihrem Presseorgan Frei Volk in Anbetracht der zunehmenden Spannungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland von der französischen Regierung verboten.[4]

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Hermann Bickler zunächst zur französischen Armee eingezogen, dort am 4. September 1939 verhaftet und am 31. Oktober zusammen mit anderen führenden elsässischen Autonomisten in Nancy interniert, später ins Landesinnere verlegt - die Gruppe wurde später unter dem Namen "Die Nanziger" bekannt. Am 15. Juli 1940 wurde Bickler von den französischen Behörden einem Sonderkommando der Wehrmacht überstellt.

1940-1945: Der Kollaborateur und Nationalsozialist

Ins Elsass zurückgekehrt, gehörte Bickler zu den Unterzeichnern des an Adolf Hitler gerichteten Manifest von Drei-Ähren (Manifest des Trois-Épis), in dem um die Eingliederung des Elsass in das Großdeutsche Reich gebeten wurde[5]. Am 6. September 1940 wurde er vom Reichsführer SS Heinrich Himmler mit der Nummer 367.776 in die SS aufgenommen. Am 10. September 1940 wurde er zum Kreisleiter von Straßburg und am 5. Juli 1941 zusätzlich zum Kreisleiter von Kehl ernannt. Er hielt seine Kontakte zum Sicherheitsdienst (SD) aufrecht und drängte dort auf die Auslieferung der französischen Polizeikommissare Antoine Becker und Léonard, die 1939 für seine Verhaftung verantwortlich waren sowie auf die Bestrafung des leitenden Gefängnisaufsehers in Nancy[6].

In den nächsten Jahren tat sich Bickler als eifriger Verfechter der "Entwelschung" des öffentlichen Lebens im Elsass hervor. In öffentlichen Ansprachen warb er immer wieder um den freiwilligen Eintritt von Elsässern in die deutsche Wehrmacht oder Waffen-SS und versuchte die nach Einführung der Wehrpflicht dann letztlich Zwangsverpflichteten (Malgré-Nous) auf die nationalsozialistische Kriegführung einzuschwören[7]. Als bekennender Protestant geriet Bickler aber auch immer wieder in Gegensatz zur Politik des Gauleiters Robert Wagner, der auch im Elsass den Einfluss der christlichen Kirchen zurückzudrängen versuchte[8]. Er intervenierte auch gegen Wagners Säuberungsaktion, durch die zwischen Juni und Dezember 1940 im Rahmen der Wagner-Bürckel-Aktion auch eine große Zahl politisch unzuverlässig erscheinender Elsässer ins französische Landesinnere abgeschoben werden sollte[9].

1942 trat Bickler vom Posten des Strassburger Kreisleiters zurück und kündigte öffentlich seinen Einsatz an der Ostfront an. Er wurde jedoch, wahrscheinlich im Auftrag von Gottlob Berger, nach einer Ausbildung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin als Nachfolger von Herbert Hagen zu einem der Leiter des Amtes VI des Sicherheitsdienstes (SD) in Paris ernannt. In dieser Funktion kontrollierte Bickler ab Januar 1943 die Nachrichtendienste rechtsgerichteter und kollaborierender französischer Organisationen (z.B. der Parti populaire français (PPF) unter Jacques Doriot, Mouvement franciste unter Marcel Bucard sowie der Milice française unter Joseph Darnand).[10] Außerdem war er im Hinblick auf die erwartete Invasion der Alliierten mit der Aufstellung einer Selbstschutzpolizei (SSP) beauftragt, einer aus Franzosen zusammengesetzten Sondereinheit zum Einsatz gegen Widerstandskämpfer[11]. Bickler gewann bald großen Einfluss auf die Kollaboration in Frankreich[12], auf die Personalpolitik der Regierung Pierre Laval und auf die deutsche Politik gegenüber dem Vichy-Regime. Er wurde zum Standartenführer (entsprechend dem Rang eines Oberst) befördert und zum Fachführer ernannt. Bickler stand zeitweilig im Kontakt mit dem Widerstandskreis um Friedrich Hielscher und spielte in dessen Umsturzplänen eine Rolle, zog sich dann aber zurück[13]. Anlässlich des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde Bickler im Rahmen der Operation Walküre von der Reichswehr verhaftet, nach dem Scheitern der Aktion aber rasch wieder freigelassen.[14]

