Rudolf Levin

Rudolf Levin

Rudolf Levin (* 1. Juli 1909 in Dohna; † wahrscheinlich Frühjahr 1945 in Berlin)[1] war ein SS-Sturmbannführer oder Obersturmbannführer[2] und ab 1938 oder ab Beginn des Zweiten Weltkrieges[3] im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Leiter des „H-Sonderauftrages“ zur „wissenschaftlichen“ Untersuchung der Hexenverfolgung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Levin, Sohn eines evangelischen Kantors,[1] studierte Geschichte, Deutsch, Englisch und Philosophie. 1935 promovierte er an der Universität Leipzig bei Joachim Wach (der als „Nichtarier“ noch im gleichen Jahr aus Deutschland emigrieren musste) und Theodor Litt.

Ab 1938 oder ab Beginn des Zweiten Weltkrieges war Levin Nachfolger von Wilhelm Spengler als Leiter des vom Reichsführer SS Heinrich Himmler innerhalb des Sicherheitsdienstes (SD) initiierten „H-Sonderauftrages“ zur (pseudo-)wissenschaftlichen Untersuchung der Hexenverfolgung und zur Anlage einer „Hexenkartothek“. Das Vorhaben sollte offenbar Material für die generelle antikirchliche Propaganda des NS-Regimes liefern, Belege dafür, dass insbesondere die gemeinsamen jüdisch-christlichen Wurzeln der katholischen Kirche der Hintergrund der Hexenverfolgungen gewesen seien und Material über eine heidnisch-altgermanische Volkskultur, die angeblich durch die Hexenverfolgung der Kirche zerstört werden sollte. Dem „H-Sonderauftrag“ gehörten mehrere Wissenschaftler in Diensten der SS an, die ihre Recherchen in über 260 Archiven und Bibliotheken meist verdeckt durchführten.

1938 skizzierte Levin – im Zusammenhang mit der Abwehr einer durch die 1935 gegründete Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe versuchten Annexion der von ihm geleiteten, aus rund einem Dutzend Mitarbeitern bestehenden Forschergruppe und des Hexenthemas – das Arbeitsprofil seiner Gruppe. Demnach richtete sich deren Tätigkeit auf folgende Probleme:

  • Erforschung der rassen- und bevölkerungsgeschichtlichen Folgewirkungen der Hexenprozesse
  • die Wertung der Frau in Hexenprozessen und
  • einen Überblick über das bisherige Schrifttum zu den Hexenprozessen, sowie das Verfertigen einer thematischen Bibliographie.

Der Auftrag bildete ab 1939 im Reichssicherheitshauptamt, Amt II und ab 1941 im Amt VII („Weltanschauliche Forschung und Auswertung“), eine eigene Dienststelle. Ab 1941 leitete Levin das Referat C3 „wissenschaftliche Sonderaufträge“ im Amt VII, auch ein „ständiges Hilfsreferat für die H-Forschung“. Über die Arbeiten im Sicherheitsdienst Reichsführer-SS hinaus versuchte Rudolf Levin sich im universitären Wissenschaftsbetrieb zu etablieren, um in die Fußstapfen seines Amtschefs, Franz Six zu treten, stand aber als Assistent in dessen Schatten. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs gelang es Levin nicht mehr, sich über das Thema zu habilitieren (1942 schrieb er deswegen an den Straßburger Historiker Günther Franz[4]). 1944 wurde er von sorgfältig ausgewählten Professoren der Universität München abgelehnt. Levins wissenschaftlicher Ehrgeiz war größer als sein Können. Auf dem Arbeitsplan von 1942 standen mehr als ein Dutzend aufwändiger Abhandlungen, darunter zum Beispiel eine Studie über die geisteswissenschaftlichen Grundlagen des H-Komplexes, die wirtschaftlichen Folgen der H-Prozesse, oder ein Grundbuch der H-Forschung. Auch kriegsbedingte Benutzungseinschränkungen in Archiven und Bibliotheken behinderten die Forschung, Recherchen nach Hexenprozessakten waren weit unwichtiger als die kriegswichtige Arbeit. Am 19. Januar 1944 stellte der Sicherheitsdienst die Erfassungsarbeiten kriegsbedingt ein, da nach Levin „jetzt andere politisch aktuelle Fragen sehr drängen“.

Schriften

  • Der Geschichtsbegriff des Positivismus unter besonderer Berücksichtigung Mills und der rechtsphilosophischen Anschauungen John Austins. Dissertation. Universität Leipzig. Moltzen, Leipzig 1935.
  • Das Geschichtsbild und die aussenpolitische Willensbildung. In: Zeitschrift für Politik. Band 33. Momos, Baden-Baden 1943, S. 181–184.
  • Geisteswissenschaftliche Methodik der Gegnerforschung. Grundprobleme der Gegnerforschung. Reichssicherheitsamt, 1943, S. 1–27.

Verwendete Quellen

  • Carsten Klingemann: Soziologie und Politik: Sozialwissenschaftliches Expertenwissen im Dritten Reich und in der frühen westdeutschen Nachkriegszeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, S. 28/29, ISBN 978-3-531-15064-2.
  • Gerhard Schormann: Hexenprozesse in Deutschland. (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1470) 3. Aufl., Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 1996, S. 9, ISBN 3-525-33456-7.
  • Joachim Lerchenmüller: Die Geschichtswissenschaft in den Planungen des Sicherheitsdienstes der SS. Der SD-Historiker Hermann Löffler und seine Denkschrift „Entwicklung und Aufgaben der Geschichtswissenschaft in Deutschland“. Bonn: Dietz 2001, ISBN 3-8012-4116-5.
  • Barbara Schier: Hexenwahn und Hexenverfolgung. Rezeption und politische Zurichtung eines kulturwissenschaftlichen Themas im Dritten Reich. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1990, S. 43-115.[3]
  • Zum Habilitationsversuch des SS-Hexenforschers Dr. Rudolf Levin. Anhang in: Sönke Lorenz/Dieter R. Bauer/Wolfgang Behringer/Jürgen Michael Schmidt (Hrsg.): Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte, 1999, 109-134.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Fischer, Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-596-16048-8. (Aktualisierte 2. Auflage)
  • Carsten Schreiber: Generalstab des Holocaust oder akademischer Elfenbeinturm? Die ‚Gegnerforschung‘ des Sicherheitsdienstes der SS, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 5 (2006), S. 327-352.
  • Carsten Schreiber: Von der Philosophischen Fakultät zum Reichssicherheitshauptamt. Leipziger Doktoranden im Dualen System von Universität und Gegnerforschung, in: V. Hehl, Ulrich (eds.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952, Leipzig 2005.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 370.
  2. Obersturmbannführer laut Gerhard Schormann und anderen; laut Gerd Simon: Germanistik und Sicherheitsdienst. Germanisten im SD-Hauptamt, Fußnote 2[1] ist das „eher unwahrscheinlich, wurde jedenfalls nicht aktenkundig“.
  3. Ab 1938 laut Gerhard Schormann (unter Berufung auf das Posener Findbuch zur Hexenkartei) und anderen; laut Gerd Simon: Germanistik und Sicherheitsdienst. Germanisten im SD-Hauptamt, Fußnote 2[2] arbeitete Levin zu dem Zeitpunkt in diesem Projekt aber noch als Mitarbeiter Wilhelm Spenglers.
  4. Jan Björn Potthast: Das jüdische Zentralmuseum der SS in Prag: Gegnerforschung und Völkermord im Nationalsozialismus. Frankfurt u. New York: Campus, 2002, S. 324, ISBN 3-593-37060-3.

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