Projektive Quadrik

Projektive Quadrik

Eine projektive Quadrik ist in der projektiven analytischen Geometrie die Nullstellenmenge einer nichttrivialen, homogenen, quadratischen Funktion q in n + 1 Variablen (x_0,x_1,\ldots,x_n), die als Koordinatendarstellung einer Punktmenge in dem n-dimensionalen projektiven Raum KPn über einem Körper K aufgefasst wird.

Projektive Quadriken können, sofern die Charakteristik des Körpers nicht 2 ist, durch eine symmetrische Matrix dargestellt werden. Ist diese Matrix durch eine orthogonale Matrix diagonalisierbar, dann kann die Gleichung, die die Quadrik beschreibt, durch Wahl eines geeigneten projektiven Koordinatensystems auf eine Form

 \alpha_0 x_0^2+\alpha_1 x_1^2+\cdots +\alpha_r x_r^2=0,\; \alpha_j\neq 0

gebracht werden. Die Zahl 1\leq r\leq n+1 ist der Rang der Darstellungsmatrix, die Koeffizienten sind deren von 0 verschiedenen Eigenwerte. Dabei kann ein von 0 verschiedener Koeffient αj der Gleichung stets durch Wahl eines entsprechenden Koordinatensystems in einen beliebigen, zu ihm quadratisch äquivalenten Koeffizienten \beta_j=c^2\cdot \alpha_j, c\in K^*= K \setminus \lbrace 0\rbrace umgewandelt werden, alle Koeffizienten sind nur bis auf einen gemeinsamen Faktor t\in K^* bestimmt. Die Reihenfolge der Koeffizienten kann durch eine geeignete Basistransformation beliebig gewählt werden.

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

Homogenes quadratisches Polynom

Sei K ein Körper. Ein Polynom in (höchstens) n + 1 Variablen p\in K[x_0,x_1,\ldots,x_n] heißt homogenes quadratisches Polynom, wenn es eine Summe von quadratischen Monomen der Form r_{jk}\cdot x_j\cdot x_k (r_{jk}\in K; 0\leq j\leq k\leq n) ist. Ein solches Polynom lässt eine Darstellung

 p(x_0,x_1,\ldots, x_n)= \vec{x}^T \cdot A \cdot \vec{x}

zu, wobei A eine quadratische (n+1)\times (n+1)-Matrix ist. Verlangt man von der Matrix A=(a_{jk})_{(0\leq j,k\leq n)}, dass sie symmetrisch ist, dann wird sie durch die Koeffizienten rjk der Monome eindeutig bestimmt. Es gilt dann

 a_{jk}=\begin{cases} r_{jk},\quad \text{falls }\, j=k\\ \frac{1}{2}\cdot r_{jk}, \;\text{falls }\, j\neq k ,\end{cases}

falls die Charakteristik des Körpers K nicht 2 ist. Für Körper mit Charakteristik 2 ist im allgemeinen keine Darstellung durch eine symmetrische Matrix möglich.

Homogene quadratische Funktion

Durch jedes homogene quadratische Polynom wird eine homogene, quadratische Funktion

q:K^{n+1}\rightarrow K;\quad \begin{pmatrix}x_0\\ \vdots \\x_n \end{pmatrix}
    \mapsto p(x_0,\ldots,x_n)=  (x_0, \ldots, x_n)\cdot A\cdot \begin{pmatrix}x_0\\ \vdots \\x_n \end{pmatrix}

auf dem Vektorraum Kn + 1 definiert. Ist p das Nullpolynom und damit die symmetrische Matrix A die Nullmatrix, dann heißt diese quadratische Funktion trivial, in allen anderen Fällen, wenn also der Rang von A größer oder gleich 1 ist, nichttrivial.

