Soziologische Texte

Soziologische Texte

Soziologische Texte ist eine Buchreihe, die Heinz Maus und Friedrich Fürstenberg gemeinsam mit Frank Benseler als später hinzugekommenem dritten Editor von 1959 bis 1977 im Hermann Luchterhand Verlag herausgaben. Ziel war die Veröffentlichung bedeutsamer soziologischer Texte.

Inhaltsverzeichnis

Das Programm

Im zweiseitigen Vorwort (1959), das den ersten Bänden vorangestellt war, haben die Gründer programmatisch ihre eigene Position dargelegt:

„Seit ihrem Beginn sucht die Soziologie zur Erkenntnis sozialer Gegenwartsprobleme beizutragen. Die Erforschung der gesellschaftlichen Tatsachen verlangt aber zugleich eine ständige Überprüfung des verwendeten analytischen Begriffsapparats. Denn die Versuchung, durch vereinfachende Schlagworte, einseitige Verallgemeinerungen und kritiklose Übernahme zeitbedingter Urteile sich selber in ideologisch verfängliche Positionen hineinzuverführen, begleitet von allem Anfang an die Forschungsarbeit der Soziologie […] Gewiss kann keine Untersuchungstechnik, so ausgefeilt sie sein mag, und keine innere Anteilnahme am untersuchten Phänomen, so glaubhaft sei sein mag, der Soziologie die ständige Entscheidung abnehmen, dass ihre Sätze nachprüfbar, durch die wahrnehmbare Struktur der Phänomene begründet sein müssen. Aber die theoretischen Überlegungen der Soziologie sind stets auch über die bloße Feststellung dessen, was ist, hinausgegangen und haben zu einer problembewussten, verantwortlichen Stellungnahme aufgefordert…Die Gesellschaft…ist einem Wandel unterworfen, an dem sie selbst teilhat. Ihre Probleme sind davon mit betroffen: Die alten erscheinen in einem neuen Licht und die noch ungelösten der Gegenwart sind unter Umständen bloß die unbewältigten der Vergangenheit.“ [1]

Bände und Autoren

Bereits in den ersten vier bis 1961 erschienenen Bänden wird die Reichweite des Programms deutlich: Quellentexte zu den Vorläufern und der Frühzeit der Industriesoziologie (Friedrich Fürstenberg), eine von Kurt Lenk besorgte Textedition zur Ideologiekritik und Wissenssoziologie, Max Webers von Johannes Winckelmann aus dem Manuskript edierte Rechtssoziologie und Emile Durkheims von René König herausgegebene und eingeleitete Regeln der soziologischen Methode.

Bis 1977 erschienen insgesamt 92 Bände mit deutlicher Schwerpunktbildung in folgenden Bereichen: Ausgaben „klassischer“ Texte, Textsammlungen international bedeutender Autoren, Monographien sowie Forschungsberichte. Beispielhaft seien als weitere Beiträger, deren Texte in der ST-Reihe auf Deutsch erstveröffentlicht wurden, genannt: Lewis A. Coser, Norbert Elias, Uta Gerhardt, Georges Gurvitch, Lucien Goldmann, Eric Hobsbawm, Hans Kilian, Vittorio Lanternari, Paul Lazarsfeld, Seymour Martin Lipset, Thomas Luckmann, Niklas Luhmann, Georg Lukacs, Herbert Marcuse, C. Wright Mills, Stanislaw Ossowski, Alfred Schütz, Alain Touraine. Auch Wolfgang Abendroth, Hans Albert, Arnold Gehlen, Theodor Geiger, Hans Kelsen, Karl Mannheim, George Herbert Mead, William Fielding Ogburn , Talcott Parsons, William I. Thomas und Ernst Topitsch sind mit wichtigen Auswahlbänden vertreten.

Forschungsberichte zur Angestelltenmentalität, zur Soziallage der Chemiearbeiter, zu Montagearbeitern in der DDR, zur Arbeiter-Sexualität, sowie zur Umwelt und Familie alter Menschen und zur Katastrophensoziologie ergänzten die speziellen Soziologien und Themen aus der allgemeinen Soziologie gewidmeten Textbände: Religionssoziologie, Soziologie des Sports, Soziale Systeme, Sozialer Wandel sowie zur politischen Theorie und Soziologie der politischen Parteien. Darüber hinaus wurden länderspezifische Sammlungen für die Niederlande und die DDR vorgelegt.

Für den sozialwissenschaftlichen Grundlagendiskurs erwies sich ein von Theodor W. Adorno herausgegebener Diskussionsband (ST 58) zum Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969) mit Arbeiten von Adorno, Popper, Dahrendorf, Habermas und Albert als ein orientierendes Nachschlagewerk.