Als Chef des Sicherheitsdienstes (SD) im Elsaß kehrte Bickler am 11. August 1944 zunächst nach Straßburg zurück. Im September 1944 wurde er zum Leiter der Leitstelle Südwest (auch als Sonderstab West bezeichnet) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) ernannt. Unter dem Decknamen Walther versuchte er, von Baden-Baden und Hornberg aus, die neu wieder eingerichtete französische Verwaltung im Elsass zu infiltrieren. Anfang 1945 machte Bickler bei den lokalen Behörden in Sigmaringen seinen Einfluss geltend, um dem Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline Ausweispapiere für seine Weiterflucht nach Dänemark zu verschaffen[15]. Mitarbeitern der kollaborationistischen und antisemitischen französischen Zeitschrift „Je suis partout“ verhalf er noch in den letzten Monaten des Krieges zur Flucht nach Spanien.[16]

Nach 1945: Auf der Flucht und im Exil

Von einem französischen Gericht wurde Bickler am 4. September 1947 u.a. wegen Zusammenarbeit mit dem Feind, Verbrechen gegen Personen und Mitarbeit in kriminellen Organisationen in Abwesenheit zum Tode und zur Beschlagnahme seines Besitzes verurteilt. Seine Geheimdienstkontakte erlaubten es ihm, nach dem Ende des Dritten Reiches unterzutauchen und sich einer Strafverfolgung zu entziehen[17][18]. Auch die Straßburger Anwaltschaft scheint ihn als ein ehemaliges Mitglied geschützt zu haben. Trotz intensiver Suche der französischen Geheimdienste konnte Bickler nicht ausfindig gemacht werden. Der Industrielle und Mäzen Alfred Toepfer soll ihn zeitweilig unterstützt haben[19]. Nachträglich ermittelte Aufenthaltsorte in den 50er Jahren waren Tübingen, Gera und Zweibrücken[20]. Anscheinend flüchtete er Anfang der 60er Jahre zunächst nach Südtirol. Zu dieser Zeit stand er über Karl Epting in Briefkontakt mit Céline, mit dem er seit seiner Zeit in Paris befreundet war[21]. Um 1964 ließ Bickler sich schließlich in der Nähe des Lago Maggiore nieder und betätigte sich dort als Geschäftsmann. Lothar Kettenacker gibt an, dass er Bickler bei den Recherchen für sein 1973 erschienenes Buch mündlich befragt hat[22]. In Cardana di Besozzo unweit des Lago Maggiore besaß Bickler ein Haus[23], wo er auch seine 1978 erschienenen Erinnerungen Ein besonderes Land : Erinnerungen und Betrachtungen eines Lothringers verfasste.

Veröffentlichungen

  • Elsass-lothringische Jungmannschaft. Strassburg, Knoblochgasse 15 (Elsass-Lothringische Jungmannschaft) ([1932])
  • Widerstand. Straßburg, Hünenburg-Verlag [1943]
  • Ein besonderes Land : Erinnerungen und Betrachtungen eines Lothringers, Askania-Verlag[24], Lindhorst 1978

Literatur

  • Lothar Kettenacker: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1973 (Studien zur Zeitgeschichte. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte), ISBN 3-421-01621-6
  • Philippe Aziz: Histoire secrète de la Gestapo française en Bretagne (2 Bde.). Éditions Famot, Genf 1975
  • Karl-Heinz Rothenberger: Die elsass-lothringische Heimat- und Autonomiebewegung zwischen den beiden Weltkriegen. Peter Lang, Frankfurt a. Main 1976 (Europäische Hochschulschriften. Band 42), ISBN 3-261-01485-7 (Rothenberger nennt als Quellen für seine Arbeit mündliche und schriftliche Befragungen u.a. Paul Schalls, Robert Ernsts und Friedrich Spiesers und gibt an etlichen Stellen unkommentiert deren Sichtweise des Geschehens wieder.)
  • Philip Charles Farwell Bankwitz: Alsatian autonomist leaders 1919—1947. The Regents Press of Kansas, Lawrence 1978, ISBN 0-7006-0160-0
  • Hermann Bickler, un autonomiste alsacien au service de l´ennemi. Histoire pour tous, hors-série n° 21, Dezember 1980-Januar 1981. ISSN 0339-7335
  • Kurt Hochstuhl: Zwischen Frieden und Krieg: Das Elsaß in den Jahren 1938–1940. Ein Beitrag zu den Problemen einer Grenzregion in Krisenzeiten (Europäische Hochschulschriften. Band 250). Peter Lang, Frankfurt a. Main 1984. ISBN 3-8204-8254-7
  • Francis Arzalier: Les perdants, la dérive fasciste des mouvements autonomistes et indépendantistes au XXe siècle. Éditions La Découverte, Paris 1990. ISBN 2-707-11915-6
  • Georges Cadiou: L´hermine et la croix gammée. Le mouvement breton et la collaboration. Éditions Apogée, Rennes 2006. ISBN 2-84398-239-1