Projektive Quadrik

Für eine homogene, quadratische Funktion q:K^{n+1}\rightarrow K gilt q(\vec{x})=0 genau dann, wenn q(t\cdot \vec{x})=0 für jeden Skalar t\in K gilt. Wählt man in einem n-dimensionalen projektiven Raum über K daher ein festes projektives Koordinatensystem und identifiziert den Raum damit mit seinem Standardmodell KP^n \mathrel{\widehat{=}} K^{n+1}, dann wird durch q(\vec{x})=0 eine Punktmenge in dem projektiven Raum beschrieben. Für die triviale quadratische Funktion q\equiv 0 ist das der gesamte Raum. In allen anderen Fällen wird die Erfüllungsmenge der Koordinatengleichung, also die Punktmenge

\lbrace P =\left[\vec{x}\right]\in KP^n | q(\vec{x})=0\rbrace

als projektive Quadrik bezeichnet.

Äquivalenz von Quadriken

Zwei Quadriken, die durch die nichttrivialen quadratischen Funktionen q_1(\vec{x}) bzw. q_2(\vec{x}) beschrieben werden, heißen projektiv äquivalent, wenn es symmetrische Darstellungsmatrizen A von q1 und B von q2, eine reguläre Matrix S und ein Körperelement t\in K^* gibt, so dass

S^T\cdot A \cdot S = t \cdot B gilt. – ST ist die transponierte Matrix.

Damit ist es genau für äquivalente Quadriken möglich, die Gleichung der einen Quadrik durch Wahl eines geeigneten projektiven Koordinatensystems auf die Form der zweiten oder ein Vielfaches dieser Form zu bringen. Für die Äquivalenz notwendig ist, dass sich die Quadriken als Punktmengen durch eine Projektivität, die dann durch S darstellbar ist, bijektiv aufeinander abbilden lassen. Für projektive Räume über einem algebraisch abgeschlossenen Körper ist dies auch hinreichend.

Eine Quadrik, die eine symmetrische Darstellungsmatrix mit Vollrang, also vom Rang n + 1 besitzt, wird als nichtentartet bezeichnet, jede andere Quadrik als entartet. Eine Quadrik, für deren Erfüllungsmenge \lbrace \vec{x}\in K^{n+1}|q(\vec{x})=0\rbrace=\lbrace 0\rbrace gilt, die also keinen projektiven Punkt enthält, wird als nullteilige projektive Quadrik bezeichnet.

Entartete Quadriken sind nie nullteilig.

Invarianten

Der Rang r einer symmetrischen Darstellungsmatrix A ist eine projektive Invariante für jede Quadrik q(\vec{x})=0, er wird auch als Rang der projektiven Quadrik bezeichnet. Für Körper mit von 2 verschiedener Charakteristik ist auch die Anzahl der Quadratklassen E(q)=\lbrace Q_\alpha| \alpha\in K^*,\exist\vec{x}\neq 0 \ A\cdot \vec{x}=\alpha{x} \rbrace der nicht verschwindenden Eigenwerte einer symmetrischen Darstellungsmatrix invariant unter jeder Projektivität.

Für den Fall einer projektiven Quadrik über einem reellen projektiven Raum liefert der Trägheitssatz von Sylvester noch eine Invariante: Da jeder Eigenwert der symmetrischen Darstellungsmatrix 0 ist oder quadratisch äquivalent zu +1 oder −1 ist, kann man, gegebenenfalls durch Multiplikation mit −1 erreichen, dass die Anzahl r + der positiven Eigenwerte nicht kleiner als die Anzahl r der negativen Eigenwerte ist. Die Zahl s: = min {r + ,r } ist eine weitere projektive Invariente für reelle Quadriken, die gelegentlich als projektive Signatur bezeichnet wird, da sie zusammen mit dem Rang die für projektive Quadriken wesentliche Information der Signatur einer Bilinearform enthält. Zwei reelle Quadriken sind genau dann äquivalent, wenn sie in ihrem Rang r und ihrer projektiven Signatur s übereinstimmen. Es kann stets eine Normalform gewählt werden, bei der s = r und daher 0\leq r_- \leq r/2 ist.

