Ein andalusischer Hund

Ein andalusischer Hund
Filmdaten
Deutscher Titel Ein andalusischer Hund
Originaltitel Un chien andalou
Produktionsland Frankreich
Originalsprache Französisch
Erscheinungsjahr 1929
Länge ca. 16 Minuten
Altersfreigabe FSK 16 (Prüfung 2010)[1]
Stab
Regie Luis Buñuel
Drehbuch Salvador Dalí
Luis Buñuel
Produktion Luis Buñuel
Kamera Albert Duverger
Schnitt Luis Buñuel
Besetzung
  • Pierre Batcheff: Mann
  • Simone Mareuil: junge Frau
  • Luis Buñuel: Mann im Prolog
  • Robert Hommet: junger Mann
  • Jaume Miravitiles: Seminarist
  • Salvador Dalí: Seminarist

Ein andalusischer Hund (im französischen Original: Un chien andalou) ist ein Film von Luis Buñuel und Salvador Dalí, der zum ersten Mal 1929 in Paris vorgeführt wurde. Er gilt als Meisterwerk des surrealistischen Films.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Der Schwarzweißfilm besteht aus einer Aneinanderreihung surrealistischer Bilder und Szenen. Der Prolog zeigt einen Mann, der ein Rasiermesser schärft, dann eine Wolke, die vor dem Vollmond vorbeizieht. Der Mann schneidet einer vor ihm sitzenden Frau mit dem Rasiermesser durchs Auge.

Weitere absurde Szenen, die durch keine erkennbare Handlung zueinander gehören – wohl aber dieselben zwei Personen zeigen – sind durch Zwischentitel (Acht Jahre später, Gegen drei Uhr morgens, Vor sechzehn Jahren, Im Frühling) grob voneinander getrennt. Bekannte Einstellungen sind die Brüste einer Frau, die sich unter den Händen des Mannes in ihr Gesäß verwandeln, eine in der Tür eingeklemmte Hand mit einem Loch, aus dem Ameisen kriechen und der Mann, der unterschiedliche Dinge an zwei Seilen hinter sich herzieht: darunter zwei mit je einem Eselskadaver gefüllte Konzertflügel und zwei Brüder der Armenschule (Seminaristen).

Hintergrund

Luis Buñuel und Salvador Dalí kannten sich bereits seit ihrer Studienzeit Mitte der 1920er. 1928 trafen sie sich erneut in Figueres (Spanien), der Heimatstadt von Dalí. Bei dieser Gelegenheit erzählten sie sich gegenseitig zwei ihrer Träume: Buñuels Traum soll eine langgezogene Wolke enthalten haben, die den Mond durchschnitt, „wie eine Rasierklinge ein Auge“ zerschneidet, und Dalís Traum eine Hand, die voller Ameisen war.

Sie beschlossen, ihre Ideen filmisch umzusetzen, und schrieben innerhalb einer Woche mit der Technik des „automatischen Schreibens“ ein Drehbuch: Nichts an dem Film sollte rational, logisch, psychologisch oder kulturell erklärbar sein. Auch der Titel wurde ohne Bezug zum Film gewählt. Beide Träume finden in dem fertigen Film Verwendung.

Das Geld für die Herstellung erhielt Buñuel von seiner Mutter, wobei er nach eigener Angabe die Hälfte des Geldes in Pariser Lokalen und nicht für den Film ausgab. Die Dreharbeiten fanden zum Jahreswechsel 1928/29 in einem Atelier in Billancourt und in Le Havre statt, sie dauerten etwa vierzehn Tage. Buñuel schnitt den Film dann in Paris und zeigte ihn u.a. Man Ray und Louis Aragon, die begeistert waren. Im April 1929 folgte die öffentliche Uraufführung.

Zur Begleitung des Stummfilms legte Buñuel auf einem Grammophon, das sich hinter der Leinwand befand, abwechselnd Musik Richard Wagners (Tristan und Isolde) und argentinische Tangos auf. Bei einer Neuaufführung 1960 wurde die gleiche Musik auf einer Tonspur hinzugefügt. Es scheint aber auch eine Filmkopie zu existieren, auf der zusätzlich noch Ludwig van Beethoven zu hören ist. Luis Buñuel erwähnt in seinem Buch Mein letzter Seufzer Beethoven nicht. Entweder war diese Fassung nicht von ihm autorisiert oder er konnte sich bei der Niederschrift seines Buches nicht mehr an die Abweichung der beiden Fassungen erinnern. 1983 vertonte Mauricio Kagel den Film für das Schweizer Fernsehen. Er verwendete dazu - in Anspielung an den Titel - unter anderem Aufzeichnungen von jaulenden Hunden.

Aus Angst vor den wütenden Reaktionen des Publikums hatte Buñuel, wie er selbst später berichtete, bei der Pariser Premiere des Films seine Taschen vorsorglich mit Steinen gefüllt. Das Premierenpublikum reagierte jedoch überraschend wohlwollend. Auf den „drei- oder vierhundert Plätzen der 'Ursulines'“ hätten nur „Aristokraten und Künstler“ gesessen, erinnerte sich Buñuel. Lauter „Leute, die die 'Cahiers d'Art' lasen oder darin schrieben. (...) Am Ende des Films erhoben sie sich und klatschten lange Beifall; die Steine wogen schwer in meinen Taschen.“[2] Zwar lösten die Szenen bei vielen Zuschauern erwartungsgemäß Befremden und Abscheu aus, und der englische Surrealist David Gascoyne sprach von einer wahren „Hysterie“[3], die der Skandalfilm hervorrief,[4] aber Teile der Pariser Presse waren begeistert. Buñuel und Dalí reagierten unterschiedlich darauf (siehe Zitate).

