Ernst Wirmer

Ernst Wirmer

Ernst Wirmer (* 7. Januar 1910 in Warburg/Westfalen; † 19. August 1981 in Bonn) war langjähriger Ministerialdirigent im Bundesverteidigungsministerium und gilt als Begründer des Zwei-Säulen-Konzepts der vollständigen Trennung der militärischen Streitkräfte von der zivilen Verwaltung der Bundeswehr.

Ernst Wirmer 1953 als Mitarbeiter des Amtes Blank

Inhaltsverzeichnis

Weimarer Republik und Drittes Reich

Wirmer wurde 1910 in ein katholisches Elternhaus geboren. Er besuchte das Gymnasium Marianum in Warburg, an dem sein Vater langjähriger Direktor war. Als Student wurde er aktives Mitglied der katholischen Studentenverbindungen Semnonia Berlin und Flamberg in Freiburg im KV. Nach dem Studium legte er 1936 das juristische Staatsexamen ab, erhielt - da er den Machthabern als politisch unzuverlässig galt - jedoch nicht die Zulassung als Assessor, sondern arbeitete in der Rechtsanwaltskanzlei seines Bruders Josef Wirmer.

Bevor er 1939 bis 1940 Kriegsdienst leistete, arbeitete er für die Reichsumsiedlungsgesellschaft. Nach 1940 war er zivilberuflich tätig für die Reichsgesellschaft für Landbeschaffung, bevor er 1942 als Reserve-Leutnant der Fahrtruppe erneut eingezogen wurde.

Sein neun Jahre älterer Bruder Josef Wirmer, der von den Widerstandskämpfern des 20. Juli als Reichsinnenminister vorgesehen war, wurde vom Volksgerichtshof unter dessen Präsidenten Roland Freisler am 8. September 1944 zum Tode verurteilt.

Ernst Wirmer wurde im November 1944 in der an den Bodensee verlagerte Wehrmachtshaftanstalt Küstrin inhaftiert, in der auch Generalleutnant Hans Speidel zeitgleich interniert war.

Wirmer wurde nach dem Krieg zum Abteilungsleiter im Staatsministerium des Landes Oldenburg ernannt, nach dessen Vereinigung zum Land Niedersachsen im Verwaltungspräsidium Oldenburg.

Politische Karriere

Der Niedersächsische Landtag wählte Wirmer 1948 als drittjüngstes Mitglied in den Parlamentarischen Rat. Kurz danach holte ihn Konrad Adenauer als seinen Persönlichen Referenten in das zukünftige Kanzleramt Palais Schaumburg. Von dort wechselte Wirmer als „Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ in das neu geschaffene Amt Blank in der Bonner Ermekeilkaserne unter Leitung von Theodor Blank. Dieser Wechsel wurde von Hans Speidel mit den Worten kommentiert: „Daß Wirmer nun doch zu Blank getreten ist, wird der Sache nicht guttun, denn er ist ein scharfer Gegner unserer Couleur.

Das Amt Blank als zukünftiges Verteidigungsministerium

Im Amt Blank sorgte Wirmer für eine strikte Trennung des Militärischen vom Verwaltungstechnischen. Als Ministerialdirigent ab Dezember 1951 leitete Wirmer die Zentralabteilung, zuständig für nichtmilitärische Organisation, Truppenverwaltung, Haushalt und Personal sowie die militärische Planungsgruppe und die Gruppe für Technische Sicherheitsfragen. Auch nach Abgabe des militärischen Planung an General Adolf Heusinger im Juli 1952 steuerte Wirmer auch weiterhin mittels Verantwortlichkeit für Verwaltungs- und Haushaltsangelegenheiten. Diese Tätigkeit fiel in die Phase der Neuorientierung der Streitkräfte am „kritischen Staatsbürger“ durch Wolf Graf von Baudissin, welche intern als „Verweichlichung“ angeprangert wurde.

Bundeswehrverwaltung ohne Uniform

Da Wirmer für die Idee des Verwaltungsbeamten ohne Uniform eintrat, bestand das so genannte Intendatur-System nicht fort. Gegen den Generalintendanten Gerhard Loosch setzte er nichtmilitärische Fachleute als ranghohe Beamte durch. Fehlendes nichtmilitärisches Wissen hatte - so der damalige FDP-Abgeordnete Erich Mende - 1941 zu Weihnachten dazu geführt, dass die jedem Soldaten zustehende Flasche Wein bei 30, 40, 50 Grad Celsius an die Ostfront geschickt wurde, wodurch Millionen Flaschen zu einem einzig zerplatzen Haufen auf jedem Bahnhof der Frontabschnitte ihr Ziel nicht erreichten. Neben Gründen der Misswirtschaft, Korruption und frontfremden Handlungen sowie technisch-fachlichen Gründen gab es auch föderalistische Gründe für den zivilen Aufbau der Bundeswehrverwaltung. Die neuen Bundesländer wollten verhindern, dass der Bund eine erstmals bis in die Ortsinstanz hinabreichende Verwaltungsorganisation in die Hand bekäme. Der damalige Ministerialrat und spätere CDU-Kanzlerkandidat Rainer Barzel wies am 28. Oktober 1955 auf den Beschluss des Bundesrates vom 19. Juni hin, dass „Soldaten ausschließlich in der Truppe verwendet ... und die Verwaltung zivilen Behörden anvertraut werde: «Ich habe jedoch die Pflicht, darauf hinzuweisen, daß dies nach der Auffassung der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen ein fundamentaler Grundsatz ist und daß deshalb erwogen werden könnte, diesen Grundsatz im Grundgesetz selbst zu verankern».