Projektive und affine Klassifikation von Quadriken

Durch Schlitzen eines projektiven Raumes (also durch Auswahl einer Hyperebene des Raumes als Fernhyperebene) entsteht aus jeder projektiven Quadrik eine (affine) Quadrik in dem dabei erzeugten affinen Raum. Gewöhnlich werden zwei unterschiedliche affine Quadriken nur dann zum gleichen Typ gezählt, wenn die zugehörigen projektiven Quadriken im projektiven Abschluss des affinen Raumes zum gleichen projektiven Typ gehören. Daher wird die affine Typisierung insbesondere für nullteilige Quadriken erst durch die Typisierung im projektiven Abschluss vollständig.

Beispiele

Die gewöhnlichen Fälle der linearen Algebra

In folgenden Fällen ist die symmetrische Darstellungsmatrix stets orthogonal diagonalisierbar:

  • In einem komplexen projektiven Raum der Dimension n gibt es genau einen Typ einer projektiven Quadrik mit einer Darstellungsmatrix vom Rang r zu jedem Rang 1\leq r\leq n+1, insgesamt also genau n + 1 unterschiedliche Typen. Keine Quadrik ist nullteilig.
  • In einem reellen projektiven Raum der Dimension n gibt es zu jedem möglichen Rang r mit 1\leq r\leq n+1 der Darstellungsmatrix genau \lfloor \frac{r}{2}\rfloor +1 unterschiedliche Typen von projektiven Quadriken. Dabei ist \lfloor \frac{r}{2}\rfloor die größte ganze Zahl z\leq \frac{r}{2}, vergleiche Gaußklammer.
  • In einer projektiven Ebene, also einem zweidimensionalen projektiven Raum über einem euklidischen Körper, zum Beispiel den reellen Zahlen, existieren genau 5 verschiedene Typen von projektiven Quadriken, zwei davon haben Darstellungsmatrizen mit dem vollen Rang 3 und die Normalform x_0^2+x_1^2+x_2^2=0 bzw. x_0^2+x_1^2-x_2^2=0. Die erste der genannten Normalformen beschreibt eine nullteilige Quadrik. Die Normalformen der entarteten Quadriken lauten x_0^2=0, x_0^2+x_1^2=0, x_0^2-x_1^2=0.
  • In einem dreidimensionalen projektiven Raum über einem reell abgeschlossenen Körper, zum Beispiel den reellen Zahlen, existieren genau 8 verschiedene Typen von projektiven Quadriken. Drei davon haben Vollrang und die Normalform x_0^2+x_1^2+x_2^2+x_3^2=0, x_0^2+x_1^2+x_2^2-x_3^2=0 bzw. x_0^2+x_1^2-x_2^2-x_3^2=0. Die erste der genannten Normalformen beschreibt eine nullteilige Quadrik, die Normalformen der entarteten Quadriken werden durch die 5 Normalformen des zweidimensionalen Falles beschrieben.

Praktische Berechnung einer rationalen Normalform

Für praktische Berechnungen ist die Diagonalisierung der symmetrischen Matrix – auch mit Computeralgebrasystemen – aufwändig und führt zunächst auch nur zu reellen und komplexen Normalformen. Stattdessen wird man für praktische Berechnungen die gemischten Terme der quadratischen Funktion durch quadratische Ergänzung eliminieren. Dies soll hier an einem Zahlenbeispiel deutlich gemacht werden:

Gegeben ist die quadratische Funktion qA die durch die symmetrische Matrix

A=\begin{pmatrix}1 & 2 & 3\\ 2 & 2 & -1 \\ 3 & -1 & 1 \end{pmatrix} dargestellt wird, also q_A(\vec{x})=x_0^2+4 x_0 x_1+6 x_0 x_2+2 x_1^2-2 x_1 x_2+x_2^2.

Nun wird dreimal quadratisch ergänzt:

  1. x0 = y0 − 2x1 führt auf die Form y_0^2-2x_1^2+6y_0x_2-14x_1x_2+x_2^2,
  2. y0 = z0 − 3x2 führt dann auf z_0^2-2x_1^2-14x_1x_2-8x_2^2,
  3. x_1=y_1-\frac{7}{2}x_2 führt auf z_0^2-2y_1^2+\frac{33}{2}x_2^2.

