Kofferaner Musikantensprache

Kofferaner Musikantensprache

Die Kofferaner Musikantensprache, auch Kofferaner Rotwelsch, ist ein in Kofferen bei Linnich im westlichen Rheinland beheimateter Rotwelschdialekt.[1] Diese Geheimsprache wurde von Mitgliedern und Familien reisender Kapellen des Ortes benutzt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die anfänglich fast mittellosen Kofferaner Musikanten begannen zu ihrem Lebensunterhalt wohl kurz nach 1730 und gewiss vor 1750 mit meist einwöchigen Wanderungen oder Fahrten ins Umland.[2] Sie erspielten sich über die Jahre eine hervorragende Reputation und wurden später von Köln bis zum Niederrhein für Feste, Prozessionen und Veranstaltungen gebucht, wobei immer weitere Kapellen entstanden, um die Nachfrage zu befriedigen. Um 1800 lebten in Kofferen bereits über 150 Musiker,[3] so dass beinahe das ganze Dorf vom Musizieren gelebt haben muss.[4] Zu ihrer Blütezeit um 1850 bis 1870 waren Kofferaner als Militärmusiker oder Solisten für lange Zeit auswärts beschäftigt, es gab dutzende reisender Kapellen und sogar Schwindler, die unter dem Namen der Kofferaner ihren Reibach zu machen versuchten.[5] Da war es naheliegend, Geschäftsbeziehungen, Engagements und Reiserouten möglichst geheim zu halten. Mit dem Aufkommen der Grammophone und später der Radios gingen die Engagements der Musiker zurück, die Weltkriege und die dazwischen liegende Wirtschaftskrise taten ein übriges. Daher wurde die Musikantensprache immer weniger benutzt. Die letzte Kapelle hielt sich bis zum Ende der 1950er Jahre.[6] Einzelne Ausdrücke und Wörter der Musikantensprache sind bis heute Anteil der täglichen Umgangssprache Kofferens geblieben, sie werden auch von jungen Leuten weiter benutzt.[7]

Das Wort Kofferer oder Kofferaner steht in vielen lokalen Dialekten der Gegenden, die noch von den Musikern aus Kofferen bereist wurden, als Synonym für einen herumziehenden Musikanten.[1][8]

Eigenschaften

Der lokale Dialekt der Kofferaner gehört zum nordwestlichen Ripuarischen und ist nahe dem Übergang zum Niederfränkischen angesiedelt.[9] Wie eine Vielzahl anderer ortsbezogener Rotwelschvarianten setzt auch die Kofferaner Musikantensprache auf dem lokalen Dialekt auf, ergänzt ihn und ersetzt einen Teil seiner Wörter. Für ripuarische oder ostlimburgische Sprecher klingt das Kofferaner Rotwschelsch also vertraut. Die typischen Aussprachemerkmale, wie die rheinischen Tonakzente[10] und Satzmelodien,[11] die typischen Koronalisierungen und Velarisierungen findet man hier durchgängig. Das zu einem leicht gehaucht klingenden [x] (ach-CH) umgelautete endständige R des Westripuarischen im Aachener Umland kommt auch in Kofferen vor. All dies findet man ebenso bei den aus dem allgemeinen rotwelschen Inventar übernommenen Wörtern. So gibt es kein Wort, das mit G beginnt, diese sind alle nach J verschoben. Vergleichbares gilt für morphoplogische und grammatische Eigenschaften der Sprache.[12]

Wortschatz

Auffallend ist, dass bei der Kofferaner Musikantensprache die Anzahl der speziell auf die Musik, das Musizieren oder Instrumente bezogenen Wörter nicht besonders groß sind. Offenbar war es selten nötig, in diesem Bereich von Außenstehenden nicht verstanden zu werden, so dass die allgemeinen Möglichkeiten des Rotwelschen zur Verschleierung genügten.

Vom Wanderleben zeugt etwa die Unterscheidung zwischen doreme und pölte, die beide „schlafen“ bedeuten, ersteres in der Herberge, das zweite daheim im eigenen Bett (Pölt).[13]

Übereinstimmungen mit anderen Rotwelschdialekten sind bei speziell Kofferaner Wörtern rar. Dennoch gibt es sie vereinzelt, allerdings meist zu weiter entfernten Orten außerhalb des üblichen Reisegebietes der Kofferaner, so dass ernsthafte Sprachkontakte nicht bestanden haben dürften. Es sind auch keine überliefert. Einzelbegegnungen sind natürlich nie auszuschließen. Eine einzige Übereinstimmung gibt es mit dem Jenisch des Eifeldorfs Stotzheim, das Wort Datemcher (nur in der Mehrzahl), steht in beiden Sprachen für die weibliche Brust.[14] Eine weitere besteht in dem Wort Knuut für ein Messer, das auch in der Vogelsberger Maurersprache vorkommt. Beide Wörter sind sonst in keinem weiteren Rotwelschdialekt belegt. Einige Kofferaner Wörter ähneln dem Bargoens der Niederlande, aber reichen auch nicht aus, einen Kontakt schlussfolgern zu können.[14]

Für etliche Wörter und Wortfelder sind Einordnung und Herkunft unklar, davon lassen sich einige vielleicht dem Rheinischen als Umdeutungen zuordnen, bei vielen anderen gelingt das nicht.[15]

Einige Wortbeispiele aus dem Kofferaner Rotwelsch:

