Psychiker (Psychiatrie)

Psychiker (Psychiatrie)

Als Psychiker werden diejenigen Psychiater und Vertreter des Fachgebiets Psychiatrie bezeichnet, die bei psychischen Erkrankungen eine Störung der Seele für maßgeblich halten. Die Seele leidet nach Georg Ernst Stahl (1660-1734) („pathetisch“) an sich selbst und bewirkt außerdem auch („sympathisch“) körperliche Störungen.[1] Diese Auffassung steht im Gegensatz zum theoretischen Ansatz der Somatiker, wonach nicht seelische, sondern körperliche Störungen für das Auftreten von psychischen Krankheiten verantwortlich seien.

Inhaltsverzeichnis

Geistesgeschichte

Die gegensätzlichen Begriffe „Psychiker“ und „Somatiker“ sind eine Folge geistesgeschichtlicher Traditionen, in denen sich der Begriff der Seele einen festen Platz erworben hatte, und der Entwicklungen infolge der neu aufgekommenen Naturwissenschaften sowie der Mathematik. Das Leib-Seele-Problem steht somit im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Psychikern und Somatikern, die mit ideologischem Eifer ausgetragen wurden.[2]

Geschichte der Psychiatrie

Psychiker hat es vor allem in Deutschland gegeben. Ackerknecht sieht hierfür auch politische Faktoren als maßgeblich an.[1] Als ersten Psychiker kann man Georg Ernst Stahl (1660-1734) mit seiner Lehre des Animismus ansehen. Hauptsächlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat es eine Auseinandersetzung über das Wesen psychischer Erkrankungen gegeben. Psychiker waren damals vor allem Johann Gottfried Langermann (1768-1832), Johann Christian August Heinroth (1773–1843) und Karl Wilhelm Ideler (1795-1860). Da die Definition von Seele vielschichtig ist, haben sich auch Philosophen an dieser Diskussion beteiligt wie z.B. Friedrich Wilhelm Schelling (1775-1854) mit seiner Identitätsphilosophie oder auch sein Schüler Carl August von Eschenmayer (1768-1852), der gleichzeitig Arzt und Philosoph war. Grundlage dieser Diskussion bildete die bereits vorangeschrittene Entwicklung psychiatrischer Einrichtungen in England und Frankreich. Hierfür waren in England eher sozioökonomische, in Frankreich eher politische Faktoren verantwortlich.

In Deutschland gab es zu diesen Fragen keine breite öffentliche Meinung. Daher ist die historische Entwicklung der Anstaltspsychiatrie zunächst eher nach Gesichtspunkten der öffentlichen Sicherheit und Moral erfolgt, wie sie in Regierungskreisen erwünscht war. Die moralische Behandlung war für die Psychiker eher am Maßstab der öffentlichen Moral denn der persönlichen Wertmaßstäbe zu bemessen. Sie war die Methode par excellence, da nicht durch körperliche, sondern durch moralische Maßnahmen ein Einfluss auf die Seele ausgeübt werden sollte. Dies führte dazu, dass eher militärischer Drill als heilsamer Umgang mit den Kranken gepflegt wurde.[3]

Heutige Bedeutung

Die Bedeutung seelischer Faktoren bei der Auslösung psychischer Krankheiten wird heute als Psychogenie bezeichnet. Sie spielt u. a. eine Rolle bei der Beurteilung funktioneller Zusammenhänge, die ohne organische Schädigung bestehen können.[1] Psychogenie ist von entscheidender Bedeutung für das Berufsbild der Psychologen, Psychotherapeuten und Vertreter der Psychosomatischen Medizin.[2] Der noch heute unfruchtbare Gegensatz zweier ideologischer Lager (Somatiker und Psychiker) sollte durch eine ganzheitliche und multifaktorielle Betrachtungsweise (Ernst Kretschmer) überbrückt werden.

Siehe auch

Weblinks

Wikiversity Wikiversity: Somatogenese und Psychogenese in der psychiatrischen Wissenschaft – Kursmaterialien, Forschungsprojekte und wissenschaftlicher Austausch

Einzelnachweise

  1. a b c Ackerknecht, Erwin H.: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN 3-432-80043-6; (a) zu Stw. „G. E. Stahl“: Seiten 35 f., (b) zu Stw. „Gründe für die deutsche Vorliebe zum Aufgreifen der Psychiker-Debatte“: Seite 59; (b) zu Stw. „funktioneller Gesichtspunkt“: Seite 36
  2. a b Degkwitz, Rudolf et al. (Hrsg.): Psychisch krank. Einführung in die Psychiatrie für das klinische Studium. Urban & Schwarzenberg, München 1982, ISBN 3-541-09911-9; Spalten nachfolgend mit ~ angegeben: - (a) zu Stw. „Geistesgeschichtlicher Hintergrund“: Seite 16~1; (b)nbsp;zu Stw. „Moderne Psychiker“: Seite 451~1
  3. Dörner, Klaus: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; Seiten 287-295,298 f., 305

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