Im Artikel 87b des Grundgesetzes erhielt Wirmers zivile Orientierung der Verwaltung der Bundeswehr die rechtliche Grundlage. Die Formulierung „Sie (die Bundeswehrverwaltung) dient den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte“ wurde am 6. März 1956 mit 390 gegen 20 Stimmen vom Bundestag akzeptiert, der Bundesrat stimmt am 16. März einstimmig zu.

1976 bewertete der Ruheständler Wirmer das Argument vom „Freihalten der Truppe von übermäßiger Verwaltungsarbeit“ lediglich als scheinrational. In Wirklichkeit hätte ihn vielmehr folgender Gedanke geleitet: „auf der einen Seite die Selbstständigkeit der Bundeswehr-Verwaltung - auf der anderen Seite ein Aspekt des modernen Managements: die Konkurrenzsituation.

Rivalitäten in der Leitung des Verteidigungsministeriums

Gegen den Widerstand des Leiters der Hauptabteilung III, Administrative Angelegenheiten Ernst Wirmers, des Bundeskanzlers Ludwig Erhard und des vorherigen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß setzte der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel auf Anraten des Leiters der Hauptabteilung I, Militärische Angelegenheiten, Heinz Trettner einen Militär statt eines Beamten als Leiter der Personalabteilung durch. Bei der Gründung der Soldatengruppe der ÖTV hatte Wirmer, der Kontakt zum ÖTV-Vorstand unterhielt, den erlaubenden Erlass ohne Wissen seines Konkurrenten Trettner an die Truppe gegeben. Nach seinem Rücktritt beklagte Trettner vor dem Verteidiungsausschuss, dass „die neu eingeführte Abtrennung der Verwaltung vom Kommandostrang ... angeblich zu Erleichterung, in Wirklichkeit aber zur Kontrolle der Soldaten vorgenommen“ wurde. Verteidigungsminister Hassel bewertete in einem Brief an den Bundeskanzler Erhard, dass die militärische Seite es geradezu als Trauma empfinde, dass die Verwaltung außerhalb des militärischen Kommandostranges stehe: „Ich darf im Augenblick von Ausführungen hierzu absehen, da diese Regelung durch Artikel 87b Grundgesetz festliegt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivil im Verteidigungsbereich bei der Truppe hervorragend ist. Rivalitäten gibt es im wesentlichen nur auf der ministeriellen Ebene.

Koalititonsfreiheit für den Bundeswehrverband und für die ÖTV

In seiner Abschiedsrede im Januar 1975 kam Wirmer auf den ÖTV-Erlass zurück: „Die rechtliche Notwendigkeit ist unbestreitbar. Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gibt die Koalititonsfreiheit für Vereinigungen, die sich der berufsständischen Belange annehmen. Sowohl der Bundeswehrverband als auch die ÖTV sind im Sinne dieses Grundgesetzartikels Vereinigungen. Sie sind juristisch insoweit voreinander nicht unterscheidbar. Das bedeutet, daß man nicht, wie bisher geschehen, den Bundeswehrverband allein zulassen und die Gewerkschaft zurückstoßen darf.

Gewaltenteilung in der Bundeswehr

Wirmer verwahrte sich gegen den Vorwurf, man habe es 1955 mit der Sorgfalt bei der Anwendung des Mittels der Gewaltenteilung übertrieben. Durch Artikel 87 b seien die „Eigenständigkeit und das Mitspracherecht des zivilen Teiles des Verteidigungsressort statuiert“ worden: „Wer sich die Diskussion vor allem im Bundesrat in Erinnerung ruft, weiß noch sehr genau, dass hinter allen Argumenten, auch wenn meine Definition nicht gebraucht wurde, das Anliegen der Gewaltenteilung stand. Man nennt dieses System auch das System der checks and balances, über dessen Existenz sich General Trettner im Verteidigungsausschuß belehren lassen musste.“ Die Demokratie habe die „stete Pflicht des Misstrauens gegenüber ihren eigenen Dienern in ihren Machtapparaten.“ Wirmer sprach von der Arbeitsteilung, die sich sehr bewährt habe, so dass man die Folgen bedenken solle, wenn man die gewaltenteilende Funktion abschaffen wolle. „Civil control“ bedeute nicht nur „politische Leitung, Lenkung und Kontrolle“. Wenn es nur darum gegangen wäre, hätte die Möglichkeit bestanden, von „political control“ zu sprechen: „Es heißt aber civil control, und das bedeutet, dass diese Leitung und Kontrolle auch heißt: Kontrolle aus zivilem Geist heraus. Das muss halt von der militärischen Seite anerkannt werden, dass wir unsere modernen Demokratien aus zivilem Geist gestalten wollen.

Literatur

Weblink

 Commons: Ernst Wirmer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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