Musikantensprache    Standarddeutsch    Bemerkung
achele    [ˈaxələ] essen   [16][17]
achiile    [aˈxiːlə] gut essen, reinhhauen [16][18]
Baies [ˈbaiʲəs] Haus [16]
fenii [fəˈniː] Schluss, Ende, vorbei, aus [19]
dä Fini [fiˈni] der Schluss, das Ende [20]
Kaferiines [kafəˈʀiːnəs] Bauer in den heutigen Ortsdialekt übergegangen[17][21]
Kuuter [kuːtəx] Metzger [22]
Leanspichler [leanspixləʀ] Nachtwächter [12][22]
Puderäi [ˈpudəʀɛj] Erlaubnis zum Musizieren ähnlich Butterei in der Musikantensprache von Hundeshagen[23][24]
Schtotsem [ˈʃtɔtsəm] Kofferen Stotzheim heißt auch ein anderes Rotwelsch-Dorf.[14]

Beispiele

  • Kän, fläk dad-ens.  —  Ja, mache das mal.[19]
  • Na Koober, wi schäv-et?  —  Na, wie gehts?[1]  (dient auch als Schiboleth)[1]
  • Dä Härjekoober he en de Häresch schäv-ene dofte Kooch.  —  Der Wirt hier im Gasthaus ist ein guter Koch.[25]
  • Ming Dooter hät jäts no-e Jroomesköbersche jetsop.  —  Meine Tochter hat jetzt noch einen Jungen zur Welt gebracht.[21]
  • On so-ne Trommler wer, de tsodel isch och noch. Ens roone.  —  Und so einen Trommler werde ich auch noch finden. Mal sehen.[19]
  • Med-os Läits hä-mer däne Kaferiinese Jramaas jeflek, dof Raibach jetsop, ovents näver der Tsäänse jehuk on dobei dov-achiilt.  —  Wir haben mit unserer Musik den Bauern eine Freude gemacht, gut verdient, haben abends neben den Honoratioren gesessen und dabei gut gegessen.[26]

Siehe auch

Literatur

  • Peter Honnen: Geheimsprachen im Rheinland. Eine Dokumentation der Rotwelschdialekte in Bell, Breyell, Kofferen, Neroth, Speicher und Stotzheim. 2 Auflage. Rheinische Mundarten Rheinland-Verlag, Köln 2000, ISBN 3-7927-1728-X, Teil IV. Kofferen (= Rheinische Mundarten, Band 10) (Mit einer CD).
  • Heinrich Matzerath: Kofferen - ein rheinsches Musikantendorf. In: Jahrbuch des Kreises Düren. Düren 1984, S. 134 bis 140.
  • Heinrich Matzerath: Der Kofferaner Musikant. In: Der Kofferaner. Jahresband der „Heimatfreunde Kofferen“. Kofferen 1985, S. 18 bis 21.
  • Heinrich Matzerath: Der Kofferaner Musikant. In: Der Kofferaner. Jahresband der „Heimatfreunde Kofferen“. Kofferen 1986, S. 29 bis 32.
  • Peter Engels: Kofferen, ein rheinsches Musikantendorf. In: Rur-Blumen. Heimatwochenschrift zum Jülicher Kreisblatt. Nr. 51, Jülich 18. Dezember 1937, S. 396 bis 398 und 407 bis 409.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 96
  2. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 88
  3. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 90
  4. Leo Krichel: Zur Geschichte des Musikantendorfs Kofferen. In: Der Kofferaner. Jahresband der „Heimatfreunde Kofferen“. Kofferen 1993, S. 25 und 26.
  5. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seiten 93 und 94
  6. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 93
  7. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seiten 96 bis 98 oben
  8. Rheinisches Wörterbuch. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und des Provinzialverbandes der Rheinprovinz auf Grund der von Johannes Franck begonnenen, von allen Kreisen des Rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearbeitet und herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender. 9 Bände. Bonn/Berlin 1928-1971. Band IV (K), Spalte 1010, Stichwort „Koffern“
    Online abfragbar unter http://www.woerterbuchnetz.de/woerterbuecher/rhwb/wbgui?lemid=RK12196
  9. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seiten 101 und 97
  10. Siehe dazu auch Stoßton und Schleifton
  11. Zu hören beispielsweise auf der CD zum Buch von Peter Honnen, siehe Literatur
    Eines davon ist auch online als Tonbeispiel der Kofferaner Musikantensprache auf der Website der Sprachabteilung am Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte beim Landschaftsverband Rheinland
  12. a b Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 101
  13. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 99
  14. a b c Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 100
  15. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seiten 100 und 101
  16. a b c Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 102
  17. a b Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 97
  18. Siehe auch: Rheinisches Wörterbuch. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und des Provinzialverbandes der Rheinprovinz auf Grund der von Johannes Franck begonnenen, von allen Kreisen des Rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearbeitet und herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender. 9 Bände. Bonn/Berlin 1928-1971. Band I (A-D), Spalte 31, unter dem Stichwort „acheln“
    Online abfragbar unter http://www.woerterbuchnetz.de/woerterbuecher/rhwb/wbgui?lemid=RA00225
  19. a b c Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 116
  20. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 103
  21. a b Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 104
  22. a b Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 105
  23. Siehe auch Literatur, Peter Honnen, Seite 98
  24. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 107
  25. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 114
  26. Siehe Literatur, Peter Honnen, Seite 112

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