- Eric Hobsbawm
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Eric John Ernest Hobsbawm CH (* 9. Juni 1917 in Alexandria, Sultanat von Ägypten) ist ein englischer Sozial- und Wirtschaftshistoriker.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Eric Hobsbawm entstammt einem jüdischen Elternhaus. Er ist Sohn des britischen Kolonialbeamten Percy Hobsbaum und der Wiener Kaufmannstochter Nelly Grün. Die Großeltern, David und Rose Obstbaum, geboren in den 1840er Jahren, waren aus Warschau nach England eingewandert, wobei der Familienname mit H[1] als Hobsbaum[2] niedergeschrieben wurde. Die Hochzeit der Eltern fand, da das Paar im Ersten Weltkrieg gegnerischen Kriegsparteien angehörte, im Britischen Konsulat in Zürich statt, mit Genehmigung des britischen Außenministers Sir Edward Grey. Da das Ehepaar in keinem der kriegsführenden Länder leben konnte, reisten die Hobsbaums nach Alexandria, wo sie sich 1913 kennengelernt hatten. Nach der Geburt von Eric wurde im dortigen Britischen Konsulat sowohl der Geburtstag als auch der Nachname[3] falsch aufgezeichnet, als Hobsbawm. Nach Kriegsende zog die junge Familie, die sich trotz des Fehlers im Konsulat[4] weiterhin Hobsbaum schrieb, nach Wien, wo Eric Hobsbawm seine Kindheit in der Villa Seutter verbrachte.
Nach dem frühen Tod seines Vaters 1929 und seiner Mutter 1931 zog er mit seiner jüngeren Schwester Nancy für zwei Jahre zu einem Onkel nach Berlin. Diese zwei Jahre beschreibt er als den entscheidenden Abschnitt in seinem Leben. [5] Er wurde als Gymnasiast Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes, einer Unterorganisation der KPD. 1936 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens. Er war später Vordenker ihres eurokommunistischen Flügels.
Im Jahr 1933 folgte er seinen Onkeln väterlicherseits und ging mit seiner Schwester nach London. Nach dem Besuch der öffentlichen Schule kam er mit einem Stipendium ins King’s College in Cambridge, wo er 1936 bis 1939 studierte.
Nach seinem Militärdienst in der britischen Armee (1940 bis 1946) setzte Hobsbawm 1947 seine akademische Tätigkeit fort und nahm eine Lehrtätigkeit am Birkbeck College der Universität London auf. Von 1946 bis 1956 gehörte er der Communist Party Historians Group an, die nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes zerfiel. Er blieb als einer ihrer bedeutendsten Intellektuellen Mitglied der britischen kommunistischen Partei, die sich 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auflöste.
Von 1971 bis zur Emeritierung 1982 hatte er an der Universität London eine Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte inne. Zahlreiche Gastprofessuren führten ihn unter anderem nach Stanford, an das Institute of Technology in Massachusetts und an die Universidad Nacional Autonoma in Mexiko. Seit 1984 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Gesellschaft an der New School for Social Research in New York.
Werk
Hobsbawm widmete sich besonders der Epoche von 1789 bis 1914, der er eine eigene Trilogie widmete (Das lange 19. Jahrhundert):
- The Age of Revolution: 1789–1848 (Europäische Revolutionen: 1789–1848)
- The Age of Capital: 1848–1875 (Die Blütezeit des Kapitals. Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848–1875)
- The Age of Empire 1875–1914 (Das imperiale Zeitalter 1875–1914).
Hobsbawms universalgeschichtliche Darstellung erscheint hier durch eine strenge formale Bändigung des umfangreichen Materials gekennzeichnet. Die Verknüpfung von ökonomischer Basis und politischem Überbau entspricht der marxistischen Konzeption des dialektischen Materialismus, ist aber undogmatisch und kreativ gehandhabt.
Im Zusammenhang damit wandte Hobsbawm sein Interesse der Entwicklung der Arbeiterbewegung zu, den heraufsteigenden nationalistischen Ideologien und den unterschiedlichen Formen von Sozialrevolte. Am bekanntesten wurde seine Analyse des „kurzen 20. Jahrhunderts“ (The Age of Extremes: A History of the World 1914–1991 – dt: Das Zeitalter der Extreme: Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts 1914–1991).