Insbesondere die Eröffnungsszene, in der der jungen Frau mit einem Rasiermesser das Auge zerschnitten wird, erlangte Weltruhm. Diese Szene ruft Urängste bei allen Menschen wach, völlig unabhängig von ihrem kulturellen Kontext. Für den Dreh wurde ein Kuhauge benutzt, welches stark überbelichtet wurde, so dass das Kuhfell wie die weiche Haut des Mädchens erschien.

Der Film erfüllte in seiner totalen Irrationalität die Grundsätze, wie sie André Breton im Manifest des Surrealismus (Paris 1924) einige Jahre vorher formuliert hatte. Buñuel und Dalí wurden schlagartig berühmt und in die Pariser Surrealistengruppe aufgenommen. Kurze Zeit später arbeiteten sie noch einmal zusammen an dem Film Das goldene Zeitalter.

Zitate

„Der Film erzielte die von mir erwarteten Resultate. Er machte an einem einzigen Abend zehn Jahre pseudointellektuellen Nachkriegsavantgardismus zunichte. Dieses schändliche Zeug, das man abstrakte Kunst nannte, fiel uns auf den Tod verwundet vor die Füße, um nie wieder aufzustehen, nachdem sie gesehen hatten, wie das Auge eines Mädchens von einer Rasierklinge durchschnitten wird. In Europa war kein Platz mehr für die manischen kleinen Rechtecke von Herrn Mondrian.“

Salvador Dalí: The Secret Life of Salvador Dalí

„‚Ein Erfolgsfilm‘, werden die meisten denken, die ihn gesehen haben. Doch was vermag ich gegen diejenigen, die geil sind auf alles Neue, selbst wenn es ihren tiefsten Überzeugungen ins Gesicht schlägt, gegen eine Presse, die unaufrichtig oder käuflich ist, gegen dieses stumpfsinnige Pack, das ‚schön‘ oder ‚poetisch‘ gefunden hat, was im Grunde nur ein verzweifelter, ein leidenschaftlicher Aufruf zum Mord ist.

Luis Buñuel: La Révolution surréaliste

Trivia

  • Das durchgeschnittene Auge in der Vollmondszene ist das Auge einer Kuh.[5]
  • Beide Hauptdarsteller begingen Selbstmord, Pierre Batcheff 1932 in Paris und Simone Mareuil 1954 in Perigueux.
  • In dem Lied Debaser von den Pixies wird auf den Film angespielt.

Kritik

„Schon der Augenschnitt in Ein andalusischer Hund, in Zusammenarbeit mit Salvador Dalí entstanden, war nicht als unendlich ausdeutbares Symbol angelegt, sondern war einer jener visuellen Gesten, wie sie Buñuel so liebte. Jenseits von Deutungsmustern wie Kastrationsangst, Anti-Kartesianismus oder Angriff auf das Dispositiv wollte er nur eine literarische Metapher mit den Mitteln des Films wörtlich nehmen: Ein Mann steht abends auf dem Balkon, betrachtet den Himmel und sieht dabei, dass eine Wolke über den Mond zieht wie ein Rasiermesser über einen Augapfel. Nichts weiter.“

Mathias Mertens: Jungle World[6]

„Der Schnitt, der in dieser legendären Eröffnungsszene das Auge durchtrennt, wird letztlich nicht vom Rasiermesser, sondern von der filmischen Montage ausgeführt. Auf geniale Weise verschränken sich hier Form und Inhalt: erst der Filmschnitt gebiert den Schnitt durchs Auge, der wiederum den Filmschnitt symbolisiert. Denn wie das Messer das Organ der Erkenntnis durchtrennt, so zerschneidet die Montage die narrative Kohärenz des Filmes. Und so wie der Mann seine Rasierklinge an das Auge der Frau legte, legten Buñuel und Dali ihre Klingen an das Auge des Zuschauers.“

Stefan Volk: Skandalfilme[7]

Literatur

Buñuel autorisierte nur einen einzigen Abdruck des Szenarios in der Zeitschrift La Révolution surréaliste vom Dezember 1929. Eine deutsche Übersetzung und Bilder aus dem Film finden sich in:

Einzelnachweise

  1. http://www.fsk.de/index.asp?SeitID=491&TID=70
  2. Zitiert nach:Alice Goetz, Helmut W. Banz (Hrsg.): Luis Buñuel - Eine Dokumentation. Bad Ems 1965, S. A35.
  3. Zitiert nach:Alice Goetz, Helmut W. Banz (Hrsg.): Luis Buñuel - Eine Dokumentation. Bad Ems 1965, S. A34.
  4. Vgl.:Stefan Volk: Skandalfilme - Cineastische Aufreger gestern und heute. Marburg 2011, S. 41-43.
  5. IMDb.com: An Andalusian Dog (1929). Abgerufen am 6. Juli 2010.
  6. mathias mertens: Die Mühelosigkeit des Traums. In: jungle world. 23. Februar 2000, abgerufen am 22. Januar 2009.
  7. Vgl.:Stefan Volk: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute. Marburg 2011, S. 43.

Weblinks


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