Verlegerische Entwicklung

Der in den Soziologischen Texten 1969 in deutscher Sprache erstveröffentlichte Buch von Herbert Marcuse „Der eindimensionale Mensch“ wurde wider Erwarten der Herausgeber zum Kultbuch der 68er Generation, weckte aber beim Verlag wegen des Verkaufserfolgs unangemessene Absatzerwartungen auch bei anderen Titeln. Deren Nichterfüllung führte schließlich zum abnehmenden Verlagsinteresse an der gesamten wissenschaftlichen Reihe.

Einer Neuen Folge (N.F.) unter veränderter Herausgeberschaft war denn auch nur ein kurzes Moratorium beschieden. Einige wichtige Titel überlebten im Programm der Taschenbuch-Reihe suhrkamp texte (st).

Heute [2010] stellt sich das SL-Bücherangebot so dar, dass die Soziologischen Texte entsprechend der editorischen Absicht nachhaltige Chancen boten, das schon in den 1960er Jahren um sich greifende Urteilen aus zweiter und dritter Hand und damit die Beförderung soziologischen Epigonentums, so modisch es sich auch immer geben mag, gibt, zu verringern. Auch heute noch vermitteln die Soziologischen Texte der Sammlung Luchterhand ein Panorama soziologischer Forschungsarbeit auf hoch verschiedenen Gebieten. Insofern waren, sind und bleiben die „Soziologischen Texte“ (ST) ein wichtiges fachwissenschaftliches Zeugnis aus der Zeit des internationalen Aufbruchs der deutschen Soziologie als inzwischen wohletablierter Fachdisziplin.

Einzelnachweis

  1. Erstveröffentlicht in Friedrich Fürstenberg (Hg.): Industriesoziologie I. Neuwied (Rhein) / Berlin-Spandau: Luchterhand, 1959 [= ST 1], S. 4

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Soziologische Fragen — Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Portals Soziologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Soziologie auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Hilf mit, die inhaltlichen Mängel dieses… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziologische Theorie — Soziologie (aus dem lateinischen socius = „Gefährte“ und dem griechischen λóγος, lógos = „Wort“, „Rede“) ist eine junge, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eigenständige universitäre Disziplin durchgesetzte Wissenschaft. Sie… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziologische Zeitdiagnose — Die Soziologische Zeitdiagnose ist ein überwiegend essayistisches Wissenschafts Genre, das häufig kulturkritische Elemente enthält und in aktuellen Versionen an postmoderne Theorien und ihre Kritik anschließt. Beispiele Alexis de Tocqueville:… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziologie — (lat. socius ‚Gefährte‘ und logie) ist eine Wissenschaft, die sich mit der empirischen und theoretischen Erforschung des sozialen Verhaltens befasst, das heißt die Voraussetzungen, Abläufe und Folgen des Zusammenlebens von Menschen untersucht.… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialgeschichte der Literatur — Die Sozialgeschichte der Literatur ist eine in den 1960er und 1970er Jahren aufgekommene, an der sozialen Entwicklung orientierte geschichtliche Betrachtung der Literatur, ihrer Produktion und Rezeption, ihres Gehalts und ihrer Gestalt. Sie… …   Deutsch Wikipedia

  • Institut für Sozialforschung — 50.1184194444448.65385 Koordinaten: 50° 7′ 6″ N, 8° 39′ 14″ O …   Deutsch Wikipedia

  • The People’s Choice — ist der Kurztitel einer Monografie, die erstmals 1944 von Paul Felix Lazarsfeld sowie seinen Kollegen Bernard Berelson und Hazel Gaudet unter dem Titel „The People’s Choice. How the Voter Makes Up his Mind in a Presidential Campaign“… …   Deutsch Wikipedia

  • Arnold Gehlen — Arnold Karl Franz Gehlen (* 29. Januar 1904 in Leipzig; † 30. Januar 1976 in Hamburg) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er zählt mit Helmuth Plessner und Max Scheler zu den Hauptvertretern der Philosophischen Anthropologie. In den 1960er …   Deutsch Wikipedia

  • Frank Benseler — (* 22. September 1929 in Remscheid) ist ein deutscher Soziologe und emeritierter Hochschullehrer der Universität Paderborn. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Publikationen 3 Weblinks …   Deutsch Wikipedia

  • Katastrophensoziologie — Die Katastrophensoziologie beschäftigt sich mit der sozialen Dimension von Katastrophen und gehört theoretisch zur Allgemeinen Soziologie, wenngleich sie auch häufig als Spezielle Soziologie eingestuft wird. Inhaltsverzeichnis 1 Aufgaben 2… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”