Einflussreich auf die internationale Diskussion des Umgangs mit Geschichte war insbesondere der von Hobsbawm zusammen mit Terence Ranger eingeführte Begriff der „erfundenen Tradition“ (invention of tradition). „Erfundene Traditionen“ sind historische Fiktionen, die suggerieren, etwas sei „immer schon“ Element der eigenen Geschichte gewesen. Wichtigstes Beispiel ist der sogenannte Schottenrock, eine Erfindung des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auf angeblich keltische Wurzeln zurückgeführt wurde.
In Das Zeitalter der Extreme, einer weiteren Trilogie (in einem Band), die Hobsbawm mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs einsetzen und mit dem Zerfall der Sowjetunion zu Ende gehen lässt, interpretiert er das „kurze 20. Jahrhundert“. Die Untergliederung in drei Epochen umfasst hier das „Katastrophenzeitalter“ (1914 bis 1945) mit den zwei Weltkriegen, den Schrecken der großen Diktaturen und der Weltwirtschaftskrise, dann das „Goldene Zeitalter“ der Wiederaufbauperiode, die Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Wohlstand für viele brachte (1945 bis Mitte der siebziger Jahre). Die dritte Periode nennt Hobsbawm den „Erdrutsch“ (landslide).
In seinem Buch Ungewöhnliche Menschen (engl: Uncommon People) beschreibt er „Widerstand, Rebellion und Jazz“. Die Themen der einzelnen Aufsätze reichen von Thomas Paine über die Geschichte des Maifeiertags bis zum Mai 1968 und Billie Holiday.
Hobsbawm publizierte und publiziert auch in zahlreichen Zeitschriften, unter anderem in dem bis 1989 bestehenden, seit dem Ende der 1960er-Jahre eurokommunistisch orientierten Wiener Tagebuch.
Auszeichnungen
- Mitglied der British Academy und der American Academy of Arts and Sciences. Er hat zahlreiche Ehrendoktortitel erhalten.
- 1998: Order of the Companions of Honour
- 1999: Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (Hauptpreis)
- 2000: Ernst-Bloch-Preis
- 2003: Balzan-Preis
- 2008: Ehrenbürger von Wien
- 2008: Ehrendoktor der Universität Wien
- 2008: Ehrendoktor der Universität Prag
- 2008: Bochumer Historikerpreis
Veröffentlichungen
- Primitive Rebels. Studies in archaic forms of social movement in the 19th and 20th centuries., 1959
- dt. Ausgabe: Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Luchterhand, Neuwied/Berlin 1962; Focus-Verlag, Gießen 1979, ISBN 3-88349-202-7
- The Age of Revolution. Europe 1789-1848., 1962, ISBN 0-349-10484-0
- dt. Ausgabe: Europäische Revolutionen. 1789 bis 1848. Kindler, Zürich 1962; erneut 1978, ISBN 3-463-13715-1
- Industry and Empire., 1968
- dt. Ausgabe: Industrie und Empire. Britische Wirtschaftsgeschichte seit 1750. 2 Bände. Suhrkamp, Frankfurt 1969
- Bandits., 1969
- dt. Ausgabe: Die Banditen. Suhrkamp, Frankfurt 1972, ISBN 3-518-06566-1; Neuausgabe unter dem Titel Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen. Hanser, München 2007, ISBN 978-3-446-20941-1, Rezension in der NZZ vom 10. November 2007
- Revolutionaries. Contemporary essays., 1973
- dt. Ausgabe: Revolution und Revolte. Aufsätze zum Kommunismus, Anarchismus und Umsturz im 20. Jahrhundert. Suhrkamp, Frankfurt 1977, ISBN 3-518-07433-4
- The Age of Capital. 1848–1875., 1975, ISBN 0-349-10480-8
- dt. Ausgabe: Die Blütezeit des Kapitals. Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848–1875. Kindler, München, ISBN 3-463-00694-4; Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1980, ISBN 3-596-26404-9
- mit Giorgio Napolitano: Auf dem Weg zum historischen Kompromiss. Ein Gespräch über Entwicklung und Programmatik der KPI. Suhrkamp, Frankfurt 1977, ISBN 3-518-00851-X
- The Age of Empire., 1987
- dt. Ausgabe: Das imperiale Zeitalter. 1875–1914. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 1989, ISBN 3-593-34132-8; Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2004, ISBN 3-596-16391-9