Weblinks

  • BS Encyclopédie mit einem Foto von Bickler neben dem stellvertretenden Gauleiter Hermann Röhn anlässlich einer Parade in Straßburg 1942 (zuletzt geprüft am 22. August 2010)

Einzelnachweise

  1. Kettenacker a.a.O., S. 23 sowie S. 288 (Anm. 56)
  2. Artikel Breiz Atao und Parti autonomiste breton in der französischen Wikipedia
  3. Kettenacker a.a.O., S. 289 (Anm. 95); Rothenberger a.a.O., S. 322 (Anm. 698)
  4. Bankwitz a.a.O., S. 55-56
  5. Rothenberger a.a.O., S.242-243
  6. Bankwitz a.a.O., S. 90
  7. Kettenacker a.a.O., S. 350 (Anm. 87), S. 352 (Anm. 129), S. 354 (Anm. 152) und S. 357 (Anm. 194); Bankwitz a.a.O., S. 91.
  8. Kettenacker a.a.O., S. 289 (Anm. 99)
  9. Kettenacker a.a.O., S. 363 (Anm. 81)
  10. Kettenacker a.a.O., S. 315 (Anm. 68); Bankwitz a.a.O., S. 92;
  11. Cadiou a.a.O., S. 280-284
  12. Unter Parisenimages, Bild LAPI-27265 bis ist Bickler (mit Brille) links neben Fernand de Brinon, Helmut Knochen, Carl Oberg und Joseph Darnand (von links nach rechts) bei einer Vereidigung von Milizionären am 1. Juli 1944 im Ehrenhof des Hôtel des Invalides, Paris zu sehen. (zuletzt geprüft 20. Oktober 2010)
  13. Ina Schmidt: Der Herr des Feuers. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus (S. 93, Fußnote 208). SH-Verlag, Köln 2004. ISBN 3-89498-135-0
  14. Bankwitz a.a.O., S. 92
  15. François Gibault: Céline. 3e partie. Cavalier de l’Apocalypse (1944-1961), S. 64. Mercure de France, Paris 1985. ISBN 2-7152-1247-X.
  16. Bankwitz a.a.O., S. 92-93
  17. « Bickler scheint sich dem amerikanischen Geheimdienst angeschlossen zu haben.» Louis-Ferdinand Céline: Lettres à Albert Paraz. 1947-1957. Paris, Éditions Gallimard 2009, S. 272 (Anm. 1). ISBN 978-2070122448
  18. The National Archives and Records Administration, College Park, MD 20740-6001: Records of the Central Intelligence Agency (Record Group 263), S. 14. Bickler werden mehrere Alias-Namen der Organisation Gehlen zugeordnet.
  19. Michael Pinto-Duschinsky: The Prize Lies of a Nazi Tycoon in Standpoint., April 2010 (zuletzt geprüft am 9. Januar 2011)
  20. Bankwitz a.a.O., S. 111-112
  21. Émile Brami, a.a.O.; François Gibault, a.a.O., S. 324-326. Céline bat Bickler u.a. um wissenschaftliche Belege für die Nichtexistenz von Gaskammern.
  22. Kettenacker a.a.O., S. 384
  23. Dort lebt heute noch sein Sohn, der Bildhauer Dietrich Bickler. Das Haus machte 2005 international Schlagzeilen, als der in Italien wegen Kriegsverbrechen verurteilte ehemalige SS-Hauptmann Erich Priebke sich dort trotz Hausarrest zu einem Urlaub aufhielt: z.B. NS-Verbrecher Priebke macht stilecht Urlaub
  24. Zum Verlagsprogramm des Askania-Verlags s. die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der PDS: Der "Askania-Verlag" (1993) sowie die erneute Anfrage der PDS: Der "Askania-Verlag" und der Rechtsextremismus (II) (1994; beide zuletzt geprüft am 27. August 2010)

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