Die Übergangsmatrizen sind dabei

S_1=\begin{pmatrix}1 & -2 & 0\\ 0 & 1 & 0 \\ 0 & 0 & 1 \end{pmatrix}, S_2=\begin{pmatrix}1 & 0 & -3\\ 0 & 1 & 0 \\ 0 & 0 & 1 \end{pmatrix},
S_3=\begin{pmatrix}1 & 0 & 0\\ 0 & 1 & -\frac{7}{2} \\ 0 & 0 & 1 \end{pmatrix},

deren Produkt S=S_1\cdot S_2\cdot S_3 vermittelt zusammen mit dem Faktor t = 1 / 2 die Äquivalenz der Matrix A zu der Diagonalmatrix D=\operatorname{diag}(2,-4,33), denn es ist S^T\cdot A \cdot S=t\cdot D. Damit ist die durch A beschriebene Quadrik über jedem Körper, dessen Charakteristik nicht 2 ist, durch 2x_0^2-4x_1^2+33x_2^2 beschreibbar. Über \Q lautet eine Normalform 2x_0^2+33x_1^2-x_2^2, denn dort sind -4 und -1 quadratisch äquivalent. Liegt die Quadrik in einer Ebene, dann ist sie genau dann entartet, wenn die Charakteristik des Körpers 2, 3 oder 11 ist, bei allen anderen Charakteristiken ist ihr Rang 3. Über den reellen Zahlen ist ihr Rang 3 und ihre projektive Signatur 1.

Literatur

Die ersten drei Schriften von Helmut Hasse sind grundlegend für die Theorie der quadratischen Formen und Quadriken über den rationalen Zahlen, die vierte erweitert diese auf Zahlkörper:

  • Helmut Hasse: Über die Darstellbarkeit durch quadratische Formen im Körper der rationalen Zahlen. In: Kurt Hensel (Hrsg.): Journal für die reine und angewandte Mathematik. Nr. 152, Walter de Gruyter, 1923, S. 129–148.
  • Helmut Hasse: Über die Äquivalenz von quadratischen Formen im Körper der rationalen Zahlen. In: Kurt Hensel (Hrsg.): Journal für die reine und angewandte Mathematik. Nr. 162, Walter de Gruyter, 1923, S. 205–224.
  • Helmut Hasse: Symmetrische Matrizen im Körper der rationalen Zahlen. In: Kurt Hensel (Hrsg.): Journal für die reine und angewandte Mathematik. Nr. 163, Walter de Gruyter, 1924, S. 12–43.
  • Helmut Hasse: Darstellbarkeit von Zahlen durch quadratische Formen in einem beliebigen algebraischen Zahlkörper. In: Kurt Hensel (Hrsg.): Journal für die reine und angewandte Mathematik. Nr. 153, Walter de Gruyter, 1924, S. 113–130.

Das Lehrbuch von Leutbecher bringt einige Anwendungen der Quadriken auf diophantische Gleichungen. Solche Anwendungen finden sich in den meisten einführenden Büchern zur algebraischen Zahlentheorie:

  • Armin Leutbecher: Zahlentheorie: Eine Einführung in die Algebra. Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1996, ISBN 3-540-58791-8.

Das Lehrbuch von Schaal bringt die Klassifikation von komplexen und reellen Quadriken sowohl im projektiven als auch im affinen und für reelle im euklidischen Sinn und zeigt auch Zusammenhänge dieser Klassifikationen für den zwei- und dreidimensionalen Fall auf. Ähnliches findet sich in vielen Lehrbüchern zur linearen Algebra:

  • Hermann Schaal: Lineare Algebra und analytische Geometrie,. 2., durchgesehene Auflage. I und II, Vieweg/Teubner, Stuttgart/Berlin 1980, ISBN 3-528-13057-1.

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