- Nations and Nationalism since 1780. Programme, myth, reality., 1990
- dt. Ausgabe: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Campus-Verlag, Frankfurt/New York 1991, ISBN 3-593-34524-2; dtv, München 1996, ISBN 3-423-04677-5; erweiterte Auflage Campus-Verlag, Frankfurt/New York 2004, ISBN 3-593-37498-6; BpB, Bonn 2005, ISBN 3-89331-646-9
- Age of Extremes. The short twentieth century, 1914-1991. 1994
- dt. Ausgabe: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hanser, München/Wien 1995, ISBN 3-446-16021-3; dtv, München 1998, ISBN 3-423-30657-2
- On History., 1997 (Vorlesungen, Reden, Aufsätze und Rezensionen zur Geschichtswissenschaft)
- dt. Ausgabe: Wieviel Geschichte braucht die Zukunft? Hanser, München/Wien 1998, ISBN 3-446-19483-5; dtv, München 2001, ISBN 3-423-30818-4
- Uncommon People. Resistance, rebellion and jazz, 1998
- dt. Ausgabe: Ungewöhnliche Menschen. Über Widerstand, Rebellion und Jazz. Hanser, München/Wien 2001, ISBN 3-446-19761-3; dtv, München 2003, ISBN 3-423-30873-7
- Das Gesicht des 21. Jahrhunderts. Ein Gespräch mit Antonio Polito. Hanser, München/Wien 2000, ISBN 3-446-19761-3; dtv, München 2002, ISBN 3-423-30844-3
- Interesting Times. A twentieth-century life., 2002 (Autobiographie)
- dt. Ausgabe: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert. Hanser, München/Wien 2003, ISBN 3-446-20375-3; dtv, München 2006, ISBN 978-3-423-34284-1
- Globalisation, Democracy and Terrorism, 2007 (Aufsatzsammlung)
- dt. Ausgabe: Globalisierung, Demokratie und Terrorismus. dtv, München 2009, ISBN 978-3-423-24769-6
- Kunst und Kultur am Ausgang des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts. Picus Verlag, Wien 2008, ISBN 978-3-85452-361-1
- Zwischenwelten und Übergangszeiten. Interventionen und Wortmeldungen. Herausgegeben von Friedrich-Martin Balzer und Georg Fülberth, ISBN 978-3-89438-405-0, PapyRossa Verlag, Köln 2009, 240 Seiten (enthält eine Liste mit mehr als 100 Veröffentlichungen von Eric Hobsbawm in deutscher Sprache bzw. deutscher Übersetzung)
- Wege der Sozialgeschichte. Ansprache anlässlich der Verleihung des dritten Bochumer Historikerpreises. Schriften der Bibliothek des Ruhrgebiets, Heft 28. Klartext, Bochum 2009, ISBN 978-3-8375-0229-9
Literatur
- Thomas Welskopp: Eric J. Hobsbawm: Historiker im "Zeitalter der Extreme". In: Eric J. Hobsbawm: Wege der Sozialgeschichte. Ansprache anlässlich der Verleihung des dritten Bochumer Historikerpreises. Schriften der Bibliothek des Ruhrgebiets, Heft 28. Klartext, Bochum 2009, S. 15–21, ISBN 978-3-8375-0229-9
Weblinks
- Literatur von und über Eric Hobsbawm im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biografie, mit Erläuterungen zur Entstehung des Familiennamens
- Rezension im Deutschlandradio 2003 von Hans-Ulrich Wehler
- „Ich bin ein Reiseführer in die Geschichte“, Interview mit Eric Hobsbawm auf einestages.spiegel.de
- „Es wird Blut fließen, viel Blut“, Interview mit Eric Hobsbawm auf stern.de
Anmerkungen
- ↑ David and Rose Obstbaum, who first landed in London in the 1870s and doubtless acquired the initial H of their name from a Cockney immigration officer, were dead. - Eric J. Hobsbawm: Interesting times: a twentieth-century life, Random House, 2002, ISBN 0-375-42234-X S. 89
- ↑ [1]
- ↑ in Alexandria, where I was born in June 1917, to have my presence registered by a clerk at the British Consulate (incorrectly, for they got the date wrong and misspelled the surname) - S. 2
- ↑ S. 4
- ↑ Vgl. Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2003
Kategorien:- Historiker
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- Marxistischer Historiker
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